Zum 80. Geburtstag von Bobby Fischer

von Dagobert Kohlmeyer
09.03.2023 – Heute vor 80 Jahren, am 9. März 1943, wurde in Chicago einer der größten Schachspieler aller Zeiten geboren: Robert James "Bobby" Fischer, der 11. Schachweltmeister von 1972 bis 1975. Dagobert Kohlmeyer blickt in seinem Beitrag auf Fischers Leben und sein Werk zurück.

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Er war wohl die schillerndste Figur der Schachgeschichte. Als Robert James Fischer am 9. März 1943 in Chicago geboren wurde, konnte niemand ahnen, dass dieser Junge die Schachwelt einmal viele Jahrzehnte lang in Atem halten würde. Schon als Kind faszinierten ihn Brettspiele und Puzzles. Mit sechs Jahren bekam Bobby von seiner älteren Schwester Joan Brett und Figuren geschenkt. Von da an ließ ihn das Schachspiel nicht mehr los. Die kleine Familie lebte ab 1949 in New York, wo Bobby viel allein war, weil die Mutter Regina für den Lebensunterhalt sorgen musste. Mit Begeisterung studierte er Schachliteratur, von den alten Meistern bis zu aktuellen Journalen. Sehr gründlich erforschte er Morphys Partien und machte sich die Prinzipien des Maestros zu eigen: schnelle Mobilisierung der Figuren, Beherrschung des Zentrums und Opfern immer auf positioneller Grundlage. Für den Rest seines Lebens spielte Fischer nach diesen Prinzipen. Um sowjetische Schachzeitungen lesen zu können, lernte er Russisch. Sein erster Trainer war Carmine Nigro, der Vorsitzende des Brooklyn Chess Clubs. Er erkannte sofort das Ausnahmetalent des Jungen und förderte ihn, wo er konnte. Schon mit 13 Jahren zeigte Bobby, wie meisterhaft er mit den Figuren umgehen konnte. Bobbys "Unsterbliche" wurde von der Schachpresse als Partie des Jahrhunderts gefeiert.

 
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1.Nf3 Nf6 2.c4 g6 3.Nc3 Bg7 4.d4 0-0 5.Bf4 d5 6.Qb3 dxc4 7.Qxc4 c6 8.e4 Nbd7 9.Rd1 Nb6 10.Qc5 Bg4 11.Bg5 Na4 12.Qa3 Nxc3 13.bxc3 Nxe4 14.Bxe7 Qb6 15.Bc4 Nxc3 16.Bc5 Rfe8+ 17.Kf1 Be6 18.Bxb6 Bxc4+ 19.Kg1 Ne2+ 20.Kf1 Nxd4+ 21.Kg1 Ne2+ 22.Kf1 Nc3+ 23.Kg1 axb6 24.Qb4 Ra4 25.Qxb6 Nxd1 26.h3 Rxa2 27.Kh2 Nxf2 28.Re1 Rxe1 29.Qd8+ Bf8 30.Nxe1 Bd5 31.Nf3 Ne4 32.Qb8 b5 33.h4 h5 34.Ne5 Kg7 35.Kg1 Bc5+ 36.Kf1 Ng3+ 37.Ke1 Bb4+ 38.Kd1 Bb3+ 39.Kc1 Ne2+ 40.Kb1 Nc3+ 41.Kc1 Rc2# 0–1
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Byrne,D-Fischer,R-0–11956D97New York Rosenwald-038

 

Ich hörte den Namen Bobby Fischer zum ersten Mal im Schulalter, als er 1960 mit dem USA-Team zur Schacholympiade nach Leipzig kam. Der 17-jährige Großmeister holte dort 13 Punkte aus 18 Partien, ein gelungener Einstand beim Turnier der Nationen. Auch der Dresdner Großmeister Wolfang Uhlmann verlor gegen Fischer in einem Königsinder. Damit nahm Fischer Revanche für seine Niederlage, die er zuvor gegen den Französisch-Spezialisten in Buenos Aires erlitten hatte. Uhlmann erzählte mir später: "Bei der Eröffnung der Olympiade im neuen Leipziger Opernhaus erlebten wir 'Cavalleria rusticana'. Neben meiner Frau und mir saß Bobby Fischer. Der Amerikaner war in Gedanken so mit Schach beschäftigt, dass er fast die ganze Aufführung verschlafen hat. Fischer war damals auf dem Weg in die absolute Weltspitze. Er ging immer sehr elegant gekleidet und war als junger Mann wirklich eine sympathische Erscheinung." Bobby spielte in Leipzig auch gegen den aktuellen Weltmeister Michail Tal. Das wilde Spiel dauerte nur 21 Züge, aber es war eine der hochkarätigsten Remispartien der Schachgeschichte.

 
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1.e4 e6 2.d4 d5 3.Nc3 Bb4 4.e5 c5 5.a3 Ba5 6.b4 cxd4 7.Qg4 Ne7 8.bxa5 dxc3 9.Qxg7 Rg8 10.Qxh7 Nbc6 11.Nf3 Qc7 12.Bb5 Bd7 13.0-0 0-0-0 14.Bg5 Nxe5 15.Nxe5 Bxb5 16.Nxf7 Bxf1 17.Nxd8 Rxg5 18.Nxe6 Rxg2+ 19.Kh1 Qe5 20.Rxf1 Qxe6 21.Kxg2 Qg4+ ½–½
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Fischer,R-Tal,M-½–½1960C18Olympiad-14 Final A5

 

Fischer und Tal in Leipzig

Die 1960er Jahre waren wechselhaft in Fischers Karriere. Er gewann die US-Meisterschaft in Serie, 1962 das Interzonenturnier in Stockholm, aber hatte kurz darauf im legendären Kandidatenturnier von Curacao keine Chance, weil die sowjetischen Spieler dort Partien untereinander absprachen. Zehn Jahre nach Leipzig tauchte Bobby Fischer wieder in Deutschland auf und spielte 1970 bei der Schacholympiade in Siegen. Dort unterlag er dem amtierenden Weltmeister Boris Spasski, dessen Herausforderer er zwei Jahre später in Reykjavik werden sollte. In Kandidatenkämpfen gegen Taimanow und Larsen, die Fischer beide 6:0 gewann sowie gegen Petrosjan hatte er sich für das WM-Match auf Island qualifiziert. Auf den Nervenkrieg Fischers vor und bei diesem Duell, der nicht nur die Schachwelt in Atem hielt, möchte ich jetzt nicht näher eingehen. Hier soll das Schachgenie gewürdigt werden. Ich war inzwischen Journalist, und wir wetteten in unserer Rundfunk-Redaktion, wie der WM-Kampf ausgehen würde. Da Spasski zuvor noch nie gegen Fischer verloren hatte, setzte ich auf den Russen. Und hatte mich geirrt! Vor ein paar Jahren habe ich Boris Spasski gefragt: "Warum bist du nach deiner 2:0-Führung in Reykjavik und Bobbys Theater um die dritte WM-Partie nicht nach Moskau abgereist? Du hättest damit den Titel behalten." Er sagte: "Ich wollte eine sportliche Entscheidung und dachte, ich gewinne den WM-Kampf." Es kam anders. Als beste Leistung Fischers gilt die 6. Partie des Matchs. Raymond Keene verglich sie mit einer Mozart-Sinfonie.

 
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1.c4 e6 2.Nf3 d5 3.d4 Nf6 4.Nc3 Be7 5.Bg5 0-0 6.e3 h6 7.Bh4 b6 8.cxd5 Nxd5 9.Bxe7 Qxe7 10.Nxd5 exd5 11.Rc1 Be6 12.Qa4 c5 13.Qa3 Rc8 14.Bb5 a6 15.dxc5 bxc5 16.0-0 Ra7 17.Be2 Nd7 18.Nd4 Qf8 19.Nxe6 fxe6 20.e4 d4 21.f4 Qe7 22.e5 Rb8 23.Bc4 Kh8 24.Qh3 Nf8 25.b3 a5 26.f5 exf5 27.Rxf5 Nh7 28.Rcf1 Qd8 29.Qg3 Re7 30.h4 Rbb7 31.e6 Rbc7 32.Qe5 Qe8 33.a4 Qd8 34.R1f2 Qe8 35.R2f3 Qd8 36.Bd3 Qe8 37.Qe4 Nf6 38.Rxf6 gxf6 39.Rxf6 Kg8 40.Bc4 Kh8 41.Qf4 1–0
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Fischer,R2785Spassky,B-1–01972D59World-ch27 Fischer-Spassky +7-3=116

 

Nach seinem Triumpf wurde Fischer in den USA gefeiert, es gab einen regelrechten Schachboom. Doch der Weltmeister spielte keine Turniere mehr, sondern verschwand in der Versenkung. Seine Heldengeschichte war zu Ende. Zur fälligen Titelverteidigung 1975 gegen Anatoli Karpow trat Fischer nicht an, da die FIDE sich nicht allen Forderungen von ihm beugte. Vielleicht hatte er auch Angst vor dem eigenen Versagen. Karpow wurde am grünen Tisch Weltmeister, und von Fischer erfuhr man immer weniger. Er war zum Phantom geworden. Umso erstaunlicher war sein Comeback in Restjugoslawien, wo er ein Re-Match gegen Boris Spasski spielte. Wenn es Wunder auch im Schach gibt, so war Bobby Fischers Rückkehr ans Brett ganz sicher ein solches. Grund genug für mich, damals nach Montenegro zu fahren.

Am 2. September 1992, auf den Tag genau 20 Jahre nach seinem Triumph von Reykjavik, führte der 11. Weltmeister der Schachgeschichte in Sveti Stefan den ersten Zug aus und rückte seinen Königsbauern nach vorn. Es wurde eine Spanische Partie mit einem eindrucksvollen Sieg Fischers. Ihre Züge gingen augenblicklich um die Welt. Bobby konnte am Brett also noch zaubern, so schien es jedenfalls.

 
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1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bb5 a6 4.Ba4 Nf6 5.0-0 Be7 6.Re1 b5 7.Bb3 d6 8.c3 0-0 9.h3 Nb8 10.d4 Nbd7 11.Nbd2 Bb7 12.Bc2 Re8 13.Nf1 Bf8 14.Ng3 g6 15.Bg5 h6 16.Bd2 Bg7 17.a4 c5 18.d5 c4 19.b4 Nh7 20.Be3 h5 21.Qd2 Rf8 22.Ra3 Ndf6 23.Rea1 Qd7 24.R1a2 Rfc8 25.Qc1 Bf8 26.Qa1 Qe8 27.Nf1 Be7 28.N1d2 Kg7 29.Nb1 Nxe4 30.Bxe4 f5 31.Bc2 Bxd5 32.axb5 axb5 33.Ra7 Kf6 34.Nbd2 Rxa7 35.Rxa7 Ra8 36.g4 hxg4 37.hxg4 Rxa7 38.Qxa7 f4 39.Bxf4 exf4 40.Nh4 Bf7 41.Qd4+ Ke6 42.Nf5 Bf8 43.Qxf4 Kd7 44.Nd4 Qe1+ 45.Kg2 Bd5+ 46.Be4 Bxe4+ 47.Nxe4 Be7 48.Nxb5 Nf8 49.Nbxd6 Ne6 50.Qe5 1–0
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Fischer,R2785Spassky,B25601–01992C95St Stefan/Belgrade m1

 

Für jemand, der 20 Jahre lang kein Wettkampfschach gespielt hat, eine beachtliche Leistung. Aber eine gute Partie macht noch keinen Champion. In den anderen Spielen erreichte der Amerikaner dieses Niveau kaum noch. Keine Überraschung nach seiner großen Auszeit. Sehr lange musste die Schachwelt auf Bobbys Comeback warten. Ich gehörte nicht zu den Optimisten, die glaubten, dass er noch einmal zurückkehren würde. Der Einsiedler hatte sich ja ewige Zeit verkrochen. Deshalb kam es mir eher wie ein Traum vor, ihn tatsächlich live zu erleben und spielen zu sehen. Wegen der misslichen politischen Umstände befand ich mich natürlich wie viele in einem Zwiespalt.

Die beiden Schachstars wohnten auf der traumhaft schönen Insel Sveti Stefan. Sie ist ein einziges Luxushotel, umgeben von der tiefblauen Adria, die aber damals auch ein Tränenmeer war. Nur 50 Kilometer weiter nordwestlich wurde gefoltert, gebombt und getötet. Die Partien wurden im gleichnamigen Ort Sveti Stefan auf dem Festland ausgetragen.

Sveti Stefan

Auf die Frage, warum er in einem Land spiele, in dem Krieg herrscht, gab der Amerikaner nur die kurze Antwort "Pass on." (Weiter!). Und Bankier Jezdimir Vasiljević, der Geldgeber des Schachduells, tönte auf eine ähnliche Frage: "Ich liebe Spektakel." Damit nicht genug. Bobby spuckte vor laufenden Kameras auf ein Schreiben aus Washington, in dem ihm bei Strafandrohung untersagt wurde, das Embargo gegen Restjugoslawien zu unterlaufen. Das lieferte noch vor Spielbeginn zusätzlichen Zündstoff und die ersten dicken Schlagzeilen. Auch die Aussage Fischers auf einer Pressekonferenz in Sveti Stefan, dass Karpow und Kasparow pathologische Lügner seien, die alle ihre WM-Kämpfe und sogar einzelne Partien abgesprochen hätten, sorgte für Kopfschütteln. Nach wie vor sah er sich als den einzig legitimen Schachweltmeister an. Äußerlich hatte Fischer sich sehr verändert. Er war kahl geworden, hatte einen Bart und Übergewicht. Bobbys leerer Blick drückte aus, dass er sich wenig für seine Umgebung interessierte. Der Mann bot ein trauriges Bild. Seine Schikanen gegenüber Zuschauern und Journalisten habe ich an anderer Stelle schon einmal beschrieben.

Bobby Fischer

Im Match wurde nach Fischers Regeln gespielt: 10 Gewinnpartien; bei einem 9:9 würde Fischer den Titel behalten und die Börse geteilt. Es kam auch eine neue Schachuhr zum Einsatz, die sich Bobby ausgedacht hatte. Sie war elektronisch, und für jeden Zug gab es einen Zeitbonus von einer Minute. Damit sollten Hängepartien vermieden werden. Der Chronometer stellte sich als echte Innovation heraus und setzte sich in der Folgezeit schnell auf der ganzen Welt durch. Zu Beginn des Matchs ging der Kampf hin und her. Nach Fischers Auftaktsieg und zwei Remis gewann Spasski die Partien 4 und 5, dann hatte Bobby sich eingespielt und übernahm das Zepter des Handelns. Er wählte immer alte Eröffnungssysteme, kein Wunder nach so langer Spielpause. Nach elf Partien stand es 5:2 für den Amerikaner, und laut Reglement wurde nach Belgrad umgezogen. Weil Remisen nicht zählten, zog sich der Kampf unnötig in die Länge. Erst am 5. November 1992 war Schluss. Nach 30 Partien hatte Fischer mit 10:5 überlegen gewonnen. Die Börse betrug fünf Millionen US-Dollar. Davon erhielt der Gewinner 3,35 Millionen und der Verlierer den Rest. Der sanktionierte Fischer übergab seiner Schwester Joan in Belgrad einen Großteil seines Preisgeldes, und sie fuhr mit dem Zug nach Zürich, um ein Konto für ihren Bruder zu eröffnen. In der Schweiz wollte Bobby sein Vermögen vor dem Zugriff der amerikanischen Steuerbehörden schützen

Fischer und Spasski in Sveti Stefan

Garri Kasparow und andere Schachgrößen meinten damals, dass Fischer mit seinem Comeback den eigenen Mythos demontiert habe. Nur vereinzelt blitzte in dem Match Bobbys altes Können auf. Boris Spasski war hinterher mit sich und der Welt zufrieden. Er hatte dem alten Rivalen einige Male Paroli geboten und seinen Lebensabend gesichert, denn seine Wahlheimat Frankreich machte ihm keinerlei Schwierigkeiten. In der Folge gab Boris, wie er mir später erzählte, etlichen Verwandten in Russland nicht wenig von seinem Geld ab und kaufte ihnen Eigentumswohnungen. Heute lebt Spasski wieder in Moskau, aber nach zwei Schlaganfällen geht es dem inzwischen 86-jährigen Exweltmeister nicht besonders gut. Trotz aller Rivalität pflegte Spasski über Jahrzehnte hinweg immer ein freundschaftliches Verhältnis zu Fischer. Er sagte einmal zu mir: "Bobby hatte eine reine Beziehung zum Schach. Und er war unser bester Gewerkschaftsführer." Damit meinte Boris, dass der Amerikaner viel für die später deutlich gestiegenen Einnahmen der Schachprofis getan hat. Auch Kasparow erkannte das an.

 

Bobby Fischer führte nach dem Re-Match sein Leben als einsamer Wolf weiter. Er war jetzt Millionär, aber hatte weit mehr verloren - seine Heimat. Der Amerikaner hielt sich acht Jahre lang in Budapest versteckt, denn er wurde ja von den US-Behörden gesucht. Dann ging Fischer nach Asien, wo er immer zwischen Tokio und Baguio auf den Philippinen hin und her pendelte. Nach den Terroranschlägen des 11. September gab er einem kleinen Radiosender ein Interview, wo er sich in Hasstiraden gegen sein Heimatland USA erging. Das Gespräch gelangte in voller Länge ins Internet. Nun hatte die Regierung in Washington endgültig die Nase voll und trieb Fischers Festnahme aktiv voran. Im Sommer 2004 wurde er in Tokio verhaftet und kam ins Gefängnis. Bobby gab seine Staatsbürgerschaft zurück, doch das erkannten die Behörden in Washington nicht an und betrachteten ihn weiter als Bürger ihres Landes. Fischers Anwälte klopften in verschiedenen Ländern mit der Bitte um Asyl an, darunter auch in Deutschland. Weil er ein Holocaust-Leugner war, konnte er hierzulande nicht aufgenommen werden. Auch andere Staaten winkten ab. Am Ende nahm ihn ein kleines Land auf, dem Fischer 1972 zu weltweiter Aufmerksamkeit verholfen hatte: Natürlich Island! Dort fand der paranoide Figurenkünstler ab März 2005 auch die ersehnte Ruhe.

Am Ziel in Reykjavik

Das Ende seiner turbulenten Lebensgeschichte ist bekannt. Bobby Fischer starb am 17. Januar 2008 in Reykjavik. Er wurde symbolträchtige 64 Jahre alt. Von seinem Tod erfuhr ich gemeinsam mit der Schachelite beim Turnier in Wijk aan Zee. Vor der sechsten Runde gab es dort eine Schweigeminute. Es war still in der großen De Moriaan-Halle, als über eintausend Schachspieler vom Weltmeister bis zum Amateur das Andenken an den Amerikaner ehrten. Der amtierende Champion Vishy Anand, der Fischer noch zwei Jahre zuvor in Reykjavik getroffen hatte, sagte: "Bobby wird als Marylin des Schachs in unserer Erinnerung bleiben. Die Welt hat von der Monroe auch nur die schönen und nicht die dunklen Seiten im Gedächtnis behalten." So ist es. Im Schach leistete Fischer Außergewöhnliches, im normalen Leben kam er nicht zurecht. Seine Heimat war allein das königliche Spiel. Bobbys wahres Testament sind seine genialen Partien.


Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.

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