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Er war wohl die schillerndste Figur der Schachgeschichte. Als Robert James Fischer am 9. März 1943 in Chicago geboren wurde, konnte niemand ahnen, dass dieser Junge die Schachwelt einmal viele Jahrzehnte lang in Atem halten würde. Schon als Kind faszinierten ihn Brettspiele und Puzzles. Mit sechs Jahren bekam Bobby von seiner älteren Schwester Joan Brett und Figuren geschenkt. Von da an ließ ihn das Schachspiel nicht mehr los. Die kleine Familie lebte ab 1949 in New York, wo Bobby viel allein war, weil die Mutter Regina für den Lebensunterhalt sorgen musste. Mit Begeisterung studierte er Schachliteratur, von den alten Meistern bis zu aktuellen Journalen. Sehr gründlich erforschte er Morphys Partien und machte sich die Prinzipien des Maestros zu eigen: schnelle Mobilisierung der Figuren, Beherrschung des Zentrums und Opfern immer auf positioneller Grundlage. Für den Rest seines Lebens spielte Fischer nach diesen Prinzipen. Um sowjetische Schachzeitungen lesen zu können, lernte er Russisch. Sein erster Trainer war Carmine Nigro, der Vorsitzende des Brooklyn Chess Clubs. Er erkannte sofort das Ausnahmetalent des Jungen und förderte ihn, wo er konnte. Schon mit 13 Jahren zeigte Bobby, wie meisterhaft er mit den Figuren umgehen konnte. Bobbys "Unsterbliche" wurde von der Schachpresse als Partie des Jahrhunderts gefeiert.
Ich hörte den Namen Bobby Fischer zum ersten Mal im Schulalter, als er 1960 mit dem USA-Team zur Schacholympiade nach Leipzig kam. Der 17-jährige Großmeister holte dort 13 Punkte aus 18 Partien, ein gelungener Einstand beim Turnier der Nationen. Auch der Dresdner Großmeister Wolfang Uhlmann verlor gegen Fischer in einem Königsinder. Damit nahm Fischer Revanche für seine Niederlage, die er zuvor gegen den Französisch-Spezialisten in Buenos Aires erlitten hatte. Uhlmann erzählte mir später: "Bei der Eröffnung der Olympiade im neuen Leipziger Opernhaus erlebten wir 'Cavalleria rusticana'. Neben meiner Frau und mir saß Bobby Fischer. Der Amerikaner war in Gedanken so mit Schach beschäftigt, dass er fast die ganze Aufführung verschlafen hat. Fischer war damals auf dem Weg in die absolute Weltspitze. Er ging immer sehr elegant gekleidet und war als junger Mann wirklich eine sympathische Erscheinung." Bobby spielte in Leipzig auch gegen den aktuellen Weltmeister Michail Tal. Das wilde Spiel dauerte nur 21 Züge, aber es war eine der hochkarätigsten Remispartien der Schachgeschichte.
Fischer und Tal in Leipzig
Die 1960er Jahre waren wechselhaft in Fischers Karriere. Er gewann die US-Meisterschaft in Serie, 1962 das Interzonenturnier in Stockholm, aber hatte kurz darauf im legendären Kandidatenturnier von Curacao keine Chance, weil die sowjetischen Spieler dort Partien untereinander absprachen. Zehn Jahre nach Leipzig tauchte Bobby Fischer wieder in Deutschland auf und spielte 1970 bei der Schacholympiade in Siegen. Dort unterlag er dem amtierenden Weltmeister Boris Spasski, dessen Herausforderer er zwei Jahre später in Reykjavik werden sollte. In Kandidatenkämpfen gegen Taimanow und Larsen, die Fischer beide 6:0 gewann sowie gegen Petrosjan hatte er sich für das WM-Match auf Island qualifiziert. Auf den Nervenkrieg Fischers vor und bei diesem Duell, der nicht nur die Schachwelt in Atem hielt, möchte ich jetzt nicht näher eingehen. Hier soll das Schachgenie gewürdigt werden. Ich war inzwischen Journalist, und wir wetteten in unserer Rundfunk-Redaktion, wie der WM-Kampf ausgehen würde. Da Spasski zuvor noch nie gegen Fischer verloren hatte, setzte ich auf den Russen. Und hatte mich geirrt! Vor ein paar Jahren habe ich Boris Spasski gefragt: "Warum bist du nach deiner 2:0-Führung in Reykjavik und Bobbys Theater um die dritte WM-Partie nicht nach Moskau abgereist? Du hättest damit den Titel behalten." Er sagte: "Ich wollte eine sportliche Entscheidung und dachte, ich gewinne den WM-Kampf." Es kam anders. Als beste Leistung Fischers gilt die 6. Partie des Matchs. Raymond Keene verglich sie mit einer Mozart-Sinfonie.
Nach seinem Triumpf wurde Fischer in den USA gefeiert, es gab einen regelrechten Schachboom. Doch der Weltmeister spielte keine Turniere mehr, sondern verschwand in der Versenkung. Seine Heldengeschichte war zu Ende. Zur fälligen Titelverteidigung 1975 gegen Anatoli Karpow trat Fischer nicht an, da die FIDE sich nicht allen Forderungen von ihm beugte. Vielleicht hatte er auch Angst vor dem eigenen Versagen. Karpow wurde am grünen Tisch Weltmeister, und von Fischer erfuhr man immer weniger. Er war zum Phantom geworden. Umso erstaunlicher war sein Comeback in Restjugoslawien, wo er ein Re-Match gegen Boris Spasski spielte. Wenn es Wunder auch im Schach gibt, so war Bobby Fischers Rückkehr ans Brett ganz sicher ein solches. Grund genug für mich, damals nach Montenegro zu fahren.
Am 2. September 1992, auf den Tag genau 20 Jahre nach seinem Triumph von Reykjavik, führte der 11. Weltmeister der Schachgeschichte in Sveti Stefan den ersten Zug aus und rückte seinen Königsbauern nach vorn. Es wurde eine Spanische Partie mit einem eindrucksvollen Sieg Fischers. Ihre Züge gingen augenblicklich um die Welt. Bobby konnte am Brett also noch zaubern, so schien es jedenfalls.
Für jemand, der 20 Jahre lang kein Wettkampfschach gespielt hat, eine beachtliche Leistung. Aber eine gute Partie macht noch keinen Champion. In den anderen Spielen erreichte der Amerikaner dieses Niveau kaum noch. Keine Überraschung nach seiner großen Auszeit. Sehr lange musste die Schachwelt auf Bobbys Comeback warten. Ich gehörte nicht zu den Optimisten, die glaubten, dass er noch einmal zurückkehren würde. Der Einsiedler hatte sich ja ewige Zeit verkrochen. Deshalb kam es mir eher wie ein Traum vor, ihn tatsächlich live zu erleben und spielen zu sehen. Wegen der misslichen politischen Umstände befand ich mich natürlich wie viele in einem Zwiespalt.
Die beiden Schachstars wohnten auf der traumhaft schönen Insel Sveti Stefan. Sie ist ein einziges Luxushotel, umgeben von der tiefblauen Adria, die aber damals auch ein Tränenmeer war. Nur 50 Kilometer weiter nordwestlich wurde gefoltert, gebombt und getötet. Die Partien wurden im gleichnamigen Ort Sveti Stefan auf dem Festland ausgetragen.
Sveti Stefan
Auf die Frage, warum er in einem Land spiele, in dem Krieg herrscht, gab der Amerikaner nur die kurze Antwort "Pass on." (Weiter!). Und Bankier Jezdimir Vasiljević, der Geldgeber des Schachduells, tönte auf eine ähnliche Frage: "Ich liebe Spektakel." Damit nicht genug. Bobby spuckte vor laufenden Kameras auf ein Schreiben aus Washington, in dem ihm bei Strafandrohung untersagt wurde, das Embargo gegen Restjugoslawien zu unterlaufen. Das lieferte noch vor Spielbeginn zusätzlichen Zündstoff und die ersten dicken Schlagzeilen. Auch die Aussage Fischers auf einer Pressekonferenz in Sveti Stefan, dass Karpow und Kasparow pathologische Lügner seien, die alle ihre WM-Kämpfe und sogar einzelne Partien abgesprochen hätten, sorgte für Kopfschütteln. Nach wie vor sah er sich als den einzig legitimen Schachweltmeister an. Äußerlich hatte Fischer sich sehr verändert. Er war kahl geworden, hatte einen Bart und Übergewicht. Bobbys leerer Blick drückte aus, dass er sich wenig für seine Umgebung interessierte. Der Mann bot ein trauriges Bild. Seine Schikanen gegenüber Zuschauern und Journalisten habe ich an anderer Stelle schon einmal beschrieben.
Bobby Fischer
Im Match wurde nach Fischers Regeln gespielt: 10 Gewinnpartien; bei einem 9:9 würde Fischer den Titel behalten und die Börse geteilt. Es kam auch eine neue Schachuhr zum Einsatz, die sich Bobby ausgedacht hatte. Sie war elektronisch, und für jeden Zug gab es einen Zeitbonus von einer Minute. Damit sollten Hängepartien vermieden werden. Der Chronometer stellte sich als echte Innovation heraus und setzte sich in der Folgezeit schnell auf der ganzen Welt durch. Zu Beginn des Matchs ging der Kampf hin und her. Nach Fischers Auftaktsieg und zwei Remis gewann Spasski die Partien 4 und 5, dann hatte Bobby sich eingespielt und übernahm das Zepter des Handelns. Er wählte immer alte Eröffnungssysteme, kein Wunder nach so langer Spielpause. Nach elf Partien stand es 5:2 für den Amerikaner, und laut Reglement wurde nach Belgrad umgezogen. Weil Remisen nicht zählten, zog sich der Kampf unnötig in die Länge. Erst am 5. November 1992 war Schluss. Nach 30 Partien hatte Fischer mit 10:5 überlegen gewonnen. Die Börse betrug fünf Millionen US-Dollar. Davon erhielt der Gewinner 3,35 Millionen und der Verlierer den Rest. Der sanktionierte Fischer übergab seiner Schwester Joan in Belgrad einen Großteil seines Preisgeldes, und sie fuhr mit dem Zug nach Zürich, um ein Konto für ihren Bruder zu eröffnen. In der Schweiz wollte Bobby sein Vermögen vor dem Zugriff der amerikanischen Steuerbehörden schützen
Fischer und Spasski in Sveti Stefan
Garri Kasparow und andere Schachgrößen meinten damals, dass Fischer mit seinem Comeback den eigenen Mythos demontiert habe. Nur vereinzelt blitzte in dem Match Bobbys altes Können auf. Boris Spasski war hinterher mit sich und der Welt zufrieden. Er hatte dem alten Rivalen einige Male Paroli geboten und seinen Lebensabend gesichert, denn seine Wahlheimat Frankreich machte ihm keinerlei Schwierigkeiten. In der Folge gab Boris, wie er mir später erzählte, etlichen Verwandten in Russland nicht wenig von seinem Geld ab und kaufte ihnen Eigentumswohnungen. Heute lebt Spasski wieder in Moskau, aber nach zwei Schlaganfällen geht es dem inzwischen 86-jährigen Exweltmeister nicht besonders gut. Trotz aller Rivalität pflegte Spasski über Jahrzehnte hinweg immer ein freundschaftliches Verhältnis zu Fischer. Er sagte einmal zu mir: "Bobby hatte eine reine Beziehung zum Schach. Und er war unser bester Gewerkschaftsführer." Damit meinte Boris, dass der Amerikaner viel für die später deutlich gestiegenen Einnahmen der Schachprofis getan hat. Auch Kasparow erkannte das an.
Bobby Fischer führte nach dem Re-Match sein Leben als einsamer Wolf weiter. Er war jetzt Millionär, aber hatte weit mehr verloren - seine Heimat. Der Amerikaner hielt sich acht Jahre lang in Budapest versteckt, denn er wurde ja von den US-Behörden gesucht. Dann ging Fischer nach Asien, wo er immer zwischen Tokio und Baguio auf den Philippinen hin und her pendelte. Nach den Terroranschlägen des 11. September gab er einem kleinen Radiosender ein Interview, wo er sich in Hasstiraden gegen sein Heimatland USA erging. Das Gespräch gelangte in voller Länge ins Internet. Nun hatte die Regierung in Washington endgültig die Nase voll und trieb Fischers Festnahme aktiv voran. Im Sommer 2004 wurde er in Tokio verhaftet und kam ins Gefängnis. Bobby gab seine Staatsbürgerschaft zurück, doch das erkannten die Behörden in Washington nicht an und betrachteten ihn weiter als Bürger ihres Landes. Fischers Anwälte klopften in verschiedenen Ländern mit der Bitte um Asyl an, darunter auch in Deutschland. Weil er ein Holocaust-Leugner war, konnte er hierzulande nicht aufgenommen werden. Auch andere Staaten winkten ab. Am Ende nahm ihn ein kleines Land auf, dem Fischer 1972 zu weltweiter Aufmerksamkeit verholfen hatte: Natürlich Island! Dort fand der paranoide Figurenkünstler ab März 2005 auch die ersehnte Ruhe.
Am Ziel in Reykjavik
Das Ende seiner turbulenten Lebensgeschichte ist bekannt. Bobby Fischer starb am 17. Januar 2008 in Reykjavik. Er wurde symbolträchtige 64 Jahre alt. Von seinem Tod erfuhr ich gemeinsam mit der Schachelite beim Turnier in Wijk aan Zee. Vor der sechsten Runde gab es dort eine Schweigeminute. Es war still in der großen De Moriaan-Halle, als über eintausend Schachspieler vom Weltmeister bis zum Amateur das Andenken an den Amerikaner ehrten. Der amtierende Champion Vishy Anand, der Fischer noch zwei Jahre zuvor in Reykjavik getroffen hatte, sagte: "Bobby wird als Marylin des Schachs in unserer Erinnerung bleiben. Die Welt hat von der Monroe auch nur die schönen und nicht die dunklen Seiten im Gedächtnis behalten." So ist es. Im Schach leistete Fischer Außergewöhnliches, im normalen Leben kam er nicht zurecht. Seine Heimat war allein das königliche Spiel. Bobbys wahres Testament sind seine genialen Partien.
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