Zum 80sten Geburtstag von Gennadi Sosonko

von André Schulz
18.05.2023 – Gennadi Sosonko wuchs in der Sowjetunion, in einer goldenen Zeit des Schachs. 1972 emigrierte er, war erst ein erfolgreicher Spieler und dann noch erfolgreicher als Schachjournalist und Autor. Heute feiert er seinen 80sten Geburtstag. | Fotoquelle: livelib

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In zwei Welten: Gennadi Sosonko

Gennadi Sosonko wurde am 18. Mai 1943 in Troizk, einem Ort in der Region Tscheljabinsk, unmittelbar an der Grenze zu Kasachstan geboren. Die Familie stammte eigentlich aus Leningrad, war aber während des Kriegs in den Südosten der Sowjetunion evakuiert worden. Nach der Befreiung der Stadt aus der Umklammerung der Wehrmacht, kehrte die Familie nach Leningrad zurück. Das Schachspiel lernte Gennadi Sosonko mit zehn Jahren er von seiner Mutter. Anfangs besaßen sie keine Schachfiguren. Die Mutter schrieb die Namen der Figuren stattdessen auf Zettel. Später erhielt sie Figuren von ihrem Bruder geschenkt.

Sosonko trainierte im örtlichen Pionierpalast, wo Vladimir Zak, Vladimir Kirillov, Vasily Byvshev und Alexander Cherepov die jungen Schachschüler betreute. Nachdem er in den Tschigorin Schachklub eingetreten war, wurde er von Semjon Furman trainiert.

Nach der Schulzeit begann Sosonko ein Geografie-Studium an der Universität von Leningrad mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsgeografie und studierte besonders die wirtschaftlichen Grundlagen der Länder im Westen.

Sosonko erreichte in der Sowjetunion bald Meister-Status, spielte aber nicht oft, sondern trainierte mit anderen Spielern, darunter Tal und später Kortschnoi.


Kortschnoi und Sosonko

1972 emigrierte er aus der Sowjetunion zunächst nach Israel, dann in die Niederlanden, was in seinem Geburtsland auf wenig Gegenliebe stieß. Emigration war in der UdSSR "Verrat am Vaterland". 1976 folgte ihm Kortschnoi nach.

Im Westen setzte Sosonko seine Schachkarriere fort, wurde 1974 zum Internationalen Meister und 1976 zum Großmeister ernannt. 1974 wurde er auch in die Nationalmannschaft der Niederlande berufen. Bei der Schacholympiade in Nizza 1974 spielte Sosonko hinter Timman und Donner an Brett drei.

Timman und Sosonko | Foto: Gerhard Hund

Mit 10,5 Punkten aus 15 Partien war er an diesem Brett der fünftbeste Spieler der Olympiade. Auch die Niederlande belegte den fünften Platz. Alles in allem nahm Sosonko an elf Schacholympiaden teil und verlor dort nur vier Partien. 28 Partien gewann er, 64 mal spielte er remis. In den 1990er und 2000er Jahren war er der Kapitän der niederländischen Mannschaft.

Zweimal trug sich Sosonko als niederländischer Landesmeister ein, 1973 und 1978. Er nahm einige Male an den Turnieren in Wijk aan Zee teil und konnte es zweimal gewinnen, 1977 (geteilter Erster mit Geller) und 1981. Weitere Turniersiege gelangen ihm in Barcelona und Lugano 1976, Nijmegen 1978 und Polanica Zdroj 1993. Bei Turnieren in  Tilburg, New York, Bad Lauterberg, San Paulo, London und Reykjavik erreichte er die Preisränge. Beim Interzonenturnier von Biel 1976 wurde er Zwölfter. Zwischen 1975 und 1982 gehörte Gennadi Sosonko zu den Top 20-Spielern der Welt, mit der höchsten Elozahl von 2595 im Jahr 1981.

Als Theoretiker leistete Sosonko wichtige Beiträge zur Katalanischen Eröffnung. 

Nachdem er schon vorher nur noch wenig gespielt hatte, zog sich Sosonko 2004 endgültig vom Turnierschach zurück und konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit als Schachjournalist, vor allem bei New in Chess.

Spassky, Kortschnoj und Sosonko am Denkmal von Keres in Estland

Sosonko veröffentlichte zudem eine Reihe von Büchern, in denen er von einer inzwischen untergegangenen Welt berichtet, der "Bruderschaft des Schachs" in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Schach hatte einen sehr hohen Stellenwert und den Schachmeistern wurden im Vergleich zur Lebenswirklichkeit der übrigen Bevölkerung paradiesische Bedingungen geboten. Bei den Turnieren verfolgten regelmäßig Hunderte oder gar Tausende von Zuschauern das Geschehen auf den Brettern. Die Schachzeitungen und Schachbücher hatten gigantische Auflagen. Die Schachgroßmeister erhielten vom Staat ein regelmäßiges Gehalt. So gewannen die sowjetischen Spieler gegenüber den Nicht- oder wenigen Profis im Westen eine große Überlegenheit machten die Weltmeisterschaften bis 1972 unter sich aus.

In seinen Büchern Russian Silhouettes (2001), The reliable past (2003), Smart chip from St. Petersburg (2006), The World Champions I Knew (2013) und Genna remembers (2021) portraitierte Sosonko viele Protagonisten dieser Zeit. "Es war eine faszinierende und bunte Welt, und ich sah es als meine Pflicht an, sie nicht in diesem leeren Abgrund verschwinden zu lassen", schrieb Genna Sosonko im Vorwort zu Genna remembers.

Heute feiert Gennadi Sosonko seinen 80sten Geburtstag. Wir gratulieren ganz herzlich.


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.