Das Team
nimmt seine Positionen ein am Set. Eine glamouröse Hauptdarstellerin rauscht
durch die Szene, während einstweilen unklar bleibt, wie sich der Partner an
ihrer Seite machen wird.
"Film und Schach
haben viel gemeinsam", sagt Artur Brauner und rückt die Figuren zurecht.
"Auf dem Brett
kreiere ich eine eigene Welt im Kleinen, und realisiere ich ein Drehbuch,
schaffe ich Entsprechendes im Großen." Zu einer freundschaftlichen Partie
hat Berlins Produzentenlegende Artur Brauner mit Blick auf den 1. August 2008,
seinen 90. Geburtstag, eine Nachwuchskraft eingeladen in seine Villa an der
Grunewalder Königsallee: die Sängerin und Schauspielerin Vaile, eine gebürtige
Hamburgerin, die bereits in einigen "Tatort"-Folgen zu sehen gewesen ist.
Nebenbei wirbt
die 28-jährige als Botschafterin für die Schacholympiade Dresden 2008 im
November, und das gemeinsame Interesse an den symbolischen Dramen um 64 Felder
hat die blonde junge Frau auf Initiative des ChessBase-Autors Dr. René
Gralla mit dem großen alten Mann des deutschen Kinos zusammengebracht.
An die 500 Film-
und Fernsehproduktionen sind in den Studios von Artur Brauners "Central Cinema
Company" auf einem ehemaligen Spandauer Fabrikgelände entstanden. Der Sohn eines
jüdischen Holzgroßhändlers aus dem polnischen Lódz holte Lilli Palmer und Maria
Schell, Hans Albers, Heinz Rühmann, Curd Jürgens und O.W. Fischer vor die
Kamera. Romy Schneider war einst Gast in Artur Brauners Haus wie Vaile heute,
und die wird ganz "ehrfürchtig", sagt sie, wenn sie daran denke, "dass ich nun
am selben Tisch sitze wie Romy Schneider".
Das könnte wohl
Anlass sein für nostalgische Betrachtungen, aber der tränenumflorte Rückblick
passt nicht zum umtriebigen Artur Brauner, der das Lichtermeer auf seiner
Festtagstorte ignoriert und rastlos weitermacht, an sieben Tagen in der Woche
und oft bis tief in die Nacht. Mehrere Dutzend Drehbücher wollen gelesen werden,
dazu wirft 2009 seine Schatten voraus, mit der Verfilmung des "Peer Gynt" unter
der Regie von István Szabó. Veronica Ferres führt die Besetzungsliste an,
als männlicher Star ist Klaus Maria Brandauer im Gespräch.
Die Ferres und
der Brandauer, das wäre fast eine Parabel auf die klassische Schachkonstellation
Dame und König. Und dazu passt, dass auch die Entstehungsgeschichte des
aktuellen "Peer Gynt" etwas mit dem Spiel der Spiele zu tun hat. Anfang der
60-er Jahre hatte Artur Brauner einen ersten Anlauf gewagt, den Ibsen-Stoff zu
verfilmen. Er trug Curd Jürgens die Rolle des "Peer Gynt" an, aber der zierte
sich. Die beiden vereinbarten, dass eine Schachpartie die Entscheidung bringen
sollte. Artur Brauner gewann, Curd Jürgens sagte zu für den "Peer Gynt" und
kassierte 50.000 DM Vorschuss.
Über dieses
Stadium kam der Film damals freilich nicht hinaus. Curd Jürgens musste zunächst
noch einen zweiten Vertrag erfüllen. Das zog sich hin, und zwischenzeitig
hinterließ ein exzessiver Lebenswandel bei Curd Jürgens optisch derart deutlich
Spuren, dass er höchstens noch den alten, nie mehr aber den jungen "Peer Gynt"
hätte geben können. Artur Brauner musste das Unternehmen abblasen: "Das war die
teuerste Schachpartie meines Lebens."
Viereinhalb
Dekaden später ist ein vergleichbares Desaster kaum vorstellbar. Trotzdem: Was
kann uns eigentlich der "Peer Gynt" im dritten Jahrtausend sagen? "Sehr viel",
meint Artur Brauner. "Peer Gynt, der zuvor mit Ehrgeiz, Brutalität und
pausenloser Arbeit alles erreicht hat, begreift erst am Ende seines Lebens, wie
sinnlos diese Jagd gewesen ist. Er hat gleichzeitig menschliche Werte, die
Kommunikation und die Beziehung zu Familie und Freunden vernachlässigt. Er hat
verpasst, ein Mensch zu sein." Das Thema mahne deswegen zum Innehalten, gerade
in Zeiten des Turbokapitalismus.
Ein Bezug, den
Artur Brauner ausdrücklich herstellt, schließlich gehört er selber zu den
Betroffenen. Momentan muss er sich gegen Großbanken wehren, die Brauners
Kreditverbindlichkeiten aufgekauft haben. Die neuen Gläubiger drücken aufs Tempo
und versuchen, die Hypothekenschulden in zweistelliger Millionenhöhe
einzutreiben.
Artur Brauner
will sich von den Heuschrecken nicht stoppen lassen. Schließlich habe er "ein
Gelübde abgegeben" während des Naziterrors: "Alles dafür zu tun, dass die Opfer
des Holocaust unvergessen bleiben." Nur knapp entkamen Eltern und Geschwister
den faschistischen Todeskommandos, er selber floh in die Sowjetunion, aber 49
seiner Verwandten wurden ermordet von Hitlers Schergen.
1946 startete
Artur Brauner in Berlin seine Produzentenkarriere. "Morituri", eines der ersten
Werke, schilderte 1947 die Flucht von KZ-Häftlingen. In den Folgejahren setzte
Artur Brauner allerdings zunehmend auf Unterhaltungsstoffe, die Bandbreite
reichte von "Liebe, Tanz und 1000 Schlager" 1955 über die "Dr. Mabuse"-Reihe ab
1961 bis zu Karl May-Filmen sowie den Zweiteilern "Die Nibelungen" (1966-1967)
und "Kampf um Rom" (1968). Selbstkritisch analysiert er im Rückblick: "Die
Hälfte meines Lebens habe ich verplempert für unwesentliche Dinge".
Ab Anfang der
80-er Jahre steuert Artur Brauner massiv gegen. Herausragende Beispiele sind
"Hitlerjunge Salomon" 1990, "Babij Jar - das vergessene Verbrechen" 2002 und
"Der letzte Zug" 2006. Denn ihn treibt eine Sorge um: "Die Arbeitslosigkeit, die
sich verfestigt hat, bereitet den Boden dafür, dass irgendwann wieder einer
hochkommt mit den alten Parolen." Immerhin seien 20 Prozent der Menschen "rechts
eingestellt".
Artur Brauner
findet sich damit nicht ab. Demnächst wird "Ein Frühling, der nie kam" gedreht,
über deutsche und jüdische Kinder, die plötzlich von Freunden zu Feinden werden
und nicht wissen warum. Mit Gudrun Landgrebe, Marie Bäumer und Kai Wiesinger,
Rolf Schübel führt Regie.
Glaube aber
niemand, dass Artur Brauner deswegen die angenehmen Seiten des Lebens aus dem
Blick verliert. Am Ende der Schachbegegnung mit Vaile verabredet sich
der Produzent für die bevorstehende Olympiade in Dresden. Vorausgesetzt, Vaile begleitet ihn
dorthin ...
Artur
Brauner schlägt eine scharfe Klinge
Nur ein- bis
zweimal im Jahr findet Artur Brauner Zeit, mit Freunden Schach zu spielen. Einer
seiner beiden Sparringspartner ist dann Dr. Max Dehmel (72), der lange auf
Ministerialebene in der Filmförderung gearbeitet hat.
Und der
unterstützt charmant, gemeinsam mit dem ChessBase-Autor Dr. René Gralla, die
Schauspielerin und Schachbotschafterin Vaile, als sie selber ein Match gegen
Artur Brauner wagt.
Es wurde eine
spannende Partie. Und nur in der Besetzung 3:1 hat Vaile im Verein mit dem ChessBase-Autor Dr.
René Gralla sowie Dr. Max Dehmel dem legendären Produzenten Artur Brauner am
Brett Paroli bieten können ...
Partie zum Nachspielen, mit
Originalkommentaren und einigen Engine-Ergänzungen (RR)...
Weiß: Artur
Brauner
Schwarz: Vaile
(beraten von Dr. Max Dehmel und Dr. René Gralla)
29. Dezember
2007, Berlin-Grunewald, Königsallee (Villa von Artur Brauner)
Läuferspiel
1.e4 e5 2.Lc4 Sf6
3.d3 Lc5 4.Lg5 Sc6 5.Sf3 d6 6.h3 h6 7.Lh4 Le6
"Ja, ja", sagt
Artur Brauner, "na gut, Sie werden schon sehen ..."
8.Sc3?! ...
Sicherer war
8.Lb3 ...
8.... Lxc4 9.dxc4
0-0?
Ein Missgriff,
den der beratende ChessBase-Autor Dr. René Gralla auf die eigene Kappe nehmen
muss. Bis zum 8. Zug hat er in enger Abstimmung mit Vaile einen schematisch
halbwegs korrekten Aufbau realisiert. Nun aber übersieht Dr. Gralla die
eigentlich doch offensichtliche Ansage, dass der Springer c3 wegen der Fesselung
des schwarzen Sf6 sehr unangenehm nach d5 strebt. Folglich hebt Artur Brauner
nach 9. ... 0-0? triumphierend die Stimme: "Und jetzt ..." ...
10.Sd5! ...
Was tun? ...
Vaile und der ChessBase-Autor versuchen, mit einem Gewaltakt die Fesselung
abzuschütteln, und riskieren dafür die Auflösung der schwarzen Rochadefestung.
10. ... g5!?
"Das ist aber
gemein", sagt Artur Brauner, und die feine Ironie ist nicht zu
überhören. Zumal der Meister jetzt richtig vom Leder zieht:
11.Sxg5!! ...
Opfert
entschlossen einen Springer - und nun sieht es düster aus für das Schwarzteam.
11. ... hxg5
12.Lxg5 ...
Und was jetzt?!
Der gefesselte schwarze Springer f6 geht wohl gleich verloren - und dann hätte
Weiß zwei Bauern bei quasi nichtexistenter schwarzer Königsschanze. Doch da hat
der ChessBase-Autor Dr. René Gralla plötzlich eine verwegene Eingebung - und
Vaile lässt ihn gewähren:
12. ... Lxf2+!?!
Verzweiflung
gebiert manchmal interessante Ideen.
13.Kf1!?! ...
Artur Brauner ist
auf der Höhe. Nach dem hastigen 13.Kxf2? ... hätten die Schwarzen mit 13. ...
Sxe4+ und 14. ... Sxg5 das Blatt gewendet. Besser wäre trotzdem 13.Ke2!! ...
gewesen mit der Folge: 13. ... Sd4+ 14.Kd3!! Sxd5!! 15.Lxd8 Sf4+ 16.Kd2 Tfxd8.
Schwarz hätte drei Figuren gegen die Dame, aber die Situation wäre äußerst
volatil.
13. ... Sxd5!!
Dieser taktische
Witz ist durch 13.Kf1!?! ... überhaupt erst möglich geworden.
14.cxd5!?! ...
Oder: 14.Lxd8
Sd3+ 15.Kxf2 Sxd1+ 16.Taxd1 Taxd8 und gewinnt mit der Mehrfigur.
14. ... Dxg5
"Und was jetzt?!"
fragt Artur Brauner in die Runde ... aber das ist natürlich rein rhetorisch
gemeint.
15.Kxf2 Sd4?!?
Ein zweiter
Fehlgriff des ChessBase-Autors - der gar nicht berücksichtigt hat, dass der
Springer ins Gedränge kommen könnte.
16.c3! ...
Artur Brauner
realisiert sofort, was faul ist an 15. ... Sd4?!?
16. ... Sb5
17.a4!! ...
Und der schwarze
Springer ist verloren. Als Reaktion machen Vaile und der ChessBase-Autor das
einzig Richtige: Sie setzen auf sofortigen Konter gegen Artur Brauners
Königsflügel.
17. ... f5!!
Dem erfahrenen
Artur Brauner ist sofort klar, was die Stunde geschlagen hat. Mit galanter
Grandezza legt er sein Schicksal in Vailes Hände: "Sie müssen mir helfen!"
18.De2 ...
Räumt
vorausschauend und total cool ein Fluchtfeld für den weißen König. Denn der
eingekesselte schwarze Springer b5 läuft nicht weg.
18. ... fxe4+
Nach diesem
Schach, das mit verheerenden Folgen für Weiß die f-Linie als Rollbahn gegen den
weißen König öffnet, gibt der ChessBase-Autor
Dr. René Gralla das Staffelholz als Vailes Teammate weiter an Dr. Dehmel. Und
der macht sich daran, die Partie abzuwickeln ....
19.Ke1 Dg3+
20.Kd1 ...
Optimismus auch
unter schwierigen Bedingungen, das zeichnet Artur Brauner aus. "Jetzt bin ich
aus dem Schneider, mein Herr", sagt er zu Dr. Dehmel, dem zweiten Coach von
Vaile. Das ist allerdings dann doch etwas zu optimistisch:
20. ... Tf2!
Der Einmarsch der
schwarzen Schwerfigur in die zweite Reihe bringt die Entscheidung.
21.Dg4+ Dxg4
22.hxg4 Txb2 23.axb5 ...
Finally ...
23. ... Txg2
Und nach einigen
weiteren Zügen gibt Artur Brauner auf.
0:1