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Heute feiert der ungarisch-US-amerikanische Großmeister Pal Benkö (bzw. englisch Benko) seinen 90. Geburtstag. In seiner Glanzzeit, Ende der 50er bis Mitte der 70er Jahre, gehörte er zu den besten Spielern der Welt. Das Leben des "ewig Junggeblieben" mit der robusten körperlichen Verfassung, der noch im Alter mit schwarzer Haarpracht glänzte, war von einer frühen Leidenszeit bestimmt: die sowjetischen Besatzer steckten ihn anderthalb Jahre in ein Konzentrationslager. In seiner monumentalen Biographie "Pal Benko, My Life, Games and Compositions" von 2003 kommt er zur prägenden Erkenntnis: "Im Gefangenenlager lernt man erst so richtig die Dinge zu schätzen, die einem zuvor selbstverständlich erschienen" ("Prison camp really makes you appreciate things that you might have been oblivious to before!"
Fortan setzte er sich zur Aufgabe, das Leben zu genießen. Und vieles bereitete ihm Freude: Die Freiheit, Reisen durch viele Länder dieser Erde, schöne Frauen, Schachwettkämpfe, seine Studien etc. etc. All dies mag dazu geführt haben, dass er interessiert an den Dingen bis ins hohe Alter fit geblieben ist. Nie endende Lebenslust als Rezept für ein langes, erfülltes Leben? Warum nicht, das klingt gut!
Am 15. Juli 1928 wurde Pal Benkö in Amiens geboren. Der Jubilar ist somit nach Juri Awerbach (geb. 1922) der zweitälteste Großmeister der Welt. Benkö ist vor allem für zwei Dinge berühmt: er erfand das Benkö-Gambit, hierzulande eher als Wolga-Gambit bekannt. Leider, denn Benkö hat sich so sehr darum verdient gemacht und Pionierarbeit geleistet, was dementsprechend gewürdigt werden sollte. Und indirekt verhalf er seinem Freund und Landsmann Bobby Fischer dazu, Weltmeister zu werden, als er seinen Platz im Interzonenturnier in Palma de Mallorca 1970 zur Verfügung stellte.
Benkös Vater war Ingenieur, aber im Geiste ein Künstler und Reiselustiger, was den Umstand erklärt, warum Benkö in Frankreich geboren wurde. Den Großteil seiner Jugend verbrachte er aber in Budapest und genoss laut eigener Aussage eine schöne Kindheit. Der neugierige Junge war sportlich und aktiv. Erst spät, mit 10 Jahren, kam er zum Schach.
Die unbeschwerte Zeit währte bis 1940, als seine heile Welt abrupt zerbarst und für lange Jahre zu einer Hölle wurde. Der Krieg kam nach Ungarn, und damit die Hungerzeit, in der man stundenlang Schlange stehen musste für ein rationiertes Brot. Immer wieder wurde Budapest von den Alliierten bombardiert.1944 fielen die Deutschen ein, und kaum 16jährig wurde Benkö auch schon zum Kriegsdienst eingezogen. Doch bevor er an der Front ankam, desertierte der widerspenstige Benkö. Auf einer wochenlangen Odyssee wurde er von Russen gefasst, flüchtete abermals…
Mittlerweile, Ende `44, war Ungarn von den Russen besetzt worden. Die Zeit des Leidens fing erst so richtig an. Sein Vater und sein Bruder waren als Arbeitssklaven verschleppt worden, seine Mutter, geschwächt von Entbehrungen und Kummer, starb. Mit einem Mal stand er alleine mit seiner kleinen Schwester da. In dieser Notlage half ihm Schach dabei, Essen und Unterkunft zu besorgen! Während des Krieges hatte er geübt und durch seine natürliche Begabung schnell eine ordentliche Spielstärke erreicht. Bereits 1946 war er stark genug, um bei der Ungarischen Meisterschaft teilnehmen zu können. Als Preise waren Lebensmittel ausgesetzt, in Zeiten der Inflation die kostbarste Währung! Seine Spielstärke gedieh rasch, und 1948, mit 20 Jahren, stand er seinen Mann in seinem ersten internationalen Turnier, das in Budapest ausgetragen wurde. Bald darauf wird er Ungarischer Meister.
Seine Erfolge machen ihn bekannt. Sein Selbstvertrauen wuchs, auch seine Körperkräfte strotzen vor Zuversicht - in seiner Biographie erzählt er die bezeichnende Anekdote: eines Tages verlustierte er sich mit einer Freundin am Strand. Ein Streit mit einem Rivalen um die Gunst der Dame eskaliert und es kommt zu einer Schlägerei. Benkö drückt seinen Gegner unter Wasser, so dass dieser fast ertrinkt. Tage später liest er in der Zeitung die Überschrift: "Schachmeister schlägt professionellen Boxer am Strand nieder."
Bald qualifiziert er sich für das Interzonenturnier, seine Aktien auf eine Karriere im Weltschach stehen gut, doch Benkö fühlt sich zunehmend unwohl im kommunistischen Ungarn. Sein Freigeist lässt sich nicht mit dem Kadergehorsam vereinbaren. Im März 1952 unternimmt er einen spontanen Versuch, über Westberlin aus dem Ostblock zu flüchten – doch der geht prompt schief!
Benkö wird verhaftet, verhört und gefoltert und ohne Verhandlung in ein Konzentrationslager gesteckt. Eine schreckliche Zeit und eine Zäsur in seinem Leben: er sieht die Mithäftlinge abmagern und gar tot zusammenbrechen. In diesem Schattenreich ist ungewiss, ob sich jemals wieder die Türen für ihn öffnen werden. Nach 1,5 Jahre dann plötzlich wird er begnadigt – Stalins Tod sorgt für eine teilweise Amnestie politischer Häftlinge in Ungarn!
Benkös gesunde Natur und seine Jugend halfen ihm, sich schnell wieder zu regenerieren. Er passte sich an, verhielt sich zurückhaltend. Aber ihm war klar: er musste aus diesem Land flüchten. Als Vehikel diente ihm wiederum das Schachspiel. Er musste erfolgreich sein, noch besser spielen, um zu Turnieren ins Ausland fahren zu dürfen. Und die Erfolge stellten sich ein. Die Chance reifte bei der Studentenweltmeisterschaft in Island im Juli 1957. Benkö ergriff sie sofort: er suchte in Reykjavic die Amerikanische Botschaft auf, bat um politisches Asyl – und war frei.
Ende 1957 langte er in Amerika an. Der junge Schachmeister konnte keinen Brocken Englisch und hatte nur wenige Dollar in seiner Hosentasche. Doch das Glück kam dem Mutigen zur Hilfe: durch Beziehungen bekam er einen Job, der ihm gar erlaubte, bezahlten Urlaub für Schachturniere zu erhalten!
Unter diesen günstigen Umständen begannen für Benkö die erfolgreichsten Jahre seiner Schachkarriere. So qualifizierte er sich 1958 für das Interzonenturnier in Belgrad. Dort traf er zum ersten Mal auf einen Jugendlichen namens Bobby Fischer, und es begann eine väterliche Freundschaft. Beide qualifizierten sich für das Kandidatenturnier 1959 und wurden zu Großmeistern ernannt. Die Kandidatenturniere in Jugoslawien 1959 und Curaçao1962 waren die schachlichen Höhepunkte in Benkös Leben.
Beim legendären Mammutturnier auf der Karibikinsel setzte Benkö ganz auf 1.g3, was er in 11 von 14 Weißpartien zog. Seither wird auch dieser Eröffnungszug mit seinem Namen in Verbindung gebracht - in Deutschland ist die Erinnerung daran verblasst, wennschon spricht man eher von "Einhickeln" nach dem Deutschen Großmeister Jörg Hickl.
Benkö besiegte gleich in der ersten Runde von Curaçao Fischer und spielte am Ende des Turniers noch eine entscheidende Rolle, als er Paul Keres, der zusammen mit Tigran Petrosjan in Front lag, besiegte. Dadurch wurde Petrosjan Sieger des Kandidatenturniers und gewann später den Weltmeistertitel gegen Botwinnik, während Keres der "ewige Zweite" blieb.
Benkös Anlauf auf die WM-Krone blieb indes erfolglos, in beiden Turnieren landete der Neuamerikaner nur auf den hinteren Plätzen; zu stark waren die Vertreter aus der Sowjetunion, die die ersten Plätze stets unter sich ausmachten.
Auch wenn er bei den Kandidatenturnieren nicht an die ganz großen Lorbeeren ran kam, wollte es Benkö wissen. Er gab daraufhin die Sicherheit seines Jobs auf und wurde Fulltime-Schachprofi – der einzige außer Fischer in ganz Amerika! Paradoxerweise unterband sein Profitum seine Ambitionen, im Schach noch höher zu kommen: Benkö wurde eine Art "Openschreck", tauchte Wochenende für Wochenende in den Turnieren, die übers Land verteilt waren, auf. Von den Siegprämien konnte er gut leben, doch er musste seinen Stil den Openbedingungen anpassen: hier musste man stets auf Gewinn spielen, auch mit Schwarz. Und man konnte nicht so sehr an seinem Repertoire feilen, sondern musste praktikabel sein. Benkö suchte händeringend nach einer neuen Waffe als Nachziehender, und er fand sie: das Benkö-Gambit! Seine ersten Partien damit datieren auf 1967. Das neue Konzept brachte ihm sehr viel Erfolg, die Gegner wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
Angreifen mit dem Wolga-Gambit
Machen Sie 1.d4-Spielern das Leben schwer. Opfern Sie mit 3.b5 einen Bauern für dauerhafte Initiative. GM Ramirez zeigt Ihnen für alle Varianten glasklare Spielideen.
Benkö hielt sich nie für einen Eröffnungsexperten. Sein Steckenpferd war das Endspiel und die diesem ähnlichen Studien im Kunstschach. Ein Positionsspieler, dabei taktisch durchaus stark, neigte aber dazu, in Zeitnot zu kommen, was ihm etliche Punkte kostete und womöglich auch den Weg ganz nach Oben verbaute. Dabei galt er als hervorragender Blitzer.
Das Benkö-Gambit ist von daher eine geniale Schöpfung, die exakt diesem Spielertyp entspricht: im Grunde ist das schwarze Konzept sehr klar, leicht zu lernen. Man weiß, wo die Figuren hingehören, vertraut dabei auf ein festes Bauerngerüst ohne Schwäche, und das ganz Besondere: gerade Endspiele sind meistens sehr aussichtsreich für Schwarz!
Das war revolutionär – ein Gambit, bei dem man durchaus auch zu Abtausch bereit ist, dessen Kompensation sehr langfristig, positionell gesund ist. Nach eigenen Schätzungen hat er in Turnieren weit über 50 Partien mit seiner Schöpfung gespielt, und nur drei davon verloren.
Benkö macht keinen Hehl daraus, dass er in seinen jungen Jahren gern die Gesellschaft des weiblichen Geschlechts suchte und auch fand. Seine Biographie mit dem bekannten Co-Erfolgsautor Jeremy Silman wartet mit einer Reihe "galanter" Erzählungen auf. Sein Erfolg bei den Frauen machte neidisch. So erzählt Benkö, wie der junge Fischer einst ausrief: "Ich möchte auch so ein Lebemann und Frauenheld sein wie Benkö!" Doch mit einem Augenzwinkern verrät Benkö, dass das Schachgenie Fischer eben keine Ahnung von Frauen besaß und somit auf diesem Gebiet nicht zu reüssieren verstand!
Mit 40 Jahren entschied Benkö doch, dass es Zeit war, den Hafen der Ehe anzustreben. Er heiratete seine ungarische Freundin Gizella. Fortan verbrachte Benkö, der überall auf der Welt Turniere spielte und einen Teil des Jahres in den Staaten verbrachte, vermehrt Zeit in seiner alten Heimat.
1970 war Benkö als 3. der US-Meisterschaft vorberechtigt für das Interzonenturnier. Da intervenierte der US-Verband mit der Bitte, ob er nicht zu Fischers Gunsten auf dieses Recht verzichten würde – Fischer wollte wieder einen ernsthaften Anlauf auf den WM-Titel machen. Benkö wollte dem nicht im Wege stehen. Offenbar sah er realistisch, dass das Genie Fischer durchaus bessere Chancen als er besaß, zudem bekam er dafür eine Abfindung (2000 Dollar, laut André Schulz: "Das große Buch der Schach-Weltmeisterschaften", NIC, 2015). Zu gern wäre er auch noch von Fischer als Sekundant nach Reykjavik mitgenommen worden, doch Fischer zog dann William Lombardy vor.
Vom aktiven Schach zog er sich langsam, aber sicher zurück, am Ende seiner Karriere spielte er noch Mitte der 90er Jahre ein paar vereinzelte Partien für den Bayerischen Zweitligaverein Augsburg-Göggingen. Dafür konnte er sich ausgiebiger seiner großen Liebe, dem Komponieren von Studien und Problemen, widmen. Auch auf diesem Gebiet gilt er als anerkannte Weltklasse.
1.Kc8! Kf8 [1...Ke7 2.Kc7 Kf8 (2...Ke8 3.Kd6 Kf8 4.Sg6+) 3.Sg6+ hxg6 4.Kd7 Kf7 5.Kd6] 2.Sg6+! Kf7 [2...Kg7 3.Sh4; 2...hxg6 3.Kd7 Kf7 4.Kd6] 3.Sf4! [3.Sh4 Ke8! 4.Kc7 Ke7] 3...h6 4.g6+ Kf6 5.Kd7 h5 6.Ke8 Kg7 [6...h4 7.Kf8] 7.Ke7 h4 8.Ke6 h3 9.Kf5 h2 10.Sh5+ Kh6 11.Sg3 1–0