Zum 99. Geburtstag von Rudolf Teschner

von Arno Nickel
16.02.2021 – Viele der heute älteren Schachfreunde sind seinerzeit mit den Lehrbüchern von Rudolf Teschner (16.2.1922 bis 23.7.2006) groß geworden. Teschner war außerdem der Redakteur der Deutschen Schachzeitung und zudem ein sehr guter Schachspieler (Remis gegen Fischer beim IZT 1962). Anlässlich des 80sten Geburtstages verfasste Arno Nickel seinerzeit ein lesenswertes Portrait, eine deutsche Schachgeschichte. Heute jährt sich Teschners Geburtstag zum 99sten Mal.

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Der folgende Beitrag von Arno Nickel erschien im Schachkalender 2002 anlässlich des 80sten Geburtstages von Rudolf Teschner. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Ein deutsches Schachleben: Rudolf Teschner

Bald nach Kriegsende, im Jahre 1949, meldete sich auf dem Steglitzer Arbeitsamt "Wisokü" ein junger Mann in der Abteilung für freie Kunstschaffende. Die Firma, in der er bis 1944 als technischer Angestellter gearbeitet hatte, lag in Schutt und Trümmern; er verspürte jedoch ohnehin keine große Lust mehr, Drehzahlmesser für Panzer und Autos herzustellen. Stattdessen begeisterte ihn die Idee, Schachschriftsteller zu werden und so ließ er sich für die Berufssparte "Fachschriftsteller" eintragen.


 

Der junge Mann hatte sich zu dieser Zeit schon weit über Berlin hinaus einen Namen als Schachspieler gemacht, und auch auf dem Gebiet des Schachjournalismus war er kein blutiger Anfänger mehr. Bereits als 20-jähriger hatte Rudolf Teschner bei der deutschen Meisterschaft in Bad Oeynhausen1942 seine Visitenkarte abgegeben. Einer seiner Gegner, namens Schmahl, bescheinigte ihm nach der Partie schwer beeindruckt: „Sie haben heute wohl Kombinationswasser getrunken!“

Ob sich da die Bekanntschaft mit Kurt Richter bemerkbar machte oder regte sich einfach Teschners Talent, lange und komplizierte Varianten zu berechnen? Wie wohl jeden jungen Schachspieler jener Zeit faszinierte ihn der unbändige Angriffsstil des Weltmeisters Alexander Aljechins, aber nicht weniger schätzte er die temperierte positionelle Spiel Führung eines Rubinstein oder Marozcy und vor allem deren Endspielkünste. Ohne Zweifel war Rudolf Teschner, verglichen mit dem Schachromantiker Kurt Richter, ein Tarrasch-Schüler reinsten Wassers, ein Klassiker.

Große Bedeutung hatte für Teschners Zukunft allerdings, dass Kurt Richter, ein gestandener Schachschriftsteller, Jahrgang 1900, ihn ermunterte, in seine Fußstapfen zu treten. Schon Anfang der 40er Jahre hatte Teschner erste Beiträge u.a. für die Deutsche Schachzeitung verfasst. Richter bot ihm bald nach dem Krieg die Mitarbeit an seinen Projekten – Deutsche Schachblätter, Rubriken im Tagesspiegel und in anderen Zeitschriften, Vorbereitung von Büchern – an, wohlwissend, welch emsigen und fleißigen Redakteur er mit Teschner gewinnen sollte.

Erste Züge auf dem Schachbrett

Wer heute in einer gut sortierten Buchhandlung nach Schachbüchern fragt, wird mit Sicherheit auf das auflagenstärkste deutsche Lehrbuch seit den Fünfziger er Jahren stoßen: Rudolf Teschner, Schule des Schachs in 40 Stunden, 140.000 verkaufte Exemplare. Der Erfolg spricht für sich, zumal angesichts der Fülle von Anfängerliteratur. Umso neugieriger ist der Chronist zu erfahren, wie denn der Autor selbst das Schachspiel erlernt hat. Eine harmlose Frage, die allerdings eine ganz und gar nicht alltägliche und keineswegs völlig harmlose Geschichte aus den Dreißiger Jahren zutage fördert.

Rudolf war zehn, elf Jahre alt, als sein Interesse für Schach erwachte. In der Familie spielte leider niemand Schach. Neugierig geworden durch den Anblick eines Diagramms auf einer Rätselseite, verlangte es ihn, Näheres über dieses seltsame Spiel und seine Symbole zu erfahren. Als er kurz darauf in den Auslagen eines Steglitzer Geschäftes echte Schachfiguren sah, erstand er zusammen mit seinem älteren Bruder Hermann für 20 Pfennige ein Regelheft aus Reclams Universalbibliothek. Gemeinsam begannen sie, ihre neusten Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Wie sich bald herausstellte, mit zweifelhaftem Erfolg, denn ihre Partien mündeten in ein allgemeines Gemetzel, von dem auch die Könige nicht verschont blieben. Das sollte sich erst ändern, als Rudolf, der als Realschüler gute Noten nach Hause brachte, zu seinem 12. Geburtstag, 1934, ein richtiges Schachbuch von seinem Vater geschenkt bekam: Das Schachspiel von Dr. Siegbert Tarrasch. Von da an waren die Weichen gestellt.

Doch sein bald aufkommender Wunsch, in einen Schachclub zu gehen und dort sein neu erworbenes Wissen praktisch zu erproben, stieß auf einen gemeinen Pferdefuß. Bei der Friedenauer Schachgesellschaft freute man sich wohl über den jungen Spund, gab ihm allerdings einen Zettel mit nach Hause, auf dem sein Vater, Ernst Teschner, erklären sollte, dass sein Sohn Arier sei. Es hatte gerade jenes „tausendjährige Reich“ begonnen, in dem Juden aus der Volksgemeinschaft und also auch aus Schachvereinen ausgeschlossen wurden. Rudolf Teschner geriet in Gewissenskonflikte. Was, wenn sein Vater, ein gestandener Berufsoffizier, diesen Zettel nicht unterschriebe? – Und das schien ihm sicher wie das Amen in der Kirche, denn Rudolfs Mutter, Sonja Teschner, geborene Moseschtam, die der Vater in Lettland kennengelernt hatte, stammte nun einmal aus einer jüdischen Familie. Der 14-Jährige fasste sich ein Herz und unterschrieb das inquisitorische Dokument selbst, mit der Handschrift seines Vaters.

Auf dem Weg zum Jungmeister

Spätestens jetzt, wenn nicht bereits früher, dürfte ihm klar gewesen sein, dass für die Zukunft besondere Vorsicht angeraten war und er sich möglichst unauffällig verhalten sollte. Vielleicht ist hier, rückblickend betrachtet, einer der Gründe zu sehen, warum Rudolf Teschner, der als von Natur aus bescheiden und zurückhaltend gilt, sich auch später immer sehr im Hintergrund hielt, schachpolitische Debatten mied und niemals irgendwo die erste Geige spielen wollte, obwohl siebenmaliger Berliner Meister, obwohl Gesamtdeutscher Meister 1951, obwohl Brett 1 der deutschen Olympiamannschaft 1952 und obwohl er zum Beispiel Bobby Fischer im Interzonenturnier in Stockholm 1962 ein vielbeachtetes Remis abrang, von seiner Rolle als prominenter Schachautor einmal ganz abgesehen.

Aber greifen wir den Ereignissen nicht zu weit voraus. Im Verein erhielt Rudolf Teschner bald Gelegenheit, den Wert eines guten Lehrbuches am eigenen Leibe zu erfahren, denn mit Hilfe Tarraschs war er dem Durchschnitt, zumeist reine Praktiker, um einiges voraus. Es dauerte nicht lange, bis er sich über den Verein hinaus einen Namen machte.

Wie hat er das Regiment des Großdeutschen Schachbundes und insbesondere die antijüdische Propaganda erlebt? Vieles stand gottseidank nur auf dem Papier und wurde nicht so konsequent umgesetzt, wie die Nazis es gern gehabt hätten. Zum Beispiel das Verbot von Schachbüchern jüdischer Autoren. Eine nicht nur schäbige, sondern ziemlich lächerliche Maßnahme in den Augen jedes erfahrenen Schachspielers. Wer sollte die Umsetzung dieses Verbots kontrollieren? Rudolf Teschner hatte Glück, denn er fand noch die Bücher von Lasker, Nimzowitsch, Tarrasch und anderen im Schachschrank der Friedenauer Schachgesellschaft. Auch in der Schachpresse lebten die großen Namen jüdischer Schachspieler fort, wenngleich die Unterdrückungstendenz Anfang der 40er Jahre, als nicht von ungefähr das Aljechin zugeschriebene Pamphlet über „jüdisches und arisches Schach“ erschienen, deutlich zunahm.

Rein subjektiv hat sich Rudolf Teschner nicht sonderlich bedroht oder verfolgt gefühlt, zumal er die Anerkennung seiner Leistungen in Berliner Schachkreisen genoss. Der Geschäftsführer des Großdeutschen Schachbundes, Erhard Post, ein sehr konservativ und deutschnational, aber nicht eigentlich nazistisch eingestellter, höchst ehrgeiziger und streitbarer Mann, legte ihm keine Steine in den Weg, sondern schickte ihn im Gegenteil als Berliner Teilnehmer zu auswärtigen Turnieren.

Wenn es Spieler gab, die sich gemäß den neuen Ausscheidungswettkämpfen von der Basis aus für höherwertige Aufgaben qualifizierten und als kampferprobt galten, dann waren es besonders die jungen Talente wie Rudolf Teschner. Zunächst war es für Teschner, der mit vierzehn Jahren eine technisch-kaufmännischer Lehre begann, gar nicht so einfach, von seiner Arbeitsstelle frei zu bekommen, doch später klappte es problemlos. Der Schachbund schrieb einfach eine Aufforderung an seinen Betrieb, dass er dann und dort zu erscheinen habe, und dieser Aufforderung wurde von der Geschäftsführung ohne Widerspruch Folge geleistet. Wer eine solche wäre eine solche Förderung erfuhr, konnte auch einmal die Schattenseiten einer Diktatur für einen Augenblick vergessen und hoffnungsvoll in die Zukunft sehen.

„Teschner, Josef“

Warum ist Teschner eigentlich trotz seines offensichtlichen Talentes nicht in den Reichsnachwuchskader des Großdeutschen Schachbundes aufgenommen worden, wo er Spieler wie Klaus junge, Wolfgang Unzicker und Edith Keller hätte kennenlernen können? War das Boot schon voll, wie er vermutet, oder hatte es vielleicht doch mit seinen Familienverhältnissen zu tun, die man weiter oben in den Führungskreisen vermutlich doch besser kannte als auf Vereinsebene.

Immerhin sah es, so Teschner, für kurze Zeit so aus, als ob sie ihn haben wollten, Doch dann wurde auf ungeklärte Weise nichts daraus. Es hieß, jemand anders, möglicherweise der 3 Jahre jüngere Wolfgang Unzicker habe den Vorzug erhalten.

Es ist schwer vorstellbar, dass im bürokratischen Nazideutschland der familiäre und später berufliche Hintergrund eines namhaften Spielers wie Rudolf Teschner von den Funktionären völlig unbemerkt geblieben sein soll. Interessant ist der parallele Fall des Georg Klaus, der ebenso wie Rudolf Teschner an der deutschen Meisterschaft 1942 teilnahm. Natürlich wusste der Großdeutsche Schachbund, dass Klaus wegen kommunistischer Umtriebe einige Jahre in Haft, zuletzt im Konzentrationslager Dachau, verbracht hatte. Aber Klaus hatte sich nun einmal satzungsgemäß für die Meisterschaft qualifiziert. Man ließ ihn schließlich mitspielen und gab sich der Hoffnung hin, dass er wegen mangelnden Trainings Schiffbruch erleiden würde. Umso unruhiger wurden die Funktionäre, als Klaus plötzlich in den Titelkampf eingriff und am Ende zusammen mit dem Wiener Schachmeister Hans Müller auf dem geteilten zweiten Platz hinter Ludwig Rellstab landete. Teschner hat zwar gegen Klaus gespielt, ihn aber nicht näher kennengelernt und von seiner Geschichte erst später erfahren. (Bekanntlich wurde Klaus, der 1974 verstarb, Philosophieprofessor in der DDR und war eine Zeit lang Präsident des DDR-Schachverbandes.) Jeder sei viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und habe seine eigenen Sorgen gehabt, als dass er versucht hätte, Näheres über das Privatleben seiner Schachkollegen zu erfahren, meint Rudolf Teschner.

Das mag sicherlich für ihn und manchen anderen gegolten haben, aber es gab auch Ausnahmen. In Berlin pflegte Fritz Sämisch ihm gelegentlich mit „Teschner, Josef“ zu begrüßen. Wenigstens Sämisch musste also etwas gewusst oder zumindest geahnt haben. Rudolf Teschner mochte ihn und hörte ihm gern zu. Unvergesslich ist ihm wie Sämisch eines Tages meinte: „Es kommt immer auf den Zeitpunkt an, wann man etwas sagt. Hätte ich vor ein paar Jahren gesagt, der Krieg geht verloren, hätte mich ausgelacht, heute würde ich dafür aufgehängt.“ Die Lebensumstände Sämischs in seiner kargen Charlottenburger Parterrewohnung hatten ihn allerdings eher abgeschreckt. So dürftig wollte Teschner nicht gern leben.

Noch einmal davongekommen

Wie sehr sich Rudolf Teschner in der Berliner Schachszene anerkannt gefühlt haben mag, in einer Beziehung nutzte ihm dies überhaupt nichts: Aufgrund seiner jüdischen Mutter wurde er für wehruntauglich befunden, wie immer er darüber denken mochte. Aus seinem Wehrpass ging eindeutig hervor, dass nicht körperliche Mängel die Ursache waren, im Gegenteil: Es wurde ausdrücklich erwähnt, dass er Träger des Reichssportabzeichens war. Zunächst bedeutete dies, dass er weiter für seinen Betrieb arbeiten konnte und musste, wo er mit der Herstellung und Reparatur von Tachometern für Fahrzeuge zu tun hatte. Später wurde er allerdings zum Arbeitsdienst bei der „OT“ (Organisation Todt) abkommandiert und musste in einem Thüringer Salzbergwerk als Elektriker arbeiten. Die „OT Aktion B“ war eine auf „jüdische Mischlinge zweiten Grades“ (evangelische Religion, ein arisches Elternteil) abgestellte Unternehmung. In dem Salzbergwerk wurden 300 Meter unter der Erde Fabrikationsstraßen gebaut, um Teile für die V2- Rakete herstellen zu können. Diese Anlagen, an denen auch KZ-Häftlinge mitbauten, zu denen jeder Kontakt streng verboten war, blieben glücklicherweise unvollendet.

In gewissem Maße konnte Teschner mit seiner kriegswichtigen Arbeit sogar indirekt zum Schutz seiner jüdischen Mutter beitragen, wie ebenfalls seine beiden Brüder, von denen der ältere, Hermann, freiwillig bei der Wachkompanie diente, während dem jüngeren, Günter, ein Heldenstück gelang, dass einem fast die Sprache verschlägt. Nachdem seine Mutter bereits einmal im Gefängnis gelandet war, weil sie über zu knappe Lebensmittel geschimpft hatte, geriet sie 1943 in große Gefahr, nach Theresienstadt deportiert zu werden. Ihr Sohn Günther hat sie in OT-Uniform aus der „Durchgangsstelle Hamburger Bahnhof“ herausgeholt und ihr damit das Leben gerettet.

Beim Turnier in Celle 1948 lernte Rudolf Teschner den 6 Jahre jüngeren Lothar Schmid kennen. Später schrieb Schmid über ihre Begegnung in Celle den schönen Satz „ ... wo wir die Erbsensuppe teilten und hinter Ahues den zweiten und dritten Platz.“ (DSZ 2/1982).

Das Foto zeigt in der 1. Reihe einige der damals namhaftesten Meister vereint.

Sitzend von links nach rechts Menke, Rellstab, Ahues, Brinkmann, Sämisch. Darüber ganz links: Sahlmann, ganz rechts: Deutgen, oben ganz links Dr. Boethelt (ein Berliner). Und die drei jungen Männer rechts: Sarapu, Teschner und L. Schmid.

 

Schach als geistige Nahrung

Solche und andere Erlebnisse hatte Rudolf Teschner nach Kriegsende zu verarbeiten. Eine in vieler Hinsicht wahnwitzige Epoche war auf schreckliche und chaotische Weise zu Ende gegangen. Viele Freunde, Bekannte und Verwandte hatten ihr Leben gelassen. Vor diesem Hintergrund hatte der Wunsch, sich nun ganz und gar dem edlen Schach zu widmen und eine kulturellen nützliche Aufgabe zu übernehmen, zugleich etwas Reinigendes. Darüber hinaus bot Schach manch Hungernden willkommene geistige Nahrung und Ablenkung. Schachspalten in Tages- und Wochenzeitungen schossen aus dem Boden, Schachzeitschriften erhielten Lizenzgenehmigungen von den Alliierten und in Berlin gab es sogar eine laufende Radiosendung über Schach. So plauderten beim Berliner Rundfunk Kurt Richter mit Rudolf Teschner sonntags vormittags ein Viertelstündchen über aktuelle Schachereignisse. Mitunter waren auch Gäste im Studio, wie die damals sehr erfolgreiche und noch unverheiratete spätere Großmeisterin Edith Keller. Für alle, die gern Radio hören und nicht einseitig dem Fernsehen verfallen sind, ist die Idee solcher Schachgespräche, die übrigens auch in anderen Städten zum Zuge kam, immer noch sehr interessant. Die größte Hürde dürfte heute allerdings die Übersättigung der Schachszene mit Informationen und die Gewöhnung an andere Medien wie Fernsehen und Internet sein.

Walter de Gruyter und andere Verlage

Den entscheidenden Schritt, sich als Schachschreiber zu etablieren, vollzog Teschner 1950, als er trotz mancher Bedenken die Redaktion der 1944 eingestellten Deutschen Schachzeitung auf Angebot des Verlages Walter de Gruyter übernahm. Vorangegangen war die staatliche deutsche Teilung in BRD und DDR. Im Schach bedeutete dies unter anderem: Teschner (West) und Richter (Ost), wenngleich die Schachspieler noch 1951 eine gesamtdeutsche Meisterschaft in Düsseldorf abhielten, die der neue Redakteur der Deutschen Schachzeitung gewann

Die Übernahme der Schachzeitung bedingte, dass Teschner künftig auch mit einer Reihe von Buchprojekten des Verlages zu tun hatte, obwohl er seine eigenen Werke meistens bei anderen Verlagen veröffentlichte. Da er seine Bücher in möglichst hoher Auflage verbreitet sehen wollte, kam de Gruyter für ihn weniger infrage als beispielsweise der Goldmann Taschenbuch Verlag oder später der Falkenverlag. Die Schachbücher bei de Gruyter waren mit knappen Auflagen, bis zu maximal 3000 Exemplaren, kalkuliert und entsprechend teuer. Bei den auflagenstarken Verlagen kam unterm Strich zwar auch nicht viel mehr heraus, weil die Tantiemen an den Büchern sich pro Exemplar auf Pfennige beliefen, aber dafür war der Werbeeffekt beträchtlich höher. So wurden die Engländer beispielsweise in den 70er Jahren auf Teschners Taschenbuch Sie sind am Zug aufmerksam und ließen dieses Buch von Tony Miles übersetzen. Mitunter wurden Nachauflagen produziert, ohne dass dem Autor weitere Vergütungen zuflossen. Der pekuniären Nutzen trat oft unverhältnismäßig hinter der Aussicht auf Ruhm und Anerkennung zurück. Allein von der Schachzeitung und seinen Schachbüchern konnte Rudolf Teschner keine Familie ernähren, zumal alle seine drei Kinder später studieren sollten. So begann Teschner schon Anfang der 50er Jahre mit nahezu täglichem Schachunterricht an den Berliner Volkshochschulen, eine Tätigkeit, die umgekehrt auch seinen Lehrbüchern zugute kam.

Solange er als Schachspieler zu Turnieren unterwegs war, und das gilt im Wesentlichen bis Anfang der 70er Jahre, war es für Teschner allerdings nicht leicht, alles zeitlich unter einen Hut zu bringen. Angefangen von seinen ersten großen Erfolgen, dem Gewinn der Ostzonen-Meisterschaft in Bad Doberan 1948 und der Gesamtdeutschen Meisterschaft in Düsseldorf 1951, bis hin zur Teilnahme am Interzonenturnier in Stockholm 1962 und seinem hervorragenden vierten Platz beim Großmeisterturnier in Bamberg 68 (hinter Keres, Petrosian und Schmidt, geteilt mit Unzicker) lauerte stets ein Prioritätenkonflikt zwischen seinen beiden Vorlieben, dem sportlichen Wettkampf auf der einen und der nüchternen Schreibarbeit auf der anderen Seite, einmal abgesehen von Familie und Freizeit.

Zusammenarbeit mit Kurt Richter

Die arbeitsteilige Zusammenarbeit mit Kurt Richter war sehr intensiv, besonders nachdem der Leipziger Verlag die Deutschen Schachblätter einstellen musste, vermutlich wegen dessen mangelnder Parteinahme für den Sozialismus. Für die DSZ im Westen lieferte Richter seine berühmten Taktikglossen, mitunter auch längere Beiträge und Berichte. Er führte gute Mitarbeiter ein, die ihm aus früheren Jahren freundschaftlich verbunden waren: Keres, Lokvenc, Böök und andere. Wenn Teschner zu Schachturnieren unterwegs war, macht Richter gelegentlich auch den Umbruch und Korrekturen. Bis damit eines Tages wegen des Mauerbaues radikal Schluss war. War die Zusammenarbeit aus Sicht des SED-Staats bisher halblegal und geduldet gewesen, so nahm der Kontakt nunmehr nahezu konspirative Züge an. Schon vorher hatte Richter, der seine Manuskripte meist handschriftlich ablieferte, seine Artikel für den Tagesspiegel mit der Schreibmaschine erstellt, damit man ihm nicht nachweisen konnte, dass er für die Feindpresse schrieb. Doch nun entstand ein weiteres Problem. Wie sollte Richter an sein Honorar kommen? Rudolf Teschner erinnert sich, wie er und vor allem seine Frau Elisabeth Pakete an diverse Deckadressen schickte, um Richter wenigstens mit Naturalien unter die Arme zu greifen. Natürlich handelte es sich vielfach um Dinge, die Richter seinerseits an Bekannte und Verwandte weiterreichte, um sich auf dem Tauschwege seine eigenen Wünsche erfüllen zu können, und die bestanden nicht selten in barer Währung, die auf der Rennbahn Karlshorst verwertete. Der Verlag de Gruyter hatte seine eigenen Methoden, die Honorarauszahlung an Richter vorzunehmen. Sie bedienten sich eines Kuriers, der harte Devisen bei sich trug – bis er eines Tages aufflog und im Gefängnis landete.

Aufschwung und Umbruch

Mit Kurt Richters Tod im Jahre 1969 verlor Rudolf Teschner seinen engsten Mitstreiter und treusten Schachfreund. Der unermüdliche Redakteur sollte die Deutsche Schachzeitung jedoch noch weitere 20 Jahre in alleiniger Regie fortführen. Er erlebte den ungewöhnlichen Schachboom im Gefolge des WM - Kampfes Fischer - Spasski 1972, ein Anlass, zu dem er selbst ein Buch veröffentlichte, das 20 Jahre später nach dem spektakulären Comeback Fischers in Sveti Stefan und Belgrad eine unerwartete Neuauflage erfuhr.

Der Aufschwung des Schachlebens in den 70er und 80er Jahren brachte viele neue Herausforderungen mit sich, denen Teschner wie ehedem mit äußerstem Arbeitseifer begegnete. Mit dem Auftauchen neuer Schachzeitungen veränderte sich allerdings auch die Marktsituation der Deutschen Schachzeitung. Die klassischen Herstellungsmethoden mit aufwendigem Fotosatz außer Haus bedeuteten nun Konkurrenznachteile im Ringen um Aktualität. Mit der Fülle und teilweise auch der Qualität des Materials, das die jungen Teams der anderen Zeitschriften in ihrer Aufbruchstimmung jeweils zusammen trugen, konnte die altehrwürdige DSZ bald nicht mehr mithalten und es war nun nur eine Frage der Zeit, wann der renommierte Wissenschaftsverlag Walter de Gruyter seine Schachabteilung komplett aufgeben würde. 1989 war es soweit, für alle Anhänger anspruchsvoll produzierter Schachliteratur ein trauriges Datum, wenn auch der Name DSZ im Untertitel des Schach-Reports und später der Zeitschrift Schach fortexistiert, wie auch die Buchklassiker der Bibliothek Caissa Nachauflagen im Hardcover, allerdings mit einem sehr spartanischen Umschlagdesign erfuhren.

Aktiv bis ins neue Jahrtausend

Mit 67 Jahren hätte Teschner sich nun ganz zur Ruhe setzen können, aber weder fühlte er sich so, noch hätte ihn dies irgendwie befriedigen können. Rudolf Teschner setzt das fort, was er Jahrzehnte lang getan hat: in breiten Bevölkerungskreisen für das Schachspiel werben und es jedermann, vom Anfänger bis zum gestandenen Vereinsspieler, mit einfacher und solider Fachliteratur zu vermitteln. Nicht Spezialistentum, Forschergeist oder Kunstbeflissenheit kennzeichnen sein Credo, sondern das gute, allgemeinverständliche Lehrbuch. In dieser Hinsicht wurde Rudolf Teschner der erfolgreichste deutsche Schachautor nach 1945. Kaum ein Sortimentsbuchhändler seit den 50er Jahren, der seinen Namen nicht kennt.

Neben seinen laufenden Arbeiten, zu denen bis vor kurzem, September 2001, auch noch die Sonntagsrubik des Tagesspiegels gehörte (lange Jahre zusätzlich eine umfangreiche Mittwochspalte), eignete er sich die modernen Arbeitstechniken per Computer und Internet an. Nach wie vor ist er als Mitherausgeber, Autor, Bearbeiter und Übersetzer bei der Edition Olms aktiv.

Gegenüber manchen Erscheinungen in der heutigen Schachwelt hat Rudolf Teschner eine recht kritische Einstellung, womit er keinesfalls allein dasteht. Dies betrifft nicht nur den Umgang mit der Weltmeisterschaftsfrage, sowohl von Seiten zunehmend profitorientierter Spitzenspieler als auch von Seiten der FIDE, deren Verhalten das öffentliche Ansehen des Schachs nachhaltig beschädigte. Die Entwicklung der Schachkultur insgesamt sieht Teschner durch einen negativen Einfluss der Medien beeinträchtigt. Alles soll möglichst schnell gehen und aufreizend verpackt sein. Ohne Rücksicht auf das, was Schach eigentlich ausmache. Etwas Einfaches, Solides zähle heute nicht mehr, konstatiert Teschner. Auch den Einfluss der Elozahlen hält Teschner für eher nachteilig: Nicht der Einfallsreichtum eines Spielers entscheide, sondern ein trockener Erfolgsquotient, dessen Genauigkeit fragwürdig sei. Typisch für die heutige Zeit sei auch ein Vorfall wie dieser: Kürzlich fand er eines seiner Schachprobleme ohne Namensangabe auf der Rätselseite einer großen Tageszeitung. Als er die Chefredaktion anschrieb und um eine nachträgliche Quellenangabe bat – schließlich seien Schachprobleme geistige Schöpfungen, die unter das Urheberrecht fielen –, bekam er nicht einmal eine Antwort.

Auch in seinem 80. Lebensjahr lässt es sich der Steglitzer Altmeister nicht nehmen, regelmäßig eine Partie Tennis in seinem Klub, den Preussen, zu spielen. Seine sportliche Konstitution und eine gesunde Lebensweise waren all die Jahrzehnte der Garant für hohe Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. Zu Hause oder in privaten Kreis trifft er sich hin und wieder zum Blitzschach mit alten Schachfreunden wie Harald Lieb. Bei einem Seniorenblitzturnier waren unter anderem Alfred Kinzel und Alfred Seppelt mit von der Partie.

Abgesehen von Schach und Sport wird bei Teschner auch aufgrund seines Interesses für Literatur und Musik niemals Langeweile aufkommen. Neben einigen klassischen deutschen Dichtern hatte er schon früh einen Faible für Shakespeare. Sein außerordentliches Gedächtnis erlaubte es ihm, viele Zitate zu memorieren. Bei Schopenhauer und Nietzsche beeindruckten ihn besonders der präzise Stil.

Mit seiner Frau Elisabeth, die früher selbst Turnierschach spielte und mehrmals Berliner Damenmeisterin wurde, teilt er seit Jahrzehnten eine gemeinsame Vorliebe für Bridge (sie spielten früher mit Doktor Lehmann, Sämisch, Dueball, Springer und auch mal mit Lothar Schmid). Kennengelernt hatte er seine Frau übrigens 1946 im Strandbad Wannsee, das bald darauf mit dem überaus populären Schlager Pack die Badehose ein besungen wurde.

In einer Hinsicht wird Rudolf Teschner wohl zukünftig etwas kürzer treten: Bergwanderungen, so wie letzten Sommer zwischen Bozen und Meran, bei Temperaturen um die 30 Grad, die wird er sich künftig nicht mehr antun, zumal wenn der Veranstalter vorher nicht genügend deutlich macht, dass es sich um eine abenteuerliche Strecke entlang an Steilhängen handelt.

Aber Teschner fand auch in dieser ungewöhnlichen Situation eine einfache, kombinatorische Lösung des Stellungsproblems: während die anderen wanderten, ließ er sich einen guten Teil der Strecke mit dem Auto chauffieren.
 

 


 

 

 

 

 

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Arno Nickel ist Schachverleger und Fernschach-GM. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. Bereits in jungen Jahren schloss er ein Politologiestudium ab, fand Schach später aber reizvoller.

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