Ein Pokerface prüft die Schachstrategen: Hamburger Jan Gustafsson spielt
zum Auftakt in Dortmund gegen Wladimir Kramnik
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Bei den Dortmunder Schachtagen, die am Samstag beginnen, lassen wieder acht
renommierte Großmeister ihre Figuren tanzen. Neben den bekannten Stars wie Wladimir
Kramnik (Russland), Peter Leko (Ungarn) oder Lokalmatador Arkadij Naiditsch
will der Hamburger Jan Gustafsson als Neuling das Feld aufmischen.
Noch nie in seiner Karriere hatte der Großmeister bislang die Gelegenheit, ein
so hochkarätiges Rundenturnier zu bestreiten. Jan Gustafsson wurde am Mittwoch
29 Jahre alt, ist also kein heuriger Schachhase mehr. Am gleichen Tag hatte
übrigens auch Kramnik Geburtstag, der 33 wurde. Und beide Spieler, so will es
die Auslosung, treffen zum Auftakt im Schauspiel aufeinander, wobei Jan die
weißen Steine führen wird. Kann es einen besseren Anfang des Sparkassen Chess
Meetings geben?
Wladimir Kramnik auf dem Friedensplatz
"Hallo! Lasst euch von dem schwedischen Namen nicht täuschen, ich bin Hamburger".
So stellt sich Gustafsson auf einer Webseite vor. Der große Blonde ist in der
Tat ein waschechter Deutscher. Seine schachlichen Wurzeln liegen beim Hamburger
Schachklub, wo er in der 1. Bundesliga seit einem Jahrzehnt Stammspieler ist.
Bereits als Jugendlicher feierte Jan beachtliche Erfolge auf nationaler Ebene,
gewann mehrere Einzel- und Mannschaftsmeisterschaften. 2003 wurde er vom Weltschachbund
FIDE zum Großmeister ernannt.
Ein Jahr davor gab Gustafsson bei einem Freundschaftskampf gegen Griechenland
seinen Einstand im deutschen Nationalteam. 2004 und 2006 spielte er in der DSB-Auswahl
bei den Schacholympiaden in Calvia und Turin. Für Bundestrainer Uwe Bönsch ist
der Hamburger eine feste Größte zur diesjährigen Olympiade in Dresden. Besonders
schätzt der Coach an Jan, dass er sein umfangreiches Eröffnungswissen mit anderen
Spielern teilt und in Seminaren an seine Kollegen weitergibt.
Gustafsson ist auch ein sehr starker Blitzspieler und wurde in dieser Disziplin
2001 deutscher Meister. Neben dem Schach gehört seine Liebe dem Pokerspiel,
wo er überaus erfolgreich ist und auch ein Buch veröffentlicht hat. Pokern bringt
dem Hamburger ungleich mehr Geld ein als die eher bescheidenen Einnahmen im
Schachzirkus. Weltweit fahren inzwischen viele Großmeister zweigleisig wie Gustafsson.
Der Trainer akzeptiert diese Kombination stillschweigend. "Es ist seine Privatsache",
so Uwe Bönschs Kommentar.
Seine gute schachliche Form unterstrich Jan Gustafsson im April bei der Europameisterschaft
im bulgarischen Plowdiw, wo er als einziger deutscher Spieler die Qualifikation
für den Weltcup der FIDE schaffte. Dieses Turnier ist die Vorrunde zur nächsten
Weltmeisterschaft. Kann der Pokerspieler den etablierten Schachstars schon im
Dortmunder Schauspielhaus ein Bein stellen? In Runde 1 wartet, wie eingangs
erwähnt, mit dem achtfachen Dortmund-Gewinner Wladimir Kramnik schon der dickste
Brocken auf ihn.
Aeroflotsieger spielt mit
Mit dem russischen Großmeister Jan Nepomniachtchi stellt sich ein weiterer Neuling
in Dortmund vor. Er ist ein Altersgenosse der jungen Weltklasseleute Magnus
Carlsen (Norwegen) und Sergej Karjakin (Ukraine), die in den vergangenen Jahren
schon im Sparkassen Chess Meeting ihr Können gezeigt haben. Durch seinen Sieg
beim diesjährigen Aeroflot Open in Moskau erhält der 17-jährige Nepomniachtchi
jetzt ebenfalls diese Chance. Noch nie konnte ein so junger Spieler das renommierte
Turnier in der russischen Hauptstadt gewinnen. Jan kassierte nicht nur ein Honorar
von 30 000 Dollar, sondern löste damit auch die Fahrkarte nach Dortmund, was
noch wichtiger als die Siegprämie sein dürfte.
Bei seiner Premiere im Schauspielhaus hat das Nachwuchstalent nun die Möglichkeit,
erstmalig in einem Superturnier mit den Etablierten der Szene die Kräfte zu
messen. Jan stammt aus dem russischen Brjansk und erlernte das Schachspiel bereits
mit viereinhalb Jahren. Er ist in einer intellektuellen Familie aufgewachsen,
sein Großvater Boris Nepomniachtchi war ein bekannter Lyriker. Schon früh wurde
die Schachbegabung des Jungen entdeckt und gefördert.
Jan gewann im Nachwuchsbereich viele russische und internationale Meistertitel.
Seit dem vorigen Jahr trägt er den Großmeistertitel. Jan Nepomniachtchi hat
einen aktiven Spielstil, er strebt am Schachbrett immer nach der Initiative.
In jüngster Zeit hat er weiter hart gearbeitet und an Wettkampfhärte sowie psychischer
Stabilität gewonnen. Der freundliche junge Mann lebt heute in Moskau, wo er
Journalistik studiert. Die Zuschauer im Schauspielhaus können sich auf das neues
Gesicht freuen und live verfolgen, ob der Jungstar den Großen der Zunft Paroli
bieten kann.
Wasjas dritter Frühling
Mit Wassili Iwantschuk sehen die Freunde des königlichen Spiels im Revier einen
alten Bekannten wieder. Der ukrainische Großmeister erlebt gerade seinen dritten
Schachfrühling. Seit zwei Jahrzehnten gehört Iwantschuk zur absoluten Weltspitze.
Er hat fast alle wichtigen Turniere gewonnen, darunter dreimal das Treffen der
Weltelite in Linares. Auch in den Schachhochburgen Wijk aan Zee, Tilburg, Biel
und Nowgorod trug sich der Mann aus Lwow in die Siegerliste ein. Beim legendären
20. Sparkassen Chess Meeting 1992 in Dortmund teilte Iwantschuk mit Garri Kasparow
den ersten Platz. Seither war er häufig zu Gast, sein letzter Auftritt im Schauspielhaus
liegt jedoch schon zehn Jahre zurück.
Iwantschuk ist ein fantasievolles Schachgenie mit unglaublichem Gedächtnis.
Er hat die jeweiligen Stellungen so fest im Kopf, dass er während einer Partie
oft ins Leere und nur wenig auf das Brett sieht. Auch als wertvoller Mannschaftsspieler
machte er sich einen großen Namen. Wassili Iwantschuk spielte bei zehn Schacholympiaden,
und holte 1988 und 1990 mit der Sowjetunion Gold. 2004 gelang ihm dieses Bravourstück
mit der Ukraine. Zwei Jahre davor gewann er mit dem Team seines Heimatlandes
auch die Mannschaftsweltmeisterschaft. Im Jahre 2004 wurde Iwantschuk Einzel-Europameister,
im letzen Herbst Weltmeister im Blitzschach. Nur der WM-Titel im Normalschach
fehlt ihm noch. Im Januar 2002 war er auch diesem Ziel ganz nahe, scheiterte
im Finale jedoch an seinem jungen Landsmann Ruslan Ponomarjow und an den eigenen
Nerven.
In letzter Zeit hat Iwantschuk wieder zur alten Beständigkeit gefunden und eine
Reihe hochkarätiger Turniere für sich entschieden. Seinen jüngsten Erfolg erzielte
er im Mai in Sofia, als er mit fünf Gewinnpartien begann und den dortigen Seriensieger
Weselin Topalow distanzieren konnte. Die Schachfreunde in Dortmund freuen sich
auf das Wiedersehen mit Wassili Iwantschuk, der seine beeindruckende Erfolgsbilanz
zu gern durch einen Triumph beim stärksten Schachturnier auf deutschem Boden
ausbauen möchte.
Der Zeitplan
Das Sparkassen Chess-Meeting geht vom 28. Juni bis 6. Juli. Gespielt wird täglich
ab 15 Uhr, die letzte Runde ab 13 Uhr. Ruhetage sind der 30.6. und 3.7.
Runde 1 - Samstag, 28. Juni
Gustafsson - Kramnik
Naiditsch - Nepomniachtchi
Mamedjarow - Leko
Iwantschuk - van Wely
Runde 2 - Sonntag, 29. Juni
Kramnik - van Wely
Leko - Iwantschuk
Nepomniachtchi - Mamedjarow
Gustafsson - Naiditsch
Montag, 30. Juni, Ruhetag
Runde 3 - Dienstag, 1. Juli
Naiditsch - Kramnik
Mamedjarow - Gustafsson
Iwantschuk - Nepomniachtchi
van Wely - Leko
Runde 4 - Mittwoch, 2. Juli
Kramnik - Leko
Nepomniachtchi - van Wely
Gustafsson - Iwantschuk
Naiditsch - Mamedjarow
Donnerstag, 3. Juli, Ruhetag Blitzturnier mit den Stars im Rathaus
Runde 5 - Freitag, 4. Juli
Mamedjarow - Kramnik
Iwantschuk - Naiditsch
van Wely - Gustafsson
Leko - Nepomniachtchi
Runde 6 - Samstag, 5. Juli
Kramnik - Nepomniachtchi
Gustafsson - Leko
Naiditsch - van Wely
Mamedjarow - Iwantschuk
Runde 7 - Sonntag, 6. Juli
Iwantschuk - Kramnik
van Wely - Mamedjarow
Leko - Naiditsch
Nepomniachtchi - Gustafsson