Internationale Sorgen und ein Glücksfall für das deutsche Schach
Interview mit Robert von Weizsäcker und Herbert Bastian
Fragen und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Bei den 40. Dortmunder Schachtagen gibt sich viel Prominenz die Ehre. Nicht nur
der SPD-Politiker Steinbrück besuchte das Turnier, auch der Ehrenpräsident des
Deutschen Schachbundes Robert von Weizsäcker sowie der amtierende DSB-Präsident
Herbert Bastian waren zu Gast im Revier. In einem Doppelinterview stellten sie
sich aktuellen Fragen unseres Reporters. Ihre Antworten zeigen, dass beide Persönlichkeiten
in vielen Dingen übereinstimmen, aber jeder in seiner Tätigkeit andere Schwerpunkte
setzte bzw. setzt.
Neuer und alter DSB-Präsident: Herbert Bastian (links) und Prof. Dr. Robert
von Weizsäcker
Warum kommen Sie immer wieder gern zum Sparkassen Chess-Meeting nach Dortmund?
von Weizsäcker: Weil es ein großes Leuchtturm-Turnier ist.
Bastian: Dortmund ist eine Oase des Leistungssports, auch im Schach. Die überaus
freundliche Aufnahme des Deutschen Schachbundes und seiner Spieler im Revier finde
ich großartig.
Was schätzen Sie an Ihrem Vorgänger im Amt?
Bastian: Mich fasziniert seine tiefe Liebe zum Schachsport, die er offen bekennt.
Des Weiteren sein klares, strukturiertes Vorgehen und seine hohe analytische Kompetenz.
Von ihr habe ich viel gelernt. Herr von Weizsäcker hat wertvolle Impulse für die
Führungsstruktur des DSB und die Weiterentwicklung des deutschen Schachs gegeben.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Nachfolger?
von Weizsäcker: Ich bin außerordentlich froh, dass er jetzt die Geschicke des
deutschen Schachs leitet. Herr Bastian ist einer der stärksten Spieler (und Kortschnoi-Bezwinger),
die jemals an der Spitze des DSB gestanden haben. Es ist doch sehr wichtig, dass
man vom eigentlichen Gegenstand der Verbandstätigkeit etwas versteht. Hinzu kommt
seine jahrzehntelange Erfahrung als Funktionär in einem kompliziert strukturierten
Verband. Er kennt die beteiligten Personen und deren Charaktereigenschaften, so
dass er Menschen und Verbandsziele aufeinander abstimmen und zusammenführen kann.
Damit ist er ein Glücksfall für das deutsche Schach.
Sie waren in einer spannenden Zeit DSB-Präsident. Was haben Ihnen solche
Highlights wie die WM 2008 in Bonn und die Schacholympiade in Dresden gegeben?
von Weizsäcker: Persönlich? Ich war natürlich dankbar für die Gelegenheit, an
dieser Stelle etwas für das Schach tun zu können, denn Schach bedeutet mir außerordentlich
viel. Unvergessene Einblicke und Erfahrungen konnte ich gewinnen, auch international,
selbst wenn diese teilweise mit Rückschlägen verbunden waren. Das alles war für
mich außerordentlich lehrreich.
Robert von Weizsäcker
Herr Bastian, in ihrer bisher kurzen Amtszeit war sicher der EM-Titel der
DSB- Auswahl der absolute Höhepunkt.
Unser Verband ist derzeit in vielen Prozessen beschäftigt, aber das Highlight
war sicher die EM-Goldmedaille. Andere Höhepunkte sind z. B. unsere Erfolge im
Mitropa-Cup, die Blindsimultanveranstaltung von Mark Lang, Vlastimil Hort und
Rasmus Svane in Potsdam ("Alternierendes Blindsimultanschach") oder die Deutsche
Jugendeinzelmeisterschaft in Oberhof gewesen. Man muss es einmal erlebt haben,
was dort für eine große Begeisterung herrschte.
Würden Sie heute etwas anders machen als in Ihrer Amtszeit?
von Weizsäcker: Offen gestanden würde ich mich nicht noch einmal von Kasparow
überreden lassen, für das Amt des ECU-Präsidenten zu kandidieren. Denn die beteiligten
Kräfte in den internationalen Gremien sind doch zu unterschiedlich und zu unberechenbar
- nicht nur in ihrem Wesen, sondern auch in ihrer Vorgehensweise. Da muss man
schon - vorsichtig ausgedrückt - eine robuste Natur mitbringen, um daran Gefallen
zu finden und in diesem Umfeld etwas bewirken zu wollen.
Herr Bastian, würden Sie auch etwas korrigieren wollen?
Bastian: Bezogen auf meine Tätigkeit im DSB würde ich kaum etwas anders machen.
Ich hatte mir bestimmte Ziele gesteckt, natürlich in Absprache mit meinen Kollegen
im Präsidium. Die haben wir verfolgt. Sicher gibt es Detailkorrekturen. Als Beispiel
greife ich die Nationalmannschaft heraus, wo es durchaus unterschiedliche Auffassungen
gab, wie man mit der öffentlichen Kritik der Nationalspieler umgeht. Am Ende siegte
die Überzeugung, dass eine faire, wertschätzende Zusammenarbeit der bessere Weg
ist. Ich denke, da haben wir alles richtig gemacht.
Herbert Bastian
von Weizsäcker: Ich möchte ergänzen, dass man hier die Rolle der Sponsoren nicht
übersehen darf. Das war ja auch für mich eine harte Erfahrung. Ich hatte mich
2010 sehr für das Spitzenteam eingesetzt. Und man muss nüchtern feststellen, dass
erst das erfolgreiche Zusammenkommen von Sponsoren, also Geldern, diesen Einstellungswechsel
der Spitzenspieler herbeigeführt hat.
Wie sehen Sie die Zukunft des deutschen und des Weltschachs?
von Weizsäcker: Was das deutsche Schach angeht, gerade auch unter der Führung
von Herrn Bastian und angesichts der erfolgten Strukturänderungen in der Organisation,
bin ich alles in allem optimistisch. Was die internationale Ebene betrifft, haben
wir in der Europäischen Schachunion mit dem dortigen Präsidenten eigentlich einen
ganz vernünftigen Ansprechpartner. Auf der FIDE-Ebene ist die Situation viel komplexer,
versteckter, unsicherer und alles in allem eher unbefriedigend. Wir haben gehört,
dass Kasparow unter Umständen gegen FIDE-Präsident Iljumschinow antreten will.
Keiner weiß, was dabei herauskommt. Wenn wir auf der internationalen Ebene - auch
bei der Organisation der Weltmeisterschaften - etwas vorankommen könnten, wäre
das ein großer Fortschritt. Auf der ganz großen FIDE-Ebene bin ich derzeit aber
weder zufrieden noch optimistisch.
Bastian: Ich habe mich bislang völlig aus dem internationale Geschehen herausgehalten,
weil wir sehr viele Sorgen im eigenen Land haben. Es ist ja bekannt, dass Vereine
schrumpfen und manche wegsterben. Wir haben Mitgliederschwund. Auf einschneidende
Veränderungen in der Gesellschaft muss der Deutsche Schachbund reagieren: auf
das veränderte Freizeitverhalten der Jugendlichen, die Verlagerung der Freizeit
und des Schachspielens ins Internet. Oder auf den Rückgang im Bereich des ehrenamtlichen
Engagements. Man könnte weitere Bespiele nennen. Diese haben wir auch im Verbandsprogramm
aufgelistet, damit man sie im Blick hat. Auf diese Veränderungen angemessen zu
reagieren, ist meiner Meinung nach heute die größte Herausforderung. Weil es keine
Antworten gibt, diese aber gefunden werden müssen. Auch steht ein Generationswechsel
bevor. Wer oder was kommt nach Horst Metzing? Wir haben mit ihm einen Geschäftsführer
von hoher Kompetenz und phantastischer internationaler Vernetzung. Das muss, wenn
er im Ruhestand ist, alles wieder aufgebaut werden.