50 Partien...(6): Rotlewi-Rubinstein, Lodz 1907

von Johannes Fischer
12.10.2017 – Manche Spieler scheinen ihren Figuren magische Kräfte einhauchen zu können. Eine unsichtbare Kraft scheint die Figuren zu verbinden, und auch wenn eine, zwei oder drei von ihnen hängen oder geopfert werden, so macht die Kraft der anderen Figuren das mehr als wett. Ein klassisches Beispiel für eine solche Dynamik ist die Partie Rotlewi gegen Rubinstein, Rubinsteins "Unsterbliche". (Foto: Deutsche Schachzeitung 1908)

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Das Schach Akiwa Rubinsteins war klar und schnörkellos und hat zahllose Schachspieler inspiriert, sein Leben verlief tragisch. Rubinstein kam in Stawiski, einem kleinen Dorf in Polen, etwa 160 Kilometer von Warschau zur Welt. Das genaue Geburtsdatum ist umstritten. Auf seinem Grabstein steht der 1. Dezember 1880 als Geburtsdatum, andere Quellen datieren Rubinsteins Geburt auf den 12. Oktober oder den 12. Dezember 1882. (vgl. dazu den Wikipedia-Artikel über Rubinstein).

Rubinsteins Familie war arm. Er war das letzte von zwölf Kindern, der Vater war kurz vor der Geburt Akiwas gestorben und zehn der Geschwister starben früh an Tuberkulose. Eigentlich sollte Rubinstein der Tradition seiner Familie folgen und Rabbiner und Schriftgelehrter werden. Doch wie Ernst Strouhal schreibt, "verließ Rubinstein [mit 16 Jahren] das Elend der Kindheit in Stawiski und gab das Studium der Thora und des Talmuds auf, um Schach zu spielen. Er gehörte nun zu den ‚luftmenschn‘, wie man die Juden ohne Kapital und Ausbildung nannte, die vom Stetl in die Slums von Warschau, Lodz oder Minsk zogen. Sie bildeten in den städtischen Ballungszentren ein jüdisches Subproletariat, eine Klasse der Parias unter den Parias." (Ernst Strouhal, "Alles Schöne war geistig...", KARL, 03/2013, S. 12.)

Über seine Entwicklung als Schachspieler gibt Rubinstein selber Auskunft:

"Mit dem Schachspiel wurde ich schon als 14jähriger im Cheder [die jüdische Religionsschule, jf] bekannt. Mit 16 Jahren habe ich mich mit der Theorie befaßt. Dann hat man mir geraten, nach Lodz zu fahren, wo der große Meister Salwe lebte. Bei ihm habe ich mich vervollkommnet, ich war bei ihm sozusagen in der Lehre. So wurde ich Meister. Neigung und Talent habe ich lebhaft in mir gefühlt. Ich besitze auch ein außerordentlich gutes Gedächtnis. Ich erinnere mich zum Beispiel noch jetzt an alle Partien, die ich während meiner 21jährigen Schachmeisterschaft gespielt habe. Namen- und Ortgedächtnis habe ich nicht, nur ein spezielles Schachgedächtnis. Mich fesselt der ästhetische Genuß, welcher einer schönen Kombination entspringt. Dabei gerate ich geradezu in einen Fieberzustand. Schach ist nicht nur Kunst, sondern auch Wissenschaft. Kampf und Sieg vollziehen sich auf wissenschaftlicher Grundlage.“ (Akiba Rubinstein, "Wie wurde ich Schachmeister?", Deutsche Zeitung Bohemia, 18. April 1926, S. 19, zitiert in Strouhal, "Alles Schöne war geistig...", KARL, 03/2013, S. 17.)

In wenigen Jahren entwickelt sich Rubinstein durch Talent und harte Arbeit zu einem der besten Spieler der Welt. 1912 gewinnt er eine Reihe bedeutender Turniere und 1913 erreicht er seine beste historische Elo-Zahl von 2789 Punkten. Damit war er im Nachhinein betrachtet der damals beste Spieler der Welt. Doch alle Pläne, einen Weltmeisterschaftskampf gegen den amtierenden Weltmeister Dr. Emanuel Lasker zu spielen, scheitern, und werden vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 endgültig zunichte gemacht. (Interessante Details über einen möglichen WM-Kampf zwischen Lasker und Rubinstein und Laskers Sicht auf Rubinstein schildert Michael Negele in seinem Artikel „Beherrscht vom Herrn der Fliegen", KARL, 03/2013, S. 18-23.)

Akiwa Rubinstein gegen Emanuel Lasker, St. Petersburg 1909 (Foto: Turnierbuch)

Nach dem Ersten Weltkrieg kann Rubinstein trotz einer Reihe guter Ergebnisse nicht mehr an seine alte Spielstärke anknüpfen. Dazu kommen mentale und psychische Probleme, an denen er bereits lange litt, aber die jetzt immer deutlicher zu Tage treten, und die zu einer ganzen Reihe von Anekdoten über das seltsame Verhalten Rubinsteins bei Turnieren geführt haben.

1917 heiratet Rubinstein Eugenie Lew, die elf Jahre jünger ist als er. Jonas, der erste Sohn, kommt 1918 zur Welt, Samy, der zweite Sohn, 1927. 1919 zieht Familie Rubinstein nach Göteborg, 1926 weiter nach Belgien. 1931 beendet Rubinstein seine Turnierkarriere.

1942 lässt ihn seine Frau in eine Nervenheilanstalt einweisen, wo er die Judenverfolgung durch die Nazis überlebt. Auch seine Frau und seine beiden Söhne können sich vor den Nazis retten. Rubinsteins Frau Eugenie stirbt 1954, sieben Jahre vor ihrem Mann, der am 15. März 1961 stirbt.

Rubinstein hat zahlreiche Beiträge zur Eröffnungstheorie geleistet und ist wegen der Klarheit und Logik seines positionellen Spiels und seiner hervorragenden Behandlung von Turmendspielen berühmt, aber seine bekannteste Partie ist eine taktische Meisterleistung. Gespielt wurde sie 1907 in Lodz. Rubinstein hatte Schwarz, sein Gegner war Georg Rotlewi.

 

Rubinsteins Partien haben ganze Generationen von Schachspielern beeinflusst. Der vielleicht beste noch aktive Spieler unter den Rubinstein-Fans ist Boris Gelfand, der immer wieder betont hat, wie sehr er Rubinstein bewundert und wie sehr ihn dessen Partien als Schachspieler geprägt und inspiriert haben.

Boris Gelfand beim Aeroflot-Open 2016 (Foto: Amruta Mokal)

Auch ein Tribut an Rubinstein: Boris Gelfands 2016 erschienenes Buch "Positional Decision Making in Chess"

Doch es war Vishy Anand, dem 2013 beim Tata Steel Turnier in Wijk aan Zee gegen Levon Aronian eine „Neuauflage“ der Partie Rotlewi gegen Rubinstein gelang.

Auf Rubinsteins Spuren: Vishy Anand (Foto: Amruta Mokal)

 

My Career Vol. 1

Vishy Anand gilt als eines der größten Schachtalente aller Zeiten. Er ist der 15. Weltmeister der Schachgeschichte und war auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn auch im Schnell- und Blitzschach kaum zu besiegen. Auf dieser DVD spricht er über seine Laufbahn und präsentiert und analysiert die besten Partien seiner Schachkarriere bis zum Gewinn des Weltmeistertitels 2007 (in englischer Sprache).

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My Career Vol. 2

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50 Partien, die jeder Schachspieler kennen sollte

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2. Die Unsterbliche: Adolf Anderssen - Lionel Kieseritzky
3. Paul Morphy: Einfach, kraftvoll, stark
4. Der magische Turm: Wilhelm Steinitz gegen Curt von Bardeleben...
5. Pillsbury-Lasker, St. Petersburg 1896


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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