European Club Cup: Wie es begann und wie es wurde
Der Europapokal der Vereine wird in seiner jetzigen Form seit dem Jahr 2000 gespielt, das heißt als offenes Mannschaftsturnier mit sieben Runden im Schweizer System. Den Wettbewerb selbst gibt es seit 1975. In der Anfangszeit wurde das Turnier noch dezentral im K.-o.-System ausgetragen, später gab es zentrale Finalrunden, zuletzt 1999 in Bugojno. Die teilnehmenden Mannschaften traten tatsächlich auch lange in den Aufstellungen an, mit denen sie in ihren Ligen spielten.
1990/91 änderte sich die Situation in Europa nach dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs und dem Zerfall der Sowjetunion erheblich. Viele starke Schachspieler aus den früheren Republiken der Sowjetunion und aus den sowjetischen Satellitenstaaten des Ostblocks boten nun den Vereinen ihre Dienste in den europäischen Ligen bzw. Mannschaftsmeisterschaften der Verbände an. Die ursprünglichen Beschränkungen für den Einsatz von Spielern aus dem Ausland wurden bald aufgeweicht oder fielen ganz.
Im nächsten Schritt wurden nun eigens für den prestigeträchtigen Erfolg im Europapokal starke Mannschaften zusammengestellt, die in dieser Zusammensetzung sonst gar nicht zusammenspielten. Das Recht der Spieler, gleichzeitig für mehrere Vereine in unterschiedlichen Ländern zu spielen, machte das möglich. Vor allem in Russland – aber nicht nur dort – gab es schachbegeisterte Oligarchen, die das Geld zur Verfügung stellten, um starke Mannschaften ins Feld zu schicken. In Frankreich beispielsweise hatte die Geldgeberin Nahed Ojeeh mit ihrem Vermögen den ehrwürdigen Pariser Schachclub übernommen, ihn in NAO Chess Club umbenannt und ein internationales Top-Team angeworben. Im Laufe seines Bestehens von 2001 bis 2006 gewann das Team von NAO Chess auch zweimal den Europacup, 2003 und 2004.
Die Idee kam aus Solingen
Die Idee zu einem Europacup im Schach kam ursprünglich von Egon Evertz, dem Vorsitzenden und Mäzen des deutschen Spitzenclubs SG Solingen. Evertz war Gründer und Geschäftsführer einer erfolgreichen Firma und dachte in großen Dimensionen. Neben seinem Interesse für Musik und Schach betätigte er sich als Rennfahrer und Sportflieger. Mit seinem Engagement gehörte die SG Solingen seit Ende der 1960er Jahre zu den Top-Mannschaften im deutschen Schach – mit insgesamt zwölf deutschen Meistertiteln, zuletzt noch 2015/16.
Am neuen Europacup nahmen anfangs nur die Landesmeister aus den europäischen Verbänden teil. Solingen gewann als deutscher Meister der Saison 1974/75 seine Kämpfe gegen Schweppes Madrid, Partizan Belgrad und Spartacus Budapest. Der Finalgegner Burevestnik („Sturmvogel“) Moskau hatte sich gegen Lokomotive Plovdiv, Vejlby-Risskov SK und Solnass SS durchgesetzt. Die Solinger SG richtete dann das Finale aus. Gespielt wurde an sechs Brettern mit zwei Umgängen.
Im Finalkampf kamen für Solingen zum Einsatz: Robert Hübner, Lubomir Kavalek, Hans-Joachim Hecht, Bojan Kurajica, Heikki Westerinen, Alberic O’Kelly und Heinz Lehmann.

Lubomir Kavalek

Heikki Westerinen | Foto: Dutch National Archive
Für Burevestnik Moskau traten an: Vassily Smyslov, Mark Taimanov, Boris Gulko, Mark Dvoretzki, Lev Alburt, Yuri Razuvaev und Semjon Palatnik.
Smyslov pflegte einen klaren positionellen Stil und verließ sich auch in scharfen taktischen Stellungen häufig mehr auf seine Intuition als auf konkrete Variantenberechnung, wobei er es im Bedarfsfall durchaus verstand, brillant zu kombinieren.
Einige Spieler spielten nur einen der beiden Umgänge.

Mark Taimanov
Solingen gewann den ersten Wettkampf mit 3,5:2,5 dank eines Sieges von Bojan Kurajica gegen Lew Alburt, der damals noch in der Sowjetunion lebte, aber einige Jahre später einen Halbfinalkampf seiner Mannschaft gegen Solingen nutzte, um aus der Sowjetunion zu fliehen.
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Im Rückkampf siegte Moskau mit dem gleichen Ergebnis. Hier hatte Semjon Palatnik gegen Heinz Lehmann die entscheidende Partie gewonnen.
Die meisten Kämpfe endeten im gegenseitigen Respekt remis, obwohl Moskau auf dem Papier leichter Favorit war. Es wurde nun noch ein Stichkampf gespielt, in dem jedoch alle Partien ohne Sieger endeten. Schließlich wurde entschieden, dass aufgrund der ausgeglichenen Kräfteverhältnisse beide Mannschaften Sieger des ersten Europapokals sein sollten. Die ursprünglich vorgesehene Berliner Wertung, die für Solingen gesprochen hätte – da Kurajica seinen Sieg an einem höheren Brett erzielt hatte –, kam nicht zur Anwendung.
Vom K.o.-Format zum Schweizer System
In den Anfangsjahren, als noch im K.o.-System gespielt wurde, herrschte bei den deutschen Spitzenklubs in Solingen, Bamberg, Porz, Königsspringer Frankfurt und Bayern München noch reges Interesse an dem Wettbewerb. Nach dem Wechsel ins Schweizer System nahmen einige Male auch deutsche Spitzenklubs in starker Besetzung teil, doch insgesamt hat man den Eindruck, dass das Interesse nachgelassen hat. Das mag wohl auch daran liegen, dass die Klubs wegen der Mehrfachspielberechtigung der Spieler ihre besten Spieler gar nicht zum Einsatz bringen konnten, weil diese anderswo ein besseres Angebot angenommen hatten.

Top Team Mika Yerevan, 2011
2005 in St. Vincent erreichte Werder Bremen immerhin den fünften Platz. Der TV Tegernsee wurde Sechster. 2008 trat die OSG Baden-Baden in Halkidiki in starker Aufstellung an und gewann Silber. Auch 2009 in Ohrid spielte Baden-Baden oben mit und belegte am Ende Platz fünf. 2010 in Plovdiv konnte Baden-Baden erneut Platz fünf erreichen. Werder Bremen wurde Siebter. 2011 in Rogaška Slatina kam Baden-Baden als Sechster ins Ziel. Im folgenden Jahr belegte Baden-Baden in Eilat noch Rang acht. Danach hatte man bei der OSG das Interesse am European Club Cup verloren und nahm nicht mehr teil. Der SC Viernheim als neue starke Kraft in der Bundesliga gewann beim Turnier 2022 in Mayrhofen Silber.

Vorne: Viernheim beim Europapokal 2022 | Foto: Gerd Densing
Schacholympiade für Vereinsmannschaften
Im Laufe der Jahre hat sich der Charakter des offenen Wettbewerbs mehr und mehr verändert. Die Anzahl der teilnehmenden Klubs ist immer größer geworden, und das Turnier ähnelt nun einer Art Schacholympiade für Vereine mit einer großen Anzahl von Amateurmannschaften, darunter auch einige deutsche Teams. Das ist nicht schlecht. Um den Titel spielen aber tatsächlich nur noch einige wenige Profimannschaften, in denen sich die internationalen Elo-Schwergewichte tummeln.
Im aktuellen Wettbewerb ist Werder Bremen auf Rang zehn der Startliste der bestdotierte deutsche Klub, ist aber mit einer Amateurmannschaft angereist und spielt im Kampf um den Titel keine Rolle.
Möglicherweise müsste man bei der ECU auch einmal über das Format nachdenken. Bei nun über 100 teilnehmenden Teams sind sieben Runden nach Schweizer System doch sehr wenig.
Den Europapokal für Frauenteams gibt es seit 1996. Anfangs wurden die beiden Wettbewerbe nicht zusammen durchgeführt. Zweimal war auch der Deutsche Schachbund Gastgeber. 1998 fand der Frauen-Cup in Wuppertal statt und 2000 in Halle. Seit 2003 werden die beiden Turniere parallel durchgeführt.
Der Frauencup wurde lange von russischen und georgischen Teams und vom Cercle d’échecs Monaco dominiert.

Elisabeth Pähtz spielt für Monaco | Foto: Gerd Densing
Inzwischen nehmen in beiden Wettbewerben bekanntlich keine Teams mehr aus Russland teil. Als Reaktion auf die Sanktionen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der Russische Schachverband die Europäische Schachunion verlassen und ist nun Mitglied im Schachverband von Asien.
