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Am Donnerstag um 15 Uhr beginnt in Bonn die zweite Hälfte des Schach-WM-Kampfes zwischen dem Inder Viswanathan Anand (38) und dem Russen Wladimir Kramnik (33) - live bei www.abendblatt.de/schachwm. Anand führt nach sechs Partien mit 4,5:1,5 Punkten und braucht aus den maximal sechs ausstehenden Spielen noch zwei Punkte zum Titelgewinn. Vier Remis würden ihm dafür reichen. "Kramnik hat das Match verloren, er hat keine Chance mehr", sagt der Hamburger Großmeister Jan Gustafsson im Gespräch mit dem Abendblatt. Der 29-jährige Spitzenspieler des Bundesligaklubs Hamburger SK von 1830 ist zurzeit der beste in Deutschland geborene Schachspieler. Bei der Schach-Olympiade in Dresden, die am 12. November beginnt, spielt Gustafsson für die deutsche Nationalmannschaft.
Abendblatt: Herr Gustafsson, wie
beurteilen Sie die Lage von Wladimir Kramnik nach drei verlorenen Partien. Hat
er überhaupt noch eine Chance, Anand in den restlichen sechs Partien den
WM-Titel streitig zu machen?
Jan Gustafsson: Kramniks Lage ist völlig hoffnungslos. Er hat keine
Chance mehr. Wladimir ist einer, der sehr korrekt spielt, der selten gewinnt und
normalerweise noch seltener verliert. Drei Siege in sechs Partien, die er jetzt
braucht, um zumindest in den Tiebreak zu kommen, kann er nicht schaffen. Dazu
müsste er seinen Spielstil radikal umstellen. Und selbst dann wäre dieses
Unterfangen gegen einen wie Anand, dem derzeit wohl besten Spieler der Welt,
kaum von Erfolg gekrönt.
Abendblatt: Es hat diese Comebacks in der Vergangenheit bei WM-Kämpfen
gegeben. Garri Kasparow lag 1984 gegen Anatoli Karpow mit 0:5-Siegen zurück,
gewann drei Partien - und dann wurde das Match plötzlich abgebrochen, weil
Karpow zu erschöpft war. Auch Viktor Kortschnoi holte 1978 gegen Karpow einen
2:5-Rückstand auf, verlor aber nach drei Siegen in Folge die nächste Partie und
damit den Titel.
Gustafsson: Selbst im Fußball kommt es nicht so häufig vor, dass man
einen 0:3-Rückstand aufholt. Im Schach sind diese Fälle noch viel seltener. Sie
haben zwei genannt. Aber das ist diesmal gar nicht der Punkt. Um zu gewinnen,
muss man ein höheres Risiko eingehen, als es Kramnik gewöhnlich in seinen
Partien tut. Das ist eine Mentalitätsfrage. Kramnik will korrektes Schach
spielen. Er vertritt die reine Lehre. Damit gewinnt man auf höchstem Niveau auch
Partien, aber nicht drei von sechs. Außerdem hat er in den vergangenen zwei
Jahren, wenn ich mich recht erinnere, bei Großmeister-Turnieren keine Partie
mehr mit den schwarzen Steinen gewonnen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch:
Kramnik ist ein sehr starker Spieler, vielleicht versteht er von allen
Großmeistern am meisten vom Schach. Aber er ist kein Zocker. In einem Zweikampf
musst du dich manchmal auch in trübe Gewässer begeben. Kramnik jedoch scheut den
Dreck.
Abendblatt: Was hat Kramnik in diesem Match falsch gemacht?
Gustafsson: Ich bin überrascht, wie langsam und schlecht er Varianten
berechnet, und dass er einfache Fehler macht. Springer schlägt d4, sein 29. Zug
in der fünften Partie, war so einer. Kramnik hatte zu diesem Zeitpunkt noch 15
Minuten Bedenkzeit für elf Züge. Da darf ihm solch ein Patzer nicht unterlaufen,
wenn er Weltmeister werden will. Sein größtes Problem ist aber, dass er dauernd
in der Eröffnungsphase von Anands neuen Ideen überrascht wird. Das ist im
modernen Schach in der Regel tödlich. Du brauchst danach viel Bedenkzeit, um die
unbekannten Probleme zu lösen, und irgendwann fehlt dir dann in einer kritischen
Position diese Zeit - und du fängst an Fehler zu machen. Alle drei Partien, die
Kramnik verloren hat, hätte er nicht verlieren müssen. Er fing ausgerechnet dann
an zu patzen, als er die größten Schwierigkeiten hinter sich gelassen hatte.
Abendblatt: Kramnik und Anand haben sich mehr als ein halbes Jahr mit
ihren Sekundanten und ihren Computern auf dieses Match vorbereitet. Was hat
Anand besser gemacht?
Gustafsson: Anand hat den Faktor Mensch in seine Vorbereitung einbezogen.
Er hat Stellungen aufs Brett gebracht, deren Probleme vielleicht objektiv, aber
unter Zeitdruck nur sehr schwer zu lösen sind. Das ist ihm deshalb leicht
gefallen, weil er diese Art Schach schon immer zu spielen pflegte. Anand spielt
nicht unseriös, aber er ist schon bereit, sich auf Stellungen einzulassen, die
man zu Hause mit seinen Computern nicht ausanalysieren kann. Kramnik dagegen ist
ein Purist. Er will das perfekte Schach spielen, er hat aber dabei die
praktische Seite eines Wettkampfes unterschätzt. Deshalb wird es ihm in der
Vorbereitung auch kaum in den Sinn gekommen sein, Eröffnungsvarianten, die unter
Großmeistern seit langem als anrüchig galten, länger als nötig zu betrachten.
Anand jedoch scheint bei seiner Vorbereitung seinen Schwerpunkt vor allem darauf
gelegt haben, wie er Kramnik überraschen, wie er ihn aus dem Konzept bringen
kann. Seine beiden Schwarzsiege beruhen auf einer Variante im halbslawischen
Damengambit, die man in dieser Form unter Großmeister kaum noch spielte. Anand
hat diesem zwielichtigen Abspiel, das durch den Zug 8…a6 eingeleitet wird, neues
Leben eingehaucht und damit in der Praxis Erfolg gehabt. Was die Computer später
dazu sagen werden, steht auf einem anderen Brett.
Abendblatt: Das allein erklärt nicht Kramniks einfache Fehler.
Gustafsson: Kramnik musste sich auf unbekanntem Terrain bewegen, das
kostete ihm Zeit und Kraft. Entscheidender ist aber, dass er diese Art
Positionen gewöhnlich nicht spielt. Sein Blick geht mehr ins Strategische. Anand
fordert ihn aber in diesem Match, Zug für zu Zug alles ganz genau zu
kalkulieren. Natürlich beherrscht Kramnik auch diese Art Schach, doch ihm mag
vielleicht ein bisschen Übung auf diesem Feld fehlen. Anders ausgedrückt:
Kramnik liebt es - schachlich gesehen - im Mercedes Autobahn zu fahren, jetzt
muss er plötzlich mit einem Motorrad über Feldwege brettern. Da kann man bei
mangelnder Fahrpraxis schon mal stürzen.
Interview: Rainer Grünberg