ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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25 Jahre abgebrochener Wettkampf
Der Wettkampf wurde nach der von Bobby Fischer einst geforderten Regel auf
sechs Gewinnpartien gespielt. Der 21-jährige Kasparov begann den Wettkampf
sehr ungestüm und lag nach neun Partien mit 0:4 zurück. Dann änderte er
seine Wettkampfstrategie, adaptierte die Eröffnungen seines Gegners und
versuchte vor allem nicht mehr zu verlieren. Die folgenden siebzehn Partien
endeten allesamt remis. Kasparov verlor die 18.Partie, es folgten fünf
weitere Remis, dann begann das Blatt sich langsam zu wenden. Der
Herausforderer gewann die 32.Partie. Nach vierzehn weiteren Remis gewann
Kasparov die 47. und die 48.Partie. Dann brach der inzwischen herbei geeilte
Campomanes den Wettkampf ab und kündigte eine Wiederaufnahme beim Stand von
0:0 an.
Zu den Ereignissen in Zusammenhang mit dem Abbruch des Wettkampfes gibt es
voneinander abweichende Darstellungen, z.T. verbunden mit
Verschwörungstheorien, die ihren Ausgangspunkt aber in tatsächlich geschehen
Vorgängen haben.
Kasparov hat in zahlreichen Interviews und
in seinem Buch "Politische Partie" (Droemer, 1987) den Abbruch als Komplott
des von Karpow gesteuerten sowjetischen Schachverbandes und der von
Campomanes geführten FIDE gegen ihn beschrieb. Campomanes hat dies stets von
sich gewiesen. Raymond Keene hat in mehreren Artikeln eine Beschreibung der
Vorgänge gegeben. Schließlich hat Edward Winter eine Reihe von z.T. sich
selbst widersprechenden Äußerungen Beteiligter aufgelistet und versucht,
daraus eine Deutung zu gewinnen.
Im Video-Interview mit Frederic Friedel hat der heutige Ehrenpräsident der
FIDE seine Darstellung der Dinge noch einmal wiederholt und auch ein Buch
mit der "Wahrheit" angekündigt, das leider aber bisher nie erschienen ist.
Campomanes im Interview 2005 mit Frederic Friedel
Neues Licht auf die Angelegenheit wirft ein Artikel des russischen
Historikers Feltschinski, der den großen Einfluss des KGB in der Zeit der UdSSR auf
den Sport im Allgemeinen und das Schach im Besonderen beschreibt.
Nachdem das sowjetische Schach im Jahr 1972 den zuvor seit 1946 in ihren
Händen befindlichen Weltmeistertitel an Fischer verloren hatte, konnte es diesen mit
Hilfe des neuen Schachstars Anatoly Karpov 1975 zurück gewinnen. 1978 und noch einmal 1981
erfolgte die siegreiche Verteidigung vor neuerlichem feindlichem
Zugriff, in diesem Fall durch den Dissidenten Viktor Kortschnoi.
Karpov wurde zum neuen Schachhelden und gewann in der Folge großen Einfluss
innerhalb des Verbandes. Bei seinen Wettkämpfen und Turnieren konnte er auf
die Ressourcen des Verbandes und die Hilfe seiner sowjetischen
Großmeisterkollegen zurückgreifen. Wer sich nicht so verhielt wie gewünscht,
durfte z.B. nicht mehr an Turnieren im Ausland teilnehmen. Oder ihm wurden
die staatlichen finanziellen Zuwendungen gestrichen. Im Gegenzug für willfähriges
Verhalten wurden die kooperativen Großmeister damit belohnt, dass sie Karpov
auf dessen Turnierteilnahmen im Ausland, auch im Westen, begleiten und dort
auch
mitspielen durften. Übrigens hat keiner dieser "Begleitspieler" jemals auch
nur eine Partie gegen Karpov gewonnen.
Karpov erfüllte alle Voraussetzungen, die man in der UdSSR von einem "Held
der Arbeiterklasse" erwartete. Daher war der kometenhafte Aufstieg des
offenbar sehr talentierten Garry Kasparov aus Sicht des sowjetischen
Schachestablishments um Anatoly Karpov völlig "überflüssig". Hinzu kam,
dass Kasparov, eigentlich hieß er Weinstein, als Sohn eines Juden und einer
Armenierin in Baku geboren, viel weniger dem Idealbild des
Sowjetmenschen entsprach als der amtierende Weltmeister. Warum sollte er
Karpov
ersetzen? Dass Karpov laut Feltschtinski mit der Tochter eines KGB-Offiziers
verheiratet war, wird ihm in seinen Bemühungen wohl nicht geschadet haben.
Der russische Historiker vermerkt, dass Karpov auf der Agentenliste des KGB
mit dem Decknamen Raul geführt wurde.
Kasparov beschreibt in "Politische Partie", wie der staatlich gelenkte
Verband ihm auf den Weg zum WM-Match Knüppel zwischen die Beine warf. Ein
entscheidender Punkt war dabei der Wettkampf gegen Kortschnoj, der 1983 in
Pasadena stattfinden sollte.
Wegen der 1980 von den meisten westlichen
Ländern aufgrund der Afghanistan-Intervention durch die UdSSR boykottierten
Olympischen Spiele in Moskau hatte die Sowjetunion mit der USA
noch eine Rechnung offen und bewegte Kasparov dazu, diesen Wettkampf wegen
des Austragungsortes ebenfalls zu boykottieren. Es schien, als solle damit
auch der Dissident Kortschnoj getroffen werden, doch in Wirklichkeit
war Kasparov das Ziel der Intrige. So berichtet der russische
Historiker Juri Feltschtinski in "KGB igraet v shakhmaty" (KGB spielt
Schach), dass man den FIDE-Präsidenten Campomanes dazu bewegt hatte, unter
verschiedenen Bewerbern ausgerechnet Pasadena auszuwählen, um diesen
Austragungsort in den USA dann
um so leichter ablehnen zu können. Kasparov wäre damit aus dem Zyklus ausgeschieden und
könnte Karpov erst einmal nicht gefährlich werden.
Campomanes war laut Feltschtinski bereits seit dem Wettkampf zwischen
Karpov und Kortschnoj in Baguio City 1978 KGB-Agent. Das Angebot des Sowjets
damals wäre folgendes gewesen: Wenn Campomanes Karpov behilflich sein würde,
würde die UdSSR dafür sorgen, dass Campomanes mit Hilfe der Stimmen des
Ostblocks bei der nächsten Wahl zum FIDE-Präsidenten gewählt werden würde.
Zumindest der zweite Teil des vermeintlichen Abkommens kann leicht verifiziert
werden.
Kasparov bemerkte bald seinen Fehler
und u.a. mit Hilfe des in der KGB-Hierarchie weit oben stehenden Gaidar
Alijew - später erster Staatschef von Aserbaidschan - gelang es, den
Wettkampf mit Kortschnoj doch noch zustande kommen zu lassen. Kortschnoj,
eigentlich schon kampflos Sieger, stimmte einer Neuansetzung zu und erbat
für sich im Gegenzug u.a. die Aufhebung des Turnierboykotts durch die
Sowjetspieler.
Auf diese Weise qualifizierte sich Kasparov dann doch noch
als Herausforderer für den WM-Kampf, wusste aber, dass der Kampf gegen ihn
nicht nur am Brett geführt werden würde.
Die genauen Vorgänge um den Abbruch des WM-Kampfes 1984/1985 bleiben im
Dunkel. Gespielt wurde auf sechs Gewinnpartien, eine Regel, die noch Fischer
durchgesetzt hatte. Nach fünf Monaten und über 40 Partien machte sich die
internationale Presse schon lustig über den "ewigen" Schachwettkampf und
Karikaturen mit zwei Skeletten vor einem Schachbrett wurden gezeigt. Über
den vielleicht unterschiedlichen Erschöpfungszustand der beiden Spieler gibt
es verschieden Berichte. Edward Winter gibt einige detaillierte Hinweise (s.
Link, unten).
Offenbar hat dann Alfred Kinzel, Präsident des Deutschen Schachbundes und
Vorsitzender des Appeals-Committees Svetozar Gligoric gebeten, Campomanes
anzurufen. Einige hochrangige Vertreter der FIDE befanden sich gerade in
Dubai, um die Bedingungen der Schacholympiade 1986 abzuklären. Insbesondere
ging es um die Teilnahme der israelischen Mannschaft. Der Weltschachverband
stand wegen dieser Frage vor vor einer Spaltung, da etwa 40 Mitgliederländer
einen Boykott androhten, falls Israel von der Schacholympiade ausgeschlossen
werden würde (Letztlich wurde Israel ausgeschlossen und nur die Niederlande,
Schweden, Norwegen und Dänemark verzichteten deshalb tatsächlich ebenfalls
auf eine Teilnahme). Kinzel sprach selbst kein englisch, weshalb Gligoric
das Telefonat mit Campomanes führte.
Der 2004 verstorbene Kinzel war durchaus ein Vertrauter von Karpov und hat diesen auf viele Simultantourneen durch Deutschland begleitet.
Alfred Kinzel (re.), hier mit Alfred Seppelt in Berlin
Ob der Wunsch eines Abbruchs aus dem Lager von Karpov kam, ist aber völlig unklar, auch wenn das hier und da behauptet wurde. Manche sahen auch den sowjetischen Verband im Hintergrund, doch dafür gibt es ebenfalls keine Belege.
Kinzel hatte aber offenbar auch schon mit
Kasparov über eine mögliche Lösung des "ewigen" Wettkampfes gesprochen,
verschiedene Möglichkeiten waren diskutiert worden. Schließlich erschien
Campomanes und auf einer denkwürdigen Pressekonferenz erklärte er den
Wettkampf für abgebrochen und kündigte eine Wiederaufnahme beim Stand von
0-0 an.
Manche sahen durch die Entscheidung Karpov in Vorteil gesetzt, da dieser
angeblich an großer Erschöpfung gelitten haben sollte und die letzten beiden
Partien ja schon verloren hatte. Andere sahen Kasparov bevorzugt, da der
Kampf ja nicht beim aktuellen Stand von 3:5 fortgesetzt werden würde,
sondern mit 0:0 neu beginnen würde.
Klar ist, dass Campomanes mit seiner Entscheidung, die er letztlich alleine
und laut eigenere Anagabe spontan traf, gegen das Reglement der FIDE
verstoßen hatte. Ein Wettkampfabbruch war dort nicht vorgesehen. Kasparov
äußerte sich in der Folge sehr kritisch. Der Konflikt mit Campomanes führt
am Ende zur Spaltung der Weltmeisterschaften 1993. Erst 2005 konnten die
beiden Weltmeisterschaftsversionen wieder zusammen geführt werden.
Links:
Edward Winter zum "Abbruch" (engl.)...
"Lächerliche Figur" Spiegel zum Abbruch der WM (18.2.1985)...
Spiegel-Gespräch mit Kasparov, 1985...
Spiegel-Gespräch mit Kasparow, 1986...
Spiegel-Gespräch mit Kasparow 1987...
Der Schachverband war Karpows Firma, Spiegel, 1987...
Spiegel Gespräch mit Nikolai Krogius, 1988...
Wie Kasparov Weltmeister werden durfte, ChessBase 2005...