60 Jahre und Geburtstag mit Karpow!
Interview mit Dagobert Kohlmeyer
Er gehört zu Deutschlands bekanntesten Schachjournalisten und ist den Großen der
Szene seit vielen Jahren weltweit auf den Fersen. Auch für ChessBase News. Am
Dienstag (23. Mai) feiert Dagobert Kohlmeyer in Berlin seinen 60. Geburtstag. Im
folgenden Gespräch lernen Sie den Großmeister der Feder und der Bildes etwas
näher kennen.
Wann und wie bist Du in die Schachjournalistik eingestiegen?
Vor 25 Jahren. Mein erster Artikel in der Zeitschrift „Schach“ erschien im
Frühjahr 1981. Es war ein Bericht über das 1. Kurt-Richter-Gedenkturnier in
Berlin, an dem ich auch teilnahm.
In welchen Bereichen der Schachpublizistik bist Du tätig? Was waren Deine
wichtigsten Veröffentlichungen?
Mein Trumpf ist wohl die Vielseitigkeit. Ich reise zu den Top Events, schreibe,
übersetze Schachtexte aus dem Russischen ins Deutsche und fotografiere. In den
vergangenen zwei Jahrzehnten habe ich an mehr als 40 Schachbüchern als Autor,
Herausgeber bzw. Übersetzer mitgewirkt. Mein erstes Schachbuch, das ich
übersetzte, hieß „Erfolgreich eröffnen“ von Alexej Suetin. Das war 1986 für den
Sportverlag Berlin. Später kamen andere Autoren und auch Verlage der alten
Bundesrepublik dazu.
Wann war das?
Noch zu DDR-Zeiten. Der Rau Verlag in Düsseldorf suchte einen qualifizierten
Übersetzer für eine Karpow-Reihe. Es waren vier Bände über Eröffnungen. Das
öffnete die Tür nach dem Westen. Andere bekannte Verlage wie Beyer und die
Edition Olms folgten.
Welches sind die wichtigsten Schachbücher aus deiner Feder?
Am gelungensten halte ich „Wie schlägt man den Weltmeister“ (Insel/Suhrkamp,
Frankfurt/Main 1995). Darin werden Kasparows Karriere und seine Verlustpartien
wie in einem Brennspiegel gezeigt. Das Buch ist längst vergriffen. Ich mag auch
„Sizilianisch pur“ (Bock und Kübler 1995). Dort geht es über das Thematurnier
der Weltelite 1994 in Buenos Aires. Ganz brauchbar erscheint mir „Weltmeister
lehren Schach“, das 2004 im Beyer Verlag herauskam. Dort werden erstmalig alle
Weltmeister von Steinitz bis Ponomarjow in einem Band vorgestellt.
Und von den Übersetzungen?
… würde ich „Mein Leben für das Schach“ von Viktor Kortschnoi herausheben, das
vor zwei Jahren in der Edition Olms erschien. Es ist ja kein reines Schachbuch,
sondern mehr ein Prosatext. Das war eine echte Herausforderung und stellte hohe
Anforderungen. Hinzu kam noch, dass die Zusammenarbeit mit Viktor Lwowitsch und
seiner Frau Petra nicht eben leicht war.
Wie viele Turniere und WM-Kämpfe hast Du direkt verfolgt? Was waren die
Höhepunkte in Deinem Schaffen?
Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Seit 1990 fahre ich zu Schacholympiaden
und Weltmeisterschaften. Höhepunkte waren zum Beispiel das Match Kasparow -
Anand in New York, woraus auch ein Buch („Duell in den Wolken“) wurde, die
Schach-Knockout-WM in Las Vegas und Neu Delhi sowie die Olympiade 2000 in
Istanbul, wo das Herrenteam des DSB Silber holte.
Wie hast Du das einzigartige Foto der Türme des inzwischen zerstörten World
Trade Centers in New York gemacht, so dass es auf den Einband deines Buchs
passte?
Mit einem normalen Objektiv konnte man das riesige Gebäude nicht aufnehmen. Also
ging ich in einen Photoshop auf der Fifth Avenue und kaufte mir ein sehr teures
Weitwinkel-Objektiv. Es kostete um die 800 Dollar. Dass dieses Foto einmal
Seltenheitswert bekommen würde, ahnte ich damals nicht. Wer konnte vorhersehen,
dass das World Trade Center nicht mehr lange stehen würde. Übrigens begann das
Match zwischen Garri und Vishy am 11. September 1995, also auf den Tag genau
sechs Jahre vor dem Terrorangriff.
Was hat sich in den letzten 20 Jahren in der Schachszene verändert?
Eine Menge. Große Persönlichkeiten wie Botwinnik, Najdorf oder Unzicker leben
nicht mehr.
Die heutige Generation spielt ein anderes Schach, das vom Computer
geprägt ist. Leider wird das meiste schon in häuslicher Vorbereitung erledigt
und am Brett mitunter zu wenig gekämpft. Viele Großmeister kommen (außer bei
WM-Duellen) in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen ans Brett. Das war früher
undenkbar. Irgendwann wird es Schach-Wettkämpfe vielleicht nur noch im Internet
geben.
Glaubst Du an das Vereinigungsmatch zwischen Topalow und Kramnik?
Im Prinzip ja, obwohl wir von der FIDE schon viele Absagen erlebt haben. Aber
mein Optimismus gründet sich darauf, dass es eine taktische Maßnahme
Iljumschinows war, um als FIDE-Präsident wiedergewählt zu werden. Dann muss er
es auch durchführen, und wir haben endlich einen einzigen Schachkönig.
Was müsste sich in der Schachpublizistik verändern? Welches sind Deine
nächsten Ziele oder Projekte? Gibt es bald ein Buch über Deine spannendsten
Berichte?
Ich bedaure es, dass Schach in unserer Tagespresse nicht den Stellenwert hat wie
in anderen Ländern, zum Beispiel in Russland. Was meine eigenen Erlebnisse als
Schachreporter angeht, so könnte ich sicher einen Roman schreiben. Aber das muss
noch warten. So ein Buch wird es vielleicht später geben. Erst einmal denke ich
an meine Arbeit bis zur Olympiade 2008 in Dresden, dann sehen wir weiter.
Was ist bis dahin geplant?
Der DSB hat eine Arbeitsgruppe gebildet. Wir wollen im Vorfeld der Olympiade mit
gezielten Beiträgen in vielfältiger Form auf das Thema Schach in Deutschland
aufmerksam machen. Dresden wird eine ausgezeichnete Olympiade veranstalten, da
bin ich sicher. Schon nächstes Frühjahr gibt es dort für Dirk Jordan und sein
Team mit der Europameisterschaft von Männern und Frauen die Generalprobe.
Mit welchen Großmeistern bist du gut bekannt oder gar befreundet?
Es sind sehr viele. Der Platz reicht hier nicht aus, um alle zu nennen. Es
begann in der DDR, wo ich häufig unsere Spitzenleute Wolfgang Uhlmann, Rainer
Knaak, Lothar Vogt und andere bei Turnieren traf und interviewte.
Nach dem Mauerfall erweiterte sich der Horizont auf einmal beträchtlich…
Du sagst es. In den vergangenen 16 Jahren war ich in etwa 50 Ländern der Erde
bei Schachevents. Dabei habe ich viele interessante Persönlichkeiten getroffen
und manche Großmeister buchstäblich heranwachsen sehen. Etwa Peter Leko, der
schon als Elfjähriger in Dortmund spielte und Tränen in den Augen hatte, wenn er
verlor. Oder Wladimir Kramnik, der mit 16 nach Deutschland kam und fünf Jahre
lang in meinem Berliner Schachklub in der Bundesliga aktiv war. Ich erlebte ihn
in vielen Teilen der Welt, darunter bei seinem Computermatch in Bahrain.
Hast du Lieblingsgroßmeister?
Wen soll man bei dieser Vielzahl herausheben? Ich habe einen guten Draht zu
allen Generationen. Angefangen vom 95-jährigen Andrej Lilienthal,
über Wassili
Smyslow, Mark Taimanow, Wolfgang Uhlmann, Boris Spasski oder Lajos Portisch und
das „Mittelalter“ wie Anatoli Karpow, Artur Jussupow, Smbat Lputjan bis zu den
heutigen Schachhelden Weselin Topalow, Vishy Anand, Wladimir Kramnik oder Peter
Leko. Sehr angenehm ist auch die Zusammenarbeit mit Boris Gelfand, Viorel
Bologan, Levon Aronian, Loek van Wely, Joel Lautier, Ruslan Ponomarjow oder dem
jungen Sergej Karjakin. Von mir verehrte Schachdamen spielen unter deutscher,
russischer, georgischer und chinesischer Flagge. Liebe Großmeisterinnen und
-meister, die ich hier nicht nannte, vergebt mir!
Was war dein markantestes Erlebnis als Reporter?
Ein Highlight war sicher 1992 das Re-Match zwischen Bobby Fischer und Boris
Spasski in Restjugoslawien. Es begann in Sveti Stefan/Montenegro, mitten im
Krieg. Nebenan in Bosnien fielen Bomben. Teil 2 fand in Belgrad statt. Fischer
gewann nach 30 Partien. Seither bin ich auch dpa-Korrespondent für Schach.
In Jugoslawien war Krieg. Wagten sich viele Medienvertreter dorthin?
Nein, ihre Zahl hielt sich in Grenzen. Ich war der einzige deutsche Journalist
an beiden Schauplätzen. Zu ausländischen Fachkollegen, die damals mit vor Ort
waren, habe ich bis heute freundschaftliche Kontakte: Andre Behr (Tagesanzeiger
Zürich), Juri Wassiljew (Sport Express, Moskau), Dirk Jan ten Geuzendam (New In
Chess, Niederlande). Die Erlebnisse von damals kann uns keiner nehmen. Ich habe
sie auch in Buchform verarbeitet.
Wie verhielt sich Fischer?
Im Gegensatz zum ruhigen Spasski war er sehr exzentrisch, wie man es von ihm
kennt. So ließ er eine Glasscheibe zwischen Zuschauerraum und Bühne einziehen.
Fotos durften nur aus 30 Meter Entfernung ohne Blitz gemacht werden. Der Saal
wurde verdunkelt. Bobby wollte die Leute beim Spielen nicht sehen. Zu
Pressekonferenzen mussten Fragen schriftlich eingereicht werden. Nicht genehme
Fragen ließ der Amerikaner unbeantwortet.
Wohin gehen deine nächsten Reisen als Reporter?
Nach dem Mobitel-Turnier in Sofia folgt die Schacholympiade in Turin, danach das
Sparkassen Chess Meeting in Dortmund. Die Revierstadt ist so etwas wie meine
zweite Heimat. Meine Tante lebte dort. Im Herbst stehen der Vereinigungskampf
Topalow- Kramnik in Elista sowie Wladimir Kramniks Match gegen das
ChessBase-Programm Deep Fritz in Bonn auf meinem Terminkalender.
Schachjournalisten gelten manchmal als einseitig. Trifft das auf Dich zu?
Eigentlich nicht. In meiner Jugend studierte ich Germanistik/Slawistik, daher
die Russischkenntnisse. Ich habe viel für Kunst und Kultur übrig und früher in
einer Rockgruppe Schlagzeug gespielt. Immer habe ich mich bemüht, über den
Tellerrand des Schachs hinauszusehen. Mein Herz schlägt u.a. auch für die
Leichtathletik. Von Heike Drechsler bis Carl Lewis habe ich alle Großen der
Zunft interviewt und im Bild festgehalten. Auch Schach spielende Politiker wie
Richard von Weizsäcker und Otto Schily gehörten zu meinen Gesprächspartnern.
Michail Gorbatschow lernte ich 1998 am Rande des WM-Finales Karpow - Anand in
Lausanne kennen.
Wer ist Dagobert Kohlmeyer?
Der Sohn eines Geigenbauers und einer einzigartigen Fürsorgerin. Vielleicht bin
ich um drei Ecken verwandt mit dem Fußballer Werner Kohlmeyer. Er war
Verteidiger in der deutschen WM-Wunder-Elf von Bern 1954. Und er stammte wie
mein Vater aus Kaiserslautern.
Dein Geburtstag fällt auf den 23. Mai. Als Schachkenner muss man da prompt an
Anatoli Karpow denken…
Es ist schon merkwürdig, dass wir am gleichen Tag Geburtstag haben. Aber das ist
nicht die einzige Gemeinsamkeit. Karpows verstorbener Vater hieß Jewgeni, mein
verstorbener Vater Eugen. Also die gleichen Namen. Unsere beiden Mütter leben
glücklicherweise noch.
Und welche Unterschiede gibt es zwischen euch?
Die liegen auf der Hand: Anatoli ist fünf Jahre jünger als ich. Er spielt besser
Schach. Er hat mehr Geld auf seinem Bankkonto.
Interview: Klaus Kapr