Aljechin und das NS-Regime: Eine Untersuchung von Dr. Christian Rohrer

von Johannes Fischer
19.11.2021 – Als Schachspieler war Alexander Aljechin brillant, aber seine Biografie enthält eine Reihe dunkler Flecken. Besonders seine Nähe zu den Nazis hat den Ruf des vierten Weltmeisters der Schachgeschichte nachhaltig beschädigt. Wie und wie sehr sich Aljechin den Nazis angedient hat, untersucht der Schweizer Historiker und Schachspieler Dr. Christian Rohrer in der lesenswerten Online-Publikation "Schachweltmeister und Günstling von Hans Frank? Über die Nähe Alexander Aljechins zum NS-Regime".

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1939, vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, war die Welt für Alexander Aljechin noch und wieder in Ordnung. 1937 hatte er den Weltmeistertitel, den er nach seiner überraschenden Niederlage im Weltmeisterschaftskampf 1935 gegen Max Euwe verloren hatte, durch einen Sieg im Revanchematch gegen Euwe wieder zurückerobert.

Aljechin 1935, beim WM-Kampf gegen Euwe

Aljechin lebte in Frankreich, war angesehen, wohlhabend und mit Grace Wishaar, einer amerikanischen Künstlerin, die von ihrem verstorbenen ersten Mann ein Vermögen geerbt hatte, verheiratet.

Bei der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires spielte Aljechin für Frankreich und erzielte mit 12,5 aus 16 (78%) das beste Ergebnis am ersten Brett, knapp vor Paul Keres (14,5/19, 76%) und seinem alten Rivalen Capablanca, der 11,5/16 (72%) holte. Doch während der Olympiade, am 1. September 1939, überfielen deutsche Truppen Polen und damit begann der Zweite Weltkrieg, der Aljechins Leben grundlegend verändern sollte.

Eine ganze Reihe von Schachspielern – von denen Miguel Najdorf der wohl bekannteste ist – blieben nach Ende der Olympiade in Argentinien und bauten sich dort ein neues Leben auf. Aber Aljechin reiste nach Europa zurück und diente bis 1940 in der Französischen Armee. Auch während der Olympiade in Buenos Aires hatte Aljechin keine Sympathien für das deutsche Regime erkennen lassen und Spieler der deutschen Mannschaft hatten sich sogar über die feindselige Haltung des Weltmeisters ihnen gegenüber beklagt.

Doch nach den raschen und umfassenden militärischen Erfolgen der Deutschen zu Beginn des Krieges, änderte Aljechin sein Verhalten. Laut Rohrer verfolgte er eine "Doppelstrategie", um seinen Status als Weltmeister und bester Spieler der Welt zu behalten und seinen Lebensstandard zu wahren. Nachdem er einem möglichen Rückkampf gegen Capablanca, den er beim Weltmeisterschaftskampf 1927 in Buenos Aires überraschend geschlagen hatte, vorher systematisch aus dem Weg gegangen war, nahm er jetzt Kontakt zu Capablanca auf, um einen solchen Rückkampf zu organisieren. Aljechin hoffte auf einen Wettkampf in Südamerika mit einem hohen Preisfonds, denn dann hätte er Europa zusammen mit seiner Frau verlassen und mit dem Geld aus dem Wettkampf einen Neuanfang machen können.

Doch die Verhandlungen mit Capablanca verliefen im Sande und so konzentrierte sich Aljechin auf den anderen Teil seiner Doppelstrategie: Er diente sich den Nazis an, die Paris im Juni 1940 besetzt hatten. So veröffentlichte er 1941 in der Pariser Zeitung, einem Propagandaorgan der Deutschen, eine Artikelserie über "Jüdisches und Arisches Schach", in der er die Nazi-Ideologie unter Verwendung zahlreicher antisemitischer Klischees und einer groben Verzerrung schachgeschichtlicher Fakten auf das Schachspiel überträgt. Spätere Versuche Aljechins, sich von dieser Artikelserie zu distanzieren, sind, wie Rohrer erklärt, wenig überzeugend.

"Aljechin trägt, ob nun jedes Wort von ihm stammt oder nicht, die Verantwortung für diese Artikel. Sie erschienen unter seinem Namen in der deutschsprachigen Presse und konnten dort mit dem Gewicht seines Namens ihre Wirkung entfalten. Dass die Artikel gegen Aljechins Willen erschienen, halte ich für ausgeschlossen. Aljechin selbst brüstete sich im September 1941 in spanischen Zeitungen mit seiner Behandlung des Schachs vom ‚Rassestandpunkt’ aus." ("Aljechins Doppelstrategie: Ein Interview mit Christian Rohrer", Karl, 01/2021, S. 53)

1941 spielte Aljechin ein Turnier im von den Deutschen besetzten Krakau in Polen und kam dabei in Kontakt zu einer Reihe von Nazigrößen, allen voran Hans Frank, dem Generalgouverneur von Polen. Als Generalgouverneur war Frank maßgeblich für die Verfolgung und Ermordung von Millionen von Juden verantwortlich und nach dem Krieg wurde er im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet.

Frank war ein großer Schachliebhaber und unterhielt eine durchaus freundschaftliche Beziehung zu Aljechin, dem sein Kontakt zu Frank zu einer gut bezahlten Anstellung beim "Institut für Deutsche Ostarbeit", kurz IDO, verhalf. Aljechin erhielt umgerechnet 1.000 Reichsmark pro Monat und Rohrer zufolge bekam er mit diesem Gehalt mehr als 98% der Deutschen damals verdient haben. Außerdem verfügte Aljechin noch über die Möglichkeit, sich durch Simultanveranstaltungen, Honorare für Bücher und Artikel sowie Antritts- und Preisgelder bei Turnieren zusätzliche Einnahmen zu sichern.

Doch als sich die Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, verließ Aljechin im Oktober 1943 das Gebiet des Deutschen Reichs und ging nach Spanien, das von den Faschisten unter Franco regiert wurde, aber nicht in Kampfhandlungen verstrickt war. Materiell hatte Aljechin weiterhin keine Sorgen, aber dafür plagten ihn gesundheitliche Probleme. Wie Rohrer berichtet, hatte sich Aljechin 1943 nach Anzeichen geistiger Verwirrung in eine psychiatrische Heilanstalt begeben und auch in der Zeit danach ging es mit ihm weiter bergab. Als Aljechin 1945 von Spanien nach Portugal zog, litt er unter Geldnot, gesundheitlichen Problemen und war in der Schachwelt durch seine Nähe zu den Nazis geächtet und wurde kaum zu Turnieren eingeladen. Aljechin starb am 24. März 1946 als immer noch amtierender Weltmeister in einem Hotel in Estoril in Portugal.

Der tote Aljechin

Der hier kurz skizzierte Lebensweg Aljechins während des Zweiten Weltkriegs und vor allem Aljechins Verhältnis zu den Nazis untersucht Rohrer in seinem Artikel sorgfältig, detailliert und spannend. Gestützt auf Nachforschungen in Archiven in ganz Europa kommt Rohrer zu einer Reihe neuer Erkenntnisse über das Schicksal und die Persönlichkeit Aljechins (so erfährt man unter anderem, dass Aljechin in Paris zusammen mit Ossip Bernstein Mitglied einer Freimaurerloge war und sich seinen Doktortitel ohne eine Promotion geschrieben zu haben, einfach selbst verliehen hat) und liefert dabei zugleich ein mustergültiges Beispiel, wie die Beschäftigung mit Schachgeschichte helfen kann, Einblicke in größere historische Zusammenhänge zu gewinnen.

Master Class Band 3: Alexander Aljechin

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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