Anands schwieriger Kampf

von ChessBase
14.04.2009 – Für Weltmeister Anand ist es keine einfache Angelegenheit, wenn er am 1. Brett der Bundesliga gegen einen um 180 Punkte leichteren Spieler mit den schwarzen Steinen anzutreten hat, da ist der Zwang zu gewinnen schließlich noch etwas höher. Beim Kampf gegen Solingens Daniel Stellwagen meisterte er diese Aufgabe mit Bravour. Die zur Diskussion stehende Variante hatten unsere Autoren Evgeny Postny und Igor Stohl in ihren Beiträgen für CBM 117 behandelt. Den vom jungen Holländer gewählten Zug 13.Lb5 nennt der eine pittoresk und der andere spektakulär, aber beide verweisen auf das forcierte Remis nach 13…hxg5. Mehr …

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Doch natürlich wählte Anand „die kämpferische Alternative 13…axb5“ (Stohl) und obwohl er von der Varianten überrascht wurde, erhielt er bald einen Vorteil. Allerdings setzte sich der junge Holländer zäh zur Wehr und hätte in Zeitnot sogar eine Gewinnstellung herbeiführen können. So gesehen war seine Variantenwahl vielleicht doch nicht so schlecht. Postny und Stohl setzen sich in ihren Beiträgen jedoch vor allem mit dem ehrgeizigeren 13.Lh4 auseinander.

Partie: Stellwagen,D - Anand,V 0-1

weiterführende Links:

Kasparov: How to play the Najdorf Vol. 1
King: Power Play 9 - Schwerfiguren gegen Leichtfiguren
Anand: My career 1 und My career 2
CBM 117

Kurzbeschreibung der Beiträge im Heft von CBM 117:
Beitrag Stohl
Beitrag Postny

Hier folgen die Passagen von Stohl bzw. Postny die Einleitung und 13.Lb5 betreffend:

Von Igor Stohl

In letzter Zeit gab es einige interessante neue Partien, welche die anscheinend ruhigen theoretischen Gewässer der berüchtigten Bauernraubvariante des Najdorfs aufgewühlt haben. Doch um diese Entwicklungen in ihrem richtigen Kontext zu verstehen, bedarf es einer historischen Erklärung von einiger Länge. Dies liegt daran, weil in diesem sehr konkreten Abspiel auch ältere Partien relevant sind und notwendig, um den ihm zugrunde liegenden taktischen Gehalt zu erfassen.

Es ist mehr als 50 Jahre her, dass der Damenausfall 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lg5 e6 7.f4 Db6!? in der internationalen Praxis zu erscheinen begann. Die überwiegende Reaktion von Weiß war anfangs das prinzipielle Bauernopfer 8.Dd2 Dxb2 9.Tb1 Da3, gefolgt von dem Zentrumsdurchbruch 10.e5!?. Die Idee ist sehr natürlich; Weiß versucht, die Stellung aufzusprengen, um seinen Entwicklungsvorsprung geltend zu machen.

Einer der ersten, der sich auf die Seite von Schwarz schlug, war Alexander Tolush, ehemaliger Trainer des zukünftigen Weltmeisters Boris Spassky und Großmeister mit einem scharfen Blick für taktische Komplikationen. Er begriff, dass um die Stellung geschlossener zu halten, Schwarz selbige zumindest teilweise öffnen sollte, und zwar mit 10...dxe5 11.fxe5 Sfd7. In Tal,M - Tolush,A 1-0 reagierte eine weitere zukünftige Legende mit 12.Se4. Dieser Zug und die gesamte brillante Angriffspartie sind eine gute Illustration des Stils des jungen Tals, einst humorvoll so beschrieben: "Erst zentralisiert er seine Figuren, dann opfert er sie". Tals Idee, angereichert mit neuem Inhalt, wird das Hauptthema dieser Übersicht darstellen.

Zwei Jahre nach seiner Partie mit Tal eilte Tolush zur Rettung dieses Abspiels, und zwar mit 12...h6!.

Obwohl 12.Se4 aus dem Rampenlicht wich, hat es auch in diesem Abspiel einige Aufregung gegeben, als Weiß nach 12...h6 das überraschende und pittoreske 13.Lb5!? entkorkte.

Doch auch mit diesem Ausfall kam Schwarz zurecht. Zunächst einmal kann er praktisch ein Remis forcieren mit 13...hxg5 14.Tb3 Dxa2 (hier ist 14...axb5 15.Txa3 Lxa3 16.Dxg5 ziemlich riskant, siehe Quinteros,M - Browne,W ½-½) 15.Dc3 axb5 (vielleicht sogar 15...Sc6 16.Lxc6 bxc6 17.0-0, und jetzt verdient nicht 17...c5? aus Sieiro Gonzalez,L - Vera,R 0-1, sondern 17...Sxe5!? wie in Quinteros,M - Sunye Neto,J 1-0 nähere Betrachtung.) 16.Dxc8+ Ke7 17.0-0 Da7 18.Td3! Sxe5!, und jetzt sollte Weiß 19.Sc5 (19.Txf7+?! aus Papp,G - Womacka,M ½-½ reicht nicht aus) spielen mit Dauerschach wie in Shabalov,A - Areshchenko,A ½-½.

Davon abgesehen verdient sogar die kämpferische Alternative 13...axb5!? 14.Sxb5 hxg5 15.Sxa3 Aufmerksamkeit, wonach beide Schlagmöglichkeiten auf a3 spielbar und unklar sind. Die relevanten Beispiele sind Garbarino,R - Saldano Dayer,H ½-½, Platonov,I - Minic,D ½-½ und Vogelmann,P - Loeffler,W 0-1, und letztere Partie zeigt, dass Schwarz sogar mehr als nur Ausgleich anstreben kann.

Von Evgeny Postny

Thema des aktuellen Artikels ist die folgende Variante: 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Lg5 e6 7.f4 Db6 8.Dd2 Dxb2 9.Tb1 Da3 10.e5

Die Geschichte der Najdorf-Variante reicht in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. Das Abspiel mit 6.Lg5, gefolgt von dem Bauernopfer 8.Dd2 , war der echte Prüfstein für die Schwarzspieler. Das aggressivste Abspiel, 10.e5, genoss in den 50er-60er Jahren große Beliebtheit. Doch Schwarz gelang es, sich erfolgreich zu verteidigen, vor allem dank

Bobby Fischer, der es fast jedesmal, wenn er sich der 6.Lg5-Variante gegenüber sah, wagte, die Herausforderung anzunehmen. Er gewann in den Sechzigern mehrere überzeugende Partien. Danach verlor das Bauernopfer allmählich seinen Reiz und wurde in Topturnieren ein ziemlich rarer Gast. Es ist leicht zu sehen, dass in den letzten Jahrzehnten das Abspiel 6.Lg5 aufs theoretische Nebengleis geschoben und durch den Englischen Angriff 6.Le3 und 7.f3 ersetzt wurde.

Aber erst vor wenigen Monaten wurde das Interesse an der Bauernraubvariante wiedererweckt, und zwar nach zwei  vernichtenden Siegen Teimour Radjabovs, einem der gegenwärtig weltbesten Spieler. Besonders beeindruckte mich dabei sein Erfolg über Sergey Karjakin, der bekannt ist für seine ausgezeichnete Eröffnungsvorbereitung.

Der Zug 10.e5 ist eine sehr logische Entscheidung, der Verteidigungsspringer wird vertrieben. Weiß versucht, seinen Entwicklungsvorsprung dazu zu nutzen, sofort die Stellung aufzusprengen und den entblößten schwarzen Monarchen zu attackieren. Konkret öffnet dieser Zug die d-Linie und exponiert das Feld d8 für potentielle Mattdrohungen. Zudem wird, nach dem Rückzug des schwarzen Springers, das wichtige e4-Feld frei für den weißen Springer, der sich in den Angriff einschalten kann.

Allerdings ist der Zug 10.e5 auch verpflichtend. Falls Schwarz es schafft, seine Entwicklung friedlich abzuschließen, könnte er am Ende einfach mit Mehrmaterial verbleiben. Darum muss das Spiel von Weiß extrem präzise und konkret sein.

10...dxe5 11.fxe5 Sfd7

12.Se4

Dies ist der Zug, an dem sich heutzutage die Gemüter erhitzen. Die Haupterwiderung lautet 12...h6 (12...Dxa2 13.Tb3 - siehe Tal,M - Tolush,A 1-0, während 13.Td1 h6 14.Lh4 zum unten untersuchten Hauptabspiel führen kann).

13.Lb5!?

Ein spektakulärer Zug. Ich kann die Weißspieler nur bedauern, dass dieser Zug... lediglich zu Dauerschach führt, nahezu forciert. Eine Musterpartie ist Shabalov,A - Areshchenko,A ½-½. Versuche für Weiß wie für Schwarz, das Dauerschach zu vermeiden und auf Gewinn zu spielen, funktionieren nicht, wie in den Partien Quinteros,M - Browne,W ½-½ und Papp,G - Womacka,M ½-½.


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