Johannes Fischer: Dein Buch trägt den Titel "Die Wege des sechsten Tages".
Was hat es mit diesem Titel auf sich?
Martin Weteschnik: Das Buch berichtet über eine entscheidende Woche im Leben der
Hauptfigur. Jedem Wochentag in dieser Geschichte ist ein Kapitel zugeordnet und
am sechsten Tag kommt es dann zu einem Höhepunkt der Erzählung. Doch grundsätzlich
soll der Titel einfach Interesse wecken. Allerdings klingen im Titel auch schon
Motive des Romans an: Das Buch handelt davon, wie ich Wege bei der Suche nach Antworten
auf existenzielle Fragen des Lebens finde.
Martin Weteschnik: Ein Mann macht sich auf den Weg
Sowohl Schach als auch Tai Chi spielen im Buch eine große Rolle. Warum?
Nun, ich wollte einfach die Schachszene beschreiben. Und eine Aussage des Buches
lautet, dass der Weg zum Selbst nicht unbedingt über Yoga oder Tai Chi führen
muss, sondern dass im Prinzip jede Sache, die man richtig macht, zu Selbsterkenntnis
führen kann. Schach und Tai Chi sind zwar die Hauptthemen des Buches, aber es
geht zugleich um grundlegendere Dinge - die Kunst, Antworten zu finden.
Wie könnte denn diese Suche beim Schach aussehen?
Jeder, der Schach spielt, weiß, welche Bedeutung mentale und psychologische Aspekte
dabei haben. Wie kann ich Ziele verwirklichen, wie kann ich mein Talent nutzen,
wie kann ich meine Schwächen überwinden? Und die Arbeit an seiner Persönlichkeit
führt tatsächlich oft zu praktischen Erfolgen. Zudem glaube ich, alle großen Persönlichkeiten
können ihr Ich hinter sich lassen und sich einer Sache ganz hingeben.
Warum haben so viele Schachspieler und Sportler dann so große Egos?
Nun, man kann Schach als spirituellen Weg nutzen, aber es kommt darauf an, wie
man mit dem Schach und mit sich selbst umgeht. Beim Schach besteht die Gefahr,
dass die Persönlichkeit nicht generell, sondern nur punktuell weiter entwickelt
wird. Und ich glaube, die klassischen spirituellen Traditionen sind tatsächlich
besser geeignet, um das Ego aufzulösen. Um es mit den Worten einer meiner Romanfiguren
auszudrücken: "Das Schach ist vielleicht der Weg zum Berg, aber nicht unbedingt
der Weg zum Gipfel." Allerdings behaupte ich, dass jeder seinen Weg finden kann
und viel, viel mehr entdecken kann, als man gemeinhin glaubt.
Welcher Weg führt zum Gipfel?
Und der Roman zeigt, wie das geht?
Ja. Ich möchte einfach einen Anstoß geben. Ich habe mich über 30 Jahre mit diesen
Dingen beschäftigt, ich praktiziere seit Jahren Tai Chi, ich habe lange Jahre
Meditation praktiziert, unter anderem eine Zeit in Japan. Die Erfahrungen, die
ich hierbei gesammelt habe, versuche ich in dem Roman zu zeigen.
Wie bist Du denn auf die Idee verfallen, einen Roman zu schreiben?
Er entstand eigentlich aus einer Kurzgeschichte. Irgendjemand hat gemeint, daraus
könnte man vielleicht mehr machen. Dann habe ich mir meine Biographie und die
innere Welt, mit der ich mich beschäftige, angeschaut, und mir gedacht, nun gut,
ich will nicht einfach meine Welt transportieren, sondern darauf aufmerksam machen,
dass jedem die innere Welt zugänglich ist. Insgesamt habe ich etwa vier Jahre
an dem Buch geschrieben. Am Anfang fiel es mir besonders schwer, einen Stil und
eine Erzählstimme zu finden. Das hat Jahre gedauert. Manche Passagen habe ich
40 bis 50 Mal überarbeitet. Der Inhalt war kein Problem. Ich wusste, was ich schreiben
wollte. Wenn man sich 30 Jahre oder und mehr mit bestimmten Dingen beschäftigt
hat, weiß man, was man sagen will. Schwierig für mich war es, ein stilistisch
gutes Buch zu schreiben. Und nachdem ich bereits eine Reihe von Schachbüchern
und Schach-CDs geschrieben hatte, wollte ich meine Erfahrungen in einer unterhaltsamen
Form veröffentlichen - nicht als Sachbuch, sondern als Erzählung. Ich wollte ein
breites Publikum erreichen und nicht nur über Schach schreiben. Allerdings ist
Schach, wie alle anderen Themen im Buch auch, so erklärt, dass auch jemand, der
noch nie Schach gespielt oder Tai Chi praktiziert hat, verstehen kann, worum es
geht. Andererseits ist auch für Fachleute genug dabei. So hat mein Tai Chi Lehrer
das Buch sehr gerne gelesen, genau wie viele Schachspieler.
Mir erschien das Buch, wie ich zugeben muss, stark lehrbuchartigen Charakter
zu haben, eine Mischung aus Roman und Sachbuch zu sein.
Auf jeden Fall. Das Buch möchte ja auf unterhaltsame und leicht lesbare Art grundlegende
Fragen, Wege und Methoden behandeln, was natürlich erfordert, dass man einen systematischen
Einblick in sie bekommt.
Kann man mit Hilfe des Buches Schach lernen?
Zumindest kann man sich der Faszination des Schachs nähern. Generell zeigt das
Buch, wie man sich bestimmten Dingen und Gebieten nähern kann. Ganz wichtig scheint
mir dabei Regelmäßigkeit zu sein. Wer jeden Tag übt, lernt jeden Tag dazu und
lernt jeden Tag mehr über sich.
Du spielst Schach, du praktizierst Tai Chi - wie autobiographisch ist das Buch?
Ich würde sagen, Geschichte und Handlung sind erfunden, aber die Charaktere haben
autobiographische Bezüge. Es ist kein Roman, in dem nach intensiver Recherche
eine erfundene Geschichte präsentiert wird. Kürzlich habe ich einen Roman gelesen
- nachdem ich zwanzig Jahre so gut wie keine Romane gelesen habe -, aber am Ende
des Romans war ich schlicht und einfach enttäuscht, weil der Mann nichts mehr
zu sagen hatte. Das Buch war gut geschrieben, enthielt wunderbare philosophische
Gedanken, aber am Ende gab es keine Auflösung, keine wirklichen Antworten.
Aber hast Du nicht gemeint, auch Dein Buch gibt keine Antworten?
Nun, wenn ich jetzt ganz frech sagen darf: Goethe stellt die Fragen, Weteschnik
sagt, es gibt Wege, aber die Antworten muss jeder selber finden.

Johann Wolfgang von Goethe hat schon viele Autoren inspiriert
Existenzielle Antworten kann man nicht geben, die muss man erfahren - und zwar
jeder selbst. Ich denke, das ist der Dreh des Buches. Ich möchte keine Antworten
geben, sondern Wege zeigen. Und ich hoffe, die Leser können etwas damit anfangen.
Eine der Stärken des Buches liegt vielleicht auch darin, dass nichts verloren
geht, alles eine Auflösung hat. Selbst das Motiv des ersten Satzes wiederholt
sich am Ende. Wie beim Schach wird auf jedes Tempo Wert gelegt. Alles muss zusammen
passen. Alle Figuren müssen zusammen spielen, harmonieren. Alles wird aufgeklärt.
Wenn irgendwo im Buch eine Frage auftaucht oder ein Motiv, dann wird das am Ende
aufgeklärt.
Literarisch nicht unbedingt modern.
Nun, ich wollte nicht etwas recherchieren oder erfinden, sondern einen Weg vorstellen,
wie man Zugang zu sich findet. Etwa: "Leute, es gibt so viel mehr zu erfahren,
als man sich gemeinhin vorstellt und wichtig dabei ist die Regelmäßigkeit. Wenn
man irgendetwas macht, dann wird man unglaublichen Gewinn daraus ziehen, wenn
man es jeden Tag macht. Wenn ich etwas postulieren sollte, dann würde ich sagen:
"Macht was, und macht was regelmäßig. Egal, was es ist."
Martin Weteschnik,
Die Wege des sechsten Tages, 390 S., kartoniert, 1.
Auflage 2008, 14,90€.