Berliner Verteidigung in Omsk

von ChessBase
27.04.2022 – Alexander Murachowski war Chefarzt am Krankenhaus von Omsk und ein begeisterter Schachspieler. Bei der Nachtschicht spielte er gerne am Computer Schachpartien nach. Im August 2019 saß er vor einer Partie Kasparov-Kramnik mit der Berliner Verteidigung als Alexey Nawalny mit einer Vergiftung eingeliefert wurde. Murachowski handelte schnell und bereitete Nawalnys Verlegung in die Charité vor, wo der Patient gerettet wurde - auch eine Berliner Verteidigung. Jan Willem Duijzer erzählt diese bittere Geschichte. | Foto: Interrails/Wikipedia CC BY SA 3.0

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Die Berliner Verteidigung; eine Erzählung

Unterwegs von Tomsk nach Moskau

Beim Abflug hat die Maschine von Aeroflot als Flugziel Moskau. Alexej Nawalny fühlt sich nicht wohl. Ein seltsam unheimliches Gefühl überfällt ihn. Vielleicht hat er zu wenig gegessen. Einen Cracker und eine Flasche Wasser im Hotel, das war alles. Boris Iwonow, sein Assistent, informiert ihn über seine Termine in Moskau, er hat aber keine Lust zuzuhören und wendet den Kopf ab. Kurz mal Ruhe. Einige Reihen hinter ihnen sitzen zwei Männer. Sie wechseln kein Wort miteinander. Einer von beiden, der jüngere, hat einen kleinen, hermetisch verschlossenen Koffer unter seinen Sitz gelegt. Die Bedenken der Stewardess gegen diesen Koffer waren schnell verschwunden, nachdem er seinen Ausweis gezeigt hatte: FSB, Geheimdienst. Sie hatte sofort den Flugkapitän informiert, mit dem sie schon oft geflogen war. Er hatte kurz genickt. Er hatte die beiden Männer schon vor dem Abflug vom Lufthafen Tomsk beobachtet.

Im Krankenhaus von Omsk, im Herzen Sibiriens, hat Alexander Murachowski Abendschicht. Mit seinen 34 Jahren ist er der jüngste Chefarzt des alten Omsker Krankenhauses Nr. 1. Gleich nach seiner Promotion in Moskau ist er nach Omsk zurückgekehrt, wo er geboren wurde. Seine Kollegen in Moskau haben ihn für verrückt erklärt: “Was hast du da verloren?” Für sie ist Sibirien ein Verbannungsort. Für Alexander ist es der Ort, wo er sich heimisch fühlt. Er liest gern und ist ein fanatischer Schachspieler. Er kann gut allein sein und hat sich mit seinem Status als Junggeselle abgefunden, obwohl er mit seinem freundlichen Gesicht und seinen sanftbraunen Augen über Interesse vonseiten der Frauen niemals Grund zum Klagen gehabt hat. Es ist ruhig im Krankenhaus. An seinem Computer spielt er eine Partie zwischen Kramnik und Kasparow nach. Die Berliner Verteidigung. Die Behutsamkeit Kramniks, der mit vorausschauendem Blick stets Kasparows Angriffsspiel die Spitze nimmt, beeindruckt ihn. So möchte er als Arzt auch sein. Alexander hat heute ein Gespräch mit Wladimir Oltow, dem Ärztlichen Direktor des Krankenhauses, geführt. Der ist ein alter Hase, der sich enttäuscht mit dem miesen Instandhaltungsgrad des Krankenhauses abgefunden hat. Im großen Schrank in seinem Zimmer gibt es mehr Platz für Wodkaflaschen der exklusiven Marke “Five Lakes wodka” als für medizinische Fachliteratur. Dennoch war es kein unangenehmes Gespräch. Alexander spürte in den Worten des Direktors auch die Leidenschaft für das Fach. “Wir sind dazu da, um Leben zu retten, Alexander, auch hier in Sibirien”. Einigermaßen trübsinnig fügte er hinzu: “Und der Rest ist unwichtig”.

Es ist ein ruhiger Flug, Boris fühlt sich aber unbehaglich. Es gefällt ihm nicht, dass Alexej so still ist. Er tippt ihn vorsichtig an. “Wie geht es?” Nawalny antwortet aber nicht. Sein Gesicht ist leichenblass und er atmet mühsam. Seine sonst so auffällig hellblauen Augen sind matt. Er kann kaum die richtigen Worte finden. Hat er einen Herzinfarkt? Boris zögert keine Sekunde und bittet die Stewardess um Hilfe. Sie weiß, wer Nawalny ist und sagt dem Flugkapitän Bescheid. Nawalnys Situation scheint stabil zu sein, dennoch ist es klar, dass es ihm schlecht geht. Boris läuft mit der Stewardess mit nach vorn und fragt, wie lange der Flug noch dauert. Mehr als sechs Stunden noch. Viel zu lange. Alexej braucht sofort ärztliche Hilfe. Der Flugkapitän kommt kurz zu ihnen. Er ist ein erfahrener Aeroflot-Pilot, der Nawalny schon öfter geflogen hat. Er spricht in leisem Ton. “Weißt du, dass der Geheimdienst ein paar Reihen hinter euch sitzt?” Boris nickt. Für ihn ist das ein vertrautes Bild. Der Flugkapitän erzählt ihm nichts über den Koffer, dreht sich aber plötzlich um. Er hat sich entschieden. Fünf Minuten später meldet er den Fluggästen, dass die Maschine aufgrund eines medizinischen Notfalls eine Zwischenlandung in Omsk machen wird. In Omsk würde ein Krankenwagen bereitstehen, um Nawalny möglichst schnell ins Krankenhaus zu bringen. Der junge FSB-Mitarbeiter steht gleich auf und fragt die Stewardess, warum das nötig ist. Sie zuckt die Schultern. Der Flugkapitän habe sich so entschieden. Der Mann zögert einen Augenblick, setzt sich dann jedoch wieder und berät sich intensiv mit seinem Kollegen. Boris hat von der Stewardess Medikamente bekommen und ein kaltes Tuch, um Nawalny zu helfen, aber es sieht so aus, als würde sich seine Situation schnell verschlechtern. Er ist halb bewusstlos und redet nicht mehr. Gesicht und Hände sind auffällig blass. Der Pilot hat die Landung eingeleitet. Boris ist still. Blitzartig ziehen die vergangenen Jahre an ihm vorbei. Die Energie von Alexej, der Spaß, den sie zusammen hatten, aber auch die Risiken, die Gefahr. Die Gefahr, die Nawalny immer weggelächelt hat.

 

In Omsk

Murachowski hat die ITS einsatzbereit gemacht. Er wurde vom Lufthafen angerufen und hat einen Krankenwagen hingeschickt. Nawalny… der Oppositionsführer. Was könnte mit ihm los sein? Die Nachricht vom Lufthafen war nicht sehr klar. Ein Herzinfarkt scheint ihm am wahrscheinlichsten. Er macht sich Sorgen. Moskau ist zum Glück weit weg, er erwartet allerdings, dass sich die Medien bald auf diese Geschichte stürzen werden. Was für Scherereien das alles mit sich bringt. Sicherheitshalber hat er seinen Chef schon informiert. Der wird versuchen, schnell noch vorbeizukommen. Alexander hatte den Eindruck, dass er schon getrunken hatte. Heute Abend trägt er allein die Verantwortung.

Als der Krankenwagen ankommt, sieht er schon bald, dass es nicht gut ist. So erfahren ist er schon. Nawalny ist bewusstlos und hat eine seltsame, unheimliche Farbe, als wäre er bereits tot. Der diensthabende Assistenzarzt untersucht zusammen mit Alexander den Patienten. Er atmet mühsam und hat einen unregelmäßigen, schnellen Herzschlag. Sie entnehmen ihm eine Blutprobe zur weiteren Untersuchung und versuchen, die Situation zu stabilisieren. Alexander gibt den Auftrag, dem Patienten auch etwas Urin und Hautgewebe abzunehmen. Er ist besorgt. Er kann die Symptome nicht richtig deuten und entscheidet sich, im Krankenhaus zu bleiben. Zum Glück ist die Presse noch nicht da.

Die beiden FSB-Männer  haben das Flugzeug in Omsk verlassen. Der Flugkapitän hat versucht, mit allen Passagieren gleich weiterzufliegen, konnte aber nicht verhindern, dass beide Männer ausgestiegen sind. Außerhalb des Flugzeugs haben sie gleich Kontakt zu Moskau aufgenommen. “Was sollen wir machen?” Nach kurzer Beratung entscheiden sie sich, ein Auto zu mieten und ein Hotel in der Nähe des Krankenhauses zu suchen.

Alexander hat vor dem Eingang des Krankenhauses kurzen Kontakt mit Boris, der in totaler Panik ist. Er beteuert dem Arzt, dass Nawalny vergiftet wurde. Eine andere Ursache komme nicht in Frage. Er sei kerngesund gewesen. Boris will Nawalny sehen, Alexander verbietet ihm aber den Zutritt zum Krankenhaus. Nawalnys Assistent bricht wütend auf. Beim Weggehen ruft er noch etwas über den FSB, der Nawalny verfolgt hätte. Der junge Arzt zuckt die Schultern und beschließt, sich auf seine eigene Aufgabe zu konzentrieren. Er gibt dem Krankenhauspersonal den Auftrag, keinen hereinzulassen, der im Krankenhaus nichts verloren hat. Es ist Oltow leider nicht gelungen, ins Krankenhaus zu kommen. Er hat angerufen, er werde versuchen, morgen früh da zu sein.  

In der Nacht ist es still. Die Ruhe vor dem Sturm, denkt Alexander. Morgen wird es Chaos geben. Er hat sich entschieden, selbst beim Patienten zu bleiben. Vergiftung? Es scheint ihm unwahrscheinlich, aber man weiß ja nie. Er checkt die Symptome noch einmal und sucht in der Fachliteratur nach möglichen Hintergründen. Ein Nierenproblem scheint ihm am logischsten, möglicherweise eine Störung der Bauchspeicheldrüse. Der Patient ist zum Glück ruhig. Er liegt im Koma, seine Situation verschlechtert sich aber augenscheinlich nicht. Dennoch bleibt die Situation kritisch. Erst am frühen Morgen werden die ersten Analyseergebnisse vorliegen. Bis zu dem Zeitpunkt kann er wenig machen. Obwohl es schon spät ist, beschließt er, den Professor anzurufen, bei dem er promoviert hat, Professor Valentin Boski in Moskau. Der meldet sich zum Glück noch am Telefon. Er erklärt ihm die Situation und sie sprechen in dieser Nacht noch verschiedene Male miteinander. Der Professor bittet ihn dringend, mit niemandem über diese Gespräche zu reden. Für weitere Kontakte vereinbaren sie, dass die über die Chatfunktion der Schachwebseite ‘chess.com’ erfolgen, auf der sie beide mit einem Spitznamen spielen. Am frühen Morgen betrachtet Alexander die Laborwerte und ruft er Oltow an mit der Bitte, sofort ins Krankenhaus zu kommen. Der Ärztliche Direktor fragt nicht nach dem Warum und ist innerhalb einer halben Stunde da. Zusammen schauen sie sich den Patienten an. Alexander informiert seinen Direktor über seine Vermutungen. Ihm ist klar geworden, dass Nawalny vergiftet wurde und dass sein Tod ohne schnelles Eingreifen unvermeidlich ist. Alle Zeichen deuten darauf hin. Sie vereinbaren, dass sie Alexanders Vermutung mit niemandem besprechen. Familienangehörige, Behörden und Medien werden benachrichtigt, dass eine schlimme Stoffwechselkrankheit vorliegt und dass die Situation sehr kritisch ist. Alexander schaut sich kurz den Schrank mit den Wodkaflaschen des Direktors an. “Kann das wirklich unter uns bleiben?” Wladimir Oltow nickt. “Du kennst mich noch nicht, junger Mann. Ich bin ein Alkoholiker, das stimmt, ich bin aber an erster Stelle Arzt. Hierüber wird nichts herauskommen, niemals.”

In Moskau versucht Yulia Nawalny verzweifelt, Kontakt mit Boris Iwonow aufzunehmen. Als das klappt, beschließen sie, die Medien einzubinden. Alexej ist in großer Gefahr, das ist ihnen schon klar. Das Krankenhaus ist nicht für Auskünfte erreichbar. Nach langem Drängen lautet die Reaktion, dass nur direkte Angehörige zu einem Gespräch mit dem Ärztlichen Direktor willkommen sind.  Boris ist nicht willkommen. Yulia trifft die Entscheidung, nach Omsk zu fliegen. Sie befürchtet das Schlimmste.

 

Nach Berlin?

In Berlin legt Professor Uberlich von der Charité, der weltberühmten Universitätsklinik, sein Telefon ab. Er bittet seine Sekretärin, unverzüglich mit dem Krankenhaus in Salisbury Kontakt aufzunehmen; die dortigen Spezialisten hätten Erfahrung mit der Behandlung gegen Nowitschok. Er will inzwischen selbst das Bundeskanzleramt anrufen. Er kennt Frau Merkel persönlich. In dieser Angelegenheit braucht er Hilfe auf höchstem Niveau. Die Kontaktaufnahme mit Salisbury liefert ihm schnell die gewünschten Informationen. Diese leitet er weiter an seinen Kollegen in Moskau, Professor Boski. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.

Murachowski hat mit Oltow vereinbart, dass er nur für die Behandlung von Nawalny da ist und dass Oltow die Kontakte zur Außenwelt übernimmt. Sie entscheiden sich, für Nawalny ein Zimmer in einer abgelegenen Ecke des Krankenhauses einzurichten und bringen ihn hin.  Alexander ist sich im Klaren darüber, dass Nawalny ohne zusätzliche Behandlung bald sterben wird. Dessen Blutwerte verschlechtern sich allmählich und er hat keine Ahnung, ob es noch eine weitere Behandlungsmethode gibt. Auf chess.com prüft er, ob Boski aktiv ist. Es zeigt sich, dass Boski schon online ist und sie nehmen gleich Kontakt miteinander auf. Über den Chat informiert er Alexander über eine aussichtsreiche Behandlungsmethode, die in England bei Nowitschok-Opfern erfolgreich gewesen sein soll. Er fordert den jungen Arzt abermals auf, niemand zu informieren. “Du sollst wissen, dass zudem noch eine fortgesetzte Behandlung durch einen Spezialisten notwendig ist. Wenn Nawalny in Russland bleibt, wird er es nie schaffen.” Hoffentlich gebe es bald ein Angebot zur Behandlung aus Deutschland. Sie vereinbaren, möglichst bald wieder eine ‘Partie’ zu spielen.

Nawalny kämpft mittlerweile um sein Leben. Ab und zu ist er kurz bei Bewusstsein, er hat aber keine Ahnung, wo er ist und er ist nicht imstande, sich zu verständigen. Ein Bild, das ihm ständig vor Augen erscheint, ist das eines Mannes in einem weißen Kittel mit tiefliegenden braunen Augen. Ein Arzt?

Der erste ganze Tag Nawalnys in Omsk endet in Chaos. Medien aus dem ganzen Land sind beim Krankenhaus angekommen und fordern Erklärungen. Auch Nawalnys Frau hat sich beim Krankenhaus gemeldet. Oltow, der Ärztliche Direktor, hat sie kurz gesprochen und gemeldet, ihr Mann sei sehr krank.  Sie dürfe ihn nicht sehen. Auch die FSB-Mitarbeiter haben sich gemeldet. Oltow hat ihnen erklärt, Nawalny werde so gut wie sicher sterben. Mehr wollten sie nicht wissen. Am Ende des Nachmittags haben Oltow und Murachowski Kontakt miteinander. Alexander informiert seinen Direktor über die Behandlungsmethode, die ihm gerade vorgeschlagen wurde und bekommt Carte blanche, um diese Methode einzusetzen. Oltow erzählt Alexander, ein berühmtes deutsches Krankenhaus habe sich gemeldet, um Nawalny von einem Spezialisten behandeln zu lassen. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel habe dazu schon Kontakt mit Putin aufgenommen. Das ist eine gute Nachricht. Zunächst ist es aber notwendig, dass sich Nawalnys Zustand verbessert. Ein Transport in der derzeitigen Situation hätte so gut wie sicher seinen Tod zur Folge.  

Mitten in der zweiten Nacht von Nawalnys Aufenthalt im Krankenhaus Omsk Nr. 1 hat Alexander ein Gespräch mit Nawalny. Der russische Oppositionsführer fühlt sich sehr schwach, denkt aber klar. Die Diagnose versetzt ihn in Schrecken. Die beiden Männer sprechen über eine halbe Stunde miteinander. Nawalny erteilt seine Erlaubnis zur Behandlung, die Alexander einsetzen möchte und zu einem anschließenden Transport nach Deutschland, wenn das möglich ist. Sie wissen beide, dass es ein Kampf auf Leben und Tod wird. Am Ende des Gesprächs umarmen sich die beiden jungen Russen und versetzt Alexander den Patienten wieder in Koma. Die Behandlung startet. Ein längeres Warten ist nicht vertretbar.

Im Laufe des anschließenden Vormittags informiert Alexander seinen Direktor darüber, dass die höchste Gefahr gewichen ist. Die Behandlung sei zum Glück wirksam. Von ihm aus dürfe Nawalny transportiert werden. Oltow unterrichtet die Behörden darüber, dass er äußerst widerwillig bereit wäre, Nawalnys Transport zu gestatten. Während einer Pressekonferenz erklärt er, Nawalny erhole sich von einer heftigen Stoffwechselkrankheit und man habe keine Spur einer Vergiftung  vorgefunden. Eine fortgesetzte Behandlung in Deutschland sei nicht nötig, doch wenn die Angehörigen des Patienten das gerne möchten, habe er keine Bedenken dagegen.

Alexander hat zum ersten Mal seit zwei Tagen einige Stunden geschlafen. Als er aufwacht, sorgt er dafür, dass Nawalny, nach wie vor in einem leichten Koma, unter strenger medizinischer Betreuung zum Flughafen gebracht wird. Die Maschine nach Berlin steht schon bereit. Die FSB-Mitarbeiter haben den Auftrag erhalten, Nawalny gehen zu lassen. Eine Nachricht aus Moskau lautet, dass sie versagt hätten.

Yulia Nawalny und Boris Iwonow freuen sich über die Transporterlaubnis nach Deutschland, machen sich allerdings Sorgen über das Ergebnis. Kann Nawalny wirklich noch behandelt werden? Auch die deutschen Ärzte lassen verlautbaren, dass das sehr unsicher ist. Über die chess.com-Route zwischen Murachowski und seinem Moskauer Professor wurden sie allerdings schon darüber informiert, dass Nawalnys Behandlung gegen Nowitschok schon gestartet wurde. Sie werden diese Behandlung im tiefsten Geheimnis übernehmen und fortsetzen.

 

Epilog: Weihnachten


Wochen später, als die Nowitschok-Vergiftung nachgewiesen ist und Nawalny imstande ist, wieder mit der Presse zu sprechen, spricht er empört über die Behandlung in Omsk – ein kleines Theaterstück für die Medien. Der zuständige Chefarzt, Alexander Murachowski wird besonders hart kritisiert. “Du lügst, du fälschst Untersuchungsergebnisse, du bist bereit, deinen Chefs in jeglicher Weise einen Gefallen zu tun”, schreibt er auf Twitter und fügt hinzu, dass er den Chefarzt für einen “lügenden Nichtsnutz” hält.

Extra für Heiligabend 2020 hat Nawalny einen besonderen Wodka beiseitegelegt. Ende November ist die Flasche angekommen. Aus Omsk, als Geschenk vom Krankenhaus. Die Flasche wurde bei seinen Ärzten in Berlin abgeliefert. Nawalny bekam die Flasche bei seinem letzten Arztbesuch ausgehändigt: “Five Lakes wodka”, Wodka aus Sibirien. Traditionsgemäß soll der Wodka direkt aus der Flasche getrunken werden. Nawalny wird das auch so machen. Ohne den Inhalt zu kontrollieren. Ohne jegliches Zögern. Wie Russen das eben machen.

Am Heiligabend trinken Alexander Murachowski und Alexej Nawalny beide denselben Wodka, Alexander allein in seiner Etagenwohnung in Omsk, Alexej in seinem ‘safehouse’ im Schwarzwald, mit Yulia und den Kindern. Alexander hat sein Schachbrett vor sich und denkt an die letzten Monate zurück. Er hat kurz vor Weihnachten die Netflix-Serie ‘The Queens Gambit’ gesehen und diese genossen. Sollte er jemals eine Frau suchen, dann muss sie wie Beth Harmon aussehen. Alexej zündet sich eine Zigarette an. Eine schlechte Gewohnheit, die er sich nie abgewöhnen wird. Ihm gefällt es in Deutschland. Sicher ist aber, dass er nach Moskau zurückkehren wird. Was auch immer dabei herauskommt.

Alexander und Alexej wissen, dass sie sich nie wieder sehen werden. Sie wissen auch, dass sie nie wieder Kontakt miteinander haben werden. Sie wissen aber auch, dass sie Freunde sind. Freunde fürs Leben.

(Jan Willem Duijzer, Dezember 2020)

Anmerkung der Redaktion: Mit ihrer Rettungstat handelten die Ärzte in Omsk gemäß ihrem medizinischen Eid. Vielleicht aber nicht in jedermanns Interesse. Im Mai 2021 waren bereits zwei Ärzte tot oder verschwunden, darunter auch Alexander Murachowski.

Nachtrag: Nach einigen Tagen ist Alexander Murachowski, der zunächst als vermisst gemeldet wurde, wieder aufgetaucht.

ZDF: Zwei Nawalny-Ärzte verschwunden...

Spiegel: Nawalny Ex-Arzt wieder aufgetaucht...

 


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