Bundesliga: Mülheim-Nord protestiert

von ChessBase
24.10.2012 – Der mutmaßliche Betrugsversuch des Eppinger Spielers Falko Bindrich am vergangenen Bundesliga-Spieltag schlägt hohe Wellen. Bindrich war vom Schiedsrichter mit einem Mobiltelefon auf der Toilette vorgefunden worden, weigerte sich dann aber, dies gemäß Turnierordnung dem Schiedsrichter auszuhändigen und wurde deshalb mit Partieverslust bestraft. Anders als ursprünglich berichtet, war aber das Verhalten von Bindrich am Samstag laut Auskunft der Mühlheimer Spieler nicht nur am Anfang, sondern während der ganzen Partie auffällig. Mülheim hat deswegen gegen die Wertung des Wettkampfes Protest eingelegt. Inzwischen haben Schiedsrichter Dieter von Häfen und Ulrich Geilmann von der Schachbundesliga Stellungnahmen zu dem Vorgang abgegeben.Meldung bei Mülheim-Nord..."Nord legt Protest ein" (Der Westen)...Stellungnahmen bei Schachbundesliga.de...Mehr...

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Das Schach braucht strengere Regeln
Von André Schulz

Am vergangenen Sonntag wurde Falko Bindrich dabei erwischt, wie er sich mit einem Mobiltelefon außerhalb des Turniersaals bewegte, konkret hatte er sich damit auf die Toilette zurückgezogen. Da Bindrich ungewöhnlich oft den Spielsaal verlassen hatte, war der Schiedsrichter bereits aufmerksam geworden und war dem Spieler nachgegangen. Bindrich gab zu, dass er ein Kommunikationsgerät mit sich führte, verweigerte aber die Übergabe zur Überprüfung an den Schiedsrichter. Die neue Turnierordnung der Bundesliga sieht vor, dass der Schiedsrichter Taschendurchsuchungen vornehmen und mitgeführte Mobilgeräte überprüfen darf. Der Spieler ist laut Turnierordnung verpflichtet, dies zu gewähren oder wird bestraft, z.B. durch Partieverlust. So wurde die Partie von Bindrich nach zehn Zügen für ihn für verloren erklärt. 

Betrug per Fernbedienung

In allen Spielklassen gibt es seit Jahren das "Handyverbot". Benutzt ein Spieler ein Handy, indem es z.B. klingelt, wird seine Partie als verloren gewertet. Mit dieser Regel hat die FIDE von Anfang an auf das Handy-Unwesen reagiert und der Ruhestörung durch Handyklingeln bei jeder unpassenden Gelegenheit einen Riegel vorgeschoben. Wer sein Handy zum Schach mitbringt und nicht ausschaltet, ist selber schuld, wenn es dann unvermittelt klingelt. Mit Betrug hat das natürlich nichts zu tun. Durch die Entwicklung der Smartphones oder kleiner Pocket-PCs in den letzten Jahren hat sich die Situation geändert. Wer diese Geräte während einer Partie unbeobachtet benutzt, könnte und will sehr wahrscheinlich auch betrügen. Mit Hilfe moderner Smartphones oder Pocket-PCs und dort installierter Schachprogramme erhält man nämlich online Zugang zu Schachdatenbanken - kann also die Theorie zu allen Eröffnungen komplett nachschlagen - und kann mit einer Schachengine Stellungen analysieren. Selbst auf einem Smartphone oder Pocket-PC erhält man inzwischen hinreichend gute Zugvorschläge, mit denen man ohne Weiteres auf GM-Niveau spielen kann. Man kann sich aber sogar über das Internet mit seinem PC zuhause verbinden, diesen von überall fernbedienen und dort z.B. ein leistungsstärkeres Programm zur Analyse starten. Wo kann man das unbeobachtet erledigen? Auf der Toilette.

Amateurhafte Regeln

Schach will Sport sein, hat aber als einzige Sportart selbst für Weltmeisterschaften Regelwerke, die amateurhaft sind. Erst in jüngster Zeit hat sich durch verschieden Betrugsfälle die Sensibilität für dieses Thema etwas vergrößert - allerdings auch nicht bei allen. So gab es bei der Schacholympiade in Khanty-Mansysk den Betrugsfalls von Sebastien Feller mit Hilfe des französischen Trainers Arnaud Hauchards und Helfer Ciryll Marzolo. Letzterer saß zuhause, analysierte die in der Liveübertragung übermittelten Partien Fellers und schickte die Zugvorschläge per SMS auf das Handy von Hauchard. Hauchard gab die Zugvorschläge per Zeichensprache an Feller weiter. Möglich war dies, weil es in Khanty-Mansysk keinerlei Regeln oder Vorrichtungen gab, solchen Betrug zu unterbinden. Am Eingang stand zwar ein Detektor wie man ihn von Flughäfen kennt, doch damit suchte man offenbar tatsächlich nur nach Waffen. Wer wollte, konnte sich aber ungestört mit seinem Rechner in die Zuschauerreihen setzen und dort z.B. Partien analysieren. Und Arnaud Hauchard konnte ungestört im Spielbereich sein Handy benutzen, so oft er wollte.

Auch bei anderen Turnieren wurden schon vorher Betreuer oder Trainer gesehen, wie sie unentwegt mit ihren Handy zugange waren und sich dann auffällig verhielten - ohne dass irgendwelche Maßnahmen dagegen ergriffen wurden. Die FIDE hat das Thema lange Zeit nur bagatellisiert und sich stattdessen mit medizinischem Doping beschäftigt. Wer aber ohne einen Helfer betrügen will, muss oft seinen Spieltisch verlassen und einen unbeobachteten Platz aufsuchen.

Als bei der Deutschen Meisterschaft 2011 Christoph Natsidis so oft auf außerhalb des Turnierbereichs war, bis sein Gegner Sebastian Siebrecht schließlich stutzig wurde, war der Schiedsrichter vor Ort eigentlich hilflos. Das Regelwerk sah keine konkreten Maßnahmen vor. Überhaupt schritt der Schiedsrichter erst auf das hartnäckige Drängen von Sebastian Siebrecht ein. Stattdessen hätte dem Schiedsrichter, wenn er sein Amt aufmerksam ausgeübt hätte, schon in den vorherigen Runden auffallen müssen, dass Natsidis über Gebühr oft den Turnierbereich verlassen hatte. Selbst bei Klassenarbeiten in der Unterstufe eines Gymnasiums herrschen strengere Regeln. Oder welchem Schüler ist es gestattet, während einer Arbeit zehn -oder mehr mal auf Toilette zu gehen, ohne dass die Aufsicht stutzig wird und mal im Spülkasten nach Aufzeichnungen sucht?

Nur weil Natsidis zugab, ein Mobilgerät dabei zu haben und die Überprüfung erlaubte, konnte er überführt werden. Bindrich hat diesen "Fehler" am letzten Bundesliga-Wochenende nicht gemacht, aber zum Glück ist die Turnierordnung inzwischen so angepasst worden, dass der Spieler daraus keinen Nutzen mehr ziehen kann.

Wer in den Bewegungssportarten die Dopingprobe verweigert, gilt als gedopt. Zurecht. Denn der einzige Grund, eine solche Probe zu verweigern, ist der Umstand, dass der Sportler befürchtet, dass man bei Ihm Hinweise für Doping findet. Dieser Grundsatz wird nun auch im Schach angewandt. Wer die Herausgabe seines Kommunikationsgerätes verweigert, dem wird unterstellt, dass dort Hinweise für einen Betrug zu finden sind.

Mülheim protestiert

Anders als am Sonntag berichtet, gab es schon am Samstag einen dringenden Verdacht gegen Falko Bindrich. Im Duell der mutmaßlichen Verfolger Eppingen und Mülheim holte Falko Bindrich gegen Pavel Tregubov den entscheidenden Punkt. Tregubov wunderte sich schon am Anfang der Partie über das Verhalten von Bindrich. Nach sechs Zügen verschwand der Eppinger Spieler für mehr als zehn Minuten aus dem Turnierbereich, obwohl er nach ca. 90 Sekunden Nachdenkens von Tregubov selber am Zug war. Tregubov ging zu seinem Mannschaftsführer; gemeinsam machte man den Schiedsrichter darauf aufmerksam. Dieser ging der Sache nach und vermutete den Eppinger auf der Toilette, was er zunächst als nicht ungewöhnlich einstufte.

Nach seiner Rückkehr spielte Bindrich die nächsten zwölf Züge recht schnell. Tregubov berichtet, dass Bindrich später häufig abwesend war und nicht wie es am Sonntag zunächst hieß, den Rest der Partie am Brett blieb. Zum Teil war Bindrich abwesend, auch wenn er am Zug war. Jeder Schachspieler weiß, dass man selber normalerweise bestrebt ist, niemals eigene Bedenkzeit zu verschwenden. Man muss also dringende Gründe haben, bei eigener laufender Uhr nicht am Brett zu sitzen. Einige Male wurde Bindrich gesehen, wie er aus der Toilette kam, wo er stets in einer der Kabinen verschwand, zuletzt im 53. Zug. Im 41. Zug war der Eppinger noch einmal für längere Zeit verschwunden. Am Ende der Partie bemerkte Tregubov, dass Bindrich ein Gerät ähnlich einem Mobiltelefon in seiner Tasche hatte. Nach der Partie fragte Tregubov seinen Mannschaftsführer, ob dem Schiedsrichter bezüglich Bindrich etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei, doch der verneinte.

Partie:

 



Die Mülheimer legen großen Wert auf die Korrektur der ersten Berichte. Wäre der Schiedsrichter schon am Samstag der Angelegenheit energischer nachgegangen, so wäre er  - dass darf man wohl stark vermuten - schon am Samstag fündig geworden. Mülheim hat deshalb gegen die Wertung des Wettkampfes Protest eingelegt.

Das Schach braucht noch strengere Regeln

Das Regelwerk wurde bei der Bundesliga zum Glück schon den aktuellen technischen Gegebenheiten angepasst, trotzdem fragt man sich, ob es ausreichend ist und ob nicht ein paar zusätzliche Automatismen eingeführt werden müssen, damit niemand mehr auf die Idee kommt, die Regeln hätten für ihn keine Gültigkeit und er könne mal probieren, ob er nicht beim Betrug ungestraft davon kommt.

So haben Mobiltelefone oder Computer im Spielbereich eines Schachturniers nichts verloren. Sie werden während einer Schachpartie nicht benötigt - außer in betrügerischer Absicht - und können deshalb zuhause oder im Hotelzimmer gelassen werden. Im Zweifel kann man die Geräte beim Schiedsrichter abgeben. Schach scheint sowieso der einzige Sport zu sein, bei dem man Handys zum Wettkampf mitbringt oder darüber diskutieren möchte, ob man bei Beginn des Sport-Wettkampfes anwesend sein muss.

Wenn ein Spieler in einer Mannschaftssportart eines Bewegungssports beim Doping erwischt wird, ist das Spiel üblicherweise für die ganze Mannschaft verloren. Das muss auch beim Schach gelten, damit auch die eigenen Mannschaftsmitglieder im eigenen Interesse sensibler darauf auch, dass alle Kollegen mit fairen Mitteln spielen. Der Betrug von Sebastien Feller bei der Schacholympiade in Khanty-Mansiysk hatte keinerlei Auswirkungen auf die Ergebnisse der französischen Nationalmannschaft. Das ist nicht richtig. Im Nachhinein hätten die Ergebnisse zum Nachteil der französischen Mannschaft korrigiert werden müssen, auch wenn dem französischen Verband in der Behandlung des Falles keinerlei Vorwurf zu machen ist - im Gegenteil: der Verband hat sich gegen eine sogar feindliche Stimmung gewisser Schach"freunde" mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt im Sinne des sportlich fairen Wettkampfes durchgesetzt. Leider hat die FIDE auch hier wieder mal geschlafen.

Sportler, die beim Betrug erwischt wurden, müssen für einen bestimmten Zeitraum für alle Turniere gesperrt werden. Es kann nicht sein, dass jemand gesperrt wird, dann aber z.B. bei Schnellschachopen aufläuft und Preisgeld gewinnt. Hier müssen auch die Veranstalter größere Sensibilität entwickeln und die nationalen Verbände und die FIDE entsprechende Regeln aufstellen.

Ein energisches Vorgehen gegen jede Form von Betrug bei Schachturnieren ist von großer Wichtigkeit. Der weitaus größte Teil der Spieler spielt fair und achtet auf die Regeln. Die Falschspieler müssen genannt werden, um die anderen zu schützen, aber auch, um jede Form von Hysterie zu vermeiden. Schachspieler, die einmal eine besonders gute Partie spielen, einen besonders hübschen Zug finden oder tatsächlich einmal unpässlich sind und häufig auf Toilette verschwinden müssen, sollten nicht in falschen Verdacht geraten. Das wird nicht passieren, wenn jeder weiß, dass die Schiedsrichter aufpassen und mit angepassten Regeln die tatsächlichen Verstöße nachhaltig ahnden können.

 


 

 




Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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