José Raúl Capablanca: "Jeder sollte Schach spielen können"

von ChessBase
11.06.2020 – 1932 gab José Raúl Capablanca, Schachweltmeister von 1921 bis 1927, der spanischen Tageszeitung ABC ein langes und aufschlussreiches Interview. Er sprach über seine Rivalität mit Aljechin, über seine Schachkarriere und das Geld, das er als Schachspieler verdient hat und erklärte, warum jeder Schach spielen sollte. | Bild: Aljechin und Capablanca 1914

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Ein Interview


Von Adelardo Fernández Arias
Zuerst erschienen am 14. Mai 1932 in der spanischen Tageszeitung ABC.

"Wann kommt es zum Weltmeisterschaftskampf?", habe ich Capablanca gefragt, der sich zur Zeit in New York aufhält. Worauf der berühmte Schachspieler mir die Antwort gab, "Wann immer Aljechin es will".

Warum sagen Sie das?

Weil ich ihn die letzten vier Jahre immer wieder zu einem Kampf um die Weltmeisterschaft herausgefordert habe, und er sich nie dazu durchringen konnte, diese Herausforderung anzunehmen. Er sagt nicht "Nein" zu mir, aber zum WM-Kampf kommt es nicht. Er versteckt sich hinter der Auslegung der Regeln. Dabei habe ich diese Regularien selbst entworfen! Er findet einen Vorwand nach dem anderen und verzögert dabei einen Wettkampf, so dass ich mich nicht direkt mit ihm messen kann. 

Letztes Jahr hat er erklärt, dass er damit einverstanden ist, den Wettkampf zwischen dem 15. August und dem 15. September zu spielen, entweder in New York oder in Havanna, aber Sie müssen verstehen, dass dies nur ein Vorwand war, denn um diese Zeit interessiert sich in New York niemand für Schach, und auch in Havanna ist das nicht der richtige Zeitpunkt für einen solchen Wettkampf.

Das heißt?

Es gibt keine andere Möglichkeit, als den Preisfonds auf 12.000 oder 15.000 Dollar zu erhöhen, und ihn dazu zu bringen, den Wettkampf zu spielen, wenn das Geld zur Verfügung steht. Bislang hat das Publikum vielleicht geglaubt, dass er tatsächlich lediglich das legitime Recht des Weltmeisters ausübt, über das Datum eines Wettkampfs zu entscheiden, denn den internationalen Bestimmungen der Schachwelt zufolge "hat der Weltmeister das Recht, den Zeitpunkt des nächsten Wettkampfs zu bestimmen", aber jetzt sieht jeder, dass er einem Wettkampf mit mir aus dem Weg geht.

Master Class Band 3: Alexander Aljechin

Phantastische Taktik und glasklare Technik. Das waren die Markenzeichen auf Aljechins Weg zum WM-Titel 1927. Das Team Rogozenco, Marin, Reeh und Müller stellt Ihnen den 4. Weltmeister und sein Schaffen vor. Inkl. interaktivem Test zum Mitkombinieren!

Mehr...

Aber gibt es nicht wie bei anderen Sportarten, einen Verband oder...?

Das Einzige, woran ich nicht gedacht habe, war die Bildung eines Schiedsgerichts mit ausreichenden Befugnissen, um dafür zu sorgen, dass solche Dinge passieren. Tatsächlich gibt es eine Art Kommission mit Sitz in Den Haag, aber die hat weder moralische Kraft noch Einfluss genug, um die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die dafür sorgen können, dass solche Dinge nicht passieren.

Sind Sie denn sicher, dass Sie einen zweiten Kampf um die Weltmeisterschaft gewinnen würden?

Ja, da bin ich sicher. Vor allem, da ich weiß, dass Aljechin nach den ersten Niederlagen demoralisiert sein wird. Das ist auch Lasker passiert, als ich gegen ihn um die Weltmeisterschaft gespielt habe.

In welcher Ihrer Simultanvorstellungen haben Sie die meisten Partien gleichzeitig gespielt?

In Cleveland, im Februar 1922. Ich habe gegen 103 Gegner gleichzeitig gespielt und 102 Partien gewonnen und eine Remis gemacht. Aber das war ein Glücksfall. So, als ob Sie aus dem Fenster springen und unbeschadet auf der Straße landen. Ganz Ohio war vertreten und Spieler jeder Couleur gingen an den Start. Das war sehr interessant.

Ein anderes sehr interessantes Simultan habe ich in Manchester gespielt. Ich bin gegen dreißig ausgewählte Spieler angetreten und dem schlechtesten dieser Spieler hätte ich in einer Partie eins-gegen-eins vielleicht bestenfalls einen Springer vorgeben können.

José Raúl Capablanca

1931 trat Capablanca gegen 50 Mannschaften an, die sich beraten konnten — der Kubaner steht rechts, in der Mitte des Bildes am Brett. | Foto: American Chess Bulletin, Quelle: Edward Winters Chess Notes

Wie hat sich Ihr Schachtalent entwickelt?

Mein Vater hat Schach gespielt, und ich habe ihm beim Spielen zugeschaut, und dass ich wusste wie und warum, habe ich es gleich gelernt. Mit vier Jahren wusste ich bereits, wie man Schach spielt. Ich habe gespielt, obwohl meine Familie nicht wollte, dass ich spiele. Ich kam hierher, in die USA, um an der Columbia University Maschinenbau und Chemie zu studieren, doch nach einer Reihe von Auseinandersetzungen mit meiner Familie habe ich mich ab 1908 ganz auf das Schach konzentriert und wenig später habe ich einen Wettkampf gegen den amerikanischen Meister [Frank Marshall] gewonnen. Zwischen 1908 und 1918 habe ich mein Training intensiviert und 1921 bin ich Weltmeister geworden.

Haben Sie mit Schach viel Geld verdient?

Mehr als jeder andere, aber das heißt nicht, dass ich allzu viel verdient habe, denn niemand verdient im Schach viel Geld. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich auch in dieser Hinsicht Weltmeister bin.

Und ist Schach schwer?

Sehr schwer, aber nicht so kompliziert, wie die Leute glauben. Natürlich braucht man einen Lehrer und muss Bücher studieren, aber irgendwann kommt der Moment, wenn die technischen Aspekte voll und ganz begriffen sind, wenn nur noch das persönliche Element verbleibt: Initiative, Vision, Konzentration, Schnelligkeit, die Meisterschaft im Spiel.

Welche praktische Bedeutung hat Schach für das Leben?

Ich glaube, Schach sollte in der Schule unterrichtet werden, damit Kinder lernen, zu denken und ihre Gedanken zu organisieren. Schach ist eine geistige Übung mit großer Wirkung. Jeder sollte Schach spielen können, um sich im Denken und in Selbstbeherrschung zu üben.

José Raúl Capablanca, TIME MagazineWas ist Ihre Lieblingsfigur auf dem Schachbrett?

Man sollte keine der Figuren vorziehen. Eine bestimmte Figur vorzuziehen, führt zu einer Schwäche für diese Figur. Aber wenn man mich zu einer Antwort zwingt, dann würde ich sagen, dass ich Bauern mag, gerade weil sie die einfachsten und ungefährlichsten Figuren auf dem Schachbrett sind. Der alte Lasker war der gleichen Meinung.

Die Zukunft des Schachs?

Schach wird auf der Welt mehr denn je gespielt. Es entwickelt sich zweifellos zu einem Teil der Kultur.

Wo liegen die Ursprünge des Schachs?

Darüber ist viel geschrieben worden. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir nicht wirklich wissen, wer der Erfinder des Schachs ist. Man weiß allerdings, dass es bereits dreitausend Jahre vor Christi Geburt gespielt wurde. Aber trotz der Universalität des Schachs spielen Menschen aus Indien und China andere Varianten des Schachs. Zum Beispiel dürfen in Indien die Bauern im ersten Zug nur ein Feld vorrücken und in China wird mit mehr Figuren gespielt. In Indien gelten andere Rochaderegeln und in China gibt es Züge, die sich von unserem Schach unterscheiden.

Gibt es Frauen, die gut Schach spielen?

Eine. Sie heißt Vera Menchik und ist Tschechoslowakin und Slawin und wurde in England ausgebildet, wo sie auch lebt. Sie hat gegen mich gespielt und sie ist sehr stark.

Ihre wichtigsten Partien?

Aus Gründen der Kuriosität möchte ich eine Veranstaltung erwähnen, bei der ich 1925 in Moskau gegen eine Gruppe von sowjetischen Volkskommissaren gespielt habe. Ich bin gegen 20 Spieler angetreten. Rykov und Krylenko waren dabei. Trotzki ist auch ein guter Spieler, genau wie Lenin einer war. Der englische Minister Bonar Law ist ebenfalls ein sehr guter Spieler, genau wie der Historiker Buckle und der Pianist Rosenthal. Ich habe festgestellt, dass viele Musiker sehr gute Schachspieler sind.

Und aus Spanien?

Der amtierende Landesmeister Mr. Rey ist ein guter Spieler. Ich habe in Barcelona gegen ihn gespielt. Ich freue mich darauf, nach Spanien zu kommen, um ihm einen ordentlichen Besuch abzustatten. Das letzte Mal, als ich dort war, haben mich anderweitige Verpflichtungen davon abgehalten.

Das Telefon klingelte. Capablanca wurde angerufen und wir verabschiedeten uns.

Learn from the Classics

Auf dieser DVD zeigt Ihnen Sagar Shah Ihnen Klassiker und wie sie die gezeigten Muster und Strategien in ihren eigenen Partien einsetzen können.

Mehr...

José Raúl Capablanca

Adelardo Fernández Arias interviewt Capablanca | Photo: ABC Madrid

Übersetzung aus dem Englischen: Johannes Fischer


Master Class Band 4: José Raúl Capablanca

Er war ein Wunderkind und um ihn ranken sich Legenden. In seinen besten Zeiten galt er gar als unbezwingbar und manche betrachten ihn als das größte Schachtalent aller Zeiten: Jose Raul Capablanca, geb. 1888 in Havanna.

Mehr...


 

Das Originalinterview in Spanisch


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren