Carlsen zur Niemann-Klage: "Ich konzentriere mich aufs Schach"

von André Schulz
25.10.2022 – Die Fischer Random Weltmeisterschaft, die heute in Reykjavik beginnt, steht im Schatten der Niemann-Klage gegen fünf Personen und Unternehmen auf je 100 Mio. US-Dollar. Mit Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura spielen zwei Beklagte bei der WM mit, hielten sich aber bedeckt. Mit Hjörvar Gretarsson gab aber einer der Spieler eine Einschätzung. Der Isländer ist von Beruf Anwalt. | Foto: David Llada

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Magnus Carlsen tritt heute gegen sieben andere Spieler bei der zweiten offiziellen Fischer Random Weltmeisterschaft an. Am Montag landete er in Reykjavik. Erstmals in der Öffentlichkeit seit der Klage von Hans Niemann, wurde er von Journalisten des norwegischen Fernsehsenders NRK dazu befragt.  

"Ich konzentriere mich trotzdem auf das Schach", sagte Carlsen, "Und das wird nicht als Ausrede benutzt, egal wie die Dinge laufen."

Auch Hikaru Nakamura wurde von NRK-Journalisten zur Klage befragt, wollte diese aber nicht kommentieren. "Ich kann mich nicht zu einem laufenden Fall äußern, tut mir leid", sagt Nakamura nur.

Die Kontroverse um Hans Niemann hat hohe Wellen geschlagen, beschäftigt die Schachwelt und wurde durch die Klage von Niemann noch einmal befeuert.

Beim Sinquefield Cup hatte Magnus Carlsen nach der dritten Runde das Turnier verlassen, nachdem er gegen Hans Niemann verloren hatte. Der Norweger gab zu diesem Zeitpunkt keine Erklärung ab, aber der unausgesprochene Vorwurf des Computerbetruges stand im Raum. In den obligatorischen Interviews nach den ersten Partien hatte Niemann verwirrt gewirkt und den Eindruck vermittelt, dass er seine eigenen Partien nicht richtig verstanden hatte. Niemann räumte ein, dass er beim Online Schach im Alter von zwölf und sechszehn Jahren mit Computerhilfe betrogen hatte. In Live-Streams nährte Hikaru Nakamura mit seinen Kommentaren und Reaktionen auf Niemanns-Äußerungen den Betrugsverdacht auch im OTB-Schach.

Bei einem Online-Turnier der Play Magnus Grupp trafen Carlsen und Niemann erneut aufeinander. Carlsen weigerte sich, die Partie zu spielen und gab nach einem Zug auf. In Interviews machte Carlsen Andeutungen und gab nach dem Turnier eine Erklärung ab, in der er Niemann beschuldigte, öfter betrogen zu haben, als dieser zugegeben hatte. Außerdem brachte Carlsen den Namen von Max Dlugy ins Spiel, einem US-Großmeister und Trainer.

Danach veröffentlichte die Plattforn chess.com eine lange Erklärung mit vielen Statistiken. Chess.com legte dar, dass Niemann in über 100 Online-Partien mit Computerhilfe betrogen hatte und dokumentierte mit Grafiken die ungewöhnliche Leistungsexplosion von Niemann im Schach am Brett.

Nach dem Ende der US-Meisterschaften veröffentlichte Hans Niemann eine Klageschrift seiner Anwälte, in der Magnus Carlsen, Hikaru Nakamura, der CEO von Chess.com Daniel Rensch und die Firmen Chess.com und Play Magnus Group wegen Verleumdung und gemeinschaftlicher Verschwörung jeder auf mindestens 100 Mio. USD-Dollar verklagt wurden.

Magnus Carlsens Anwalt Craig Reiser hatte sich zur Klage von Hans Niemann gegenüber dem Wall Street Journal geäußert: "Hans Niemann hat zugegeben, dass er in der Vergangenheit betrogen hat und seine Klage ist nichts weiter als der Versuch, die Schuld anderen zuzuschieben." Gegenüber der Nachrichtenseite "Axios" meinte Reiser zudem:  "Wir werden uns gegen die Klage energisch zur Wehr setzen. "Die Behauptungen sind komplett haltlos."

Der isländische Großmeister Hjörvar Gretarsson spielt als Vertreter des Ausrichters bei der Fischer Random Weltmeisterschaft mit und ist von Beruf ebenfalls Anwalt. Gegenüber NRK bezeichnete er die Klage von Niemann als "dumm": "Diese hohe Forderung macht keinen Sinn. Es ist typisch für Anwälte in die USA, dass sie gerne große Geldsummen aufrufen. Niemann will eine Entschädigung, was auch Sinn macht. Aber es werden nie 100 Millionen USD sein, die ihm entgangen sind. Also macht es keinen Sinn", sagt Gretarsson gegenüber NRK.

Gretarsson glaubt nicht, dass Niemann den Prozess gewinnen kann, meint aber: "Es wird interessant. ich hoffe, es kommt bald zu einer Lösung.

Pikanterweise ist Gretarsson einer der Spieler, die gemäß der von Chess.com veröffentlichten Liste von Niemann bei einem Online-Turnier betrogen wurde.

"Ich hatte das gleiche Gefühl wie Carlsen. Ich dachte, er sei unkonzentriert und öffnete die Stellung. Als es kompliziert wurde, spielte er auch schnell. Zuerst dachte ich, er sei extrem talentiert. Aber ich dachte an Betrug, als ich ich mir die Partie hinterher ansah. Aber ich ging immer noch davon aus, dass er nicht betrogen hatte, weil ich keine Beweise hatte. Für einen Anwalt ist es nicht fair, jemanden ohne Beweise des Betruges zu beschuldigen 

Bei der Fischer Random Weltmeisterschaft wird es besondere Sicherheitsmaßnahmen geben. Die Partien werden im norwegischen Fernsehen live übertragen, aber das Signal wird mit einer Verzögerung von Minuten gesendet.

"Es ist verrückt", meinte Wesley So, der bei der Fischer Random Weltmeisterschaft als Titelverteidiger spielt. "Wir kennen uns hier alle sehr gut. Betrug ist mit einem hohen Risiko verbunden. Denn dann ist dein Ruf ruiniert und deine Karriere ist vorbei. Niemann ist gerade 19 Jahre alt geworden, niemand kannte ihn vorher. Carlsen sah beim Sinquefield Cup, dass etwas nicht stimmte und zog sich vom Turnier zurück. Dafür habe ich großen Respekt."


Artikel bei NRK (Norwegen)...

Artikel im Wall Street Journal...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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