Am Dienstag raste die Nachricht wie ein Lauffeuer über die Webserver. Magnus Carlsen hat keine Lust mehr auf Weltmeisterschaftskämpfe.
Schon während der Weltmeisterschaft gab Magnus Carlsen seinem Freund Magnus Barstad für einen Video-Blog in Norwegische Sprache, der bei Carlsens Sponsor Unibet erschien, regelmäßig Interviews. Nach der Titelverteidigung ließ er eine Bombe platzen:
"Für diejenigen, die erwarten, dass ich das nächste Mal bei der WM spiele, ist die Chance, dass sie enttäuscht werden, sehr groß," verkündete der Weltmeister.
Er habe schon dass ganze Jahr darüber nachgedacht, ob der WM-Kampf in Dubai nicht sein letzter sein sollte. Der Titel bedeute ihm nicht mehr so viel wie früher, meinte Carlsen. Als dann aber Firouzja das Grand Swiss Turnier so überlegen gewann, fand Carlsen die Idee reizvoll, gegen den jungen Franzosen einen Wettkampf um die Weltmeisterschaft zu spielen. Wenn aber jemand anderes als Firouzja das Kandidatenturnier gewinnen würde, wäre es hingegen sehr unwahrscheinlich, dass er seinen Titel noch einmal verteidige, äußerte sich der Norweger. Eine endgültige Entscheidung ist zumindest noch nicht gefallen.
Carlsen betonte gleichzeitig, dass er nicht etwa die Absicht habe, mit dem Schach aufzuhören. Er freue sich schon auf die Rapid-und Blitz-Weltmeisterschaft.
Viel motivierender als die Verteidigung des Weltmeistertitels findet Magnus Carlsen das Ziel, mit seiner Elozahl die 2900-Marke zu erreichen. Schwierig, aber vielleicht machbar, meint der Weltmeister. Mit seiner bisher höchsten Elowertung von 2882, gleichzeitig die höchste Elowertung in der Schachgeschichte, sei er schon nah dran gewesen.
Es ist gut bekannt, dass Magnus Carlsen ein Freund vom Schach mit kurzen und ganz kurzen Bedenkzeiten ist. Als er einmal bei einer der WM-Partien gegen Ian Nepomniachtchi viel Zeit in der Eröffnung verbrauchte und nur noch 26 Minuten für etwa 10 Züge auf der Uhr hatte, meinte Anna Muzychuk als Kommentatorin cool: "Das sollte für Carlsen kein Probleme sein. In 26 Minuten spiel er bisweilen 27 Partien". "Aber nur online", ergänzte Anand.
Noch kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft übte Magnus Carlsen alias Dr. Nykterstein sich auf Lichess im Einminuten-Bulletschach. Michail Botwinnik würde sich verwundert die Augen reiben, wüsste er davon. Der Weltmeister von 1948 bis 1963 (mit Unterbrechungen) fand schon Blitzpartien unseriös und spielte zwischen zwei Weltmeisterschaftsmatches bisweilen nicht eine Turnierpartie.
Vor einigen Jahren hat Carlsen sich schon einmal kritisch über das klassische Format der Weltmeisterschaftskämpfe geäußert. Er würde lieber in K.o.-Turnieren um den Titel kämpfen, meinte er damals. In jüngerer Zeit wies er daraufhin, dass an der Weltspitze bei gleichstarken Gegnern immer mehr Partien remis endeten und schlug eine Verkürzung der Bedenkzeiten vor.
Man kann wohl behaupten, dass Carlsen ein echter "Spieler" ist, der den Nervenkitzel liebt. Den bekommt man bei kurzen und ganz kurzen Bedenkzeiten viel schneller und viel öfter. Ein langatmiger Weltmeisterschaftskampf vermittelt da ein eine ganz andere Form von Anspannung. Die Eröffnungsvorbereitung spielt eine viel größere Rolle. Fehler werden unnachgiebig bestraft. Das ist im Rapid oder Blitz alles ganz anders. Da kann man jede Eröffnung spiele, das macht Carlsen auch, und auch hohes Risiko gehen. Meistens klappt das bei Carlsen. Und wenn einmal nicht, dann folgt gleich eine neue Partie. Bei Weltmeisterschaftskämpfen muss man sich nach öden Remispartien stattdessen auch noch die dummen Fragen der Journalisten gefallen lassen.
Folgende sechs Spieler sind bereits für das Kandidatenturnier qualifiziert: Fabiano Caruana, Sergej Karjakin, Teimour Radjabov, Jan-Krzysztof Duda, Alireza Firouzja und Jan Nepomniachtchi als Verlierer des WM-Kampfes. Zwei Spieler qualifizieren sich noch über die Grand Prix-Turniere.
Gegen Caruana, Karjakin und Nepomniachtchi hat Carlsen schon WM-Kämpfe gespielt. Gegen diese Spieler noch einmal antreten zu müssen, wird ihm keinen Spaß machen. Vielleicht war es ja der Blick auf diese Teilnehmerliste, die Carlsen mit Blick auf den nächsten WM-Kampf so abschreckte.
2023 ist der dann 33-jährige Magnus Carlsen schon zehn Jahre lang Weltmeister. Das ist eine lange Zeit. Der Norweger hat sich damit schon in die Riege der Weltmeister mit den längsten "Dienstzeiten" eingereiht und holt 2023 Anatoly Karpov ein. Der Weltmeister mit der längsten Amtszeit zu sein, wäre übrigens auch ein lohnendes Ziel. Um Laskers Rekord zu überbieten, müsste Carlsen bis 2040 Weltmeister bleiben. Dann ist er erst 50 Jahre alt. Warum nicht? Kortschnoj hatte sich in dem Alter erst richtig warm gespielt.
Video-Interview mit Magnus Barstad...
Video bei Vime0 (Anmeldung erforderlich)...
Artikel bei Verdens Gang...