Der erste Tag der Chess Classic Mainz
Hartmut Metz
Die beiden Erzrivalen Anatoli Karpow (Russland) und Viktor Kortschnoi (2:1
Punkte) führen bei den Chess Classic Mainz, die gestern mit der „Unzicker Gala
80“ in der Rheingoldhalle begannen. Im Duell der vier Schach-Legenden bezwang
zwar Karpow zum Auftakt Kortschnoi. Doch der Schweizer ließ sich dadurch nicht
aus dem Konzept bringen und schlug seinerseits Ex-Weltmeister Boris Spasski
(Frankreich) und Wolfgang Unzicker. Der 386fache Rekordnationalspieler aus
München weist so wie Spasski 1:2 Zähler auf.
Der 80-Jährige verpasste allerdings in der dritten Vorrundenpartie gegen
Kortschnoi eine Gewinnv erheißende Fortsetzung. Sein sechs Jahre jüngerer Gegner
drehte danach das Blatt. Heute tragen die vier Großmeister ab 16.15 Uhr die
Rückrunde aus. Außerdem spielt der Weltranglistensechste Peter Swidler
(Russland) um 10.30 Uhr gegen das Programm „The Baron“ zwei Partien in der
Schachvariante Chess960. Um 15.15 Uhr blitzt der Weltranglistenerste Viswanathan
(Indien) gegen mehrere Amateure. Gleiches macht der Russe Alexander Grischuk,
der ab 15.45 Uhr gegen 40 Mitspieler ein Simultan gibt.

Unzicker Gala, Tag 1. Die Partien...
Die „zwei
Krokodile“ sind sich nicht grün
Schach-Legenden Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi nach 27 Jahren noch immer
verfeindet
Von Hartmut Metz

„Die Damen, die wir
benutzen, würden dich nicht erregen!“ Die Damen, die die Textzeile aus dem
Welthit „One Night in Bangkok“ meint, erregen die lebenden Vorbilder für das
Erfolgs-Musical „Chess“ von Abba noch immer: Anatoli Karpow und Viktor
Kortschnoi. Mit ihren Damen, der mächtigsten Figur, versuchen die beiden
Schach-Koryphäen dem Gegner klaffende Wunden zuzufügen – nicht nur auf dem
Brett. Dass diese auch nach 27 Jahren nicht verheilen, zeigte sich bereits vor
dem ersten Zug bei den Chess Classic Mainz in der Rheingoldhalle. Dabei ging es
eigentlich um ein freundschaftliches Turnier, mit dem der 80 Jahre alt gewordene
386fache deutsche Rekordnationalspieler Wolfgang Unzicker geehrt werden sollte.
Die ersten
Scharmützel lieferten sich Kortschnoi und Karpow bei der Pressekonferenz.
Letzterer verstellte gleich die Namensschilder, als der 54-Jährige entdeckte,
dass er neben dem ehemaligen sowjetischen Landsmann sitzen sollte. Kortschnoi
verdrehte nicht nur die Augen bei den Ausführungen des verhassten Moskauers,
sondern kritzelte auch ein paar kyrillische Sätze auf einen Block, die er
anschließend seinem neuen Nebenmann, Boris Spasski, zeigte. Es dürfte sich um
eine Schmähschrift gehandelt haben, denn der 1972 von Bobby Fischer entthronte
Weltmeister wiegelte gleich kopfschüttelnd ab, als Auskunft begehrt wurde, was
er von dem 74-jährigen Wahl-Schweizer gezeigt bekommen hatte. Stattdessen
wünschte der gemütlich gewordene Spasski lieber Unzicker und sich in dem Turnier
der alten Haudegen „viel Glück gegen die zwei Krokodile“.
Wie bissig die noch
sind, zeigte sich gleich in der ersten Partie. Die Auslosung für die „Unzicker
Gala 80“ hatte ausgerechnet das Duell Kortschnoi kontra Karpow erbracht. Eine
weitere Neuauflage der unendlichen Geschichte, die 1978 begann: Im WM-Finale
musste der erste reinrassige Russe und Proletarier Karpow um jeden Preis den
Titel gegen den geflohenen und seitdem in seiner Heimat totgeschwiegenen
Kortschnoi verteidigen. In Baguio stand deshalb auch die geistige Überlegenheit
des Sozialismus auf dem Spiel. Zunächst lief alles nach Plan. Der 1975 kampflos
gekürte Weltmeister - nach seinem Sieg im Herausforderer-Finale über Kortschnoi
trat Fischer nicht an - führte auf den Philippinen 5:2. Doch plötzlich holte der
Dissident auf und glich zum 5:5 aus! Bis heute ranken sich Legenden um die
folgenden Dramen. Kortschnoi sei auf das Schicksal seiner in der UdSSR
festgehaltenen Ehefrau und seines Sohnes hingewiesen worden, heißt es. Der heute
im eidgenössischen Wohlen lebende Großmeister beharrt auf eine noch
abscheulichere Drohung: Sollte dem Abtrünnigen ein weiterer Sieg gelingen, würde
ihn der KGB eliminieren. Glücklicherweise vollstreckte Karpow zum 6:5.
Beim nächsten
WM-Finale 1981 in Meran (das das Abba-Musical mit dem Lied „Merano“ würdigt)
hatte das Partei-Mitglied dann weit weniger Schwierigkeiten, Kortschnoi in
Schach zu halten. Ein Trauma für den 74-jährigen Ausnahmekönner, der als einer
der größten Denkstrategen aller Zeiten niemals Weltmeister wurde. Im Mainzer
Hilton eingetroffen, beschäftigt ihn daher nur eine Frage: „Ist Karpow schon
da?“ Obwohl der inzwischen viel lockerer wurde und den Kommunisten abgeschworen
hat, taucht Kortschnoi in der Rheingoldhalle mit einer zweiten Brille über
seiner normalen auf!

Dunkle Gläser gegen den bösen Blick von Anatoli Karpow? Viktor
Kortschnoi verlor dennoch die erste Partie gegen seinen Erzrivalen. Foto: Metz
Wie anno 1978 sind
die Augengläser stark verdunkelt, als sie auf den Philippinen die Strahlen des
sowjetischen Parapsychologen Schugar abhalten sollten. Freilich nutzt die
psychologische Kriegsführung auch diesmal nichts. Kortschnoi will zu viel, will
unversöhnlich den Feind an seinem Brett vernichten. Karpow kontert ihn kühl aus.
„Lächerlich“ findet der Moskauer anschließend die Dunkle-Gläser-Posse. Zufrieden
gibt der 54-Jährige nun einem Fernsehteam das Interview, das er am Nachmittag
abgeblasen hatte – weil die „Brisant“-Redakteurin der ARD zu lange mit
Kortschnoi parliert hatte. Ein indisches Sprichwort sagt: Schach ist ein See,
aus dem eine Mücke trinken und in dem ein Elefant ertrinken kann. Die „zwei
Krokodile“ in diesem See werden sich nicht mehr grün.