ChessBase Magazin #205: Special zu Robert Hübner

von ChessBase
13.01.2022 – Robert Hübner gilt als der erfolgreichste deutsche Spieler seit Emanuel Lasker. Von 1971 bis 1988 gehörte er zu den Top 20 der Welt und erreichte seine höchste Platzierung im Jahr 1981 als Nummer 3 der Eloliste. Er nahm an vier Kandidatenzyklen teil und konnte 1980 ins Finale vorrücken. Im ChessBase Magazin #205 kommentieren unsere Autoren ihre persönliche Lieblingspartie Hübners – so entstand eine exklusive Sammlung von 16 Partien aus den Jahren 1970 bis 2017. Zudem stellt Karsten Müller eine Auswahl von Hübners besten Endspielen vor. Und Mihail Marin kommt in seinem Strategiecheck zu einem für ihn selbst überraschenden Ergebnis! Hier zeigen wir Ihnen einen Ausschnitt aus Marins Videobeitrag sowie Karsten Müllers Analyse seiner Lieblingsparte: Hübner-Kasparov (Dortmund 1992). Wir wünschen viel Vergnügen!

ChessBase Magazin 205 ChessBase Magazin 205

"Special" zu Robert Hübner mit Partieanalysen und Videos zu Strategie und Endspiel. Firouzja, Oparin, Predke, Sevian, Vitiugov u.a. kommentieren ihre Partien vom Grand Swiss 2021. Eröffnungsvideos von Kasimdzhanov, Ragger und Marin. 11 Eröffnungsartikel

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"Hauptsächlich ein konkreter Spieler"

Aus Mihail Marins Beitrag: „Hübners Strategiekunst“

Wie lässt sich Robert Hübners Spielstil am besten beschreiben? Mihail Marin hat 16 Partien Robert Hübners – vorrangig von den Interzonenturnieren von 1970 bis 1979 – analysiert und beleuchtet in seinem Artikel verschiedene strategische Elemente seiner Spielkunst. Den Analysen und Trainingsaufgaben stellt er wie gewohnt ein Einleitungsvideo voran, in dem es zu Beginn heißt: „Eine lange Zeit habe ich gedacht, dass Robert Hübner ein streng positioneller Spieler sei. Vielleicht hatte ich subjektive Gründe dafür..."

Ausschnitt aus Mihail Marins Einleitungsvideo

Gesamtspielzeit des Videos in ChessBase Magazin #205:  32:08 min!

"Meine Lieblingspartie von Robert Hübner"

Karsten Müller analysiert Robert Hübner - Garry Kasparov (Dortmund 1992)

Einen amtierenden Weltmeister zu besiegen, ist immer etwas Besonderes. Hier gelingt Hübner obendrein eine Sieg in typischem Kasparovstil. Er setzt auf seine Chancen im Königsangriff am Königsflügel und wird belohnt.

1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.g3 Lg7 4.Lg2 0–0 5.Sc3 d6 6.Sf3 Sbd7 7.0–0 e5 8.e4 c6 9.h3 Db6?!

Objektiv ist das vermutlich zu provokativ. Damals galt es jedoch als gut spielbar.

10.c5! dxc5 11.dxe5 Se8

12.Sa4? Das ist jedoch zu langsam. Die heutige Hauptvariante 12.e6 fxe6 13.Sg5 Se5 14.f4 Sf7 15.Sxf7 Ld4+ 16.Kh2 Txf7 17.e5 ist besser für Weiß und hat das ganze Abspiel in Misskredit gebracht.

12...Da6 13.Lg5 b5 14.Sc3 Sc7 15.Le7 Te8 16.Ld6 Se6 17.a4 b4 18.Se2 Da5!

Kasparov spielt ebenfalls wie gewohnt auf Gewinn und will mehr als

18...c4 19.Lxb4 Sxe5 20.Sxe5 Lxe5 21.Lc3 Lxc3 22.bxc3 Sc5 (Knaak in CBM 29), was ziemlich ausgeglichen sein dürfte.; Nicht jedoch das überhastete 18...Dc4? 19.Te1 Da6 20.a5 c4 21.Sf4 Sef8 22.Lf1

19.Sd2 La6 Kasparov verschmäht den Bauern und setzt voll auf sein Gegenspiel.

19...Sxe5!? kam allerdings ebenfalls stark in Frage, z.B. 20.f4 Sd7 21.e5 La6 22.Tf2 Tad8

20.f4 c4 21.Kh2 Tad8 21...Sb6? 22.f5

22.Dc2?

Am Damenflügel geht es nicht recht weiter.

22.Sf3 war angesagt und das Spiel sollte sich die Waage halten, z.B. 22...Lf8 23.Sed4 Sxd4 24.Sxd4 Lb7 25.Sc2 b3 26.Se3 La6 27.Tc1 c3 28.Txc3 Lxf1 29.Dxf1 Dxa4 30.Lxf8 Txf8 31.Dc1

22...Sb6 23.Tfd1 Lf8? Danach kommt Hübners Spiel am Königsflügel doch noch in Schwung.

Nach 23...c5! 24.Lf1 Tc8 (Hübner in CBM 29) ist es dagegen ausgebremst.

24.Sf3 c3 25.Sed4

Nun wird es richtig ungemütlich. Hübner verstärkt seine Initiative im Stil Kasparovs, der unter Druck nun fehlgreift:

25...Sxd4? Dieser Abtausch erhöht nur die weiße Angriffsharmonie.

25...cxb2! hält den Schaden in Grenzen, z.B. 26.Dxb2 (26.Sb3? bxa1S 27.Txa1 Ld3 28.Dxd3 Sc5–+ (Hübner)) 26...Sc4! 27.Da2 Sxd6 28.Sxc6 Db6 29.Sxd8 b3 30.Db1 b2 31.Sxe6 bxa1D 32.Dxa1 Txe6 33.exd6 Txd6 34.Txd6 Dxd6 35.e5 Db4

26.Sxd4 cxb2 27.Dxb2 27.Sb3? bxa1S 28.Txa1 Txd6 29.Sxa5 Td3

27...Sc4 28.Db3?

Überraschenderweise ist das das falsche Feld.

Nach 28.Da2! steht Schwarz mit dem Rücken zur Wand: 28...Sxd6 (28...Db6? 29.a5 Db7 30.Lxf8 Kxf8 31.e6+–) 29.Sxc6 Db6 30.Sxd8 b3 31.a5 De3 32.Da4 Lb5 33.Dd4 Dxd4 34.Txd4 Sc4 35.Tb1 Sxa5 36.Td5 Lc4 37.Txa5 Txd8 38.Txa7 Td2 39.Tb7

28...Db6 Die richtige Parade der Drohung Sxc6.

Nicht jedoch 28...Tc8? 29.Lxf8 Txf8 (29...Kxf8 30.Tac1 c5 31.Sf3 Ted8 32.Txd8+ Dxd8 33.Txc4 Lxc4 34.Dxc4+–) 30.e6 c5 31.Sf3 Sb6 32.e7 Tfe8 33.Db2 Sc4 34.Df6 Db6 35.e5 Lb7 36.Td6 Dc7 37.Tc1 Se3 38.e6 fxe6 39.Dxe6+ Kh8 40.Td7 Dc6 41.De5+ Kg8 42.Txb7 Dxb7 43.Dxe3 Dxe7 44.Se5+–

29.a5 Db7 Diese Entscheidung Kasparovs kann allerdings auch kritisch gesehen werden. Der passive Damenrückzug gibt Hübner eine gefährliche Initiative.

Vermutlich war 29...Sxa5!? aus praktischer Sicht die bessere Wahl, z.B. 30.Txa5 (30.Da4 Lxd6 31.exd6 Txd6 32.Dxa5 Dxa5 33.Txa5 Lb5 34.e5 Td7 35.Txb5 cxb5 36.Lc6 Ted8 37.Lxd7 Txd7 38.Kg2 b3 39.Kf3 a5 40.Ke4 a4 41.Tb1 Kf8 42.Sxb5 Tb7 43.Sa3 b2 44.Sc2 Tb3 45.g4 a3 46.Sxa3 Txa3 47.Txb2 Txh3=) 30...Dxa5 31.Lxf8 Txd4 32.Txd4 Txf8 33.e6 Dc5 34.exf7+ Txf7 35.Txb4 Lb5

30.Lxf8 Kxf8 31.e6!?

Die konsequente Fortsetzung des weißen Angriffs.

31.Lf1?! c5 32.Lxc4 Lxc4 33.Dxc4 cxd4 34.Txd4 Txd4 35.Dxd4 b3 36.e6 Txe6 (Hübner) 37.Dh8+ Ke7 38.Td1 Dc7 39.Dd4=

31...c5 31...fxe6?? 32.Sxe6+ Txe6 33.Txd8+ Ke7 34.Tad1+–

32.e5 Dc7 33.exf7 Dxf7 34.Sc6

Nun ist eine sehr kritische Lage entstanden. Vermutlich kann Kasparov sich noch halten, aber am Brett ist die Verteidigung kaum zu finden bzw. zu führen:

34...Txd1? Das ist die falsche Reihenfolge.

34...Sxe5! war angesagt, z.B. 35.Dxf7+ Sxf7 36.Sxd8 Txd8 37.Txd8+ Sxd8 38.Tc1 c4 (38...Se6? 39.Ld5 Ke7 (Hübner) 40.g4 Sd4 (40...Sxf4?! 41.Txc5 Kd6?! 42.Tc6++–) 41.f5 gxf5 (41...b3 42.f6+ Kxf6 43.Txc5) 42.gxf5 Ld3 43.f6+ Kxf6 44.Txc5) 39.Lf1 b3 40.Lxc4 b2 41.Td1 b1D 42.Txb1 Lxc4 (Hübner) 43.Tc1 Lb5 44.Tc8 Ke8 45.Tc7 Sc6 46.Txh7 a6

35.Txd1 35.Dxd1? Se3 36.Dd6+ Kg8 37.Lf3 Db3 (Hübner) 38.Te1=

35...Sxe5 35...Dc7? 36.Df3+–

36.Ld5 Lc4! Auf diesen Konter hatte sich Kasparov vermutlich verlassen.

37.Dc2 Sg4+?

Nun wickelt er unter den enormen Druck allerdings in ein verlorenes Endspiel ab.

Nach 37...b3? 38.Dc1

a) 38.Dc3? Df5 39.Td2 (39.Sxe5 Dc2+ 40.Dxc2 bxc2 41.Tc1 Lxd5 42.Txc2 Tc8 43.Txc5 Txc5 44.Sd7+ Ke7 45.Sxc5 Kd6= (Hübner)) 39...b2 40.Sxe5 Txe5 41.fxe5 b1D 42.Dxc4 Db4 43.De2 Kg7 44.De3 Db8 45.Tf2 Dbxe5 46.Dxc5 Dxf2+ 47.Dxf2 Dxd5 48.Dxa7+ Kg8 49.Db8+ Kf7 50.Dc7+ Kg8 51.Db8+ Kf7 52.Db4 Da2+ 53.Kg1 De2=;

b) 38.Df2?? Sxc6 39.Lxf7 Te2–+;

38...Df5 (38...b2 39.Dxb2 Lxd5 40.Sxe5 Db7 41.Dc3 (Hübner)) 39.Sxe5 Dc2+ 40.Lg2 Txe5 41.fxe5 Dxc1 42.Txc1 sind die schwarzen Bauern erstaunlich zahnlos, z.B. 42...Ld3 43.Tf1+ (43.Txc5? b2 44.Tc8+ Ke7 45.Tb8 b1D 46.Txb1 Lxb1 47.Ld5 Lf5= (Hübner)) 43...Ke7 (43...Lxf1 44.Lxf1 Ke7 45.Kg2 Ke6 46.Kf3 Kxe5 47.Ke3+–) 44.Tf2 Ke6 (Hübner) (44...c4?! 45.Ld5+–) 45.Lf3 c4 (45...Lc2 46.Td2 Kxe5 47.Ld5+–) 46.Ld1 Le4 47.Tb2 Ld5 48.Kg1 Kxe5 49.Kf2 Kd4 50.Td2+ Ke5 51.Ke3+–; 37...Sxc6! war erzwungen. Allerdings behält Weiß klaren Vorteil nach 38.Dxc4 Dc7 39.Dxc5+ De7 (Hübner) 40.Dc1!; 37...Dxd5? 38.Txd5 Sf3+ 39.Kh1 Te2 40.Td8+ Kg7 41.Dxe2 Lxe2 42.Kg2+–

38.hxg4 Te2+ 38...Lxd5 39.Dxc5+ Kg8 40.Txd5 De6 41.Se5+–

39.Dxe2 Lxe2 40.Lxf7 Lxd1 41.Lc4

Hübner kontrolliert die schwarzen Bauern, während sein a-Bauer die Partie entscheiden wird.

41...b3 42.Sxa7 b2 43.La2 43.Ld3?? c4=

43...Le2 43...c4 44.Sb5+– (Hübner); 43...Lxg4 44.Sb5 Le6 45.Lb1 Lf5 46.Lxf5 gxf5 47.Sc3+– (Hübner); 43...La4 44.Sc8 c4 45.a6 c3 46.a7 c2 (46...Lc6 47.Lb1+–) 47.a8D b1D (47...c1D 48.Dxa4+–) 48.Sb6+ Le8 (48...Ke7 49.De4+ Kd8 50.Lxb1 c1D 51.Sxa4+–) 49.Da3+ Kg7 50.De7++– (Hübner)

44.Kg2 Ld3 44...Ke7 45.Kf2 Lc4 46.Lb1 Kd7 47.f5 gxf5 48.gxf5 Kc7 49.f6 Kb7 50.Sb5+– (Hübner)

45.Kf3 Ke7 45...b1D 46.Lxb1 Lxb1 47.Ke3 La2 48.Sb5 Lc4 49.Sc7+–

46.Ke3 b1D 46...Lc4 47.Lb1 Kd7 48.Kd2 Kc7 49.Kc3 La6 50.f5 gxf5 51.gxf5 Kb7 52.f6 Kxa7 53.f7+–

47.Lxb1 Lxb1 48.Sb5 Kd7 48...La2 49.a6 Ld5 50.Sc7 Lc6 51.a7 Kd7 52.a8D Lxa8 53.Sxa8 Kc6 54.f5+–

49.a6 Kc6 

50.f5! Diese taktische Pointe ist der krönende Abschluss eines nachhaltigen Angriffs.

50.f5! gxf5 51.gxf5 Lxf5 52.a7 Kb7 53.Sd6+ Kxa7 54.Sxf5 Kb6 55.Ke4 Kc6 56.Ke5 Kb5 57.Kd5 Kb4 58.Sd6 h5 59.Se4 c4 60.Kd4 Kb3 61.Sd2++–

1–0

Diese und 15 weitere Glanzpartien von Robert Hübner – kommentiert von Martin Breutigam, Adrien Demuth, Romain Edouard, Michal Krasenkow und Viktor Moskalenko u.v.a. – finden Sie im "Special" von ChessBase Magazin #205!

ChessBase Magazin #205

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