Das Rezept für gute Züge - eine Rezension

von Stefan Liebig
27.02.2024 – Mit einer Vielzahl von überaus erfolgreichen Schülern, darunter nicht zuletzt der WM-Kandidat Praggnanandhaa gilt der indische Schachtrainer Ramachandran Ramesh als "Wundertrainer", als Pep Guardiola des Schachs. In seinem Fritztrainer "Improve your pieces - a winning system you need to know" teilt er das Geheimnis seines Schachtrainings. Stefan Liebig hat sich den Kurs angesehen.

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Das Rezept für gute Züge

„Manchmal ist Schach sehr komplex – manchmal simpel.

Beim Schach ist es wie bei den Handys: Wir nutzen nur 1 Prozent der Möglichkeiten!

Wir können aber lernen mehr zu beherrschen – ich lehre die Basics dafür!“

            Ramachandran Ramesh

Wählen Sie im Restaurant sofort das erste Gericht aus, das Ihnen lecker erscheint? Vermutlich nicht! Wahrscheinlich gehören Sie auch zu den Gästen, die nach mehreren guten Möglichkeiten suchen, dann einige in die engere Wahl ziehen und sich schließlich für das entscheiden, was Ihnen an diesem Tag am besten gefällt.

Improve your pieces - a winning system you need to know

In diesem Kurs lernen wir, wie wir passiv Figuren in jeder Situation erkennen und wie wir Sie verbessern können, indem wir sie in aktive Felder bringen.

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Was der neue Trainingskurs „Improve your pieces - a winning system you need to know” mit Essengehen zu tun hat? Nun, der indische Startrainer RB Ramesh vergleicht in einem seiner vielen Beispiele aus dem Alltag, das Auswählen einer Restaurantmahlzeit mit dem Aussuchen eines Zuges beim Schach: Stets sollten nämlich beim Schach mehrere Alternativen geprüft werden und auch die Vorzüge anderer Varianten in die Analyse einbezogen werden.

Der Pep Guardiola des Schachs

Der ChessBase-Mitarbeiter Arne Kaehler stellte den indischen Großmeister im Interview (https://de.chessbase.com/post/indiens-spitzentrainer-ein-interview-mit-r-b-ramesh) auf eine Stufe mit Pep Guardiola. Das entlockte Ramachandran Ramesh, wie der 1976 in der indischen Schachmetropole Chennai geborene Schachtrainer ausführlich heißt, ein sympathisch-bescheidenes Lächeln. Doch was einigen im ersten Moment vielleicht übertrieben erscheint, kann untermauert werden: Ramesh hat mit seiner Trainingsarbeit viele indische Topspieler gefördert und so entscheidend dazu beigetragen, Indien zu einer der führenden Schachnationen zu machen. Vorbei sind die Zeiten mit Viswanathan Anand an der Spitze und einer großen Lücke zu den nächsten Topspielern. Weltweit trainiert Ramesh Hunderte von Schachschülern (https://de.chessbase.com/post/der-erfolgreichste-trainer-der-welt-rb-ramesh-i), wie Thorsten Cmiel bereits 2019 berichtete. Die Titelliste seiner Schützlinge bei (Jugend-)Welt- und Asienmeisterschaften würde den Rahmen dieses Beitrages überschreiten. Aktuell ist RB Ramesh unter anderem als Headcoach in Norwegen, um das dortige Schach breiter und besser aufzustellen oder fördert alle zwei Monate 15 rumänische Kinder systematisch im Trainingscamp.

Erfolgreiche Trainingsmethode für ChessBase-User

Wenn Sie nun sagen: „Was geht mich das an – ich werde wohl nie in den Genuss eines Ramesh-Trainings kommen“ – weit gefehlt! Mit „Improve your Pieces“ gewährt Ramesh tiefgreifende Einblicke in seine Methodik. Ramesh hat dafür instruktive Beispiele von Spielern verschiedener Generationen zusammengestellt und fasst die Motivation der Meister zusammen: „Alle Spieler wollen Figuren richtig stellen und mischen dazu verschiedene Konzepte.“

Ramesh nimmt Sie mit auf die Reise in die Spielerkonzepte und erklärt diese auf der Basis seiner erfolgreichen Methode. Diese basiert auf der Identifizierung von guten, sprich aktiven, sowie schlechten, sprich passiven, Figuren. In der Einleitung erklärt Ramesh, wieso er dies für die zentrale Herausforderung zur Verbesserung des eigenen Spieles hält. Er bietet 14 ausführliche Lektionen, die jeweils ein Partiebeispiel genau beleuchten und genauestens auf die Stärken und die Verbesserungsmöglichkeiten der Figuren unter Berücksichtigung der vorhandenen Bauernstruktur eingehen.

Bauern schränken Figuren ein

In einem ersten Beispiel erklärt Ramesh seine Denkweise: Der Bauer zog gerade von d7 nach d6 und machte aus aktiven weißen Figuren deutlich passivere, denn jetzt deckt er von d6 aus seinen bislang nur von den Figuren geschützten Kollegen auf e5. Weiß sollte nun seine passiven Figuren identifizieren und versuchen, sie zu aktivieren, d.h. auf bessere Felder stellen. Dafür ist es wichtig zu beurteilen, ob die Zeit für ein längeres Manövrieren ausreicht oder ob der Gegner in der Zwischenzeit die Stellung öffnen könnte, um zu Gegenspiel zu kommen, bevor ich meine Figur verbessert habe.

„Let me try to confuse you!”

Augenzwinkernd fragt Ramesh, ob er uns verwirren darf. Tja, was bleibt dem Zuschauer für eine Wahl, wenn der Trainer fragt, in welcher Reihenfolge die Figuren verbessert werden sollen? Es hängt von der Stärke der Figur und der Ausprägung ihrer Passivität ab. Wie das einzuschätzen ist, erfährt man in seinen Beispielpartien:

1. Beispiel Renet-Jussupov

Stellung nach 24. Tad1

Der indische Großmeister nähert sich allen Stellungen wie folgt: „Bevor wir einen Zug suchen, müssen wir die Stellung verstehen und beurteilen: Wer steht besser? Dafür brauchen wir einen Evaluationsprozess. Der führt zum Erkennen, was die Position verlangt.“

Ramesh geht hier gedanklich zurück in die Restaurantküche: „Alles, was möglich ist, steht auf der Karte, der Koch muss dafür sorgen, dass die Zutaten zusammenpassen. Lernen Sie also, mit der Stellung richtig umzugehen.“

Der Zuschauer lernt, die Figuren eine nach der anderen zu betrachten und erkennt – hier etwas abgekürzt –, dass Jussupov zu dem Schluss kam, dass Schwarz seine Passivität durch die Verbesserung des Springers angehen sollte. Es folgt der logische, wenn auch nicht gerade ins Auge springende Zug 24…Sh8. Der Springer will von f7 aus den starken Turm auf d6 vertreiben.

Ramesh zeigt, wie Jussupow in der Folge mit 14 (!!) aufeinanderfolgenden Figurenzügen den richtigen Moment für seinen Bauerndurchbruch vorbereitet. Mit diesem Beispiel führt er lehrreich das Begriffspaar „dynamisch – statisch“ ein, das neben der Aktivität und Passivität die wesentliche Rolle bei den folgenden Analysen bildet.

Weitere Beispiele

Natürlich sollen hier nicht die Lösungen der anderen Partiestellungen schon verraten werden. Denn Ramesh wird nicht müde zu betonen, wie wichtig das eigenständige Nachdenken für den Lernprozess und damit die Steigerung der eigenen Spielstärke ist. Grundvoraussetzung für den Lernprozess ist seines Erachtens Enthusiasmus. Denn ohne diese Begeisterung für das Lernen macht es sich der Lernende unnötig schwer.

Ein Überblick über die im Kurs folgenden Partiefragmente soll an dieser Stelle aber gegeben werden:

Wenn es um die optimale Vorbereitung und das punktgenaue Manövrieren geht, darf der Name Karpov natürlich nicht fehlen. Wer von Jussupovs Lösungszug überrascht war, könnte von Karpows Zug in der Partie gegen Schauwecker geradezu verwirrt sein. Doch Ramesh erklärt ruhig und systematisch, wie auch Amateure durch den richtigen Denkprozess zur Lösung kommen können und beruhigt: „Selbst erfahrene Spieler entwickeln zwar Figuren, wissen aber nicht wohin und was sie da sollen.“

„Wir brauchen Kriterien, gerade, wenn wir nicht viel Erfahrung haben“, sagt Ramesh und führt anhand des Beispiels eines beeindruckend schnellen Sieges von Kasparov gegen Hübner seinen mehrstufigen Prozess zur Stellungsbeurteilung ein:

1. Königssicherheit (außer in den meisten Endspielen)

2. Figurenaktivität vergleichen

3. Material: gleich

4. Andere Stellungsmerkmale wie Bauernstruktur, gute Läufer/schlechte Läufer, Raumvorteil, Felderschwächen etc.

Diesen Prozess exerziert der Meistertrainer gleich im folgenden Beispiel „Improving good Looking Pieces: Example 4 – Klimov gegen Fominyh“ durch und vertieft dies auch in den seinen Prinzipien folgenden Gewinnpartien von Miton und Kindermann. Bei letzter wird auch das Prinzip „multipler Ideen“ in einem Zug eingeführt. Danach sollten Sie mit Ihren Zügen stets mehrere Absichten verfolgen, um es dem Gegner möglichst schwer zu machen.

In der Partie 7 zwischen Short und Vaganian geht Ramesh zudem darauf ein, dass nicht zu viele Figuren um ein Feld kämpfen sollen, wenn das nicht nötig ist. Er verweist dabei auf eine wichtige Tatsache: „Die meisten langen Pläne passieren nur im Kopf, nicht auf dem Brett.“ Will heißen: Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche einer Stellung. Dies lernen Sie aber laut Autor nur, wenn Sie sich die Manöver großer Spieler anschauen und der Logik zu verstehen versuchen.

Anschließend nutzt Adams geschickt Bacrots Passivität aus, Caruana zeigt eine filigrane Verbindung aus Läufer- und Bauernzügen und Karpov verblüfft in seiner Partie gegen Spassky aus dem Jahr 1974 mit einer ganzen Reihe von stillen Zauberzügen. Am Ende werden vermutlich auch Sie staunend Rameshs Erläuterungen lauschen. Und Sie werden einiges mehr verstehen …

Wohin mit dem weißen Springer? Karpov weiß es!

The Art of Focusing our Pieces …

… so heißt das letzte Kapitel und hieße der Kurs nicht treffen „Improve your Pieces“, dann könnte er auch so benannt sein. Denn Ramesh macht es anschaulich, wie kunstvoll mit einigen richtigen Denktechniken harmlos aussehende Stellungen gewonnen werden können – manchmal sogar erstaunlich schnell.

„Ich habe viel von meinen Schülern gelernt – z.B. wie man lernt, besser zu werden“, sagte Ramesh im oben erwähnten Interview. Dieses Wissen wendet er in diesem Kurs überwältigend an. Neben den schachlichen Beispielen beeindrucken seine Analogien zum „echten“ Leben. Dem soll hier nicht vorgegriffen werden. Aber wenn Sie, wie vom Autor immer und immer wieder gefordert, mit Enthusiasmus ans Schachlernen rangehen, dann werden Sie an den Aufgaben wachsen und immer besser werden. Dabei mit dem Fokus auf richtige Denkweisen (neu) einzusteigen, ist sicher ein – um im Bild des Restaurantkochs zu bleiben – überzeugendes Rezept und Ramesh liefert dafür fantastisches und praxiserprobtes Material.

Improve your pieces - a winning system you need to know

In diesem Kurs lernen wir, wie wir passiv Figuren in jeder Situation erkennen und wie wir Sie verbessern können, indem wir sie in aktive Felder bringen.

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Stefan Liebig, geboren 1974, ist Journalist und Mitinhaber einer Marketingagentur. Er lebt heute in Barterode bei Göttingen. Im Alter von fünf Jahren machten ihn seltsame Figuren im Regal der Nachbarn neugierig. Seitdem hat ihn das Schachspiel fest in seinen Bann gezogen. Höhenflüge in die NRW-Jugendliga mit seinem Heimatverein SV Bad Laasphe und einige Einsätze in der Zweitligamannschaft von Tempo Göttingen waren Highlights für den ehemaligen Jugendsüdwestfalenmeister.