50 Schachpartien...(4) Der magische Turm: Wilhelm Steinitz gegen Curt von Bardeleben

von Johannes Fischer
28.04.2017 – Ziel des Schachs ist es, den gegnerischen König Matt zu setzen. Aber die meisten Schachpartien werden nicht durch elegante Mattangriffe, sondern durch materielle Übermacht entschieden. Erst nimmt man dem Gegner die Figuren weg, dann setzt man ihn Matt. Materialopfer setzen diese schnöden Regeln des Materialismus außer Kraft, das macht sie so reizvoll. Manche Opfer wirken sogar beinahe magisch.

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Eines der berühmtesten Beispiele der Schachgeschichte für diese Magie liefert eine Partie zwischen Wilhelm Steinitz und Curt von Bardeleben, die Generationen von Schachspielern verzaubert hat. Gespielt wurde sie am 17. August 1895 in der zehnten Runde des Turniers in Hastings. Nach energischer Eröffnungsbehandlung dringt Steinitz mit seinem Turm auf die siebte Reihe ein und richtet dort Verwüstungen an, obwohl der Turm ungedeckt ist und mehrere Züge lang von Dame und König des Gegners geschlagen werden kann. Zumindest theoretisch.

 

Eine phantastische Partie, die Steinitz für die beste Leistung seines Lebens hielt. Berühmt wurde Steinitz allerdings weniger durch solche brillanten Angriffe, sondern als Begründer des Positionsspiels und durch seine Erkenntnis, dass viele der zu seiner Zeit üblichen stürmischen Opferangriffe überstürzt waren und bei guter Verteidigung keinen Erfolg gehabt hätten.

Geboren wurde Steinitz am 17. Mai 1836 in Prag, etwas über ein Jahr vor Paul Morphy, der am 22. Juni 1837 in New Orleans zur Welt kam. Zu Beginn seiner Schachkarriere nannte man Steinitz gerne den „österreichischen Morphy“, denn er verfügte über hervorragende taktische Fähigkeiten und spielte im Stile seiner Zeit eine ganze Reihe opferfreudiger Angriffspartien. Ein Beispiel:

 

Dieser hübsche Sieg gelang Steinitz im Turnier in Baden Baden 1870, in dem er Platz zwei hinter Adolf Anderssen belegte. Für Steinitz eine Enttäuschung, denn nach Wettkampfsiegen gegen die besten Spieler seiner Zeit galt er damals bereits als bester Spieler der Welt. 1866 gewann er 8:6 (kein Remis) gegen Anderssen und im gleichen Jahr besiegte er Henry Edward Bird mit 9,5:7,5. 1870 demolierte er Joseph Henry Blackburne mit 5,5:0,5 und 1872 schlug er Johann Hermann Zukertort mit 9:3. In Turnieren war Steinitz allerdings nicht ganz so überlegen. In Paris 1867 belegte er den dritten Platz hinter Ignaz von Kolisch und Gustav Neumann und auch in Dresden 1867 musste er Neumann den Vortritt lassen und mit dem zweiten Platz vorlieb nehmen.

Der für ihn enttäuschende zweite Platz in Baden-Baden brachte Steinitz dazu, sein Spiel zu überdenken. Danach spielte er vorsichtiger, positioneller und erfolgreicher. 1886 trat Steinitz nach vielen Querelen im Vorfeld zu einem Wettkampf gegen Zukertort an – dem ersten offiziellen Weltmeisterschaftskampf der Schachgeschichte.

Zeitgenössische Aufnahme des Wettkampfs zwischen Steinitz (rechts) und Zukertort (links)

Nach fünf Partien lag Steinitz mit 1:4 zurück, aber am Ende gewann er überzeugend mit 10:5 (fünf Partien endeten Remis) und wurde der erste Weltmeister der Schachgeschichte. In diesem Wettkampf zeigte Steinitz mehr positionelles Verständnis als sein Gegner. Die folgende Partie ist typisch.

 

Seine Glanzpartie gegen von Bardeleben spielte Steinitz zum Ende seiner Karriere. Ein Jahr zuvor, 1894, hatte er seinen Weltmeistertitel an Emanuel Lasker verloren, fünf Jahre später, am 12. August 1900 starb er nach einer Reihe von Anfällen geistiger Verwirrung als armer Mann im New Yorker Staatsirrenhaus Wards-Island an Herzversagen.

50 Partien, die jeder Schachspieler kennen sollte

1. McDonnell - Labourdonnais
2.Die Unsterbliche: Adolf Anderssen - Lionel Kieseritzky
3. Paul Morphy: Einfach, kraftvoll, stark

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"Berliner Fenstersturz - das tragische Ende eines Exzentrikers" - Unter diesem Titel liefert Michael Negele auf der Webseite des Deutschen Schachbundes einen ausführlichen und informativen Überblick über das Leben von Curt von Bardeleben.


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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