Der Ramada Cup - er wächst und wächst und wächst...

von Klaus Besenthal
09.01.2017 – Über die ganz Großen der Schachwelt berichten wir an dieser Stelle ebenso regelmäßig wie über die vielfältigen Turniere im Kinder- und Jugendschach. Doch was machen eigentlich die "dazwischen"? Wo findet man berufstätige Erwachsene, die sich ihre Leidenschaft fürs Schach bewahrt haben? Klaus Besenthal hat sich beim Ramada Cup in Hamburg unters Volk gemischt - seine Eindrücke schildert er im Bericht. Mehr...

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Nie würde ich einen Artikel für ChessBase.de in der Ich-Form verfassen, doch hier geht es nicht nur um Amateurschach, sondern dazu auch noch um ein Turnier, an dem ich selber teilgenommen habe. Deswegen gestatten Sie, liebe Leser, mir bitte diesen einmaligen Stilbruch!

Regelmäßig alle sechs bis acht Wochen suche ich im Internet nach Spielgelegenheiten, die bevorzugt in der Nähe meines Wohnortes Lübeck zu finden sein sollten. Die Rubrik "Termine" auf der Homepage des Hamburger Schachverbands ist in diesem Sinne eine feste Anlaufstelle für mich - allein der "Ramada Cup" wird dort gar nicht aufgeführt. Den Hinweis auf dieses Turnier gibt es auf der Seite zwar auch, aber nur als kleine, blasse Kachel unten rechts in der Ecke. Durch Zufall fiel mein Blick irgendwann im letzten Herbst darauf - normalerweise übersehe ich so etwas eher. Aber egal, der Ramada Cup in Bergedorf, im südöstlichen Zipfel der Freien und Hansestadt Hamburg gelegen: Das passte für mich!

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich an diesem Turnier, das offiziell "Deutsche Schach-Amateurmeisterschaft" heißt, noch nie teilgenommen hatte, ja, schlimmer noch, nur schemenhaft darüber im Bilde gewesen war, um was es dabei eigentlich geht. Bei der Anmeldung nahm ich dann zur Kenntnis, dass die Veranstaltungen in Bad Soden und in Magdeburg bereits gelaufen waren. Das Turnier in Aalen stand noch bevor, war aber bereits ausgebucht - damit hatte ich nicht gerechnet! Aber ich wollte ja nach Hamburg, und dort gab es noch Plätze. 36,- Euro Startgeld + 15,- Euro für "Verzehrgutscheine" waren schnell überwiesen - ich war im Geschäft, bevor andere Interessenten mir meinen Platz wegnehmen konnten.

Die "Ramada Hotels" sponsern die Deutsche Schach-Amateurmeisterschaft, verdienen aber sicher auch ganz gut an den Spielern, die in betriebsarmer Zeit dabei helfen, das Hotel auszulasten. Ein Konzept, das vollkommen stimmig wirkt.

Nachdem ich am Dreikönigstag zu unchristlicher Uhrzeit das Ramada Hotel in Bergedorf betreten hatte, wurde mir sofort klar, was ich bislang versäumt hatte. Das Hotel platzte vor Schachspielern förmlich aus den Nähten - über 500 Teilnehmer konnte der Cheforganisator Dirk Jordan in seiner Eröffnungsansprache willkommen heißen, ganz ohne marktschreierische Werbung im Vorfeld.

Dirk Jordan: An der perfekten Organisation durch ihn und sein Team gab es absolut nichts zu mäkeln. (Foto: Turnierseite)

Selber angefangen Schachturniere zu besuchen habe ich in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts; damals erfuhr das Schach unter Jugendlichen einen starken Aufschwung und es gab jede Menge toller Jugendturniere mit massenhafter Beteiligung. Diese Hochstimmung hielt aber nicht an und die meisten meiner Altersgenossen hörten ganz damit auf Schach zu spielen. Der Gang durchs Hotelfoyer brachte mir nun die späte Erkenntnis, dass der aktuelle Boom beim Schach nicht nur eine Nummer größer ist als jener vor vierzig Jahren, sondern dass er darüber hinaus von Beteiligten aus allen Altersklassen getragen wird. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass offenbar immer mehr Eltern es für förderungswürdig halten, wenn ihre Kinder Schach spielen wollen. In Bergedorf gab es an diesem Wochenende jedenfalls eine wunderbare Mischung des Publikums - von U10 bis Ü90!

Der große Saal des Ramada Hotels in Hamburg-Bergedorf war an diesem Wochenende bis zum Rand mit Schachspielern gefüllt. Dicke Teppiche, bequeme Stühle und große Tische: Das war Spitze!

Wer regelmäßig an offenen Turnieren teilnimmt, der weiß, dass es dort zu den ungeschriebenen Gesetzen gehört, vor dem ersten Zug eine gewisse Wartezeit hinnehmen zu müssen. Da ist zunächst einmal das lästige "Einchecken", ein Termin, der zeitlich deutlich vor dem Beginn der ersten Runde liegt, zu dem man aber erscheinen muss. Was könnte da Abhilfe schaffen? Am Vorabend bereits online einchecken, wie am Flughafen? Dann würde mancher vielleicht diese Prozedur durchlaufen und dann am nächsten Morgen doch nicht da sein. Das ist ja gerade der Sinn der Sache: zu kontrollieren, dass ein Spieler wirklich physisch vor Ort erschienen ist. Kampflose Partien soll es natürlich nicht geben. Man muss da wohl durch - jedenfalls bis irgendjemand diesbezüglich mal eine geniale Idee entwickeln sollte.

Es folgten die Begrüßungsansprachen einer ganzen Reihe von Persönlichkeiten: Dirk Jordan, der die drei Tage bestens präpariert und mit unangestrengtem Charme moderierte, Ulf von Krenski (Bezirksamt Bergedorf), Lars Wörpel (Hoteldirektor), Hugo Schulz (Breitenschachreferent des DSB), Boris Bruhn (1. Vorsitzender des Hamburger Schachverbands), Siegfried Wölk (Ehrenvorsitzender des Bille Schachclubs, dessen Mitglieder die Durchführung des Turniers unterstützt hatten). Diese Ansprachen dauerten, nun ja: eine kleine Ewigkeit. Aber Dirk Jordan gab ganz offen zu, dass der Pfad vom "Einchecken" zur Auslosung mit reichlich Arbeit für das Schiedsrichterteam gepflastert sei. Als in organisatorischen Dingen nicht ganz unbewanderter Zeitgenosse vermute ich: 20% der Personen verursachen 80% der Arbeit - Zuspätkommer, Absagen, Nachmeldungen usw. Am Ende war es aber alles völlig egal und gar nicht störend: Ich war mit meiner Partie der 1. Runde früh fertig und hatte eine sehr lange Mittagspause zu überstehen - wären die Reden kürzer gewesen, dann wäre die Mittagspause eben noch länger gewesen. Man muss einfach Spazierengehen, etwas essen, meditieren - das gehört bei so einem Turnier dazu.

Der Hoteldirektor Lars Wörpel hatte mit seinem großen Team aus kompetenten, freundlichen Mitarbeitern ebenfalls alles fest im Griff. (Foto: Turnierseite)

Diese beiden "Urgesteine" des Bille Schachclubs genießen nach getaner Vorbereitungsarbeit eine ruhige Minute: Lothar Windt (links), den ich vor knapp 40 Jahren bei einer Schulschachveranstaltung das erste Mal gesehen habe, und Siegfried Wölk, der in den vergangenen Jahrzehnten diverse Funktionärsämter im Hamburger Schach innegehabt hat.

Während des Wartens vor der 1. Runde war natürlich reichlich Zeit für Gespräche - unter Amateuren. Die Profis waren ja durch eine DWZ-Begrenzung nach oben von der Teilnahme ausgeschlossen. Hartmut Zieher, ein alter Bekannter aus meiner Zeit beim Hamburger Schachklub, war in der Setzliste des A-Turniers auf Rang 2 gelistet, zwar mit der besten Elozahl, aber nur mit der zweitbesten DWZ. In jungen Jahren hat Hartmut für den HSK in der Bundesliga gespielt, wenn ich es recht entsinne, doch heute lautet die leicht despektierlich klingende, aber gar nicht so gemeinte Frage - wenn man nach längerer Zeit mal wieder ins Gespräch kommt - eher: "Arbeitest Du noch?" Das tut er tatsächlich, und zwar in der IT-Abteilung einer Versicherung. Mehr muss man wohl nicht anführen, um zu erklären, was ein Amateur ist: einer, der neben seiner schachlichen "Tätigkeit" noch jeden Tag acht Stunden lang einen anstrengenden Job zu erledigen hat. Hartmut kam dann auch rasch auf eines der wichtigsten Kriterien zu sprechen, die eine Rolle spielen, wenn ein Amateur über seine Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an einem Turnier entscheidet: Wie viele Urlaubstage muss man letztlich dafür "opfern"?

Hartmut Zieher berichtete mir, dass er bei einer früheren Teilnahme am Ramada Cup die Endrunde in der A-Gruppe gewonnen und sich dadurch für die Deutsche Meisterschaft (nicht die der Amateure, sondern die der "Großen") des betreffenden Jahres qualifiziert habe. Der Ramada Cup bietet also sogar echte Aufstiegsmöglichkeiten - wenn man gut genug spielt! (Foto: Turnierseite)

Thomas Kahlert arbeitet ebenfalls in einem IT-Job - für den SK Norderstedt spielte er aber unlängst sogar in der Bundesliga. (Auch dieses Foto vom - als Fotograf amateurhaften - Autor) 

Fritz Fegebank hat die Arbeit bereits hinter sich. Der pensionierte Pädagoge genießt in Hamburg einen hohen Bekanntheitsgrad - mit seinen 2,0/5 in der B-Gruppe war er am Ende aber unzufrieden.

Die andere Frage, die einen Berufstätigen bewegt: Wie anstrengend wird das Turnier? Wer schon jemals an drei oder vier Tagen hintereinander jeweils zwei Turnierpartien gespielt hat, der wird die Antwort kennen: Verdammt anstrengend! Überflüssig zu erwähnen, dass dies in Kombination mit einem Bürojob (der am Tag nach dem Turnier wieder aufgenommen werden muss) nicht besser wird. Andererseits ist es eine Tatsache, dass jemand, der regelmäßig zur Arbeit geht, über mehr Geld verfügt als jemand, der dies nicht tut. Im Hotel kostet ein Liter Mineralwasser schon mal 9 Euro, was von einem Großteil der Schachspieler anstandslos bezahlt wurde. Das ist Ausdruck der Tatsache, dass zu diesem Turnier eben nicht nur Kinder, Jugendliche und Rentner erschienen waren (die weder "Urlaubstage opfern" noch sich sonderlich anstrengen müssen - weil sie entweder jung sind oder zumindest nicht auch noch arbeiten müssen), sondern dass es vielmehr einen die Szenerie durchaus dominierenden "Mittelbau" von berufstätigen "Amateuren" gab. Für diese Zielgruppe ist der Ramada Cup wie maßgeschneidert: Man muss nur einen oder zwei Tage Urlaub nehmen, es ist weniger anstrengend, weil nicht sieben Runden zu spielen sind, sondern nur fünf. Und das findet offenbar großen Anklang. Die Veranstaltungsreihe soll im nächsten Zyklus um ein Turnier in München erweitert werden - ein äußerst attraktiver neuer Standort.

Dirk Jordan und sein Team suchen händeringend nach Möglichkeiten, um noch mehr Spieler beim Ramada Cup unterbringen zu können. Diese Lösung hat man in Hamburg präsentiert: München soll als siebter Austragungsort für ein Vorturnier hinzukommen.

Warum ich das so ausführlich schreibe? Es gibt sehr viele voll Berufstätige, die immer leidenschaftliche Schachspieler geblieben sind, aus den genannten Gründen aber nur wenige adäquate Spielmöglichkeiten finden. Zugleich ist "Geld" ja beim Schach immer ein Thema. Es gibt Sponsoren und Gönner (nicht unbedingt dasselbe) - und es gibt mehr oder weniger gut verdienende Arbeitnehmer, die bereit sind für ihr Hobby einiges an Geld auszugeben. Konkret kann sich ein Turnier also auch, wie der Ramada Cup, zu einem großen Teil aus den verschiedenen Beiträgen der Spieler (Startgeld, Verzehr) finanzieren (fast eine Art von "Crowdfunding") - irgendeine Form der Finanzierung ist nun einmal notwendig, denn die nahezu perfekten Gegebenheiten in einem großen Hotel (nur als Beispiel für diverse andere Kostenblöcke) gibt es nicht umsonst. Mir persönlich scheint die Bereitschaft der - berufstätigen - Amateurspieler, Geld für ihr Hobby auszugeben, immer noch brachliegendes Potential zu sein. Voraussetzung für dessen weitere Hebung wäre jedoch, dass die Organisatoren von Schachturnieren noch mehr kreative Ideen für Spielgelegenheiten entwickeln, die einen Werktätigen nicht von vornherein überfordern. Der Ramada Cup zeigt, wie das gehen kann.

Die Begegnungen mit diesem Mann sind mir immer eine besondere Freude: Hugo Schulz, Internationaler Schiedsrichter und Breitenschachreferent des DSB. Bei ihm sitzt jeder Handgriff - hier richtet er vor Rundenbeginn persönlich die digitalen Uhren ein. Vor 27 Jahren wurde er mein Nachfolger als 1. Vorsitzender der Langenhorner Schachfreunde, einem kleinen Verein am nördlichen Stadtrand von Hamburg. Diesen Job macht er seither ebenfalls ununterbrochen. Dass er sich bereits altersbedingt von der Arbeit als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft verabschieden durfte, mag man gar nicht glauben, wenn man sieht, wieviel Vitalität er ausstrahlt.

Und dann geht es endlich doch noch los - nach einem in den letzten Jahren erlebten stetigen DWZ-Verfall starte ich in der B-Gruppe. Charmante Idee der Organisatoren: Zu Beginn jeder Runde wird über die Lautsprecheranlage "One Night in Bangkok" aus dem Musical "Chess" gespielt. Bis 500 Leute sich "zurechtgeschüttelt" haben (sprich: jeder seinen Platz gefunden hat), vergeht einige Zeit, doch die "Hymne" startet diesen Prozess ganz automatisch. Eine einfache Lösung für ein nicht ganz so einfaches Problem - das hat was! Ich kann mich sogar noch an den Interpreten des Songs erinnern: Murray Head heißt der Mann, ein britischer Sänger und Schauspieler, der inzwischen auch schon 70 Jahre alt ist. Im Januar 1985 war er mit seinem Song zwei Wochen lang die Nr. 1 in den deutschen Single-Charts.

Über 500 Teilnehmer bei einem Schachturnier in Hamburg? Da ist ein ChessBase-Stand schon fast Ehrensache. Auf dem Foto berät unser Mitarbeiter Martin Fischer einen Interessenten.

Über dieses Notebook und den angeschlossenen Beamer konnten nach Lust und Laune Schachaufgaben gelöst werden - ebenfalls eine Idee von ChessBase. Mehr als tausend Aufgaben wurden auf diese Weise bearbeitet - bei der Siegerehrung wurden unter den Teilnehmern verschiedene ChessBase-Produkte verlost. Auch der reguläre "Preisfonds" wurde von ChessBase mit eigenen Produkten aufgestockt.

Wenige Tage zuvor hatte ich am Open in Bad Schwartau teilgenommen und in der 1. Runde nach teilweise katastrophalen "Aussetzern" gegen eine U12-Spielerin verloren. Im Nachhinein hatte ich mir meine schlechte Verfassung zu diesem Zeitpunkt damit erklärt, dass ich als notorischer Nachtmensch für dieses Turnier furchtbar früh hatte aufstehen müssen - nicht zuletzt wollte ja auch dort das "Einchecken" pünktlich bedient werden. Nun also der Ramada Cup: Damit mir das nicht wieder passieren würde, hatte ich die ganze Woche über (das ist jetzt kein Witz) frühes Aufstehen "trainiert". Ob es daran liegt, dass dieses Mal der Gegner den "Blackout" hat und in guter Stellung eine Figur einstellt? Wie auch immer: Der erste Punkt fällt mir praktisch kampflos in den Schoß. Und so geht es dann am Nachmittag weiter: Ich bekomme die "Polnische Verteidigung" vorgesetzt, einen absoluten Exoten unter den Schacheröffnungen, den ich mir jedoch zufällig einige Tage zuvor erst angesehen hatte. Ich habe schnell eine gute Stellung und wieder stellt der Gegner etwas ein, dieses Mal eine Qualität. Zwei volle Punkte, für die ich nicht besonders viel selber hatte tun müssen - etwas uninspiriert aber ganz zufrieden fahre ich an diesem Abend zurück nach Lübeck.

Denn genau das hatte ich entschieden: Bergedorf - die sechzig Kilometer Autobahn würde ich wohl jeden Tag locker zweimal fahren können. Am zweiten Tag erzählte mir die Mutter von Tom Linus Bosselmann, einem Jugendlichen, den ich vom Lübecker SV kenne, dass sie mit ihrem Sohn im Hotel wohne. Das klang plötzlich doch ganz plausibel, und das Ramada gewährt den Schachspielern ja auch fest ausgehandelte Sonderkonditionen, so dass es am Geld nicht gescheitert wäre. Andererseits ist eine Fahrt von Lübeck nach Hamburg eine Kleinigkeit - sollte man meinen. Am zweiten Tag des Turniers war es dann aber schon ein Kraftakt, das Auto vor der Heimfahrt nur von seinem Eispanzer zu befreien. Januar in Deutschland - da gibt es gewisse Unwägbarkeiten. Es ging dann letztlich alles gut, auch wenn die Fahrt von ziemlich viel Blaulicht rund um mich herum untermalt wurde.

Liegt es am Wetterwechsel, dass ich am zweiten Tag des Turniers schwächele? Mit Schwarz gerate ich in eine passive Stellung - das Doppelturmendspiel ist entsprechend unangenehm zu spielen. Es ist aber eigentlich noch alles in Ordnung, bis ich unmotiviert die Stellung öffne. Mit rasendem Tempo geht es danach bergab und meine schönen 2,0/2 verwandeln sich in 2,0/3. Mein Gegner Michael Schmitt von der Schachvereinigung Blankenese macht "40 gute Züge", um mal das Zitat eines Großmeisters anzubringen, das ich neulich irgendwo gelesen habe. Eigentlich sind es sogar 48; mir selber gelingen in dieser Partie höchstens 46 gute Züge. In der Endabrechnung landet Michael Schmitt - völlig verdient - auf dem Platz direkt vor mir. Wie üblich muss ich erst einmal an die Luft. Biologisch bin ich eigentlich erst "Ü50", aber der kurze Gang über die Straße zum "CCB" (einem in Hamburg nicht ganz unbekannten Einkaufszentrum) lässt mich angesichts der spiegelglatten Gehwege (auch die gehören im Winter mitterweile fest zu Hamburg - "Streuen" ist irgendwie aus der Mode gekommen) gefühlt "Ü70" werden - mindestens. Im CCB finde ich dann überraschend mein Lieblingsessen: indisch und vegetarisch. Das beflügelt: In der Nachmittagspartie habe ich zwei prächtige lange Läufer, meine Türme stelle ich einfach mechanisch auf die offenen Linien, ich besetze die Löcher in der Stellung meines Gegners und alles läuft wie geschmiert. Nach kurzer Zeit stehe ich bei 3,0/4. Wieder zu Hause stelle ich mit Hilfe des Computers fest: Ich habe 22 gute Züge gespielt!

Wer an einem der Turniertage Geburtstag hatte, bekam eine digitale Schachuhr geschenkt. Ich bin ein "Zuspätgeborener", das musste ich hier wieder einmal erfahren: Genau ein Tag trennte mich von der digitalen Schachuhr. So war ich vor der letzten Partie immer noch richtungslos unterwegs. In schwachen Phasen spiele ich schon mal Turniere, in denen ich fast alles verliere - ein Turnier ohne Verlustpartie ist mir seit 30 Jahren nicht mehr gelungen. Aber die kurze Ansprache von Dirk Jordan vor letzten Partie ließ mich dann doch noch ein persönliches Ziel finden. Das "große Q hinter dem eigenen Namen" - das war etwas, das ich plötzlich mit aller Macht wollte. "Q" wie "qualifiziert für die Endrunde". Dazu musste ich von Platz 10 auf Platz 6 in der Rangliste aufsteigen, und das ging definitv nur mit einem Sieg.

Maximilian-Paul Mätzkow wurde am zweiten Turniertag 15 Jahre alt und erhielt eine digitale Schachuhr geschenkt.

Es ist offenbar möglich, dass auch ein Amateur in einer Partie ausschließlich "gute Züge" spielt; sogar Leute mit einer DWZ von 1800 schaffen das hin und wieder. Wieso würde derselbe Amateur gegen einen Großmeister trotzdem verlieren? Was in der Praxis für den Amateur nicht nachvollziehbar ist, ist theoretisch vielleicht ganz einfach: Der Großmeister verfügt über Techniken, die Partie soweit in die Länge zu ziehen, bis der Amateur dann eben doch mal einen schwachen Zug spielt. Die Vermeidung von zu vielen Abtauschen spielt da sicherlich eine nicht geringe Rolle. So gewinnt man gegen Gegner, die eine geringere DWZ haben als man selber - wenn diese denn einen guten Zug nach dem anderen spielen: keine Risiken eingehen, möglichst viele eigene gute Züge spielen, nicht zu viele Figuren abtauschen, Geduld haben. Niemand auf der Welt dürfte diese Technik so perfekt beherrschen wie der Weltmeister Magnus Carlsen, der jede Partie gegen einen Gegner mit einer geringeren Wertungszahl spielen muss. Da kommt man nie hin, aber man kann natürlich trotzdem versuchen, dem Weltmeister etwas abzukucken.

Mein Gegner in der letzten Partie hat gut hundert DWZ-Punkte weniger als ich. Alles zu versuchen, um die Partie zu gewinnen, ist also kein ganz abwegiges Vorhaben. Ebenso verständlich ist natürlich, dass mein Gegner mir sofort Remis anbietet, als eine Stellung erreicht ist, in der offensichtlich fast nichts mehr geht. Dieses Remis hätte für ihn ein Turnier ohne Niederlage bedeutet. Nur gute Züge spielen: Was der Amateur in Eröffnung und Mittelspiel tatsächlich schaffen kann, davon kann er im Endspiel nicht einmal träumen. Am ehesten kann man den Weltmeister vielleicht tatsächlich dann imitieren, wenn es einfach darum geht, bis zum Letzten alle Möglichkeiten zu nutzen.

 

Die Spieler, die vor der letzten Runde noch vor mir gelegen hatten, hatten ihre letzte Partie nahe ausnahmslos remisiert. Das war perfekt: Mein Sieg spülte mich bis auf Platz 4 nach vorne. Das große Q hinter meinem Namen - es war geschafft! Im Juni geht es nun in die Taunusgemeinde Niedernhausen, unmittelbar am nördlichen Stadtrand von Wiesbaden gelegen. Ich freue mich jetzt schon auf diese Fortsetzung eines großartigen Schachwochenendes!

Ich bin der mit dem weißen Schal. Vorne rechts: Michael Schmitt, mein Bezwinger aus Runde 3, der Dritter in der B-Gruppe wurde. (Foto: Ingrid Schulz)

Vor der Siegerehrung folgte noch wieder eine Wartezeit, die dieses Mal aber erstaunlich kurz verlief. Mussten beim Einchecken vielleicht noch individuelle Probleme einzelner Teilnehmer gelöst werden, so lief die Auswertung der Ergebnisse, die Erstellung der Urkunden und der - anstelle von Preisgeldern verteilten - Gutscheine im sechzehnten Jahr dieser Turnierserie offenbar mit perfekter Präzision. Der promovierte Mathematiker Dirk Jordan nutzte die kurze Pause, um dem Publikum in einem Powerpoint-Vortrag statistisches Material zum Ramada Cup vorzustellen. Der Mann hatte ausschließlich Superlative im Angebot, zu denen seinen Zuhörern keine wirklichen Verbesserungsvorschläge mehr einfallen wollten, womit wir wieder bei der Überrschrift zu diesem Artikel angekommen wären: Der Ramada Cup - er wächst und wächst und wächst...

Schauen wir nun noch einmal auf die Galerie der Sieger, fotografiert von Ingrid Schulz, die Hugo, ihren Gatten, bei seinen zahlreichen Aktivitäten rund um das Schach jederzeit tatkräftig unterstützt:

Gruppe A: Derek Gaede vom Hamburger SK, vorne links in dem roten Pullover, siegte mit dem famosen Score von 5,0/5.

Das Siegerfoto von Gruppe C zeigt anschaulich, dass Spieler aller Generationen und Geschlechter bei diesem Turnier nicht nur teilnahmen, sondern auch Erfolge erzielen konnten.

Gruppe D

Gruppe E

Gruppe F

Normalerweise bringen wir hier natürlich auch die Einzelergebnisse und die Tabellen, doch angesichts der Masse an Material belasse ich es bei einem Link auf die Turnierseite, wo sich alle Details übersichtlich aufgelistet finden lassen: hier.


Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.

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