Die jüngsten Eröffnungstrends

von Thorsten Cmiel
14.01.2019 – Das Reich der Schacheröffnungen ist unermesslich groß. Wenn eine Eröffnung aus der Mode gerät, tauchen an anderer Stelle gleich zwei neue auf. Thorsten Cmiel hat sich die Eröffnungen der Schnellschach und Blitz-WM angesehen und wagt sich an eine Prognose der Eröffnungstrends für das Jahr 2019.

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Die Eröffnungstrends 2019

Zum Jahresende 2018 durfte die Schachgemeinde in St. Petersburg mit den Schnellschach- und Blitzweltmeisterschaften einige erstklassig besetzte Turniere beobachten. Das gibt uns die Chance, erste Prognosen für die Eröffnungstrends 2019 zu wagen.

Aus meiner Sicht sollte man sich nicht zu intensiv mit dem Geschehen bei Turnieren wie der Grand Chess Tour beschäftigen, denn in der engeren Weltspitze scheint man sich auf einige wenige Eröffnungen geeinigt zu haben – Berliner Mauer, Italienisch und Najdorf zumindest wenn ein bekannter Gallier anwesend ist. Magnus Carlsen (Jahrgang 1990) war zwar (noch) der Dominator bei der letzten Blitz-Weltmeisterschaft, aber vor allem einige Junggroßmeister sorgten für Furore und insbesondere von diesen kann man sich einige frische Hinweise auf neue Varianten und Ideen erhoffen. Neben Magnus waren das vor allem noch der Pole Jan-Krzysztof Duda (Jahrgang 1998), neuer Vize-Blitz-Weltmeister, und der Russe Daniil Dubov (Jahrgang 1996), der Sieger im Schnellschach. Ein Blick in deren Repertoire könnte daher besonders verheißungsvoll sein.

Etwas Statistik

Die Grundgesamtheit der vorliegenden Partien war ausreichend und die Zahl der anwesenden Großmeister (142 bei den Männern, 20 bei den Frauen) war beeindruckend: Im Open wurden 1496 Partien im Schnellschach und etwa 500 Partien mehr im Blitzschach gespielt. Die Frauen steuerten 740 und 1004 Partien bei. Der häufigste Eröffnungszug war der Aufzug des Königsbauern (mit 43% im Blitz und 46% im Schnellschach). Bei den Frauen im Blitzschach lag hingegen der Damenbauernzug knapp vorne. Im Open konnten sich die Weißspieler über die Gesamtheit einen kleinen Ergebnisvorteil sichern; das war bei den Frauen insbesondere im Blitz nicht der Fall.

Ich habe mich in der Folge bei meinen Betrachtungen überwiegend auf die Männerwettbewerbe (Open) konzentriert, da hier die erwartbare Qualität der Partien signifikant höher war. Natürlich werden Blitz- und Schnellschachpartien häufiger als Turnierpartien durch grobe Fehler am Ende entschieden und insofern sind statistische Ergebnisauswertungen solcher Events immer mit Vorsicht zu genießen. Was im Blitz passieren kann soll durch die zwei Startpartien von Magnus Carlsen illustriert werden. In der ersten Runde beging der Gegner des Weltmeisters Suizid und in der zweiten Runde folgte einen nette und lehrreiche Rettung. Danach allerdings lief es besser bei dem Langsamstarter Magnus Carlsen, der letztlich keine einzige Partie bei der Blitz-WM verlor.

 

 

 

Eröffnungswahl

Nicht ganz überraschend wurden vor allem aktive Spielweisen von den Teilnehmern der Weltmeisterschaften gewählt: Die Berliner Mauer ist verständlicherweise im Blitz- und Schnellschach ein eher seltenes Ereignis und wird inzwischen fast ausschließlich mit 4.d3 beantwortet. Mit dem Londoner System (1.d4 d5 2. Lf4) holt man kaum noch etwas Vorteil heraus – zumindest bei den Männern im Rapid, also im wichtigsten Event.

 

Für Elisabeth Päthz, die bekanntlich kürzlich eine DVD für Chessbase dazu aufgenommen hat, zahlte sich gute Eröffnungskenntnis letztlich aus (3,5 aus 5 beim Blitz und 3 aus 4 beim Rapid).

Das Londoner System - Staunen! Spielen! Siegen!

Das Londoner System (1.d4 gefolgt von 2.Lf4) ist bei Vereinsspielern schon immer beliebt gewesen. Aber als Magnus Carlsen vor drei Jahren bei der Blitz-WM erstmals zu 2.Lf4 griff, avancierte das Londoner System zu einer der Trenderöffnungen unserer Z

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Jan-Krzysztof Duda holte im Blitz 3 aus 3 und sogar ein Kreativspieler wie Timur Gareyev, dem man andere Eröffnungen zutraut und der dreimal etwas grob spielte (1.g4), erzielte im gleichen Turnier 2 aus 2 mit der genannten Zugfolge.

 

Die Londoner Startstellung wurde über alle Events insgesamt 70 mal gespielt.

Erfreulich aus meiner Sicht: Der Königsbauernzug war wieder der angesagte Eröffnungszug zumindest im Open, also bei den Männern. Erwähnenswert ist ebenfalls, dass Sizilianisch in St. Petersburg die klar häufigste Wahl nach 1.e4 war. Das lässt nach den hohen Remisquoten in den letzten Monaten im Topschach auf wieder spannendere Partien in 2019 hoffen – zumindest zwischen Spielern unterhalb 2750.

Der am häufigsten gespielte Sizilianer war erwartungsgemäß Najdorf. Im Open spielten Weißspieler nicht weniger als 13 verschiedene Antwortzüge im 6. Zug. Bei den Frauen waren es nur sechs. Am beliebtesten war in allen Turnieren der englische Angriff mit 6.Le3. Als erfolgreiche Überraschungswaffe erwies der Zug 6.h4, den man gelegentlich in der Turnierpraxis ebenfalls zu sehen bekommt. Manche Spieler versuchten den Najdorf-Spielern den Spaß noch früher zu verderben, indem sie entweder 3.Lb5 spielten, oder mit der Dame auf d4 nahmen.

 

Dabei ist das Carlsen-System immer noch eine Waffe (aktuell dazu Renato Qunitiliano im CBM 186) insbesondere gegen Najdorf-Spieler, die ihr bevorzugtes Setup nicht hinbekommen. 

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Auch die ungarische Variante sieht man wieder (1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Dxd4).

 

Deutlich seltener waren Drachen oder beschleunigte Versionen davon anzutreffen. Im Jugoslawischen Angriff spielt praktisch jeder die Variante mit 9.0-0-0 d5 und meist kommt dann 10.De1 auf den Tisch. Die Paulsen-Variante ist ebenfalls ein eher seltener Gast gewesen. Ein erwartbarer Trend zur Sveschnikov-Variante konnte (noch) nicht ausgemacht werden – vielleicht bedarf es nach der recht frischen Weltmeisterschaft noch etwas Zeit bis sich die guten Stellungen von Magnus Carlsen beim WM-Kampf in London eventuell auf die Eröffnungswahl anderer Großmeister auswirken. Caruanas Zug 7.Sd5 fand jedenfalls im Blitz-und im Schnellschach verständlicherweise keine Nachahmer in St. Petersburg: Das schwarze Spiel am Königsflügel ist schließlich einfacher zu organisieren.

Caro-Kann und Französisch waren relativ selten zu sehen im Open, schlugen sich vom Ergebnis her jedoch beachtlich. Bei den Frauen ist bekanntermaßen Caro-Kann eine beliebte Eröffnung. Angesagt ist weiterhin die Flohr-Variante (5…exf6) zu der Petra Papp im Juni 2018 (CBM 184) bereits interessante Überlegungen angestellt hatte.

 

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Statt der alten Hauptvarianten (nach 3.Sd2 oder 3.Sc3) dominieren weiterhin Vorstoß- und Abtauschvariante das Geschehen, ohne allerdings Weiß einen signifikanten Ergebnisvorteil zu versprechen – das war in St. Petersburg nicht anders.

 

Blitzwaffe oder mehr?

Gerne schaut man den so genannten Kreativen zu und erwartet wunderschöne Kombinationen. Oft ist der Weg dorthin allerdings nicht empfehlenswert: Der Zug 1.b3 (fünfthäufigster Eröffnungszug) war in St. Petersburg die bevorzugte Waffe von Baadur Jobava, der den Zug insgesamt neunmal aufs Brett bekam (50%) und auch im Turnierschach gute Ergebnisse damit erzielt. Jobava produzierte einige unterhaltsame Partien, geriet gelegentlich allerdings mit seinem offenbar bevorzugt angestrebten Setup (Se5, f4 und Sc3) gefühlt in gruselige Stellungen - ich war an eigene Unfälle in Bulletpartien erinnert.

 

Anders Anton Korobov: Er und andere waren sehr erfolgreich mit ihrem Sizilianer mit 2...Sc6 und 4...Db6 (4,5 aus 6 bei der Rapid-WM und 6,5 aus 7 bei der Blitz WM). Diese respektable Spielweise ist natürlich für mehr als nur als Einmalwaffe zu gebrauchen: Schaut man in der Live-Database nach, stellt man fest, dass Schwarz damit bei etwas mehr als 2.900 Partien überzeugende 53% erzielt. Vielleicht ist das ein Sizilianer, der einen Blick lohnt. Überaus erfolgreich waren natürlich die eine oder andere Nebenvariante, die den Spielern insbesondere bei kürzerer Bedenkzeit einen Vorteil einbringen kann. Von Interesse könnte eine Variante sein, die Jan-Krzysztof Duda zweimal auf das Brett bekam (1.d4 Sf6 2.c4 b6).

 

Fazit

Für die meisten Schachspieler (vor allem unterhalb der Weltspitze, also praktisch jeden) dürfte die Präsenz der eigenen Eröffnungen bei den angesagten Turnieren ein eher zweischneidiges Schwert sein: Einerseits kann man Anregungen für das eigene Repertoire erhalten, andererseits bekommen Gegner ebenfalls Empfehlungen. Insofern dürfte es für viele Amateure durchaus erfreulich sein, dass das Londoner System zwar vor allem gegen 1.d4 d5 2.Lf4 noch sehr häufig gespielt wird, aber nicht mehr im eröffnungstheoretischen Fokus steht wie noch vor einem oder zwei Jahren.

 


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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