Dortmund zum 40. - Kramnik und Ponomarjow diktieren das Geschehen
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Die Teilnehmer
Ein Drittel des Sparkassen Chess-Meetings ist vorbei, Zeit für die erste Zwischenbilanz.
In den drei Auftakt-Runden schlugen sich die deutschen Großmeister mit unterschiedlichem
Erfolg. Die Atmosphäre in Dortmund ist wie immer prima, auf den Brettern indes
geht es hart zu.
Zuvor noch ein Blick in die Historie. Zum 40. Mal gibt es die Dortmunder Schachtage.
Weil die Revierstadt vor vier Jahrzehnten den Zuschlag für das WM-Match Fischer
Spasski nicht bekam, wurde im Sommer darauf in der Westfalenmetropole ein internationales
Turnier veranstaltet. Die Schachtage waren geboren. Der erste Sieger hieß Heikki
Westerinen aus Finnland. Seither hat sich aus kleinen Anfängen ein Erfolgsformat
entwickelt, das zu einem der bedeutendsten Schachturniere weltweit wurde. In den
Jahrzehnten seither starteten alle Spitzenleute in Dortmund: Kasparow, Karpow,
Anand, Topalow, Judit Polgar und natürlich der zehnfache Sieger Kramnik. Jeder
schwärmte von der intakten Schachfamilie im Revier. Wenn ein Turnier mit Weltmeistern
und Schach auf sehr hohem Niveau schon vier Jahrzehnte lang existiert, liegt das
nicht zuletzt an der freundlichen Atmosphäre, die in Dortmund herrscht. Das Familientreffen
2012 versprach besonders interessant zu werden, weil diesmal die Euro-Helden des
DSB die Chance hatten, sich mit der Weltspitze zu messen.
Den Zuschauern im Schauspielhaus gefällt die interessante Mischung aus Superstars
und den besten deutschen Großmeistern. Ohne die Stammgäste Wladimir Kramnik (Russland),
Peter Leko (Ungarn) und den Dortmunder Arkadij Naiditsch wäre dieses Chess-Meeting
nicht denkbar. Mit von der Partie sind der 2010-Sieger Ruslan Ponomarjow (Ukraine)
sowie unsere Kaderspieler Daniel Fridman, Georg Meier und Jan Gustafsson. Besonders
gespannt durfte man auf Sergej Karjakin sein, der jetzt für Russland spielt und
wenige Tage vor Dortmund Weltmeister im Schnellschach wurde. Auch Shootingstar
Fabiano Caruana, der im Juni beim Tal Memorial in Moskau glänzte, muss zum Favoritenkreis
gerechnet werden. Und last but not least ist da noch der Aeroflot-Sieger Mateusz
Bartel. Mit ihm gibt zum ersten Mal ein polnischer Großmeister in Dortmund seine
Visitenkarte ab.
"Dortmund tut es gut, dass Sie da sind", sagte Uwe Samulewicz vom Titelsponsor
Sparkasse zur Eröffnungs-Pressekonferenz. Lob gab es auch von DSB-Präsident Herbert
Bastian. Er bezeichnete Dortmund als eine Oase des Leistungssports. "Das Turnier
ist eine gute Vorbereitung für die Schacholympiade in Istanbul", befand Daniel
Fridman. Der Großmeister aus Bochum lebt seit 1999 in Deutschland. Jetzt hat er
die Gelegenheit, sein erstes Kategorie-19-Turnier zu spielen. Veranstaltungsleiter
Gerd Kolbe erinnerte daran, dass es im Laufe der Jahre viele magische Momente
gab. Diese sind in einer Ausstellung im Schauspielhaus während der Turniertage
zu sehen.
Herbert Bastian, Präsident des Deutschen Schachbundes, und Prof. Dr. Robert
von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Deutschen Schachbundes
Robert von Weizsäcker bei seiner Ansprache
Die stimmungsvolle Eröffnungsfeier des Schachfestivals fand im Spiegelzelt vor
dem Dortmunder U statt. Dort sorgte der Kabarettist Bruno Knust nebst Begleitband
für ein unterhaltsames Programm, in dem die Pointen und Bezüge zwischen Rasenschach
und dem Spiel der Könige in schnellem Tempo hin und her flogen.
Ein bewegender Moment war, als Eugen Schackmann von Sparkassen-Chef Samulewicz
mit dem Salomon-Elkan-Ehrenpreis ausgezeichnet wurde. Der jüdische Kaufmann Elkan
war 1875 Mitbegründer und Vorsitzender des ersten Dortmunder Schachvereins.
Schackmann, inzwischen 83 Jahre alt, leitete viele Jahre lang das Presseamt in
Dortmund und gehört zu den Gründervätern der internationalen Schachtage, die schon
zum 40. Mal über die Bühne gehen. Der frühere Journalist verfolgt immer noch mit
großer Aufmerksamkeit das Welt- und Sportgeschehen. "Wie lebenswichtig der Sport
ist, zeigt sich besonders an unserer Stadt", sagt Eugen Schackmann." Es ist toll,
wie sich Borussia Dortmund aus einem kleinen Verein bis zu den heutigen Erfolgen
entwickelt hat. Auch die Schachtage sind eine großartige Sache. Ich kann meinen
Nachfolger Gerd Kolbe und seine vielen Mitstreiter nur beglückwünschen. Sie haben
das Sparkassen Chess-Meeting über Jahre hinweg zu einem bedeutenden internationalen
Event ausgebaut."
Meier trumpft auf
Ehe die Figuren sprachen, ehrte der Deutsche Schachbund auf der Bühne des Schauspielhauses
den Sparkassen- und Giroverband mit seiner höchsten Auszeichnung, dem Deutschen
Schachpreis. "Ohne die finanzielle Hilfe der Sparkassen seien Turniere dieser
Güte sowie die Nachwuchsförderung nicht möglich", betonte DSB-Ehrenpräsident Robert
von Weizsäcker in seiner Laudatio. Uwe Samulewicz vom Hauptsponsor nahm die Auszeichnung
stellvertretend für alle Geldhäuser, die Schach unterstützen, entgegen.
Dann gab Hauptschidesrichter Andrzej Filipowicz die Bretter frei. Was würde der
Jubiläums-Jahrgang bringen? Im Dortmunder Traditionsturnier mischen sich bei den
Großmeistern jedes Mal Wiedersehensfreude und sportlicher Ehrgeiz. Die spannendste
Frage war, ob die jungen Wilden unter den Teilnehmern den Seriensieger mit Erfolg
jagen würden. Mit seinen 37 Jahren ist Wladimir Kramnik schon Turniersenior. In
der ersten Runde musste sich der Russe als Schwarzer der Angriffe seines Landsmannes
Sergej Karjakin erwehren. Doch in dieser Partie gab es keinen Sieger.
Georg Meier
Zu Beginn war es ein Stammspieler der deutschen Nationalmannschaft, der im Schauspielhaus
Akzente setzen konnte. Georg Meier gelang als einzigem Großmeister ein Sieg. Der
24-jährige Trierer gewann gegen Mateusz Bartel. Schnell tauschte Meier die Damen
ab und zeigte im Endspiel seine größere Klasse. "Es ist schön, dass ich gewonnen
habe, aber das Resultat hat keine noch keine große Bedeutung. Wichtig ist, dass
ich gut gespielt habe", zeigte sich Meier nach der Partie zurückhaltend, wohl
wissend, dass noch schwere Aufgaben auf ihn warteten. Er hatte ja im vorigen Jahr
schon diese Erfahrung gemacht.
Auch in der Partie zwischen Peter Leko und Ruslan Ponomarjow wurden früh die Damen
getauscht, und das Turmendspiel ging friedlich aus. Im innerdeutschen Duell trennten
sich Daniel Fridman und Jan Gustafsson ebenfalls remis. Der Hamburger war als
Schwarzer damit zufrieden. "Ich stand minimal schlechter, so dass ich keinen Grund
zum Klagen habe."
Mit Sergej Karjakin und Wladimir Kramnik hatten sich zwei der Turnierfavoriten
gleich zu Beginn unentschieden getrennt. Der 22-jährige Karjakin wollte Kramnik
überraschen und spielte Schottisch. Doch der Ex-Weltmeister zeigte sich auf der
Höhe und wickelte in ein Endspiel ab, das nach Zugwiederholung remis gegeben wurde.
Einen turbulenten Kampf lieferten sich Fabiano Caruana und Arkadij Naiditsch.
Hier stand ebenfalls Schottisch auf dem Brett, und der Kampf wogte hin und her.
Zum Schluss hatte Naiditsch einen Mehrbauern im Turmendspiel, der aber nicht zum
Gewinn reichte.
Favoriten punkten
Der zweite Spieltag war sehr spannend und brachte drei Siegpartien, davon zwei
mit Schwarz. Die Turnierfavoriten Kramnik, Karjakin und Ponomarjow gewannen ihre
Spiele, wodurch sie zu Georg Meier aufschlossen, der gegen Arkadij Naiditsch remisierte.
Wladimir Kramnik wählte eine Eröffnung, die er in wichtigen Turnieren sehr lange
Zeit nicht mehr auf dem Brett hatte. Dazu brachte er noch eine Neuerung, worauf
sein Gegner Jan Gustafsson überraschend schnell unter die Räder kam.
Gustafsson gegen Kramnik
Eine begeisternde Partie.
Hinterher gab mir Kramnik ein paar Einblicke in seine Gedankenwelt.
Wladimir, wann hast du zum letzten Mal in einer Wettkampfpartie Königsindisch
gespielt?
Ich denke, das war im Jahre 1997. In Tilburg habe ich damals gegen den Holländer
Jeroen Piket mit Schwarz gewonnen. Es ist also mein zweiter Sieg mit dieser Eröffnung
hintereinander (lacht). Ich wollte etwas spielen, was mein Gegner auf keinen Fall
erwartet. Es sollten möglichst viele Figuren auf dem Brett bleiben.
Die Überraschung ist voll gelungen.
Ich hatte eine Neuerung vorbereitet, wonach Jan unerwartet in eine starke Attacke
geriet. Es ja eine verstärkte Tendenz im heutigen Spitzenschach, dass die Großmeister
versuchen, ihren jeweiligen Kontrahenten mit frischen Eröffnungsideen zu überraschen.
Mein Bauernvorstoß 13…a5 war so eine Zug. Danach bekommt Schwarz einen heftigen
Angriff. Auf den ersten Blick scheint es, als könne Weiß sich ins Remis retten,
doch ich hatte in der häuslichen Analyse das Manöver 19…Sb4 untersucht und realisiert,
dass Schwarz danach sehr gute Aussichten hat. Vielleicht gibt es bei genauem Spiel
Remis-Chancen für Weiß, aber Gustafsson war in schrecklicher Zeitnot und fand
deshalb nicht mehr die richtigen Züge.
Dortmund ist und bleibt dein Revier. Es läuft also alles nach Plan?
Mehr als das. 1,5 Punkte nach den ersten zwei Runden hatte ich nicht erwartet.
Zum Auftakt hatte ich ja zwei Schwarzpartien. Mit dieser Farbe bin ich gewöhnlich
mit Remis zufrieden. Umso besser ist es natürlich, dass ich ein Spiel damit gewonnen
habe.
Zu Beginn spielte Karjakin gegen dich unerwartet Schottisch. Wie groß war deine
Überraschung?
Heutzutage muss man auf alles gefasst sein. Die Spitzenspieler kennen viele Eröffnungen.
Man sollte am besten auf allen Gebieten Bescheid wissen und immer auf Überraschungen
gefasst sein. Im Grunde musst du dich in allen Eröffnungen auskennen. Ich konnte
in dieser ersten Partie aber meine Stellungsprobleme lösen. Obwohl Sergej minimale
Vorteile hatte, war kein Gewinnweg für ihn zu sehen.
Sergej Karjakin
Am zweiten Spieltag zeigte auch Karjakin seine ganze Klasse, als er Bartel nach
allen Regeln der Kunst überspielte. Ebenfalls mit den schwarzen Steinen konnte
er den Warschauer in einer Partie voller taktischer Finessen eindrucksvoll niederringen.
Er hatte am Ende einfach weiter gerechnet. Der polnische Großmeister fand in Dortmund
im ersten Turnierdrittel seinen Rhythmus überhaupt nicht. Es ist sein erstes Turnier
dieser Güte und ein ganz anderes Kaliber als zum Beispiel Open-Wettbewerbe.
Mateusz Bartel mit Freundin Marta
Ruslan Ponomarjow schließlich glänzte als Weißer gegen den Italiener Fabiano Caruana
mit großartigem strategischem Spiel.
Ruslan Ponomarjow
Damit hatten neben Kramnik auch Meier, Ponomarjow und Karjakin je 1,5 Punkte auf
ihrem Konto, so dass nach zwei Runden ein Quartett die Tabelle anführte.
In der dritten Runde erlebten die Zuschauer sogar vier Siege, was ganz selten
in Dortmund passiert. Am mittleren Tisch auf der Bühne prüfte Wladimir Kramnik,
der zum ersten Mal Weiß hatte, den bis dahin glücklosen Mateusz Bartel. Der polnische
Großmeister hielt auch diesmal nicht stand. In der Englischen Partie eroberte
der Russe einen Bauern und hatte danach keine Mühe, das Endspiel für sich zu entscheiden.
2,5 Punkte aus drei Partien, das war ein Start nach Maß für den Seriensieger von
Dortmund.
Kramnik gegen Bartel
Die deutschen Teilnehmer hatten einen schweren Tag zu überstehen. Nur Arkadij
Naiditsch schaffte gegen Mitfavorit Sergej Karjakin mit Schwarz trotz schwieriger
Stellung ein Remis. Georg Meier, der das Turnier so gut begonnen hatte, musste
sich Ruslan Ponomarjow geschlagen geben. Obwohl er die weißen Steine führte, wurde
Georg im Spielverlauf immer mehr in die Defensive gedrängt. Nach 52 Zügen hatte
der ukrainische Stratege den Punkt in der Tasche zu Kramnik im Klassement aufgeschlossen.
Daniel Fridman
Daniel Fridman mit seiner Ehefrau Anna Zatonskih
Daniel Fridman spielte Caro-Kann gegen Fabiano Caruana, und lange Zeit sah es
nach einem Remis aus. Im Endspiel aber unterliefen dem Großmeister aus Bochum
einige Ungenauigkeiten, so dass der Italiener Gelegenheit bekam, seine Endspieltechnik
zu zeigen. Damit war Caruana im Turnier zurück.
Stand nach 3 Runden: