DSJ vs DSB: Ein Interview mit dem DSJ-Vorsitzenden Malte Ibs

von André Schulz
12.08.2020 – Der Deutsche Schachbund (DSB) und die Deutsche Schachjugend (DSJ) haben sich beide auf die Fahnen geschrieben, das Schach in Deutschland zu fördern, doch seit einiger Zeit liegen die beiden Verbände im Streit. Um die strittigen Punkte und Positionen deutlicher zu machen, hat ChessBase Ullrich Krause, dem Präsidenten des DSB, und Malte Ibs, dem Ersten Vorsitzenden der DSJ zeitgleich eine Reihe von Fragen vorgelegt - die gleichen Fragen. Die Antworten fielen unterschiedlich aus.

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Die Deutsche Schachjugend und der Deutsche Schachbund befinden sich derzeit in einer Konfrontationssituation. Wie konnte es so weit kommen?

Die Frage ist simpel, aber die Antwort ist es nicht. Ich muss etwas ausholen: Dieses Jahr feiert die Deutsche Schachjugend ihr 50-jähriges Jubiläum der Eigenständigkeit. Seit 1970 sind wir der Jugendverband des DSB. Naturgemäß arbeitet ein Jugendverband anders als ein Dachverband: Unkonventioneller, spontaner, vielleicht auch kreativer und nicht immer mit Sinn für liebgewordene Traditionen. Ganz unabhängig davon, welche Personen in den Ämtern waren und sind, kam es dabei immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten. In unseren Augen ist das erst einmal kein Problem, dies bringt uns normalerweise voran. So arbeitet die DSJ partnerschaftlich mit den DSB-Referenten zusammen, zum Beispiel in den Bereichen Leistungssport, Frauenschach, Öffentlichkeitsarbeit, Spielbetrieb, Wertungen und Ausbildung.

Schwierig ist es dann, wenn die Konflikte schon in der Struktur angelegt sind. Schwächen in der Konstruktion von DSB und DSJ führen so seit Jahren immer wieder zu Streitthemen, die sich nur lösen lassen, wenn die Struktur angepasst wird.

Das Hauptproblem ist die so nur im deutschen Sport vorhandene Struktur der Zweigliedrigkeit von Erwachsenenverbänden und Jugendverbänden. Der Gesetzgeber fordert und fördert mit gutem Grund innerhalb der Verbände eine eigenständig handelnde Jugendorganisation mit eigener Satzung, eigenen Ordnungen, eigener Finanzhoheit, eigenem von der Jugendversammlung gewählten Vorstand und der Kompetenz, über die Programmatik der Jugendorganisation selbst zu entscheiden. Dies hat sich bewährt, es führt zur Aktivität, zu jugendgerechten Angeboten und fördert die Teilhabe. Die DSJ nimmt derzeit Fördergelder von 70.000 bis 100.000 Euro im Jahr in Anspruch.

Zugleich ist die eigenständige DSJ aber Teil des Gesamtverbandes DSB. Der Jugendetat ist zugleich Bestandteil des DSB-Haushalts, steuerlich werden beide als ein Subjekt gegenüber dem Finanzamt behandelt. Der DSB hat ein Haftungsrisiko für die Handlungen der DSJ, kann aber wegen ihrer Eigenständigkeit nur sehr begrenzt Einfluss nehmen.

Dieses Auseinanderfallen von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung schafft eine latente Problemlage. Das muss nicht unbedingt zu ernsten Konflikten führen: In meinen Augen kann man mit Meinungsverschiedenheiten gut umgehen, wenn man offen miteinander kommuniziert und gemeinsam in Richtung Lösungen moderiert. Beides muss professionell, inhaltsorientiert und auf Augenhöhe geschehen.

Über Jahrzehnte hinweg hat dies funktioniert. Wir haben versucht, hier auch mit dem aktuellen DSB-Präsidium eine Linie zu finden. Leider haben wir dieses Lösungsdenken nur einseitig erlebt. Statt auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten und aufeinander zuzugehen, wurden wir in Entscheidungen nicht mehr eingebunden, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann die Entscheidung der Mehrheit des Präsidiums, dem DSJ-Geschäftsführer die Kündigung zu erklären. In der Einladung zur Sitzung, in der der Beschluss gefasst wurde, hieß es nur lapidar “Personalsituation in der Geschäftsstelle”. Das DSB-Präsidium wusste, dass ich urlaubsbedingt nicht an der Sitzung teilnehmen könnte. Wir wurden einfach überrannt.

Nun muss man Anlass und Grund für Konflikte trennen. Anstatt uns mit dem DSB-Präsidium wegen der Kündigung zu zerreiben, haben wir uns entschieden, den Blick nach vorn zu richten. Wir wollen die strukturellen Probleme lösen, damit Konflikte dieser Art gar nicht mehr entstehen. So können sich DSB und DSJ endlich wieder auf die Arbeit an Sachthemen konzentrieren.

Welche Probleme bringt die Situation konkret mit sich? In welcher Weise ist die Arbeit der Verbände und ihrer Vertreter dadurch beeinträchtigt?

Konkret gibt es in der bisherigen Struktur folgende Problemfelder: Die DSJ ist schon heute der eigenständige Jugendverband des DSB. Das bedeutet, dass sie über die Verwendung ihrer Mittel selbst entscheiden darf, ohne den DSB um Zustimmung zu fragen. Die Eigenständigkeit ist nicht nur eine Errungenschaft der organisierten Sportjugenden, sie ist auch Voraussetzungen, um Fördermittel der Deutsche Sportjugend abzurufen. Doch der DSB hat das Risiko, für die DSJ zu haften, darf aber wegen der Eigenständigkeit kaum Einfluss nehmen. Daneben gibt es auch ein Haftungsrisiko in der DSJ: Sie ist ein (nicht eingetragener) Verein im Verein, und dort haften die Handelnden nach dem BGB persönlich. Der Vier-Jahres-Vertrag mit dem Sauerland-Stern-Hotel, in dem die Deutschen Einzelmeisterschaften stattfinden, hat ein Volumen von etwa zwei Millionen Euro. Ich als Vorsitzender hafte als Unterzeichner hier persönlich, wenn wir den Vertrag nicht erfüllen. Das ist eigentlich niemandem zuzumuten.

Daneben werden DSB und DSJ auch gemeinsam steuerlich veranlagt. Die Versteuerung obliegt dem DSB, da er als Ganzes gegenüber dem Finanzamt für die Steuererklärung verantwortlich ist. Auch hier besteht im Prinzip das gleiche Haftungsrisiko.

Und schließlich: Das für die DSJ arbeitende Personal sitzt zwischen zwei Stühlen. Arbeitsrechtlich ist der DSB der Ansprechpartner, inhaltlich aber die DSJ, die allein entscheidet, welche Aufgaben die Angestellten zu erledigen haben. Das führt immer wieder zu Konflikten. Der letzte – die Kündigung und Freistellung von Jörg Schulz – hat dabei auch zu handfesten Kosten geführt: Die Stelle des DSJ-Geschäftsführers ist aus Mitteln der Deutschen Sportjugend gefördert. Durch die Freistellung von Jörg Schulz konnten die Fördermittel im ersten Halbjahr nicht abgerufen werden. Den Ausfall von mehr als 20.000 Euro muss der DSB aus seinem Haushalt tragen. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Jörg Schulz in der ganzen Zeit für die DSJ ehrenamtlich aus dem Homeoffice arbeitet. Aufheben wollte das DSB-Präsidium die Freistellung trotzdem nicht.

Welche Lösungsansätze gibt es, um aus dem Dilemma herauszukommen?

Erst einmal sind wir froh, dass offenbar alle Beteiligten den Ernst der Lage erkannt haben: So, wie es bisher ist, kann es nicht bleiben. Strukturänderungen sind nötig. Zwei Vorschläge liegen dazu nun auf dem Tisch: Den einen Vorschlag hat die DSJ erarbeitet, dabei auch das DSB-Präsidium und insbesondere die Landesverbände und Landesschachjugenden einbezogen. Momentan sind Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung unglücklich zwischen DSJ und DSB verteilt. Wir wollen das im e.V. zusammenführen: Die DSJ als ein e.V. wäre ein eigenes Rechtssubjekt und würde ihr Personal selbst anstellen. Die großen Konfliktherde (Haftungsrisiken und Doppelzuständigkeit für die DSJ-Arbeitnehmer) wären damit erledigt. Diesen Vorschlag hat übrigens auch 2006 schon ein DSB-Ausschuss unter der Leitung von Ernst Bedau, heute Ehrenmitglied des DSB,  unterbreitet. Die DSJ wäre weiterhin der Jugendverband des DSB, nur mit dem Zusatz “e.V.”. Die Zusammenarbeit könnte sich dann endlich wieder auf die Sachthemen konzentrieren, zum Beispiel gemeinsame Projekte im Bereich Frauenschach oder der Vereinsförderung.

Nun haben DSB-Präsident Ullrich Krause sowie die Vizepräsidenten Hans-Jürgen Weyer und Boris Bruhn überraschend und ohne Abstimmung einen Gegenvorschlag vorgelegt. Das widerspricht nicht nur dem Auftrag des DSB-Hauptausschusses vom November, gemeinsam einen Vorschlag zu erarbeiten. Der Antrag ist auch nach seinem Inhalt bedenklich: Zukünftig dürften DSJ-Vorstandsmitglieder nur noch Verträge bis zu einer Höhe von 500 Euro selbst abschließen. Darüber wäre die Zustimmung des DSB nötig. Die DSJ hat einen Haushalt von etwa 800.000 Euro im Jahr – de facto müsste die DSJ also praktisch alles gegenzeichnen lassen, und auf die Zustimmung hätte sie nicht einmal einen Anspruch. Auch ihren Haushalt dürfte die DSJ zukünftig nur beschließen, wenn der DSB ihn vorher abgekommen hätte. In der Summe wäre dies also das Ende der Eigenständigkeit der DSJ. Auch die Fördermittel der Deutschen Sportjugend wären damit verloren, denn die eigenständige Entscheidung über die Verwendung der Mittel durch den Jugendverband ist nach dem Achten Sozialgesetzbuch Voraussetzung für eine Förderung. Es geht hier um immerhin 70.000 bis 100.00 Euro für Projekte und Personalzuschüsse. Die Delegierten müssen sich nun überlegen, welchen Weg der Verband einschlagen soll. Was unsere Position ist, ist klar.

Was sind die kritischen Themen? Wo wurde ein Konsens erzielt? In welchen Punkten gibt es keinen gemeinsamen Nenner? Was sind die unterschiedlichen Positionen?

Zunächst eines vorweg: Dass trotzdem in weiten Teilen Konsens besteht, geht in der aktuellen Debatte etwas unter. Regelungen zum Beitragsrecht, zur Verankerung der DSJ im DSB, zur Zusammenarbeit in Doping-Sachen usw. sind nach unserem Eindruck überhaupt nicht streitig. Die DSJ soll künftig zum Beispiel auch in weiteren Kommissionen des DSB ständig vertreten sein, etwa in den Kommissionen für den Bundesspielbetrieb, für Frauenschach und für Öffentlichkeitsarbeit. Dies entspricht dem ausdrücklichen Votum der DSB-Referenten, die daran interessiert sind, die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der DSJ weiter zu intensivieren. Die DSJ hat sich hierüber sehr gefreut und wird ihren Teil dazu beitragen.

Am Schluss sind im Wesentlichen nur drei Fragen schwierig: Wird die DSJ weiter im DSB-Präsidium vertreten sein, und wie wird der DSB zukünftig umgekehrt in der DSJ vertreten sein? Wird die DSJ in Zukunft auch die jungen Menschen bis zum Alter von 27 Jahren vertreten statt nur, wie bisher, bis 20? Wird die DSJ eine eigene Geschäftsstelle unterhalten, und wer entscheidet, wer DSJ-Geschäftsführer wird? 

Daneben gibt es im Detail unterschiedliche Auffassungen, wie eng die Zweckbindung der finanziellen Mittel sein soll, die die DSJ auch zukünftig vom DSB erhalten wird.

Die DSJ hat dies in mehrere Anträge aufgeteilt, damit die Beratungen im Kongress handhabbar werden. Wie die Fragen zu beantworten sind, entscheidet allein der Kongress.

Welche Punkte sind besonders kritisch?

Die offenen Punkte hatte ich eben schon kurz genannt. Im Einzelnen geht es um verschiedene Dinge:

Unterschiedliche Positionen gibt es insbesondere beim Sitz der DSJ im DSB-Präsidium. Derzeit ist der DSJ-Vorsitzende mit Sitz und Stimme dort vertreten. Teile des DSB-Präsidiums fordern, dass die DSJ sich zurückzieht, weil sie dann selbst e.V. sei. Wir finden das nicht einleuchtend, denn wir sind weiterhin der Jugendverband des DSB, der immerhin etwa 30 % der Einzelmitglieder repräsentiert, da machen die Rechtsstellung der DSJ und die zwei Buchstaben “e.V.” keinen Unterschied. Die Landesschachjugenden sind in allen Vorständen bzw. Präsidien der Länder vertreten. Die Delegierten müssen sich also fragen: Welche Rolle wünschen sie in Zukunft für den Jugendverband auf Bundesebene? 

Das DSB-Präsidium fordert umgekehrt, in den Gremien der DSJ ständig vertreten zu sein, und beruft sich dabei auf Symmetrie. Wir arbeiten gut mit den DSB-Referenten zusammen und sind gern bereit, sie als Gäste zu unseren Sitzungen einzuladen oder auch im gegenseitigen Einvernehmen in unsere Arbeitskreise zu berufen. Sie sollen auch das Recht erhalten, selbst Themen in den DSJ-Arbeitskreisen zu setzen. Aber die Jugend muss eigenständig bleiben, so sehen es ja auch die Förderbedingungen vor. Übrigens haben wir die DSB-Referenten gefragt: Keiner von ihnen hat Bedarf signalisiert, in den DSJ-Gremien ständig vertreten zu sein.

Die DSJ schlägt vor, künftig bis zur Altersgruppe U27 Verantwortung zu übernehmen. Die Altersgrenze geht auf die gesetzlichen Förderbedingungen im Achten Sozialgesetzbuch zurück. Wir sehen einige inhaltliche Gründe, warum es sinnvoll ist, den Zuständigkeitsbereich der Jugendorganisation bis 27 Jahre zu erweitern: Derzeit verliert der DSB massiv an Mitgliedern im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter. Da ist es sinnvoll, aus der Jugend heraus diesen Übergang mit eigenständigen Angeboten zu moderieren. Dazu gehören unsere U25-Spielangebote, die wir mit Zustimmung des DSB bereits heute durchführen, aber auch Betreuerinnenausbildungen und andere Ausbildungsgänge, und auch der Hochschulschachbereich – denn man steigt  als junger Mensch in das Studium ein und verlässt es als Erwachsener. Wir sehen hier in einer Bündelung der Angebote und der Ansprechpersonen einen guten Ansatz, dem Mitgliederverlust entgegenzuwirken. Nicht zu vergessen: In diese Übergangsphase fällt oft auch die Frage nach einem ehrenamtlichen Engagement. Der DSB will aber an der bisherigen Grenze (20 Jahre) festhalten. Auch darüber wird der Kongress entscheiden.

Das Thema Geschäftsstelle konnten wir mit dem Präsidium auch noch nicht lösen. Das DSB-Präsidium fordert, dass die DSJ eine eigene Geschäftsstelle unterhält. Aus den Gesprächen mit den Landesverbänden wissen wir, dass dort eine gemeinsame Geschäftsstelle weiter befürwortet wird, nicht zuletzt mit Blick auf den Kostenaspekt. Die DSJ kann sich eine gemeinsame Geschäftsstelle, zum Beispiel mit überschaubaren Anpassungen in der Raumaufteilung, gut vorstellen.

Auch die Frage, wer über die Besetzung des Postens des DSJ-Geschäftsführers entscheidet, ist offenbar noch nicht geklärt. Die DSJ als e.V. könnte selbst darüber entscheiden, wen sie als Geschäftsführer einstellt. Wir haben klar gesagt, dass wir weiter mit Jörg Schulz zusammen arbeiten wollen, der diesen Posten seit 1990 innehat. Er geht spätestens Ende 2023 in Ruhestand, wir möchten sein Know-How und sein Netzwerk nicht verlieren. Ende Dezember 2020 hat Ullrich Krause entschieden die Vermutung zurückgewiesen, das DSB-Präsidium wolle in irgendeiner Form Einfluss auf die Personalie nehmen. Jüngst hat er nun aber öffentlich verkündet, eine Besetzung der Stelle mit Jörg Schulz sei für ihn ausgeschlossen. Es ist nicht leicht für die DSJ, hiermit umzugehen. Es geht nicht um die Personalie an sich, es geht um die Frage, ob der Jugendverband selbst entscheiden darf, mit wem er zusammenarbeitet. Auch hier muss der Kongress also am Schluss entscheiden: Darf die DSJ eigenständige Personalentscheidungen treffen, oder darf sie es nicht? 

Wir hätten diese Punkte gern im Vorfeld mit dem DSB-Präsidium geklärt. Es sah dabei zunächst gut aus: Das DSB-Präsidium hatte seine Unterstützung bei der Vorbereitung der Umgründung zugesagt. Noch im November 2020 haben wir verabredet, gemeinsame DSB-DSJ-Arbeitsgruppen für die Themen Finanzen, Politik und Recht einzuberufen. Der DSB-Präsident hat sich dann aber geweigert, Mitglieder für die Arbeitsgruppen zu benennen. Wir haben daraufhin vorgeschlagen, eine neutrale Moderation einzusetzen, aber auch hier war kein Konsens zu erzielen. Inhaltlich vorangekommen sind wir erst, als Ingo Thorn im April vom DSB-Präsidium ein Verhandlungsmandat erhalten hat. Doch auch hier kamen wir nicht in allen Punkten zusammen, da das DSB-Präsidium sich das Entscheidungsrecht vorbehalten und darauf bestanden hat, nur schriftlich zu kommunizieren. Es war nicht gerade ein Prozess auf Augenhöhe, um es vorsichtig zu sagen: Der DSB-Präsident hat es bis zuletzt abgelehnt, mit den Verhandlern der DSJ nur ein einziges klärendes Gespräch (und sei es telefonisch) zu führen. Wir sind sicher, dass wir in einem Gespräch die Vorbehalte und Wünsche beider Seiten austarieren und zu einer Lösung bringen könnten. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass ein solches Gespräch noch zustande kommt.

Für den 22. August wurde in Magdeburg ein außerordentlicher Bundeskongress einberufen. Dort soll über den Antrag der DSJ abgestimmt werden. Wie werden die Aussichten eingeschätzt, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit zustande kommt?

Eine Zweidrittelmehrheit ist eine große Hürde. Die erreicht man nicht mit politischen Manövern, sondern nur mit einem überzeugenden Vorschlag. Es war uns daher wichtig, von Anfang an die Landesverbände und das DSB-Präsidium mit in unsere Überlegungen einzubeziehen. Viele ihrer Vorschläge sind in unseren Antrag eingeflossen. Erschwerend für uns kommt hinzu, dass der Kongress durch von anderer Seite initiierte Personaldebatten in angespannter Atmosphäre stattfinden wird. So geraten wir ungewollt in persönliche Auseinandersetzungen. Wir wollen eigentlich nur eine Frage stellen: DSJ e.V. – ja oder nein?  Unsere Kritik am Präsidium bezieht sich nur auf inhaltliche Positionen und das unglückliche Verfahren. Wir gehen davon aus, dass wir, wenn die strukturellen Probleme behoben sind, in ruhiges Fahrwasser mit dem DSB-Präsidium kommen und wieder inhaltlich arbeiten können.

Das Meinungsbild ist insgesamt vielfältig. Wir haben darauf reagiert, zum Beispiel bei der Anhebung der Altersgrenze der jungen Menschen, für die die DSJ zukünftig sprechen möchte: Dies stellen wir nun separat zur Abstimmung.

Besonders schwierig ist die Lage mit dem Präsidiumssitz: Manche Delegierte lehnen es kategorisch ab, dass die DSJ ihn aufgibt, andere – zum Beispiel der DSB-Präsident – fordern dies unnachgiebig. Wir haben den Antrag daher zweistufig gestellt. Der DSB-Präsident nennt das ein Pokerspiel. Ich verstehe diesen Vorhalt nicht, denn das, was er Pokerspiel nennt, ist innerverbandliche Demokratie. Und überdies hätte die DSJ die offenen Fragen sehr gern vor dem Kongress in einem Gespräch geklärt. Aber hierfür stand Ullrich Krause, wie gesagt, nicht zur Verfügung.

So oder so: Am Schluss müssen die Delegierten für den Verband entscheiden, welche Rolle sie der Jugend zugedenken wollen. Wir hatten den Eindruck, dass die Landesverbände sehr an sachlicher Erörterung interessiert sind. Nach unserem Eindruck geht es eigentlich weniger um das “Ob” und eher um das “Wie”. Wir sind also zuversichtlich, dass etwas Gutes herauskommt.

Wie geht es danach in der Beziehung der DSJ mit dem DSB weiter, wenn der Antrag mit der notwendigen Mehrheit erreicht wird oder Antrag abgelehnt wird?

Sofern die Delegierten des DSB-Kongresses dem DSJ-Antrag zustimmen, wird als nächstes die Jugendversammlung entscheiden, ob sie das neue Konzept mittragen will. Nach den Vorberatungen bei der letzten Jugendversammlung im März sind wir auch hier zuversichtlich. Wenn auch dort die erforderliche Mehrheit zustande kommt, braucht es nur noch die Eintragung in das Vereinsregister und die Anerkennung der Gemeinnützigkeit, dann wäre die DSJ als e.V. arbeitsfähig. Dies würde noch im Jahr 2020 geschehen. Danach könnten wir dann hoffentlich wieder auf die Sachebene zurückkehren, denn die Konfliktthemen wären dann beseitigt.

Was geschieht, wenn unser Antrag nicht angenommen wird, ist schwer vorherzusagen. Das hängt stark vom Verlauf des Kongresses ab. Erst dann werden wir sehen, wie der Rahmen für die zukünftige Arbeit der DSJ aussieht. Für die DSJ kommt es darauf an, eine Perspektive zu entwickeln, denn so, wie es jetzt läuft, kann es nicht bleiben. Sofern es nicht gelingt, die strukturellen Probleme zu beheben, wird sich für die DSJ-Vorstandsmitglieder die Frage stellen, ob sie unter den unveränderten, konfliktträchtigen Bedingungen weiter ehrenamtlich tätig sein wollen und können. Es geht dabei nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern dass es derzeit an einer belastbaren Struktur für die Zusammenarbeit fehlt. Ich persönlich kann mir weiteres Engagement unter diesen Umständen für mich nicht vorstellen.

Wir haben den Eindruck, dass alle im Verband die Dimension des Strukturproblems erkannt haben. Unseren Vorschlag, die DSJ in einen e.V. umzugründen, halten wir für die klügste Lösung: Die DSJ bleibt der eigenständige Jugendverband des DSB, aber die aus der Struktur entstehenden Konflikte werden behoben. Wir hoffen, dass die Delegierten uns hierin zustimmen.

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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