Expeditionen in die Schachwelt
|
Ultimately chess is just chess - not
the best |
|
thing in the world and not the
worst thing in
the world, but there is nothing quite like it.
W.C. Fields
|
Ein großer Moment im
Schach (Teil 3)
Von Professor Dr. Christian Hesse
In Teil zwei unserer Artikelserie “Ein
großer Moment im Schach” haben wir den Weltmeisterschaftskampf Fischer gegen
Spassky 1972 bis zum Ende der ersten Partie verfolgt, die Spassky gewann.
Der Wettkampf sorgte weltweit für enormes Aufsehen und viele große Zeitungen
und Zeitschriften aus aller Welt berichteten auf ihren Titelseiten darüber.
Fischer machte die Filmkameras im Spielsaal
für seine Niederlage in der ersten Partie verantwortlich. Nach der Partie
verlangte er vom Isländischen Schachverband die völlige Kontrolle über die
Filmaufnahmen im Saal. Der Verband lehnte ab. In der Tat hatten sie nur
wenig juristischen Spielraum, da die Filmrechte an den amerikanischen
Geschäftsmann Chester Fox verkauft worden waren.
Es kam zu intensiven Verhandlungen zwischen
Fischers Anwälten, dem isländischen Schachverband und dem Team von Chester
Fox. Alles hinter den Kulissen. Ohne Klärung der wichtigsten Frage.
Laut Plan sollte die zweite Partie am 13.
Juli um 17 Uhr beginnen. Fischer hatte Weiß. Pünktlich setzte der deutsche
Schiedsrichter, Großmeister Lothar Schmid, Fischers Uhr in Gang. Spassky war
ein paar Minuten früher gekommen und saß am Tisch.
Fischer war jedoch immer noch in seinem
Hotelzimmer. Dem Herausforderer blieb eine Stunde Zeit, um ans Brett zu
kommen und seinen ersten Zug zu machen, sonst würde er die Partie kampflos
verlieren. In dem Bemühen, Fischers Forderungen nachzukommen, hatten die
Organisatoren versucht, die Kameras so aufzustellen, dass sie nicht zu sehen
waren. Sie waren hinter schwarzen Türmen, die kleine Löcher für die Linsen
hatten, versteckt. Diese Linsen waren vom Spieltisch aus nicht zu sehen und
auch Kamerageräusche waren dort nicht zu hören. Vor der Partie hatte
Schiedsrichter Schmid dieses Arrangement untersucht und war vollauf
zufrieden. Dem Hauptorganisator des Wettkampfs,
Gudmundur Thorarinsson,
sagte er: “Wenn Bobby hiermit nicht einverstanden ist, dann werde ich gegen
ihn entscheiden.”
Um 16:50 Uhr, zehn Minuten, bevor Schmid die
Uhr für Partie zwei in Gang setzt, informiert Thorarinsson einen der Anwälte
von Chester Fox, dass Schmid mit den Kamera-Arrangements zufrieden ist.
Diese Information wurde auch an Fischer in seinem Hotelzimmer weiter
gegeben. Fischer schrie zornig, dass er nicht zur Partie erscheinen würde.
Fred Cramer, einer von Fischers Sprechern, kontaktierte Schmid und forderte
ihn auf, mit dem Beginn der Partie noch zu warten, um das Kameraproblem zu
lösen. Schmid lehnte ab und wies darauf hin, dass die Wettkampfregeln das
nicht erlaubten.
Um genau 17:00 beginnt Fischers Uhr zu
ticken. Da Fischer keine Absicht erkennen ließ, am Brett zu erscheinen,
wurde die Anspannung der Offiziellen im Saal allmählich immer größer. Um
17:10 ruft Thorarinsson in Fischers Hotelsuite an und spricht mit William
Lombardy, Fischers Sekundant, der bei ihm ist. Thorarinsson schlägt vor,
dass Fischer zumindest in den Saal kommt und die Partie unter Protest
spielt.
Um 17:15 bittet Paul Marshall, Fischers
Anwalt in Reykjavik, Schmid darum, Fischers Uhr anzuhalten, um Zeit für
weitere Verhandlungen zu haben. Schmid lehnt ab: “Wenn Bobby nicht kommt,
dann muss ich die Partie als kampflos verloren werten.”
Um 17:20 redet Thorarinsson mit Chester Fox
und seinem Anwalt Richard Stein. Sie beharren auf ihrer Position.
Thorarinsson ist sich klar darüber, dass es wahrscheinlich das Ende des
Wettkampfs bedeutet, wenn die zweite Partie als kampfloser Verlust für
Fischer gewertet wird. Er sagt zu Fox: “Wir dürfen jetzt nicht die geringste
Schwäche zeigen. Unsere einzige Chance zu gewinnen, besteht darin, Bobby zu
überzeugen, dass wir lieber den Wettkampf riskieren als nachzugeben. Aber
unter uns müssen wir wissen, dass, sollte Bobby verrückt genug sein, auf
seinem Standpunkt zu beharren, wir als Erste nachgeben müssen.”
Um 17:30 ruft Andrew Davis, ein weiterer
Anwalt Fischers, aus New York bei Richard Stein an und bittet ihn
eindringlich: “Dick, Sie müssen uns helfen. Fischer ist trotzig und wütend
und wir brauchen mindestens einen Tag, um ihn zu beruhigen. Wenn Sie die
Kameras für diese Partie entfernen, dann werde ich mein Gott verdammt Bestes
tun, um Ihnen zu helfen. Wenn nicht, dann ist alles aus. Einen kampflosen
Verlust wird er nicht akzeptieren.” Stein, der keine andere Möglichkeit hat,
ist sofort einverstanden und überzeugt Thorarinsson, dass Fischer
tatsächlich bereit war, den Wettkampf wegen der Kameras platzen zu lassen.
Mittlerweile war es 17:35. Thorarinsson ruft Lombardy an und sagt ihm, er
würde Anweisungen geben, die Kameras aus dem Saal entfernen zu lassen.
Lombardy übermittelt diese Information an Fischer. “Bobby sagt, er kommt”,
erzählt Lombardy Thorarinsson. Das führt zu großer Erleichterung unter den
Organisatoren und Offiziellen im Spielsaal. Die Situation scheint im letzten
Moment gerade noch gerettet worden zu sein. Es ist 17:39. Fischer hat noch
21 Minuten, um ans Brett zu kommen und seinen Zug zu machen. In der ganzen
Zeit, während hinter den Kulissen intensiv verhandelt wurde, wartete eine
Polizeieskorte mit laufendem Motor vor Fischers Hotels und alle Ampeln auf
dem Weg zum Spiellokal wurden permanent auf „Grün“ geschaltet. Außerdem
wurde die Straße, die von Fischers Hotel zur Laugardallshall führt, für den
Verkehr gesperrt – Protokoll für ein Staatsoberhaupt. Aber dann stellt
Fischer noch eine weitere Bedingung. Er möchte, dass seine Uhr auf Null
zurückgesetzt wird!! Thorarinsson schaut ungläubig angesichts dieser
Achterbahnfahrt. Nur der Schiedsrichter kann die Uhren zurücksetzen und
Thorarinsson gibt Fischers Forderung sofort an Schmid weiter. Aber Schmid
lehnt ab. Später erklärt er in einem Interview: “Wenn Mr. Fischer in den
Spielsaal gekommen wäre, dann hätte ich ihm helfen können. Aber er ist nicht
gekommen und sein Protest war ungültig. Ich hatte keine andere Wahl, als
seine Uhr in Gang zu setzen. Zurückgedreht werden kann sie nicht.”
Thorarinsson kehrt wieder ans Telefon zurück
und übermittelt Schmids Entscheidung an Lombardy in Fischers Suite. In der
Zwischenzeit wurde der isländische Großmeister Olafsson zu Fischers Hotel
geschickt und auch er soll versuchen, Fischer zu überreden, doch noch zu
kommen. Er traf ein monumental zornigen Fischer an, der im Zimmer auf und ab
ging.
Um 17:47 ruft Olafsson selbst bei Lothar
Schmid an und sagt, die Dinge seien an einem Punkt, an dem nur er den
Wettkampf retten könnte: “Sprich mit Boris, Lothar. Frag ihn, ob er damit
einverstanden ist, die Uhr zurück zu setzen.” Aber Schmid bleibt bei seiner
Entscheidung. “Ich kann nicht. Bobby hat zwölf Minuten. Ich schlage vor, er
kommt.” Als Olafsson Schmids Antwort an Fischer weitergab, riss der die
Telefonschnur aus der Wand.
Um Punkt 18:00 geht Lothar Schmid zum
Spieltisch und hält Fischers Uhr an. Mit düsterer Stimme erklärt er dem
enttäuschten Publikum: “Meine Damen und Herren. Mr. Fischer ist nicht im
Spielsaal erschienen. Laut Regel 5 der Amsterdamer Vereinbarung verliert ein
Spieler die Partie kampflos, wenn er eine Stunde zu spät kommt.”
Die Mehrzahl der Leute, die mit dem
Wettkampf zu tun hatten, waren niedergeschlagen. Alles schien vorbei zu
sein.
(Wird fortgesetzt)
Über den Autor
Christian Hesse hat
an der Harvard University promoviert und war bis 1991 Fakultätsmitglied der
University of California in Berkeley. Seitdem ist er Professor für
Mathematik an der Universität Stuttgart. Nachfolgend war er Gastprofessor
und Gastdozent an Universitäten in der ganzen Welt, von der Australian
National University in Canberra bis zur Universität in
Concepcion-Universität in Chile. Vor kurzem veröffentlichte er das Buch
“Expeditionen in die Schachwelt” ISBN 3-935748-14-0), eine Sammlung von
ungefähr 100 Essays, die der Wiener Standard eines “eines der geistreichsten
und lesenswertesten Bücher, die je über das Schachspiel verfasst wurden”
nannte.
Christian Hesse ist verheiratet, hat eine sechs Jahre alte Tochter sowie
einen zwei Jahre alten Sohn und lebt in Mannheim.
Ihm gefällt Voltaires Antwort, als sich jemand einmal bei ihm beklagte: ”Das
Leben ist hart.” - “Verglichen womit?”