"Früher war Schach geheimnisvoll": Ein Interview mit Eugenio Torre

von Sagar Shah
17.07.2018 – Eugenio Torre stammt aus den Philippinen, ist Asiens erster Großmeister und gehörte früher zu den besten Spielern der Welt. In einem ausführlichen Interview mit Sagar Shah spricht Torre über seinen Weg zum Großmeistertitel, die Arbeit mit dem Computer, Regeländerungen und verrät, was ihm an Chess 960 gefällt. | Foto: David Llada

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Ein Interview mit Eugenio Torre

Eugenio Torre ist Asiens erster Großmeister, er hat gegen Anatoly Karpov gewonnen, an den Kandidatenwettkämpfen teilgenommen und beim Fischer-Spassky Match 1992 Sekundant von Bobby Fischer.

IM Sagar Shah interviewt Eugenio Torre in Manila | Foto: Amruta Mokal

SS: Wie hast du mit dem Schach angefangen?

ET: Ich komme aus einer Schach spielenden Familie. Ich habe zehn Geschister und war das siebte Kind. Meine älteren Brüder waren gute Spieler und ich konnte mit ihnen üben. Meine Eltern, vor allem mein Vater, haben das sehr unterstützt. Mein Vater wollte, dass wir Schach spielen, anstatt auf andere Gedanken zu kommen. (lacht)

SS: Aber damals gab es auf den Philippinen keine Schachkultur. Wie kam dein Vater aufs Schach?

ET: Ich glaube, es hat geholfen, dass Florencio Campomanes sehr aktiv war. Aber du hast Recht, damals gab es keine Schachkultur und keine Schachförderung auf den Philippinen - wie auch in Asien generell nicht. Auch weltweit genoss das Schach keine große Aufmerksamkeit. Es war wichtig, dass wir auf den Philippinen jemanden hatten wie Florencio, der nicht nur wusste, wie man Schach populär macht, sondern der auch wusste, wie man Sponsoren findet. (lacht)

Torre with Campomanes

Torre überreicht dem ehemaligen FIDE-Präsidenten Florencio Campomanes zu dessen 77. Geburtstag am 22. Februar 2004, ein Stück Geburtstagstorte. Daneben stehen Joey Antonio, Bong Villamayor und Casto Abundo | Foto: FIDE

SS: Wer war dein erster Trainer?

ET: Das Schachsystem auf den Philippinen ist nicht so, dass man unbedingt einen Trainer hat. Anders als Spieler in der Sowjetunion oder in den osteuropäischen Staaten hatten wir normalerweise keinen Trainer.

SS: Wie wird man im Schach ohne Trainer besser?

ET: Bücher! Meine Vater hat leidenschaftlich gern Schachbücher gelesen. Er hat immer wieder Schachbücher gekauft. Ich habe versucht, mit Hilfe dieser Bücher besser zu werden.

Torre genoss das Interview | Foto: Amruta Mokal

SS: War es schwer, damals Schachbücher zu bekommen?

ET: Ja, das war sehr schwer. Hier muss man dem Informator-Team dankbar sein, denn damals war der Informator die wichtigste Quelle, um aktuelle und kommentierte Partien zu bekommen. Heute haben wir die Computer, damals war es der Informator. Eröffnungen habe ich mit Hilfe von Modern Chess Openings gelernt. Wir waren auf uns alleine gestellt. Im Vergleich zur heutigen Generation kann man schon sagen, dass wir nicht ausreichend vorbereitet waren. Aber andererseits war das Schach damals noch voller Geheimnisse. Es gab noch so viel zu entdecken. Und es war wunderbar, dass Schach damals ein Geheimnis war…faszinierend! (lächelt)

SS: Wie siehst du das heute, wenn du spielst? Ist alles erforscht oder gibt es das Geheimnis immer noch?

ET:  Es wird schwierig. Das Geheimnisvolle wird mit jedem Tag kleiner! Deshalb war ich sehr froh, als Bobby Fischer vorgeschlagen hat, Chess 960 zu spielen, und auch versucht hat, diese Variante zu fördern. Ich glaube, irgendwann werden wir diese Entwicklung begrüßen, wenn wir uns Kreativität von den ersten Zügen an wünschen. Ich weiß, das wird irgendwann passieren. Ich weiß nur noch nicht wann. Ich hoffe, ich erlebe das noch. Die FIDE sollte Chess 960 begrüßen und Organisatoren die Möglichkeit geben, Chess960 Turniere zu organisieren.

Eine Möglichkeit, Chess 960 zu fördern, wäre ein eigenes Rating-System. Wie beim Rapid- und Blitz-Rating - diese gesonderten Wertungen einzuführen, war eine sehr gute Idee der FIDE. Jetzt gibt es drei Formen des Ratings und Organisatoren können sich aussuchen, in welchem Format sie ein Turnier organisieren möchten. Wenn man Chess960 dazu nimmt, hat man noch mehr Möglichkeiten. Das fördert die Popularität des Schachs und ist das Gebot der Stunde, vor allem, weil wir den Computern viel zu sehr vertrauen.

SS: Das heißt, du glaubst, Chess 960 ist die Zukunft des Schachs?

ET: Chess 960 und das klassische Schach sind die Zukunft des Schachs. Das klassische Schach gibt es schon seit Jahrhunderten. Wir haben eine emotionale Bindung an klassisches Schach und die Organisatoren werden Standardturniere ausrichten. Aber wir müssen uns auch für die Zukunft rüsten und eine Möglichkeit besteht darin, Chess 960 zu fördern.

Andere Sportarten haben sich auch geändert. Warum also nicht auch das Schach? Die Drei-Punkte-Regel im Basketball gab es auch nicht immer. Aber wenn man heute jenseits der Drei-Punkte-Linie einen Korb erzielt, dann bekommt man drei Punkte - früher gab es dafür nur zwei. Auch die Regeln für das Dribbeln wurden verändert, um den Sport attraktiver zu machen. Deshalb sollten mit der Zeit gehen und Chess 960 willkommen heißen.  

Genauso war ich immer dafür, das Punktesystem in Turnieren zu ändern. Heutzutage verzweifeln viele Organisatoren, weil es so viele Remispartien gibt. Patt könnte z.B. als kleiner oder ganzer Sieg zählen. Nehmen wir an, für einen Sieg gibt es vier Punkte, für ein Remis zwei und für eine Niederlage gar keinen Punkt. Im Falle eines Patts bekommt die Seite, die Patt gesetzt wird, dann einen Punkt, während derjenige, der Patt setzt, drei Punkte erhält. So erhält der Spieler, der seinen Gegner im Bauernendspiel Patt setzt, immer noch drei Punkte, was besser als Remis ist. Mit diesem Punktesystem werden viele Partien bis zum Ende ausgespielt werden. Viele Spieler werden versuchen, Patt zu setzen; viele Spieler werden versuchen, nicht Patt gesetzt zu werden. Und bei diesem Katz-und-Maus Spiel wird die Partie vielleicht entschieden. Das würde Schach spannender machen. Ich glaube, die Zeit für ein paar Veränderungen ist gekommen.

Ich weiß, dass viele Leute sehr am traditionellen Schach festhalten, aber diese Änderung des Punktesystems würde das Spiel selbst nicht sehr verändern. Manche Leute argumentieren, dass es viele wunderbare Kombinationen gibt, die zum Patt führen, und dass es schade wäre, wenn ein solches Patt nicht mit Remis belohnt wird. Aber bei einem anderen Punktesystem hätte man ja immer noch genügend Anreize, um nach Pattkombinationen zu suchen; man bekommt einen Punkt. Was ist dir lieber - 0 Punkte oder 1 Punkt?

Außerdem gibt das die Realität besser wieder. Ein geringfügiger Verlust führt dazu, dass der König gefangen wird, wird der König Matt gesetzt, wird er hingerichtet.

Torre portrait

Torre im Jahr 2018 | Photo: David Llada

SS: Glaubst du, dass Schach einmal vollständig gelöst wird?

ET: Oh nein. Wenn wir anfangen, Änderungen einzuführen, dann wird Schach so bald nicht gelöst sein.

SS: Aber wenn wir keine Änderungen vornehmen? Glaubst du, dass Schach dann gelöst wird?

ET: Nein, denn das Gedächtnis der Menschen ist begrenzt. Außerdem kommt es im Spitzenschach immer noch auf andere Dinge an. Man muss den Prinzipien und der Logik des Spiels vertrauen. Die richtige Umsetzung dieser Prinzipien macht einen Spieler stark. Die Spitzenspieler von heute müssen Computer benutzen und Varianten auswendig lernen, weil sie sonst in Gefahr laufen würden, in der Vorbereitung den Kürzeren zu ziehen. Das liegt daran, weil Computer tief ins traditionalle Schach eingedrungen sind. Um all das zu umgehen, ist Chess 960 notwendig. Wenn Computerunterstützung und Theorie keine Rolle mehr spielen, dann können Schachprofis und ihre Sekundaten sich mehr Ruhe gönnen. Man würde sich nur noch den Stil eines Spielers anschauen, aber nicht Unmengen von Eröffnungstheorie lernen. Und man hätte wieder die Möglichkeit, in der Eröffnung kreativ zu sein.

SS: Themenwechsel - wer war während deiner Entwicklungsjahre dein Lieblingsspieler? 

Master Class Band 1: Bobby Fischer

Kein anderer Weltmeister erreichte auch über die Schachwelt hinaus eine derartige Bekanntheit wie Bobby Fischer. Auf dieser DVD führt Ihnen ein Expertenteam die Facetten der Schachlegende vor und zeigt Ihnen u.a die Gewinntechniken des 11.Weltmeisters

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ET: Da fällt mir sofort Bobby Fischer ein. Damals haben die Russen das Weltschach beherrscht. Und Bobby hat sie ganz alleine auseinander genommen. Vom Schachverband der USA oder von der Regierung hat er nur wenig Hilfe bekommen. Auch der Privatsektor hat ihn kaum unterstützt. Was vielleicht auch daran lag, dass es schwer war, mit Bobby umzugehen.

Torre an Fischers Grab in Island | Foto: Lennart Ootes 

SS: Aber du warst ein guter Freund von ihm und hast ihm sogar beim Wettkampf gegen Spassky 1992 geholfen. Kannst du mehr darüber verraten?

ET: Nun, ich war überrascht, als die FIDE mich angerufen hat. Sie haben mich gefragt, ob ich gerne Sekundant von Bobby Fischer sein würde. Was für eine Frage! (lacht)

Ich habe Bobby verehrt. Teil seines Lebens zu sein, war wie ein Traum. Deshalb habe ich gefragt, ob sie Witze machen. Das war eine sehr schöne und lohnende Überraschung. Ich habe das Angebot sofort angenommen.

Ich glaube, der bescheidene Beitrag, den ich in seinem Team leisten konnte, war vor allem der, ein Freund Fischers zu sein, jemand, mit dem er reden konnte. Mein Job bestand weniger darin, ihm neue Schachideen zu präsentieren, sondern vor allem darin, seine Motivation aufrecht zu erhalten. Nach einer Niederlage oder wenn er niedergeschlagen war, habe ich ihm gesagt: "Das ist okay, Bobby. Die Zeit heilt alle Wunden", und dann hat er meist "yeah" geantwortet.

SS: Glaubst du, dass Fischer 1992, als er gegen Spassky gespielt hat, so gut war wie die besten Spieler der damaligen Zeit, Karpov oder Kasparov?

ET: Das ist eine sehr schwierige Frage. Und ich glaube, es ist unfair, Bobby so zu beurteilen. Aber ich kann sagen, dass er 1992 phantastisches Schach gespielt hat — auf sehr hohem Niveau — vor allem in der ersten Partie des Wettkampfs. Wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn er danach mehr Schach gespielt hätte! Die jüngeren Weltmeister sind wegen ihres Alters definitiv im Vorteil, aber Bobby war sehr willensstark und hatte sehr starke Nerven. Man kann nie wissen! Aber mit Sicherheit war Bobby einer der größten — wenn nicht der größte — Weltmeister.

 

Torre 2018

Torre in Platja d'Aro, 2018 | Foto: David Llada

SS: Du hast studiert und bist zur Universität gegangen - wie hat sich das mit deiner Schachkarriere vertragen?

ET: Ja, ich wollte Ingenieur werden, aber als ich aufs College kam, habe ich dann Wirtschaft studiert. Der Grund war das Schach. Es war so schwer, Ingenieurswissenschaften und Schach miteinander zu verbinden, und deshalb habe ich beschlossen, meinen Abschluss in Bank- und Finanzwesen zu machen. Aber nach zwei Jahren Studium musste ich mich entscheiden, ob ich meinen Abschluss mache oder nach Europa reise, um dort zu spielen und Großmeister zu werden. Das ging nur bei einem Studiumabbruch. Ich hatte immer noch ein Jahr bis zum Abschluss, aber ich habe mich dann für eine Schachkarriere entschieden. Damals war es sehr teuer, in Europa zu spielen. Heute ist es immer noch teuer, aber damals war es richtig teuer. Nach der Olympiade bin ich dann in Europa geblieben, um den Großmeistertitel zu holen - Madrid war unsere Basis.

Bis heute bin ich immer noch Student. Ich habe mein Studium des Bank- und Finanzwesens nicht zum Abschluss gebracht, weil sich das nicht mit dem Leben als Schachprofi vereinbaren ließ. Ich bekam damals viele Einladungen, denn ich war mehrere Jahre hintereinander Asien-Meister. Die Organisatoren in Europa wollten gerne einen Spieler aus Asien dabei haben, um ihre Turniere bunter zu machen.

SS: 1974 bist du Großmeister geworden, der erste Spieler aus Asien, der je GM wurde. Was war das für ein Gefühl? 

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Mittlerweile ist 1.b3 auch in der Weltelite unserer Tage angekommen, und nun hat sich für ChessBase ein moderner Spitzenspieler des Themas angenommen: kein Geringerer als Top-Ten-Großmeister Wesley So!

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ET: Phantastisch! Als Philippine und Asiate war ich sehr stolz, dass es endlich einen Großmeister aus Asien gab. Ich glaube, Schach ist für alle. Es war enttäuschend zu sehen, dass das Schachniveau in Asien nicht besonders hoch war. Natürlich wusste ich, dass es Gründe dafür gab: es gab nur wenig Turniere und nach Europa zu fahren, war kompliziert und teuer. Deshalb hatte ich beschlossen, für ein Jahr nach Europa zu fahren, um zu versuchen, Großmeister zu werden. Das war mein Traum und meine Mission. Aber in diesem Jahr habe ich nicht eine einzige GM-Norm gemacht! Einmal war ich sehr nah dran, aber habe die Norm am Ende doch verpasst. Aber als ich dann auf die Philippinen zurückgekehrt bin, hat man gesehen, dass ich Chancen auf den Titel habe und ich habe finanzielle Unterstützung bekommen. Da bin ich wieder nach Spanien zurückgefahren, um einen zweiten Anlauf auf den Titel zu unternehmen.

Ich glaube, meine erste GM-Norm habe ich in Malaga gemacht. Das war nicht leicht; aus den letzten fünf Runden brauchte ich fünf Siege. Ich habe dann aber nicht an die Norm gedacht, sondern mich immer auf die jeweils aktuelle Partie konzentriert. Nach den ersten beiden Siegen kam ich gegen einen einheimischen Spieler zu einem leichten Sieg. Ich habe dann auch noch die vierte Partie gewonnen, aber die Partie in der letzten Runde war dann ein richtiges Drama. Sie dauerte sehr lange und kostete viel Kraft, denn mein Gegner hat sich hartnäckig verteidigt. Ich glaube, sogar die Abschlussfeier musste verschoben werden. Damals gab es noch Hängepartien und die Partie wurde abgebrochen und am nächsten Morgen fortgesetzt. Aber am Ende habe ich gewonnen und habe die Norm gemacht.

Den Titel habe ich mir dann bei der Schacholympiade 1974 in Nizza gesichert. Ich habe an Brett eins gespielt und mein gutes Ergebnis hat mich sogar selbst überrascht. Damals gab es bei Olympiaden noch Vor- und Endrunden, und mein Ergebnis an Brett eins hat der Mannschaft geholfen, sich für die A-Endrunde zu qualifizieren. 

My Career Vol. 1

Vishy Anand gilt als eines der größten Schachtalente aller Zeiten. Er ist der 15. Weltmeister der Schachgeschichte und war auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn auch im Schnell- und Blitzschach kaum zu besiegen. Auf dieser DVD spricht er über seine Laufbahn und präsentiert und analysiert die besten Partien seiner Schachkarriere bis zum Gewinn des Weltmeistertitels 2007 (in englischer Sprache).

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SS: Damals war auch Vishy Anand in Manila. Erinnerst du dich daran?

ET: Nein, ich kannte ihn damals nicht. Aber ich hatte gehört, dass es in Indien jemanden gibt, der talentiert sein soll und Schachaufgaben im Fernsehen besser lösen konnte als sonst jemand. Mein Bruder, der damals diese Schachaufgaben für das Fernsehen bearbeitet hat, hat mir erzählt, dass der junge Inder bei einem dieser Wettbewerbe dabei war. Aber er hat diese Aufgaben immer per Telefon gelöst, im Fernsehen war er nicht zu sehen. Aber seine Leistungen hier auf den Philippinen sind bemerkenswert. Er wurde Jugendweltmeister in Baguio.

SS: Und wenn ich mich nicht irre, war er nach dir der zweite asiatische Großmeister.

ET: Viellicht nicht. Ich glabue, Balinas [GM Rosendo Balinas Jr] wurde 1976 Großmeister. Ich glaube, Anand war der dritte Großmeister, der aus Asien kam.

SS: Als junger Großmeister hast du einmal gegen Karpov gewonnen. Karpov galt damals als nahezu unbesiegbar. Wie hast du diese Partie erlebt? 

ET: Karpov hat die Schachwelt damals wirklich beherrscht. Er hat nur ganz selten eine Partie verloren und Turnier nach Turnier gewonnen. Einfach nur gegen Karpov zu spielen, war damals eine Herausforderung und eine große Chance. 

Master Class Band 6: Anatoly Karpov

Auf dieser DVD geht ein Expertenteam Karpovs Spiel auf den Grund. In über 7 Stunden Videospielzeit (jeweils komplett deutsch und englisch) beleuchten die Autoren vier wesentliche Aspekte von Karpovs Spielkunst.

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SS: Warst du vor der Partie nervös?

ET: Natürlich. Aber es war eine gute Nervosität — ich hatte genau das richtige Maß an Aufregung.

SS: Nach deinem Sieg gegen Karpov warst du einer der besten Spieler der Welt. Ich glaube, die Nummer 19 der Weltrangliste.

ET: Irgendetwas in der Gegend — 17., 18. oder 19. Ich hatte damals eine Elo-Zahl von 2580 und damit gehörte man damals noch zu den Top 20 der Welt, anders als heute. Ja, das war mein größter Erfolg als Spieler.

SS: Du hast dich auch einmal für die Kandidatenwettkämpfe qualifiziert.

ET: Ja, aber da bin 1983 ich im Viertelfinale gegen Zoltan Ribli ausgeschieden. Ich habe in diesem Wettkampf immer nach dem perfekten Zug gesucht; ich konnte einfach nicht pragmatisch spielen. Ich glaube, meine Zeiteinteilung war ein Grund, warum ich gegen Ribli verloren habe. Während des Wettkampfs habe ich das Problem nicht in den Griff bekommen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich gegen Ribli gewonnen hätte!

Bei mir hängt auch viel von der Form ab. Wenn ich inspiriert bin, dann ich sehr gut spielen, aber wenn ich außer Form bin, dann spiele ich manchmal wirklich schlecht.

Im Gegensatz zu Wesley So. Er spielt sehr gleichmäßig. 

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SS: Was denkst du über Wesley? Wie ist er zu einem solchen Ausnahmespieler geworden?

ET: Ich erinnere mich, dass er schon sehr früh wusste, wie man sich vorbereitet. Selbst in der U-10 wusste er schon, wie man sich mit dem Computer vorbereitet. Das war für einen so jungen Spieler ungewöhnlich. Er hat früh angefangen und alleine gearbeitet. Und irgendwie hat er begriffen, was Schachprogramme zu bieten haben, selbst damals schon.

Und Wesley kann verlorene Stellungen retten. Ich habe mehr als einmal gesehen, wie er in Verlustgefahr war, aber sich am Ende noch ins Remis retten konnte oder sogar gewonnen hat.

Zoltan Almasi, Wesley So und Eugenio Torre bei der Schacholympiade in Baku 2016. Wesley gewann Gold für das beste Ergebnis an Brett eins, Almasi Silber und Torre Bronze. | Foto: Maria Emelianova

SS: Glaubst du, dass Wesley einer der besten Spieler der Welt hätte werden können, wenn er auf den Philippinen geblieben wäre?

ET: Nein. Die Schachatmosphäre in den USA ist ganz anders. Wäre er auf den Philippinen geblieben, hätte er nie die Erfolge erzielen können, die er jetzt hat. Dafür gibt es viele Gründe. Unterstützung ist einer davon. Er wurde gefördert. Die Familie, die er jetzt hat, ist freundlich. Er fühlt sich wohl in seinem Leben.

Dazu kommt noch, dass der Wettbewerb in den USA sehr fordernd ist. Es gibt Spieler wie Caruana und Nakamura. Das hat zu seinen unglaublichen Erfolgen beigetragen. Von solchen Erfolgen träumt jeder Spieler.

SS: Du hast bei der Schacholympiade 2016 in Baku phantastisch gespielt. Trainierst du immer noch?

ET: Das ist in meinem System. Jetzt muss man immer schauen, was der Computer sagt, und den Anforderungen des modernen Schachs genügen. Für jüngere Spieler ist das vielleicht leichter als für ältere Spieler wie mich. Aber wir haben im Prinzip keine große Wahl. Wenn wir nicht mit dem Trend gehen, dann nehmen wir schwere Nachteile in Kauf. Und ja, ich trainiere noch gelegentlich, manchmal im Internet. Dann prüfe ich die Varianten, die ich spielen will, mit dem Computer, mit Stockfish oder Komodo. Das ist ganz anders als das, was wir damals gemacht haben.

Damals musste ich Dinge aufschreiben, selber analysieren und selber entscheiden, ob Varianten gut oder schlecht waren. Jetzt kann ich einfach "speichern" drücken, nachdem der Computer eine Weile gearbeitet hat.

Deshalb freue ich mich, wenn die FIDE Chess 960 fördert. Wenn das geschieht, werde ich vor allem Turniere mit diesem Format spielen.

SS: Und du achtest auch auf deine Fitness?

ET: Ja, das ist sehr wichtig. Wenn man älter wird, dann ist es wichtig, fit zu sein — körperlich und geistig.

SS: Und wie hältst du dich fit?

ET: Ich gehe ins Fitnesstudio und ich mache Spaziergänge. Und ich singe gerne beim Spazierengehen. Damit trainiere ich meine körperlichen und geistigen Fähigkeiten - und ich kann eine Menge Songs auswendig.

SS: Welche Pläne hast du in nächster Zeit?

ET: Ich verbringe den Großteil meiner Zeit mit Schach. Aber ich suche mir meine Turniere sehr sorgfältig aus. Ich würde gerne junge Talente unterstützen. Und ich bin zum Cheftrainer der Philippinen ernannt worden. Darauf konzentriere ich mich im Moment am meisten. 

SS: Gibt es etwas, das du jungen Spielern mitgeben möchtest?

ET: Meine Botschaft lautet immer, dass man Schach nutzen sollte, um im Leben Erfolg zu haben. Das gilt aber nicht nur für junge Spieler. Im Schach versuchen wir, den besten Zug zu finden; im Leben sollten wir das auch versuchen. Das gleiche gilt für Zeitmanagement und das Setzen von Prioritäten.

Von all den Leuten, die Schach spielen, werden nur sehr wenige Profis. Wer einen anderen Beruf wählt, der kann Schach als Werkzeug nutzen, um Erfolg zu haben.

SS: Vielen Dank für das Interview! Es war ein Vergnügen.

Interviewer Sagar Shah (vorne links), Eugenio Torre (hinten rechts), der interviewt wurde, Eliseo Tumbaga (hinten links), der das Interview möglich gemacht hat und vorne rechts der bekannte Autor und Trainer Jacob Aagaard. Das Interview wurde 2017 während eines Besuchs von Aagaard in Manila aufgezeichnet. | Foto: Amruta Mokal

 


Übersetzung aus dem Englischen: Johannes Fischer


 

 

 


Sagar Shah ist ein junger Internationaler Meister aus Indien. Er ist zugleich ausgebildeter Wirtschaftsprüfer und würde gerne der erste indische Wirtschaftsprüfer sein, der Großmeister wird. Sagar berichtet leidenschaftlich gerne über Schachturniere, denn so begreift er das Spiel, das er so liebt, besser. Aus Leidenschaft für das Schach betreibt er auch einen eigenen Schachblog.

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