ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Rückblick aus der Sicht des
Schachsports auf die erste Dekade des 21. Jahrhunderts
Teil 1: Die Jahre nach der
Jahrtausendwende 2000 - 2004
Von Frank Große
Der
Schachsport hatte zahlreiche Veränderungen im ereignisreichen 20. Jahrhundert
erlebt. Die politischen Veränderungen nach 1989 hatten auch Auswirkungen auf die
Welt der 64 Felder und deren Protagonisten. Der technische Fortschritt, der sich
in der Leistungssteigerung der Computer und allgemeinen Verfügbarkeit des
Internet manifestierte, führte zu einer explosionsartigen
Informationsentwicklung in allen Partiebereichen, aber insbesondere in der
Eröffnungstheorie. Folgedessen und durch Öffnung der russischen Spieler für den
weltweiten Spielerpool fand eine Inflation der Titelträger statt.
Lesen Sie im vorliegenden Artikel, welche Entwicklungen der Schachsport in der
ersten Dekade des neuen Jahrtausends genommen hat! Verfolgen Sie die
Entwicklungen der Weltklassespieler und natürlich der Weltmeister. Jahr für Jahr
im Zeitraffer …
Mit Gründung des Weltschachbundes FIDE (1924) wurde der nicht immer erfolgreiche
Versuch unternommen die Schachspieler unter einem Dachverband zu vereinen.
Immerhin wurden einheitliche Spielregeln, Schacholympiaden und die Einführung
der ELO-Zahlen erreicht. Zum Sorgenkind entwickelte sich die Vergabe und
allgemeine Akzeptanz der Weltmeisterkrone. Dabei kam es 1993 zum endgültigen
Bruch zwischen der FIDE und dem amtierenden Weltmeister Garri Kasparow.
Letzterer organisierte unter dem neu gegründeten Verband PCA einen Zweikampf
gegen seinen Herausforderer Nigel Short und konnte seinen Titel in der
„Privatweltmeisterschaft“ verteidigen. Die Titelkämpfe der FIDE unterlagen in
den Folgejahren mehrfachen Änderungen der Qualifikation und Ausrichtungsmodi,
was zu einer Inflation der Titelträger und Entwertung des Titels führte. Ein
Zustand, der mit in das neue Jahrtausend genommen wurde …
2000
… und für dessen potentielle Entwirrung das Weltmeisterschaftsduell zwischen
Herausforderer Wladimir Kramnik und Garri Kasparow im Herbst 2000 in London
sorgen konnte. Unter der Regentschaft der PCA und von Braingames.net– einem
Internet-Startup, das sich auf Wachstumsmärkte konzentrierte – übertragen, wird
das Match primär im Internet verfolgt. Während sieben Jahre zuvor Kasparow
seinen Herausforderer Short bereits nach wenigen Partien den Kampfgeist entzogen
hatte, zeigte sich Kramnik als ernstzunehmender Herausforderer. Nach einem
Auftakt-Remis gewann Kramnik mit den weißen Steinen die zweite Partie und konnte
Kasparow damit seit 1997 zum ersten Mal bezwingen. Ein psychologischer Vorteil,
für den ohnehin mit großem Selbstbewusstsein angereisten Landsmann. Nun wurde
der Jäger zum Gejagten. Doch Kasparow war noch mit Fortuna im Bunde als er in
den dramatischen Partien der Runden 4 und 6 sich Verluststellungen zu einem
Remis verwandelte. Kramnik, der pikanterweise im vorigen Weltmeisterschaftskampf
Sekundant Kasparows war, verpasst eine Vorentscheidung in der ersten Hälfte des
Matches. Schlüsselpunkt war die intensiv vorbereitete Berliner Verteidigung der
Spanischen Partie, gegen die Kasparow kein Mittel fand und somit frühzeitig von
1. e4 abwich. Nach sieben Remis in Folge gab es in der zehnten Partie gab es
wieder einen ganzen Punktgewinn zu verzeichnen: erneut für Kramnik, der Kasparow
zwang seinen König nach 25 Zügen umzulegen – seine kürzeste Niederlage! Die
verbleibenden fünf Spiele endeten Remis und Kasparow unterlag mit 6,5:8,5 ohne
eine einzige Gewinnpartie. „Ich wurde nicht am Brett überspielt, sondern
auspräpariert. 98 Prozent meiner Vorbereitung sind verpufft.“, äußerte sich der
Enttäuschte unmittelbar nach der letzten Partie. Der alte Weltmeister beendet
seine 15-jährige Ära geschlagen auf seinem eigenen Terrain. Der neue
Schachweltmeister hieß Wladimir Kramnik. Enttäuscht zeigten sich die
Schachanhänger bezüglich der Hoffnung, dass die Spaltung der Schachwelt nun ein
Ende fände. Gespräche über ein eventuelles Vereinigungsmatch mit der Titelträger
der FIDE lehnte Kramnik ab und berief sich auf vertragliche Verpflichtungen
seitens Braingames Network.
Nachdem die
allgemeine Presse ihren Weltmeister im herkömmlichen Match-Modus wahrgenommen
hat, fand kurz vor Jahreswechsel die FIDE-Knockout-Weltmeisterschaft in Neu
Delhi und Teheran statt. Dort traten die beiden Weltranglisten Kasparow und
Kramnik nicht an, wohl aber der Ranglistendritte Anand sowie weitere 99 Spieler.
Selbiger konnte sein dreiwöchiges Heimspiel in Indien nutzen und schaltete u.a.
den bisherigen FIDE-Titelträger Alexander Khalifman auf seinem Weg in die
Finalrunde aus. Diese wurde in Teheran ausgetragen und sein Gegner war Alexej
Schirow. Anand, der sich in finalen Kämpfen um die Weltmeisterkrone den beiden
„großen K“ der 80er-Jahre geschlagen geben musste demonstrierte seine
spielerische Überlegenheit und beendete das Finalmatch bereits nach vier Runden
mit drei Siegen und einem Unentschieden.
Schacholympiade in Istanbul. Die deutsche Nationalmannschaft startete furios in das neue Jahrtausend: Sie steigerte ihre Platzierung gegenüber den vorigen Teilnahmen und erreichte ein nie für möglich gehaltene Silbermedaille hinter dem Seriensieger Russland und übertraf damit alle Erwartungen (Startranglistenplatz 11). Ein Ergebnis, das auf lange Sicht unerreicht bleiben soll. Dabei wäre es fast dazu gekommen, dass die Topspieler Artur Jussupow und Robert Hübner nicht angetreten wären, wenn die FIDE auf die annoncierten Dopingproben bestanden hätten – selbige blieben (wahrscheinlich aus Kostengründen) im Reich der Märchen.
Bildquelle: Rochade Europa
Das Team mit Artur Jussupow, Rustam Dautov, Robert Hübner, Christopher Lutz,
Klaus Bischoff und Thomas Luther verlor insgesamt nur drei Partien. Das
bedeutete das beste Abschneiden seit langem, denn zuvor erreichte man 1950 und
1964 in Tel Aviv jeweils Bronze. Traurig aber wahr, der Erfolg wurde von der
deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, da die Tagespresse nicht und große
Zeitungen zumeist nur mit einer Randnotiz vom Ereignis und Ergebnis berichteten.
Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2000 im Überblick:
Garri Kasparow begann das neue Jahrtausend eindrucksvoll: Mit 1,5 Punkten
Vorsprung erwirkte er einen überzeugenden Sieg beim Corus-Turnier von Wijk aan
Zee und deklassierte damit die versammelte Weltelite. Damit unterstrich er sein
Abonnement auf Turniersiege, da er alle Turniere an denen er in den
zurückliegenden anderthalb Jahren teilgenommen hatte, gewann. Das Corus-Turnier
war das erste bedeutende Turnier nach der FIDE-Weltmeisterschaft von Las Vegas
(1999), die im K.O.-Modus ausgetragen wurde und Alexander Khalifman als Sieger
auszeichnete. Gleichzeitig war die Veranstaltung Grundlage von Diskussionen über
die Stärkeverhältnisse und Aussagekraft der ELO-Zahlen. Dies war nicht
verwunderlich, da Kasparow bis zu dem Turnier acht Monate keine Wettkampfpartie
bestritt, obwohl er seine ELO-Zahl in bis dato unerreichte Höhen geschraubt
hatte.
Doch beim Traditionsturnier in Linares kündigte ihm sein Landsmann Wladimir
Kramnik Paroli an: Beide teilten sich den Turniersieg, da sie in allen Wertungen
die gleichen Ergebnisse erzielten. Als Nebeneffekt schob sich Kramnik auf Rang 2
der Weltrangliste (vor Anand) und unterstrich seine verbal geäußerten Ambitionen
nach Höherem zu streben.
Der Spanier Alexej Schirow gewann das neunte Amber-Turnier von Monte Carlo. Bei
der doppelrundigen Veranstaltung (Blind- und Schnellschach) verwies er Wassili
Iwantschuk und Weselin Topalow vom Start weg auf die Plätze.
Das Dortmunder Chess-Meeting stand im Zeichen des bevorstehenden
Weltmeisterschaftskampfes zwischen Titelverteidiger Kasparow und Herausforderer
Kramnik. Letzterer konnte seine anhaltende Form bestätigen und erreichte den
fünften Turniersieg in Dortmund. Dennoch riss eine Serie: Bis zu seiner
Niederlage gegen Michael Adams war der Moskauer 82 (!) Partien mit normaler
Bedenkzeit ungeschlagen (zuvor zuletzt im Januar 1999 gegen Alexej Schirow). Es
war auch gleichzeitig seine erste Niederlage beim Dortmunder Turnier bei acht
Teilnahmen und 64 Partien – ein Rekord der seinesgleichen sucht. Mit dem
Programm „Junior“ traf zum ersten Mal ein Computer in einem Turnier mit normaler
Bedenkzeit auf Spieler aus der Weltspitze. Das Medieninteresse war entsprechend
hoch und mit 50% Punktausbeute pendelte das israelische Programm im Mittelfeld
ein.
Mit den Frankfurter Chess Classic 2000 erlebte das Schach auf deutschen Boden
seinen Höhepunkt. Die Top Ten der Weltrangliste trat in zwei Turnieren an, wo
sich Viswanathan Anand vor Kasparow und Kramnik im Giants-Turnier und Michael
Adams im Masters-Turnier durchsetzten.
2001
Die Schachbundesliga im Fokus. Der Lübecker SV, der 1999 in die Eliteliga aufgestiegen ist, wird zum ersten Mal deutscher Meister und sicherte sich zugleich den Pokalsieg. Nach 11 von 15 Runden stand das Lübecker Team verlustpunktfrei an der Spitze und hatte die ärgsten Konkurrenten Porz und Solingen bereits bezwungen, sodass der Meisterfeier praktisch nichts mehr im Wege stand. Aber nicht die geschlossene Mannschaftsleistung, sondern die Art und Weise erregte die Gemüter. Eine Mannschaft, die primär aus Legionären besteht und in der gesamten Saison nur zwei Einsätze deutscher Spieler verzeichnet, zeigt die Auswirkungen des Bosman-Urteils aus dem Jahre 1995 und fehlende Limitierungen seitens der Schachbundesliga. Dieses Vorgehen soll symptomatisch werden für die Weiterentwicklung der Bundesliga in den kommenden Jahren, die sich zwar einerseits zur stärksten Liga der Welt entwickelt, aber kaum regionale Berührungspunkte vorweisen kann.
Das Team des Lübecker SV
„Das sollte man nicht mehr Bundesliga nennen“, kommentierte Robert Rabiega, das
Spitzenbrett vom Absteiger König Tegel, dessen Team als einziger Verein der Liga
ausschließlich deutsche Spieler einsetzte und von den Experten damit bereits vor
der Saison das Prädikat „sicherer Abstiegskandidat“ erhielt.
Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2001 im Überblick:
Beim Neujahrsturnier in Wijk aan Zee zeigte sich Kasparow in gewohnter
Spielstärke und kopierte die Tabelle vergangener Jahre und strich den Gesamtsieg
ein. Pikant dabei, dass er FIDE-Weltmeister Anand und seinen Nachfolger Kramnik
auf die Plätze zwei und drei verweis. In Bezug auf sein Revanchematch gegen
Kramnik in die Außenseiterrolle gedrängt, versucht Kasparow seine
Medienwirksamkeit einzusetzen und forderte paradoxerweise sein „moralisches
Recht“ auf einen Rückkampf. Seine Ansprüche untermauern konnte er im März in
Linares, wo er die Konkurrenz (Schirow, Grischuk, Polgar, Karpow und Leko) um
drei Punkte hinter sich ließ. Die Rufe nach einem von der FIDE zu
organisierenden Vereinigungsmatch wurden lauter und sollten letztlich das
komplette Jahrzehnt bestimmen.
Wesselin Topalow kämpfte sich mit seinem Sieg (punktgleich mit Kramnik) beim
Amber-Turnier in Monaco in die absolute Weltspitze zurück, nachdem er seit
seinem Aufstieg fünf Jahre zuvor stagnierte.
Seine steigende Tendenz bewies er bei den Sparkassen Chess-Meeting in Dortmund,
wo er punktgleich mit Seriensieger Kramnik den Sprung auf das höchste Treppchen
des Podestes schaffte. Dabei startete der Bulgare mit einer Auftaktniederlage
gegen Kramnik, findet aber in den Folgerunden über seine kämpferische Form in
die Erfolgsspur zurück und zeigt sich nach der langen Durststrecke über den
Erfolg erleichtert. Das selbst ein Anand ein (wenn auch seltenes) schlechtes
Turnier erwischen kann, belegt sein alleiniger letzter Platz in der
Ruhrmetropole.
Die deutsche Herren-Nationalmannschaft schwebt noch auf der Erfolgswelle der
Silbermedaille der Schacholympiade. Nach einem vierten Platz bei der WM, konnte
sich Deutschland die Bronzemedaille der Europa-Meisterschaft erspielen. Die
Damen hofften bis zur letzten Sekunde auf ein Happyend und bezwangen in der
letzten Runde das an topgesetzte Jugoslawien, mussten sich aber mit dem vierten
Platz zufrieden geben.
Bei der XII. Fernschach-Olympiade sicherte sich Deutschland nach etwas mehr als
drei Jahren Spielzeit vorzeitig zum zweiten Mal die Goldmedaille und wiederholt
damit den Sieg der vorigen Olympiade.
Diese Resultate wurden von den deutschen Öffentlichkeit praktisch nicht
wahrgenommen, wohl aber FM Achim Illner, der sich bei der Show „Wetten dass…“
innerhalb von fünf Minuten vier Schachpositionen einprägen musste. Da er seine
Wette ohne Tadel meisterte wurde er mit großem Abstand vom Publikum zum
Wettkönig des Abends gewählt …
2002
Das
klassische Schach befand sich auf dem Wege einer Standortbestimmung. So führt
die Spaltung der Verbände, aber auch die Verkürzung der Bedenkzeit und
Entwertung des Weltmeistertitels die Weiterentwicklung auf den Prüfstand.
Nutznießer waren die traditionellen Turniere, bei denen einerseits die Weltelite
abseits von individuellen Befindlichkeiten vertreten ist und um den schnöden
Mammon, ELO-Punkte und Anerkennung kämpft.
Bei der 2001 begonnenen und im Januar 2002 in Moskau beendeten
FIDE-Knockout-Weltmeisterschaft werden zum ersten Mal Doping-Kontrollen
durchgeführt. Aber auch die Änderung des Bedenkzeitmodus sorgte im Vorfeld für
Unstimmigkeit bei den Verbänden. Dennoch wurde mit einer verkürzten Bedenkzeit
(90 Minuten pro Partie sowie 30-Sekunden-Bonus pro Zug) gespielt und der Einsatz
digitaler Uhren forciert. Ungewohnt an die neue Form der Bedenkzeit sank
insbesondere in der Schlussphase das Niveau der Partien. „Nutznießer“ war der
18-jährige Ukrainer Ruslan Ponomarjow, der damit zum jüngsten Weltmeister
avancierte. Sein Gegenspieler war Wassili Iwantschuk, der sich souverän für das
Finale qualifizierte und dann Opfer seiner Nerven wurde und durch katastrophale
Fehler einige Gewinnstellungen verdarb und mit 2,5:4,5 unterlag. Die
Finanzierung der FIDE-Wettkämpfe scheint dabei weder gesichert, noch von klar
definierten Quellen, sodass der Präsident wiederholt in die private Geldbörse
greift, um die Veranstaltungen zu finanzieren.
Bei der Eurotel Trophy in Prag findet sich die Weltelite auf Einladung des Mäzen
Bessel van Kok zum Stelldichein, um die Konditionen für eine Wiedervereinigung
des Weltmeistertitels auszuhandeln. Kasparow, der seit dem Verlust seines
Weltmeistertitels isoliert war, kehrt nach neun Jahren zurück in die Arme des
Weltverbandes. Das Prager Abkommen sah vor, dass zwischen dem FIDE-Weltmeister
und Kasparow ein Match stattfinden soll, dessen Sieger auf Kramnik (oder dessen
Bezwinger) treffen sollte um den ‚wahren‘ Weltmeister zu bestimmen. Dem
Weltverband gelang es nie seinen Teil des Abkommens umzusetzen. Anand gewinnt
das begleitende Turnier vor Anatoli Karpow, nachdem er Iwantschuk ausgeschalten
hatte, der wiederum Kasparow das Nachsehen gab.
Das Prager Abkommen und seine Protagonisten
Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2002 im Überblick:
In Wijk aan Zee war die Top 3 der Weltspitze nicht vertreten, sodass die „zweite
Reihe“ ihre Chance bekam. Kramnik traf Vorbereitungen auf sein Match gegen die
Software Deep Fritz, Kasparow erkrankte kurzfristig und Anand hatte sich auf
eine Teilnahme des Finales der FIDE-WM verspekuliert. Jewgeni Barejew trug sich
in die Siegerliste, vor Alexander Grischuk und Michael Adams ein. Besondere
Aufmerksamkeit zog Lokalmatador Loek van Wely auf sich, der abgeschlagenen
letzten Tabellenplatz zierte. Dennoch bewies der Veranstalter Charakter und
verteidigte seine Einladung und der Möglichkeit einheimischer Spieler gegen die
Weltspitze anzutreten.
Erhöhte mediale Aufmerksamkeit zog das Turnier Linares auf sich. Die
Turnierveranstalter hatten keine Mühe gescheut und den neuen Weltmeister Ruslan
Ponomarjow engagiert, der Garri Kasparow Paroli bieten sollte. Stand der
„Wunderknabe“ nach dem Gewinn seines Titels in der Kritik des Neides, bewies er
im Turnier seine Qualitäten. Kasparow stellte die Rangordnung mit seinem
souveränen Turniersieg wieder her, kam aber im ersten Aufeinandertreffen der
beiden Kontrahenten nicht über ein Remis hinaus, wenngleich er die zweite Partie
eindrucksvoll siegreich gestaltete. Ponomarjow wahrte mit einem zweiten Platz
zwar sein Gesicht, konnte in den Folgejahren seine Leistungen innerhalb der
absoluten Weltspitze aber nicht etablieren.
Bei seiner ersten Teilnahme am Amber Schnell- und Blindschachturnier konnte
Alexander Morosewitsch gleich einen Turniersieg feiern und ergatterte sich damit
das Abonnement für weitere Teilnahmen.
Der Weltverband installiert die seit Jahren beabsichtigen Grand-Prix-Serie in
den Turnierkalender. Die Finanzierung erwies sich erneut als waghalsiges
Abenteuer, sodass nach Verlegung nach Dubai und der Senkung des Preisgeldes
einige Topspieler mit Absagen drohten, bevor eine Erhöhung stattfand. Sieger
wurde Peter Leko.
Beim Einstein-Kandidatenturnier in Dortmund konnte sich Peter Leko durchsetzen
und stand als Herausforderer von Wladimir Kramnik fest. Leko zeigte sich in
einem spannenden und kampfbetonten Turnier von seiner aggressiveren Seite (Sein
Zwischenspurt mit 6,5 aus 7 war der Grundstein für das Erreichen des Finales.)
und bezwang im finalen Mini-Match Wesselin Topalow mit 2,5:1,5.
Bei einem Wettkampf Mensch gegen Maschine trennte sich Wladimir Kramnik in
Bahrain von Deep Fritz mit 3:3.
Der (Weltmeister)titellose Kasparow ist weiterhin polarisierend für die Medien.
Nach sechsjähriger Abstinenz bei der Schacholympiade führte er Russland zu Gold
und erzielte bezeichnend das beste Einzelergebnis. Das Russland hiernach keine
Schacholympiade mehr gewinnen soll ahnt niemand. Deutschland – ohne Jussupow und
Hübner, die gegen die angekündigten Doping-Kontrollen protestierten – fand sich
auf dem 16. Platz (ebenso die Frauen-Nationalmannschaft) wieder und konnte die
Startnominierung nicht erfüllen. Das Thema Doping war zentral diskutiertes
Thema, wenngleich letztlich keine Kontrollen durchgeführt wurden.
Sergej Karjakin wird mit zwölf Jahren und sieben Monaten jüngster Großmeister
aller Zeiten.
Der deutsche Schachbund beging sein 125-jähriges Jubiläum.
Schachturnier im Leipziger Hauptbahnhof: Nachwuchstrainer Michael
Bezold mit den jungen Baramidze, Naiditsch, Braun und Pähtz.
Dabei sah sich der Verband schwierigen Aufgaben gestellt, da sowohl die Mitgliederzahlen zurückgingen, wie auch die Wirtschaftlichkeit in Frage gestellt war. Im Rahmen der Feierlichkeiten wurden mit der Ramada-Cup-Serie die Deutschen Amateurmeisterschaften begründet.
2003
Zehn Jahre nach Spaltung der Schachwelt ist keine Besserung in Sicht und die
Unklarheit um die Wertigkeit des Weltmeistertitels lähmt die Schachwelt.
Grabenkriege und persönliche Interessen lassen das im Vorjahr geschlossene
Prager Abkommen platzen. Mit zwei Weltmeistern (Kramnik, Ponomarjow), einem
Herausforderer (Leko) und dem Weltranglistenersten (Kasparow) wendet sich nicht
nur die Öffentlichkeit desinteressiert vom Platz der Eitelkeiten ab. Die
geplanten Wettkämpfe zwischen Kramnik und Leko, sowie Ponomarjow und Kasparow
fanden nicht statt. Hinzu kamen Schwierigkeiten Sponsoren für die geplanten
Wettkämpfe zu finden. Somit verstrich das Jahr ohne Aussicht auf einen von allen
Seiten anerkannten Weltmeister und der neue Knockout-Wettbewerb stand in den
Startlöchern.
Der Weltverband führte als neue Regelung Handyklingeln mit sofortigem Verlust
einer Partie ein, was auch rasch auf regionalen Turnieren Anwendung fand.
Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2003 im Überblick:
Anand meldet sich nach einem durchwachsenen vergangenen Jahr eindrucksvoll
zurück und kann Wijk aan Zee für sich vor Judit Polgar entscheiden.
Kramnik landete im Mittelfeld und Kasparow nahm nicht teil, da er sich sechs Jahre nach seinem Debakel gegen Deep Blue mit Deep Junior maß: Das Match endete 3:3 bei je einem Sieg.
Peter Leko, Wladimir Kramnik, Viswanathan Anand und Garri Kasparow trafen
hauchdünn in dieser Reihenfolge im Finish von Linares ein. Bei der Ehrung zur
schönsten Partie wurde Kasparows Niederlage gegen Teimur Radjabow geehrt, bei
der Kasparow eine Figur einstellt. Der erzürnte Kasparow verließ die
Siegerveranstaltung wutschnaubend und betrachtete die Ehrung „als eine
Beleidigung und Herabwürdigung“ seiner Person.
Bei der Europameisterschaft der Männer belegte Alexander Graf den dritten Platz
und qualifizierte sich für die nächste K.O.-Weltmeisterschaft, um wenige Woche
später das ZMD-Open von Dresden zu gewinnen. Im Sommer fanden die traditionellen
Turniere von Dortmund (Sieger: Viorel Bologan) und Mainz statt, wo Anand seinen
Titel im Schnellschach verteidigte.
Nach dem erneuten (dritten) Titelgewinn zog der Lübecker Schachverein seine
erste Mannschaft aus finanziellen Gründen kurz vor Beginn der Meisterschaften
zurück. Da drei weitere Mannschaften im Laufe der Saison freiwillig den Rückzug
antraten, konnte der punktlose Tabellenletzte Stuttgarter SF seine Zugehörigkeit
zur ersten Liga behalten.
2004
Bis zum Herbst musste die Schachgemeinde warten,
dass der lang ersehnte Zweikampf zwischen Wladimir Kramnik und Peter Leko
stattfand. Im schweizerischen Brissago duellierten sich die zwei von Manager
Carsten Hensel betreuten Protagonisten wie Gentlemen des guten Anstands. Der
Wettkampf war primär ein (Kurz)-Remisfestival, der die Schachfans nur selten
mitreißen konnte. Nach Kramniks Auftaktssieg und den Lekos Siegen in den Runden
5 und 8 war der amtierende Weltmeister vor der vierzehnten und letzten Partie
zum Siegen verdammt, wenn er die Krone weiterhin auf dem Haupt tragen wollte.
Damit knisterte die Spannung wenigstens in der letzten Runde. Der Magyare musste
sich geschlagen geben und beim Endstand von 7:7 konnte der Herausforderer dem
Titelträger diesen nicht entreißen. Peter Leko sollte nie wieder so nah an den
Gewinn der Weltmeisterschaft gelangen.
Bereits im Sommer fanden in Lybien die nächsten Knock-Out-Weltmeisterschaften
der FIDE statt. Michael Adams stand als Favorit Rustam Kasimdshanow aus
Usbekistan im Finale gegenüber. Er konnte seine Rolle nicht gerecht werden und
der Usbeke trug sich als nächster K.O.-Weltmeister in die mittlerweile
inflationäre Liste ein.
Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2004 im Überblick:
Der Diktator des Geschehens war erneut Anand, der eröffnungstheoretisch bestens
vorbereitet das Turnier in Wijk aan Zee vollends kontrollierte und einen
souveränen Sieg vor Peter Leko und Michael Adams einfuhr. Gewinner des
C-Turnieres wird Magnus Carlsen, der im Alter von 13 Jahren und 3 Monaten noch
im selben Jahr Großmeister wird und sich bis zum Januar 2011 an die Spitze der
Weltrangliste katapultieren wird. Vishy Anand gewinnt im Laufe des Jahres zur
Freude seiner zahlreichen deutschen Fans auch noch Dortmund und Mainz.
Den Sieg in Linares konnte sich Kramnik unter den Nagel reißen, wobei die
Auszeichnung Remiskönig mit Tendenz zu vollen Punkten möglicherweise treffender
gewesen wäre. Bei einer Remisquote von knapp 80 Prozent im gesamten Turnier
fühlten sich Veranstalter und Fans verschaukelt und befürchteten eine Krise im
Spitzenschach.
Bei der Weltmeisterschaft der Frauen wird Antoaneta Stefanowa Weltmeisterin.
Nach dem Rückzug Lübecks fand der Kampf um die Meisterschaft in der Bundesliga
wieder zwischen der SG Porz und SC Baden-Oos statt, bei dem in dieser Saison die
Kölner im Stichkampf die Nase vorn behielten.
Die Ukraine stürzte Seriensieger Russland bei der Schacholympiade in Calvia. Das
deutsche Team landete erneut außerhalb der Medaillennähe auf Platz 16 (die Damen
Platz 17) und konnte keine Fortschritte erzielen.
Die Stadt Dresden bewirbt sich um die Ausrichtung der Schacholympiade 2008.
Bobby Fischer wird im Juli in Tokio verhaftet und war mit der Auslieferung an
die USA und die damit verbundene mehrjährige Gefängnisstrafe konfrontiert.