Eine Botschaft für den Weltmeister

von Conrad Schormann
07.05.2018 – Der Wettkampf um die Weltmeisterschaft im November des Jahres zwischen Carlsen und Caruana verspricht spannend zu werden. Nach dem Aufeinandertreffen in Baden-Baden-Baden folgte ein Fernduell in Saint Louis und Shamkir. Conrad Schormann bilanziert. (Foto: Georgios Souleidis)

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9:5 bei 17 Remis. Aus der Bilanz zwischen Magnus Carlsen und Fabiano Caruana können wir für den kommenden WM-Kampf zweierlei ableiten: Carlsen ist Favorit, und es wird ein umkämpftes Duell mit einer hohen Zahl an entschiedenen Partien. Schachfans dürfen sich auf das aufregendste WM-Match seit langem freuen – und auf das hochklassigste.

Die Formkurve beider Kontrahenten zeigt nach oben. Caruana zeigt sich vom Gewinn des Kandidatenturniers beflügelt, und Magnus Carlsen angestachelt vom Umstand, dass nun ein Rivale auf ihn wartet, der konsequent nach Chancen suchen wird, ihn zu besiegen.
Nicht, dass Carlsen-Karjakin ein Langweiler gewesen wäre. Aber das WM-Match 2016 bezog seine Spannung in erster Linie daraus, dass es dem Außenseiter wider Erwarten gelang, den Weltmeister aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Auf dem Brett war vergleichsweise wenig los. Karjakin tat, was er am besten kann: solide stehen, den Laden zusammenhalten, zäh verteidigen. Das tat er so gut, ging Carlsen derart auf die Nerven, dass der Norweger wackelte und wankte, bevor er sich schließlich in den Tiebreak rettete.

Auch Caruana wird gegen Carlsen in die Waagschale werfen, was er am besten kann. Seine herausragenden Qualitäten sind deutlich anders gelagert als die des Herausforderers von vor zwei Jahren. Auf Basis akribischer Eröffnungsvorbereitung sucht Caruana Ungleichgewichte, Dynamik, Zweischneidiges.

Die Entscheidung forciert der Amerikaner nach Möglichkeit schon im Mittelspiel, anders als Carlsen, der weniger fokussiert darauf ist, frühe Krisen zu provozieren. Der Weltmeister kann sich darauf verlassen, dass seine Intuition und Technik ihm Gewinnchancen bescheren, je länger die Partie dauert.

 

Carlsen, der Pragmatiker: In Shamkir gegen Radoslaw Wojtaszek hätte Magnus Carlsen hier per 18.Sd5! forciert gewinnen können. Der Zug ist naheliegend für jeden, der gelegentlich einen offenen Sizilianer auf dem Brett hat, aber die konkreten Folgen sind alles andere als leicht zu berechnen. Natürlich hatte Carlsen Sd5 gesehen, aber er wollte nicht einen erheblichen Teil seiner Bedenkzeit investieren, da er auch so gut steht. Also spielte er schnell 18.g4?!, das den weißen Vorteil nur verwaltet, anstatt ihn zu vergrößern.

 

 

 

 

Caruana, der Konkrete: Weiß hat forcierte Möglichkeiten wie 16.Lg5 oder 16.Se5, um seinen Angriff gegen den weißen König ins Rollen zu bringen. Er kann auch per 16.Se2 erst einmal dem schwarzen Gegenangriff den Schwung nehmen. Caruana steckte mehr als eine halbe Stunde Bedenkzeit ins Geschäft, um den präzisesten Zug auszutüfteln. 16.Df2! ignoriert schwarzes …b5-b4-b3 und setzt darauf, dass Weiß schneller sein wird, zu Recht. Weiß gewinnt.

 

Will Caruana das Match gewinnen, dann muss er einen Tiebreak vermeiden. Im Schnellschach wäre er Carlsen ebenso wenig gewachsen wie es vor zwei Jahren Karjakin war. Er muss Carlsen über zwölf reguläre Partien besiegen, und das bedeutet, dass er Risiken wird eingehen müssen.

Kein Problem für Caruana, denn das tut er ohnehin. Aber es bleibt die Frage, ob seine gerühmte Eröffnungsvorbereitung auch in diesem Fall greifen wird, oder ob sie verpufft. Konkrete Vorbereitung auf einen Spieler, der Konkretes gerne vermeidet (aber nicht prinzipiell, siehe Giri-Carlsen, Shamkir) – alles andere als eine einfache Aufgabe.

Caruanas über die Jahre gewachsenen Stabilität wird ihm helfen, sollte er früh zurückliegen. Das war schon im Kandidatenturnier zu sehen, als Caruana zwei Runden vor Schluss gegen Karjakin die Partie und die Tabellenführung verlor. Déja-vu? Nein, Caruana kam stark zurück, gewann die finalen beiden Partien und das Turnier mit einem Punkt Vorsprung.

Immun gegen Rückschläge oder übersteigertes Selbstbewusstsein ist Caruana gleichwohl nicht. Bei der US-Meisterschaft überzog Caruana seine Weißpartie gegen Zviad Izoria auf derart absurde Weise, dass es nur damit zu erklären ist, dass er sich nach seiner jüngsten Erfolgsserie unbesiegbar fühlte. Derart durchgeschüttelt, wartete Caruana am nächsten Tag gegen Sam Shankland mit einer ähnlich absurden „Neuerung“ auf, die ihm einen Minusbauern ohne Kompensation bescherte. Aber dann riss er sich zusammen, hielt die Partie und legte ein weiteres Turnier mit einer 2.800+-Performance hin.

Seit dem Kandidatenturnier spielt Caruana fast ohne Pause. Aus Berlin reiste er weiter nach Karlsruhe zum Grenke Classic und verkündete keck, er wolle nun dem Weltmeister „eine Botschaft“ senden. Wie die aussah, kann sich jeder anhand der Schlusstabelle anschauen. Caruana auf Platz eins, einen Zähler vor Magnus Carlsen.

Aus Deutschland reiste der eine gen Westen zur US-Meisterschaft, der andere gen Osten zum Superturnier im aserbaidschanischen Shamkir. Während Carlsen in Shamkir nicht glänzend, aber routiniert gewann, blieb Caruana bei seiner nationalen Meisterschaft nur Platz zwei.

Die Twitter-Frotzelei des Weltmeisters folgte unmittelbar:

 


Aber natürlich war auch Carlsen nicht entgangen, dass Caruana in Saint Louis wieder ein herausragendes Turnier absolviert hat, das dritte in Folge. „Plus fünf“ sollte unter normalen Umständen bequem zum Sieg reichen, nur tat es das in diesem Fall nicht, weil Sam Shankland das Turnier seines Lebens spielte.

 

Nach dem Fernduell werden sich die beiden nun wieder direkt miteinander messen. Am 27. Mai beginnt das Altibox-Turnier in Norwegen, eine weitere Gelegenheit für die Kontrahenten, einander Botschaften zu senden.

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Conrad Schormann, gelernter Tageszeitungsredakteur, betreibt in Überlingen am Bodensee ein Büro für Redaktion und Kommunikation. Fürs Schachspielen hat er zu wenig Zeit, was auch daran liegt, dass er so gerne darüber schreibt, sei es für Chessbase, im Reddit-Schachforum oder für sein Schach-Lehrblog Perlen vom Bodensee...


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