Elista: Grund zum Jubeln

von ChessBase
27.09.2006 – Nach vier Partien, einem Drittel des Wettkampfes um den wiedervereinigten Schachthron, können die Spieler, Organisatoren und vor allem die Schachfreunde zufrieden sein. Alle bisherigen Partien waren hart umkämpft, die ersten beiden zudem hochdramatisch. "Veselin hat anfangs das Risiko übertrieben. Er wollte Kramnik zu Null schlagen. Das ging gründlich daneben“, zitiert Dagobert Kohlmeyer in seinem Bericht Topalovs Manager Silvio Danailow. Genügend politische Prominenz ist auch vor Ort: Neben Vizepremier Alexander Zhukov und der bulgarischen Sportministerin ist nun auch der russischen Sportminister, der frühere Eishockey Star Vjatcheslav Fetisov, eingetroffen. Zwischendurch gab es Gelegenheit für einen Fuballvergleich der anwesenden Würdenträgern. Mehr...

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Schach-WM: Kramnik führt 3:1
Von Dagobert Kohlmeyer aus Elista


Topalow, Iliumschinow, Kramnik bei der Eröffnung

Ein Drittel der Schach-WM zwischen Topalow und Kramnik ist vorüber. Wer hätte vorher gedacht, dass ein Spieler schon kurz nach dem Start so deutlich führen würde! Besonders die ersten Partien von Elista waren voller Dramatik. Manche Beobachte meinen hier, sie hatten mehr davon als das ganze Match Kramnik- Leko in Brissago. Vielleicht etwas übertrieben, aber dort gab es zehn Remis, in Elista endeten gleich die ersten beiden Spiele mit Paukenschlägen und Punktgewinnen.

Die größere Aktie daran hat zweifellos der bulgarische FIDE-Champion. Topalow legt jede Partie auf Sieg an, egal mit welcher Farbe er spielt. Leider wurde der Mann mit dem feurigen Blick für seinen Mut noch nicht belohnt. In der ersten Partie konnte Topalow durch Dauerschach leicht Remis machen, wollte aber zu viel. Kramnik blieb cool, konterte ihn aus und kassierte den vollen Punkt. Unwillkürlich erinnert man sich an Brissago 2004, als Peter Leko im ersten Spiel gegen den Russen ebenfalls die Nerven durchgingen.

In der zweiten Partie sah Topalow nach genialem Königsangriff mit Weiß bereits wie der sichere Sieger aus, verpasste aber im Eifer des Gefechts ein Matt in drei Zügen. Kramnik räumte hinterher ein, dass er verloren war und das Matt auch nicht gesehen hatte. Nachdem die Gefahr vorüber war, konnte der Moskauer sein Figurenplus in den zweiten Zähler verwandeln. Dramatik und Tragik pur (siehe Partie!) Der bulgarische Vorkämpfer erlebt hier zu Beginn eine Achterbahnfahrt der Gefühle.


Florencio Campomanes und Alexander Bach unter den Zuschauern

Einmal mehr zeigt es sich, dass ein WM-Match etwas ganz anderes als ein Großmeisterturnier ist. In Zweikämpfen hat Kramnik bedeutend mehr Erfahrung als sein Gegner. Vor sechs Jahren in London entthronte er den großen Kasparow und gestattete ihm in 16 Partien keinen einzigen Sieg. In der Hauptstadt Kalmückiens werden nur 12 Partien gespielt. Bei dieser kurzen Distanz ist es ganz schwer, einen Riesen an Denkkraft wie Kramnik noch umzustoßen.


Von hier gehen die Züge ins Internet

Aber Topalow wäre nicht Topalow, wenn er nicht bis zum Schluss fighten würde. Auch in Partie 4 am Mittwoch beendete er seine Gewinnversuche erst, als nur noch ganz wenige Figuren auf dem Brett waren. Die Schachszene liebt den Wahlspanier deshalb. Auch unter den russischen und kalmückischen Fans gibt es nicht wenige, die Weselin die Daumen drücken, weil er so interessant und risikoreich spielt. Aber er musste zu Beginn viel Lehrgeld zahlen. Jetzt legt sich die Aufregung, beide Spieler greifen nicht mehr so leicht fehl wie am Anfang. Und nutzen die Pausen zwischen den Spielen.

Topalow verfolgte am Mittwochabend im Fernsehen das Championsleaguespiel zwischen Lewski Sofia und Chelsea London. Der bulgarische Klub wird auch von seinem Sponsor M-tel unterstützt, berichtete uns  Weselin. Auch Wladimir Kramnik wollte nach dem Spiel Fußball in der „Röhre“ sehen. Den Ruhetag vor dem fünften Spiel nutzen beide Spieler dann zur weiteren Erholung und Präparation auf die nächsten Partien.  Ein Journalist fragte nach Alexander Motylow: „Ist er noch am Leben?“ „Meine Sekundanten zeige ich erst zur letzten Partie“, lächelte Kramnik.


Zhukov diskutiert mit Rublevsky


Hostess Julia

Mit Hilfe des Gebets zum Remis

Topalow hat seine Spieltaktik umgestellt, agiert jetzt vorsichtiger. „Weselin hat anfangs das Risiko übertrieben. Er wollte Kramnik zu Null schlagen. Das ging gründlich daneben“, klagte Topalows Manager Silvio Danailow nach dem 0:2 in City Chess. Nach der zweiten Partie hatte FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow die Pressekonferenz mit seiner Anwesenheit und witzigen Bemerkungen beehrt. Erst fragte er Kramnik, warum er das Matt nicht gesehen habe und gratulierte seinem russischen Landsmann zum glücklichen Sieg.

Für den Verlierer fand der kalmückische Präsident sodann tröstende Worte und versuchte, Weselin und dessen Freund Silvio aufzumuntern. So empfahl er Topalow, am spielfreien Tag einen Buddhatempel oder eine Kirche in Elista zu besuchen. Im Gebet könne er Ruhe und Kraft für die weiteren Partien finden. Der bulgarische Heißsporn befolgte den Rat und ging in eine orthodoxe Kirche. Er betete dort, unterhielt sich mit dem Priester und zündete eine Kerze an. Dann ging Topalow in ein Cafe Tee trinken und traf sich mit Landsleuten. Im Ergebnis dieser Zerstreuungen kühlte er sichtbar ab und holte tags darauf mit Schwarz das erste Remis.

Hat Topalow seinen inneren Frieden gefunden? Auf dem Brett wird Weselin sicher weiter gnadenlos attackieren. Er will beweisen, dass er mit Recht die Weltrangliste des Schachs anführt. Am Ende des Matchs soll aber die Idee der Wiedervereinigung mit nur einem Schachkönig gewinnen. Frei nach John Lennons Song „Give peace a chance!“ Ian Rogers glänzte vor einigen Tagen, wie ChessBase Webmaster André Schulz blitzschnell entdeckt hat, in der australischen Presse mit dem geistreichen Wortspiel „Give piece a chance!

Fußball und ….

Was wäre so eine Schach-WM ohne ihre Randgeschichten! Von dem Fußballmatch zu Beginn hat ein russischer Kollege schon kurz berichtet.


Der Präsident beim Fußball

Neben Schach ist Fußball Kirsans zweite Leidenschaft. Er sponsert seit Jahren die Mannschaft Uralan Elista (1. Liga Russlands). Nachdem hier der erste Zug des WM-Duells von Kramnik und Topalow vom russischen Vizepremier Alexander Shukow ausgeführt war, fuhren die Politiker ins Uralan Stadion zu einem Prominentenmatch. Auf der einen Seite ein Team der FIDE und der russischen Regierung, auf der anderen die kalmückische Administration.


Das gemischte FIDE-Russland-Team


Scheich Sultan bin Khalifa

Shukow spielte fintenreich wie Ronaldinho, zeigte Hackentricks und schoss das entscheidende Tor zum 5:4-Sieg seiner Elf.


Antreiber Schukow

Iljumschinow hingegen agierte unauffälliger, lief auf leisen Sohlen über das Feld. Er dachte wohl schon über seine nächsten Züge als Schachpräsident nach.

Weil sich keine Sponsoren für die nächsten WM-Kandidatenkämpfe fanden, will er auch dieses Turnier übernehmen. Ob die beim Weltcup 2005 ermittelten Zweikämpfe bleiben oder es ein Turnier gibt, ließ Kirsan auf meine Frage hin offen. Der FIDE-Exekutivrat, der hier tagte, hat die Sache bisher noch nicht schlüssig entschieden. Soll Elista im April 2007 tatsächlich wiederum Nabel der Schachwelt sein? Für den Reporter wäre es die Reise Nr. 5. Bei diesen Unwägbarkeiten…? Gegen den erneuten Alleingang Iljumschinows gab es sofort wütende Proteste (siehe Boris Gelfands offenen Brief).

… Eishockey!

Ein Großer des Weltsports beehrte die Schach-WM in Elista zu Beginn ebenfalls mit seinem Besuch.


Wjatscheslaw Fetisow

Russlands Sportminister Wjatscheslaw Fetisow, Eishockeyfans werden ihn noch gut kennen, kam mit der gleichen Maschine wie Alexander Shukow. Fetisow spielte auch im Fußballmatch der Prominenten mit und beantwortete auf einer Pressekonferenz Fragen der Journalisten.

Für jüngere Schachfreunde listen wir mal die wichtigsten Stationen seiner großen Sportkarriere auf. Wjatscheslaw Fetisow (geboren 1958 in Moskau) ist einer der besten Eishockeyspieler aller Zeiten. Hauptsächlich spielte er Verteidiger und gewann mit der sowjetischen Nationalmannschaft bei Olympischen Spielen zweimal Gold, einmal Silber sowie sieben Weltmeisterschaftstitel. Seine größte Niederlage erlitt er bei den Winterspielen 1980 im legendären Spiel (Miracle on Ice) gegen die USA, das 4:3 verloren wurde.

Neben dem Stürmer Igor Larionow war Fetisow einer der ersten sowjetische Spieler in der NHL und wagte als Kapitän der Nationalmannschaft den Aufstand gegen den damals übermächtigen Trainer Wiktor Tichonow. Dieser verzögerte seinerzeit die vereinbarte Entlassung des Stars aus dem Armeedienst. Fetisow streikte in der Mannschaft und hielt sich im Werksteam einer Bleistiftfabrik fit. Die Nationalspieler forderten jedoch die Rückkehr von Fetisow ins WM-Team und wählten ihn demonstrativ zum Kapitän. Diesem Wunsch musste sich auch der eisenharte Tichonow beugen. Seine Macht war gebrochen. Fetisow spielte für  ZSKA Moskau (1977-1989), New Jersey Devils (1989-1995) und die Detroit Red Wings (1995-1998).Im Jahre 2001 wurden Fetisows Leistungen mit der Aufnahme in die Hockey Hall of Fame geehrt. Bei den Olympischen Winterspielen 2002 übernahm er kurzfristig den Posten den Cheftrainers der russischen Eishockeymannschaft und holte mit ihr eine Bronzemedaille.

Soweit unser Eishockey-Exkurs, zurück zum Schach: Alexander Roschal („64“) fragte Fetisow auf der Pressekonferenz, ob Schach im russischen Maßstab nicht noch stärker gefördert werden kann und verwies auf Regionen wie Tomsk, Jekaterinenburg und Chanti-Mansysk (Spielort der Schacholympiade 2010), in denen das kräftig geschieht.

- Wie wäre es denn, wieder die Spartakiade (Teamwettbewerb) wie früher zu sowjetischen Zeiten einzuführen?

Der Sportminister antwortete: „Ich denke, dass Schach nicht abseits stehen soll. Zumal zwischen Kirsan Iljumschinow und uns gute Beziehungen bestehen. In der nächsten Zeit werden wir eine genaue Struktur für solche Wettbewerbe entwickeln.“

Eishockeyspielern ist das Schachspiel sehr vertraut. Eingeweihte wissen, dass Chefcoach Tichonow, Torwart Tretjak und andere Cracks der ehemaligen UdSSR nicht nur im Trainingslager gern Schach spielten. Es gehörte quasi zu ihrer Ausbildung.

 

Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer, Elista

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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