Schach-WM: Kramnik führt 3:1
Von Dagobert Kohlmeyer aus Elista

Topalow, Iliumschinow, Kramnik bei der Eröffnung
Ein Drittel der Schach-WM zwischen Topalow und Kramnik ist
vorüber. Wer hätte vorher gedacht, dass ein Spieler schon kurz nach dem Start so
deutlich führen würde! Besonders die ersten Partien von Elista waren voller
Dramatik. Manche Beobachte meinen hier, sie hatten mehr davon als das ganze
Match Kramnik- Leko in Brissago. Vielleicht etwas übertrieben, aber dort gab es
zehn Remis, in Elista endeten gleich die ersten beiden Spiele mit Paukenschlägen
und Punktgewinnen.

Die größere Aktie daran hat zweifellos der bulgarische
FIDE-Champion. Topalow legt jede Partie auf Sieg an, egal mit welcher Farbe er
spielt. Leider wurde der Mann mit dem feurigen Blick für seinen Mut noch nicht
belohnt. In der ersten Partie konnte Topalow durch Dauerschach leicht Remis
machen, wollte aber zu viel. Kramnik blieb cool, konterte ihn aus und kassierte
den vollen Punkt. Unwillkürlich erinnert man sich an Brissago 2004, als Peter
Leko im ersten Spiel gegen den Russen ebenfalls die Nerven durchgingen.

In der zweiten Partie sah Topalow nach genialem Königsangriff mit
Weiß bereits wie der sichere Sieger aus, verpasste aber im Eifer des Gefechts
ein Matt in drei Zügen. Kramnik räumte hinterher ein, dass er verloren war und
das Matt auch nicht gesehen hatte. Nachdem die Gefahr vorüber war, konnte der
Moskauer sein Figurenplus in den zweiten Zähler verwandeln. Dramatik und Tragik
pur (siehe Partie!) Der bulgarische Vorkämpfer erlebt hier zu Beginn eine
Achterbahnfahrt der Gefühle.

Florencio Campomanes und Alexander Bach unter den Zuschauern
Einmal mehr zeigt es sich, dass ein WM-Match etwas ganz anderes
als ein Großmeisterturnier ist. In Zweikämpfen hat Kramnik bedeutend mehr
Erfahrung als sein Gegner. Vor sechs Jahren in London entthronte er den großen
Kasparow und gestattete ihm in 16 Partien keinen einzigen Sieg. In der
Hauptstadt Kalmückiens werden nur 12 Partien gespielt. Bei dieser kurzen Distanz
ist es ganz schwer, einen Riesen an Denkkraft wie Kramnik noch umzustoßen.

Von hier gehen die Züge ins Internet
Aber Topalow wäre nicht Topalow, wenn er nicht bis zum Schluss
fighten würde. Auch in Partie 4 am Mittwoch beendete er seine Gewinnversuche
erst, als nur noch ganz wenige Figuren auf dem Brett waren. Die Schachszene
liebt den Wahlspanier deshalb. Auch unter den russischen und kalmückischen Fans
gibt es nicht wenige, die Weselin die Daumen drücken, weil er so interessant und
risikoreich spielt. Aber er musste zu Beginn viel Lehrgeld zahlen. Jetzt legt
sich die Aufregung, beide Spieler greifen nicht mehr so leicht fehl wie am
Anfang. Und nutzen die Pausen zwischen den Spielen.
Topalow verfolgte am Mittwochabend im Fernsehen das
Championsleaguespiel zwischen Lewski Sofia und Chelsea London. Der bulgarische
Klub wird auch von seinem Sponsor M-tel unterstützt, berichtete uns Weselin.
Auch Wladimir Kramnik wollte nach dem Spiel Fußball in der „Röhre“ sehen. Den
Ruhetag vor dem fünften Spiel nutzen beide Spieler dann zur weiteren Erholung
und Präparation auf die nächsten Partien. Ein Journalist fragte nach Alexander
Motylow: „Ist er noch am Leben?“ „Meine Sekundanten zeige ich erst zur letzten
Partie“, lächelte Kramnik.

Zhukov diskutiert mit Rublevsky

Hostess Julia
Mit Hilfe des Gebets
zum Remis
Topalow hat seine Spieltaktik umgestellt, agiert jetzt
vorsichtiger. „Weselin hat anfangs das Risiko übertrieben. Er wollte Kramnik zu
Null schlagen. Das ging gründlich daneben“, klagte Topalows Manager Silvio
Danailow nach dem 0:2 in City Chess. Nach der zweiten Partie hatte
FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow die Pressekonferenz mit seiner Anwesenheit
und witzigen Bemerkungen beehrt. Erst fragte er Kramnik, warum er das Matt nicht
gesehen habe und gratulierte seinem russischen Landsmann zum glücklichen Sieg.
Für den Verlierer fand der kalmückische Präsident sodann
tröstende Worte und versuchte, Weselin und dessen Freund Silvio aufzumuntern. So
empfahl er Topalow, am spielfreien Tag einen Buddhatempel oder eine Kirche in
Elista zu besuchen. Im Gebet könne er Ruhe und Kraft für die weiteren Partien
finden. Der bulgarische Heißsporn befolgte den Rat und ging in eine orthodoxe
Kirche. Er betete dort, unterhielt sich mit dem Priester und zündete eine Kerze
an. Dann ging Topalow in ein Cafe Tee trinken und traf sich mit Landsleuten. Im
Ergebnis dieser Zerstreuungen kühlte er sichtbar ab und holte tags darauf mit
Schwarz das erste Remis.
Hat Topalow seinen inneren Frieden gefunden? Auf dem Brett wird
Weselin sicher weiter gnadenlos attackieren. Er will beweisen, dass er mit Recht
die Weltrangliste des Schachs anführt. Am Ende des Matchs soll aber die Idee der
Wiedervereinigung mit nur einem Schachkönig gewinnen. Frei
nach John Lennons Song „Give peace a chance!“
Ian Rogers glänzte
vor einigen Tagen, wie ChessBase Webmaster André Schulz blitzschnell entdeckt
hat, in der australischen Presse mit dem geistreichen Wortspiel „Give piece a
chance!
Fußball und ….
Was wäre so eine Schach-WM ohne ihre Randgeschichten! Von dem
Fußballmatch zu Beginn hat ein russischer Kollege schon kurz berichtet.

Der Präsident beim Fußball
Neben Schach ist Fußball Kirsans zweite Leidenschaft. Er sponsert
seit Jahren die Mannschaft Uralan Elista (1. Liga Russlands). Nachdem hier der
erste Zug des WM-Duells von Kramnik und Topalow vom russischen Vizepremier
Alexander Shukow ausgeführt war, fuhren die Politiker ins Uralan Stadion zu
einem Prominentenmatch. Auf der einen Seite ein Team der FIDE und der russischen
Regierung, auf der anderen die kalmückische Administration.

Das gemischte FIDE-Russland-Team

Scheich Sultan bin Khalifa
Shukow spielte fintenreich wie Ronaldinho, zeigte Hackentricks und schoss das
entscheidende Tor zum 5:4-Sieg seiner Elf.

Antreiber Schukow

Iljumschinow hingegen agierte unauffälliger, lief auf leisen
Sohlen über das Feld. Er dachte wohl schon über seine nächsten Züge als
Schachpräsident nach.


Weil sich keine Sponsoren für die nächsten WM-Kandidatenkämpfe
fanden, will er auch dieses Turnier übernehmen. Ob die beim Weltcup 2005
ermittelten Zweikämpfe bleiben oder es ein Turnier gibt, ließ Kirsan auf meine
Frage hin offen. Der FIDE-Exekutivrat, der hier tagte, hat die Sache bisher noch
nicht schlüssig entschieden. Soll Elista im April 2007 tatsächlich wiederum
Nabel der Schachwelt sein? Für den Reporter wäre es die Reise Nr. 5. Bei diesen
Unwägbarkeiten…? Gegen den erneuten Alleingang Iljumschinows gab es sofort
wütende Proteste (siehe Boris Gelfands offenen Brief).
… Eishockey!
Ein Großer des Weltsports beehrte die Schach-WM in Elista zu
Beginn ebenfalls mit seinem Besuch.

Wjatscheslaw Fetisow
Russlands Sportminister Wjatscheslaw Fetisow, Eishockeyfans
werden ihn noch gut kennen, kam mit der gleichen Maschine wie Alexander Shukow.
Fetisow spielte auch im Fußballmatch der Prominenten mit und beantwortete auf
einer Pressekonferenz Fragen der Journalisten.

Für jüngere Schachfreunde listen wir mal die wichtigsten
Stationen seiner großen Sportkarriere auf. Wjatscheslaw Fetisow (geboren 1958 in
Moskau) ist einer der besten
Eishockeyspieler aller Zeiten.
Hauptsächlich spielte er
Verteidiger und gewann mit der
sowjetischen Nationalmannschaft bei
Olympischen Spielen zweimal Gold, einmal Silber sowie sieben
Weltmeisterschaftstitel. Seine größte
Niederlage erlitt er bei den
Winterspielen 1980 im legendären Spiel
(Miracle
on Ice) gegen die
USA, das 4:3 verloren wurde.

Neben dem Stürmer
Igor Larionow war Fetisow einer der
ersten sowjetische Spieler in der
NHL und wagte als
Kapitän der
Nationalmannschaft den Aufstand gegen
den damals übermächtigen Trainer
Wiktor Tichonow. Dieser verzögerte
seinerzeit die vereinbarte Entlassung des Stars aus dem Armeedienst. Fetisow
streikte in der Mannschaft und hielt sich im Werksteam einer Bleistiftfabrik
fit. Die Nationalspieler forderten jedoch die Rückkehr von Fetisow ins WM-Team
und wählten ihn demonstrativ zum Kapitän. Diesem Wunsch musste sich auch der
eisenharte Tichonow beugen. Seine Macht war gebrochen. Fetisow spielte für
ZSKA Moskau (1977-1989),
New Jersey Devils (1989-1995) und die
Detroit Red Wings (1995-1998).Im Jahre
2001 wurden Fetisows Leistungen mit der Aufnahme in die
Hockey Hall of Fame geehrt. Bei den
Olympischen Winterspielen 2002
übernahm er kurzfristig den Posten den Cheftrainers der
russischen Eishockeymannschaft und
holte mit ihr eine Bronzemedaille.
Soweit unser Eishockey-Exkurs, zurück zum Schach: Alexander
Roschal („64“) fragte Fetisow auf der Pressekonferenz, ob Schach im russischen
Maßstab nicht noch stärker gefördert werden kann und verwies auf Regionen wie
Tomsk, Jekaterinenburg und Chanti-Mansysk (Spielort der Schacholympiade 2010),
in denen das kräftig geschieht.
- Wie wäre es denn, wieder die Spartakiade (Teamwettbewerb) wie
früher zu sowjetischen Zeiten einzuführen?
Der Sportminister antwortete: „Ich denke, dass Schach nicht
abseits stehen soll. Zumal zwischen Kirsan Iljumschinow und uns gute Beziehungen
bestehen. In der nächsten Zeit werden wir eine genaue Struktur für solche
Wettbewerbe entwickeln.“
Eishockeyspielern ist das Schachspiel sehr vertraut. Eingeweihte
wissen, dass Chefcoach Tichonow, Torwart Tretjak und andere Cracks der
ehemaligen UdSSR nicht nur im Trainingslager gern Schach spielten. Es gehörte
quasi zu ihrer Ausbildung.

Text und
Fotos: Dagobert Kohlmeyer, Elista