ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Und sie steht doch! Marins vortrefflicher Beitrag zur Statik der Leningrader Verteidigung
Die Leningrader Version der holländischen Verteidigung lädt neuerdings wieder zum diskutieren ein. Absolute Top Spieler wie Caruana, Carlsen, Nakamura und Svidler haben das zweischneidige System in ihrem Repertoire und wir durften unlängst missglückten Interpretationen (erinnert sei an Carlsen und Caruanas Partien beim Tata Steel Turnier) und waghalsigen Versuchen mit neuartigen und interessanten Mittelspielstellungen beiwohnen. Manch einer der Weltklassespieler drehte das Brett sogar um und servierte das Leningrader System mit vertauschten Farben im Anzug. Wohl bekomms! Sowohl die Befürworter als auch die Gegner scheinen sich in der jüngsten Leningrader Diskussion bestätigt. Dem einen ist das System zu fragil, der andere findet es strategisch vollkommen gesund. Marin ist sicherlich ein guter Ratgeber, um uns einen möglichst objektiven Eindruck von dieser kämpferischen Variante der holländischen Verteidigung zu liefern. Er hat das System nicht nur als aktiver Spieler in seinem Repertoire, sondern hat es als Autor in verschiedenen Artikel bereits einer genauen Untersuchung unterzogen. Der Fritztrainer „Holländisch Leningrader System“ scheint alle seine Erkenntnisse zusammen zu fassen und hat daher gleich nach seinem Erscheinen Dezember 2014 meine Neugierde geweckt.
Ich spiele die Leningrader Variante neben anderen holländischen System mit beiden Farben, sowohl im Anzug als auch als Schwarzer als Verteidigung gegen 1.d4, 1.c4., 1.Sf3. Hierfür besitze ich schon reichlich Literatur und hoffte mit Marins Fritztrainer meine Kenntnisse ein wenig zu vertiefen. Weit gefehlt! Der Fritztrainer hat mir genau das geliefert, was mir noch gefehlt hat: Ein tiefes Verständnis für die dem Leningrader System zu Grund liegenden Strukturen. Marins DVD stellt kein Repertoire für Schwarz zur Verfügung, sondern bespricht die über die verschiedenen Varianten erreichbaren und anzustrebenden Bauernstrukturen. Nach dem sympathischen Einführungsvideo, das man schon mal nutzen sollte, um sich mit Marins teilweise ungewohnten aber dennoch gut verständlichen Deutsch vertraut zu machen, bespricht er die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Leningrader System und seinem Cousin, der königsindischen Verteidigung. Darauf folgen 9 Videos zu den verschiedenen Bauernformationen, die zum Leningrader Kosmos gehören. Anhand von mehreren Musterpartien werden die jeweiligen Charakteristika der Stellung besprochen und die Züge in der Partie werden in Bezug zur erreichten Bauernformation gesetzt. Insgesamt werden 6 charakteristische Formationen besprochen:
Anschließend werden ebenfalls im Videoformat 6 Musterpartien ausführlich besprochen, die die praktische Umsetzung des erlernten Wissens demonstrieren sollen. Thema dieser Musterpartien stellt die Fähigkeit des jeweiligen Schwarzspielers dar, die Bedürfnisse der jeweiligen Bauernstruktur zu erkennen und in seinem Spiel umzusetzen. Marin ist objektiv wie gewohnt: Das klappt nicht immer. Unter den Musterpartien findet sich zum Beispiel eine Verlustpartie (!) Marins, bei der er als Schwarzer mal danebengriff. Den Abschluss bilden die mittlerweile gewohnten interaktiven Fragevideos (10 an der Zahl), die einem ein Feedback geben können, ob man das erlernte Wissen auch behalten hat und im Ernstfall darauf zurückgreifen kann.
Auf der DVD mitgeliefert sind zudem vier gut recherchierte Theorieartikel zu dieser interessanten Verteidigung. Einer davon eignet sich meiner Meinung nach sehr gut für ein schlankes Repertoire: Die von Marin vorgestellte Botvinnik-Variante kann ich sehr empfehlen: Schwarz verfolgt schiebt seinen e Bauern nicht schlagartig nach e5 sondern gönnt sich ein Tempo und spielt zuerst e6 und dann bei nächster Gelegenheit e5. Dieses langsame Procedere führt zu sehr interessanten Stellungen mit guten schwarzen Möglichkeiten.
Die Bauernformationen – die Statik der Leningrader Verteidigung
Das Leningrader System ist auf allen Leistungsebenen deswegen so beliebt, da es potentiellen Remisvarianten aus dem Weg geht und aufgrund seiner asymmetrischen und bisweilen riskanten Spielanlage einen scharfen Kampf auf drei Ergebnisse verspricht. Anders als etwa der holländische Verwandte, der Stonewall, den wir eben in beim GRENKE Chess Classic in den Händen von Magnus Carlsen bewundern durften, bietet die Leningrader Verteidigung eine flexiblere Bauernstruktur, die sich im Laufe einer Partie schlagartig ändern kann. Nach dem Anschauen dieser DVD kann man die für die Leningrader Variante doch sehr eigenwilligen Formationen – man denke an die hängenden Bauern auf g5 und f5 oder dem Isolani auf e5 – zu seinem Vorteil nutzen. Die untypischen Stellungsbilder erlauben aktives Figurenspiel, taktische Wendungen und natürlich den für holländische Stellungen so berüchtigte Königsangriff. Und auch wenn es manchmal wackelig aussieht: die Statik der Leningrader Variante ist durch das Gerüst einer elastischen und soliden Bauernformation getragen.
Fazit
Seit die Leningrader Variante wieder auf den Brettern der Weltelite serviert wird und deshalb auch auf Vereinsebene vermehrt Nachahmer finden wird, ist diese DVD nicht nur für den Leningrad- Anhänger oder dem, der ein solcher werden will, zu empfehlen, sondern auch dem Weißspieler, der ihr gegenüber stehen könnte. Die behandelten Strukturen sind zwar für die behandelte Eröffnung typisch, jedoch wie sie behandelt werden hat beinahe schon allgemeingültigen Charakter, dass ich glaube, dass man mit dieser DVD nicht nur die Leningrader Verteidigung besser versteht, sondern auch schlicht und einfach besser Schach spielen kann. Wer die Verteidigung schon spielt, spielt sie nach Ansicht der Lehrvideos besser, ohne konkrete Zugfolgen gepaukt zu haben. Kaufempfehlung? Natürlich, oder um es mit den Worten Marins zu sagen: „Naturell!“.
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