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Von Hartmut Metz
Badehandtuch-Zeit – nur diesmal nicht am Strand, sondern in der Karlsruher Schwarzwaldhalle. Bereits eine Stunde vor Spielbeginn erinnerte die Situation vor der Bühne an die gefürchtete an den Stränden, wenn die deutschen Frühaufsteher ihre Handtücher auslegen, um sich die besten Plätze zu reservieren. Die Fans bezogen Position auf den Stühlen, um sich den besten Blick auf das anstehende erste „Car-Race“ hin zur Weltmeisterschaft zu sichern. Schachgöttin Caissa zeigte bei der Auslosung der Startnummern ein Herz für alle Liebhaber des königlichen Spiels und ließ die Grenke Classic mit dem Knaller schlechthin beginnen: Der erst drei Tage vorher in Berlin als nächster WM-Herausforderer ermittelte Fabiano Caruana traf auf Weltmeister Magnus Carlsen!
Beim ersten Rennen gilt es für beide „Car“ schon im Vorfeld der WM im Herbst, Pflöcke einzuhauen. Jeder Sieg über den Kontrahenten nährt dessen Zweifel und Verlustängste. Deshalb bildeten sich vor dem psychologisch wichtigen Duell hinter den dicht besetzten Stuhlreihen noch mehrere Stehplatzreihen aus jenen, die ihren Rucksack oder Pullover nicht zeitig über die Sitzgelegenheiten ausgebreitet hatten oder sich seit einer Stunde zufrieden wie Magnus Carlsen auf ihrem Stuhl fläzten. An die 2000 Neugierige verfolgten gebannt das erste Kapitel vor der WM in London. Im weltweiten Web dürften Millionen Fans die Züge live oder später verfolgt haben. Sogar bei „Spiegel Online“ interessierte kein anderer Beitrag die Leser so sehr wie der WM-Aufgalopp.
Großer Zuschauerandrang in der Karlsruher Schwarzwaldhalle
Das „Car-Race“ eröffnete der Mann, der das Spektakel erst ermöglichte: Sponsor Wolfgang Grenke freute sich in seiner kurzen Eröffnungsrede über die „höchste Teilnehmerzahl in einem europäischen Open“ mit fast 1500 Teilnehmern und die glückliche Auslosung, die den Auftakt am Ostersamstag mit dem künftigen WM-Match versüßte. Bevor sich der vielbeschäftigte Grenke mit seinem Reisekoffer wieder zu seinen Geschäften aufmachte, stieß der passionierte Amateurspieler Caruanas Damenbauern – wie mit dem Italo-Amerikaner abgesprochen – zwei Felder nach vorne. Das „Car-Race“ nahm Fahrt auf!
Sponsor Wolfgang Grenke beim Eröffnungszug
Aller Augen ruhten nun mehr als fünf Stunden lang auf dem knisternden Duell, obwohl links wie rechts spektakulärer Figuren und Türme geopfert wurden. Nikita Vitiugov krönte sein erstes Springeropfer in Zug 15 mit einem zweiten neun Züge später, das Matthias Blübaum wegen eines folgenden Turmverlusts erst gar nicht annehmen durfte. Und weil deswegen der deutsche Nationalspieler den Rappen verschonte, konnte sich der Open-Sieger 2017 mit einem brillanten Turmopfer den vollen Zähler sichern. Ähnlich aufregend verlief die früh inszenierte Opfer-Orgie von Arkadij Naiditsch. Der Weltranglistenfünfte Maxime Vachier-Lagrave konnte die Zeitnot seines Vereinskameraden bei der OSG Baden-Baden nutzen, um den gefährlichen Angriff einzudämmen und sich ins Remis zu retten. Ex-Weltmeister Viswanathan Anand schien derweil durch einen Damenzug gegen Hou Yifan wie ein Patzer einen Turm für einen Springer einzustellen, doch das Konzept des Inders war durchdacht und bescherte ihm dank gefährlicher Freibauern Chancen auf mehr als ein Remis. Allerdings zeigte sich hernach die weltbesten Schachspielerin aus China auch nicht ganz glücklich, hoffte sie doch auch zwischenzeitlich auf einen Sieg. Doch hier wie bei Georg Meier und Levon Aronian einigten sich die beiden Parteien letztlich friedlich.
Die Topspieler auf der großen Bühne
Danach sah es beim Knüller mitten auf der Bühne trotz eines zähen Ringens nicht aus. Obwohl Carlsen nach der Auslosung der Farben keine Anstalten gemacht hatte, seine schlechte Laune zu verbergen, weil er zum vierten Mal in Folge in der ersten Runde eines Topturniers auf Caruana traf und vor allem schon wieder die schwarzen Steine führte, lief es bald gut für ihn. „Ich machte ein paar Eröffnungsfehler und versuchte deshalb, das Remis zu halten“, stellte Caruana nach dem vergeudeten Anzugsvorteil bald in den Verteidigungsmodus um. Sein norwegischer Widersacher fühlte sich gewohnt pudelwohl im Endspiel, gilt er doch in diesem als Meister seines Fachs, kleinste Nuancen zu erspüren. Doch just diesmal, in dem so richtungsweisenden Gefecht, stolperte Carlsen. Wie schon beim brillanten Sieg des Russen Vitiugov sah das Internet-Kommentatoren-Paar Peter Leko/Jan Gustafsson alles ohne Einsatz eines Rechners voraus! Leko hatte schon eine halbe Stunde vor Partieende versucht zu ergründen, was den Unterschied zwischen den unscheinbaren Zügen 45...a6 und 45...a5 macht. Der erstgenannte Bauernvorstoß remisierte, der zweite gewann – weil er nach einem Umgruppierungsmanöver den nach b3 marschierten König vor einem Turmschach auf b4 schützt. Der Weltranglistenerste startete jedoch ohne den Bauernzug seinen Königsmarsch, verhießen doch seine schwarzen Freibauern auf c2 und d3 den Sieg, während die des Weltranglistendritten noch auf h4 und g4 weit vom Umwandlungsfeld entfernt verharrten. Doch ohne a5 gelang Caruana eine Blockade. Carlsen spielte noch ein Weilchen, dann gab er ein Dauerschach bis zum 59. Zug.
Fabiano Caruana studierte zwischenzeitlich auch den Gesichtsausdruck seines Gegners.
Sichtlich verblüfft reagierte er auf Lekos Ausführungen zum a-Bauern, als die beiden WM-Finalisten zum Online-Rapport antraten. „Oh! Wow! Das habe ich nicht gesehen!“, räumte der Weltmeister ein, um anzufügen, „Turmendspiele sind immer schwierig.“ Dennoch war der 27-Jährige „zufrieden mit meinem Spiel. Das war eine enge Partie“. Als „tough“ empfand ebenso Caruana das erste Kapitel des „Car-Race“. „Ich bin froh, dass ich überlebt habe!“ Das einseitig verlaufene Duell wollte der 25-Jährige allerdings nicht auf das nur drei Tage zuvor beendete Kandidatenturnier schieben. „Ich bin natürlich etwas müde“, räumte der Weltranglistendritte ein und berichtete von seinem Schmalspurprogramm, „ich reiste mit dem Zug nach Berlin an und arbeitete gestern nur ein bisschen.“ Carlsen wusste jedoch, dass es „gut war, gleich auf Fabiano zu treffen. Er hatte nach Berlin vielleicht ein bisschen einen Kater – also im übertragenen Sinne“, wusste der Champion grinsend um seinen Vorteil wegen der direkten Anreise und den 14 anstrengenden Partien zuvor. Doch einmal mehr unterstrich Caruana seinen Ruf als nimmermüde „Maschine“, die auch 15 Partien auf hohem Niveau absolvieren kann. Eine für Carlsen gefährliche Eigenschaft, wenn vom 9. bis 28. November nur zwölf WM-Partien anstehen.
Der lange Weg zum WM-Duell begann in Karlsruhe mit einem Remis.