Fairplay im Schach
Interview mit Jörg Schulz, dem Geschäftsführer der Deutschen
Schachjugend
In diesen Tagen ist das Thema Fair Play im Schach sehr aktuell. Die deutsche
Schachjugend beschäftigt sich mit diesem Thema schon seit längerem und hat in
einer Aktion die Initiative ergriffen. Was ist mit der Aktion gemeint?
Für die Deutsche Schachjugend (DSJ) ist das
Thema Fair Play ganz wichtig. Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns mit dem
Thema und hoffen immer noch, dass wir den DSB mit nehmen können, was sehr schwer
ist.
Warum ist dies schwer?
Weil für viele Schiedsrichter, Trainer,
Betreuer und Funktionäre Fair Play im Schach schwer zu greifen ist. Immer noch
steht das Wort eines Präsidiumsmitgliedes im Raum: „Im Schach gibt es kein Fair
Play, da gibt es nur die Frage, werden die Regeln eingehalten oder nicht, und
wenn nicht, greift der Strafenkatalog.“
Bei der DSJ ist das anders?
Wir haben es mit Kindern und Jugendlichen zu
tun. Unsere Aufgabe ist nicht nur die schachliche Entwicklung im Auge zu haben.
Wir haben auch einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Und eigentlich ist die Frage
nach dem Fair Play ganz einfach. Ich halte zum Beispiel auch als
Delegationsleiter bei EM und WM jeden Spieler dazu an, fünf Minuten vor der
Partie am Brett zu sein. Das ist Höflichkeit, Achtung vor dem Gegner, eben Fair
Play. Es gibt nun aber genügend Betreuer und Trainer, die greifen den oben
zitierten Satz auf und halten mir das Regelwerk vor die Nase: „Wieso, es ist
doch erlaubt irgendwann innerhalb der ersten 60 Minuten ans Brett zu kommen und
die Partie aufzunehmen.“ Beim Fair Play geht es aber eben nur zum Teil um die
Regeln, deren Einhaltung auch für die DSJ an oberster Stelle steht, es geht vor
allem darum, ob ich sie ausreizen muss, ob ich sie für mich gegen den Gegner
ausnutzen darf? Regelkonform ist noch lange nicht faires Verhalten!

Jörg Schulz (li.) mit Gerd Blankenburg
Es ist bestimmt ein dorniger Weg,
dieses zu vermitteln?
Ja und nein. Bei den Kindern und
Jugendlichen ist es weniger schwer. Die Problemfälle sind die Betreuer, Trainer,
die überehrgeizigen Eltern, da liegt oft die Anstiftung zum unfairen Verhalten.
Auch hier gibt es einen bösen Satz eines Trainers vom DSB: „Die Trainer lachen
sich kaputt über eure Fair Play Aktionen!“ Da liegt das Problem. Und das kann
man nur gemeinsam lösen. Es dürfen im Kinder- und Jugendbereich nur Trainer
eingesetzt werden, die das Fair Play in ihrer Lehre eingebaut haben. Diejenigen,
die lehren, es geht nur um den Erfolg, egal mit welchen Mitteln, müssen wir
draußen lassen.
Mit welchen Aktionen arbeitet denn die
DSJ?
An erster Stelle steht ein Plakat zum Fair
Play und ein Flyer, in dem das DSJ-Maskottchen Chessy Fair Play erklärt und zum
fairen Spiel aufruft. Bei den Deutschen Jugendmeisterschaften thematisieren wir
Fair Play rund um die Uhr. Und dafür haben wir die roten, gelben und grünen
Karten eingeführt. Diese Karten werden gezogen von allen Leitern der DEM und
eben nicht nur im Turniersaal, denn faires Verhalten ist auch außerhalb des
Spielsaales wichtig. Mit den grünen Karten wird gelobt, mit den gelben verwarnt
und die roten ziehen auch eine Strafe nach sich. Zudem gibt es eine
Länderwertung. Die fairste Schachjugend auf der DEM erhält bei der Siegerehrung
einen Geldpreis.
Bei
der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft 2006 wurden mehrere Spieler und Betreuer
verwarnt. Wie werden die Maßnahmen begründet?
Das ist pauschal nicht zu beantworten. Es hängt jedes Mal vom einzelnen Vorfall
ab. Der schlimmste Fall war ein massives Eingreifen eines Vaters im
Kinderbereich. Dieser Eingriff hatte zur Folge, dass der Gegner seines Kindes
durch das Eingreifen auf Gewinn stehend so aus der Fassung gebracht wurde, dass
er nicht mehr in der Lage war, die Partie konzentriert zu Ende zu spielen. Da
wird dann gegen den Erwachsenen vorgegangen. Dies ist eine rote Karte und hat
einen Ausschluss aus dem Spielsaal zur Folge, entweder für eine Runde oder für
mehrere. Wir haben aber auch eine abgesprochenen Remispartie bei der offenen U25
Meisterschaft geahndet. Hier liegt das unfaire Verhalten gegenüber den übrigen
Spielern im Turnier vor, denn jede Partie geht ja in die Wertung ein auch in die
Gegnerfeinwertung. Es sind also von diesen unsäglichen abgesprochenen
Remispartien immer auch unbeteiligte Dritte betroffen.
Im Jugendschachbereich sind zumeist
die Trainer sehr viel spielstärker als ihre Schützlinge. Gibt es regelmäßige
Versuche der Kontaktaufnahme und/oder sind sogar schon systematische
Fernsteuerungen durch Trainer beobachtet worden?
Leider ja. Wobei zu beobachten ist, dass die echten auch sehr spielstarken
Trainer sich so etwas nicht zu schulden kommen lassen. Sie machen zu
Rundenbeginn ihre Runde, machen sich ein Bild vom Zustand des Schützlings,
überprüfen, ob die Vorbereitung aufs Brett gekommen ist und lassen die Spieler
spielen. Höchsten ab und an, schauen sie mal vorbei aus Interesse an der Partie.
Die weniger spielstarken Betreuer und Trainer und leider auch schachspielende
Eltern versuchen viel öfter einzugreifen und vorzusagen.
Auf welche Weise erfolgten die
Kontaktaufnahmen der Trainer mit den Schützlingen? Gibt es richtige
Zeichensprachen, mit denen Trainer ihren Spielern Züge übermitteln?
Dies gibt es auch, ja. Es gibt Fälle, in
denen mit einstudierten Zeichensprachen gearbeitet wird.
Welches Ausmaß hat dieses Phänomen.
Sind solche Vorgänge auch schon bei Weltmeisterschaften beobachtet worden?
Es ist schwer zu sagen, welche Ausmaße dies annimmt. Ich will mal sagen, es ist
eindeutig die Minderheit, die so vorgeht. Aber auch international kann man dies
beobachten. Und Weltmeister wurden so auch schon gemacht. Bei der
Weltmeisterschaft 2006 in Georgien kam es sogar deswegen zu einem
Polizeieinsatz. Und oftmals hat dies zur Folge, dass die Veranstalter die
Zuschauer komplett aussperren. Dann spielen sich absurde Situation an den
Saalein- und –ausgängen ab. Die kurze Strecke von der Saaltür bis zur Toilette
wird zur schnellen Kontaktaufnahme mit dem Spieler genutzt. Vor allem bei
Spielsälen, bei denen man die Chance hat von außen durch Fenster in den Saal zu
schauen. Erlebt bei Weltmeisterschaften in Spanien, wo dann am Ende die Fenster
abgeklebt wurden.

"Fair Play" -Stand der Deutschen Schachjugend
Was unternimmt die Deutsche
Schachjugend, um bei ihren Jugendtrainer Fair Play durchzusetzen?
Wir haben die Möglichkeit, Betreuer, Trainer
auszuschließen vom Turnier. Die Schachjugenden sind verpflichtet, offizielle
Betreuer zu melden und die DSJ hat das Recht – festgehalten in der Spielordnung
– offizielle Betreuer abzulehnen. Ein Grund dafür ist, wenn Betreuer, Trainer
sich bewusst unfairer Mittel bedienen und ihren erzieherischen Aufgaben nicht
gewachsen sind. Im letzten Jahr hat es einen solchen Fall gegeben. Die Wahl zum
Trainer des Jahres könnte man auch nutzen, um die Vorbilder zu belohnen und in
den Mittelpunkt zu stellen. Aber wir haben da nur eine Stimme und leider auch
nur einen geringen Einfluss bei der Auswahl von Trainern, wenn es um den
internationalen Bereich geht.
In einem aktuellen Fall wurde
beschrieben, wie Topalovs Manager Silvio Danailov
sich beim Corusturnier in Wijk aan Zee merkwürdig verhalten haben soll.
Ungeachtet einer Beurteilung dieser Beschuldigung in irgendeiner Richtung: Wäre
es theoretisch und allein vom technischen Standpunkt gesehen denkbar, dass ein
Trainer von außen einem Spieler Züge übermitteln kann? Viele Schachfreunde
können sich gar nicht vorstellen, wie das möglich sein soll.
Das ist ohne weiteres bei den vielen technischen Möglichkeiten, die wir haben,
machbar. Man denke nur an den Fall vor einigen Jahren, bei dem die
Kriminalpolizei eingeschaltet wurde und nachweisen konnte, dass sich ein Spieler
in einem Open technische Gerätschaften gekauft hatte mit Sender und Empfänger,
wie sie im Spionagebereich genutzt werden.
Bei einem allerdings lange zurück
liegenden Vorfall bei einem Mannschaftskampf habe ich einmal miterlebt, wie ein
Spieler deshalb vom Schiedsrichter genullt wurde, nur weil er das Gebäude
verlassen hatte. Der Spieler hatte seinen vierzigsten Zuge gemacht und war dann
außerhalb in einem Imbiss essen, während die Partie noch lief. Als Begründung
für die rechtmäßige Entscheidung wurde bemerkt, dass sich ein Spieler nicht
einmal den Anschein geben darf, unrechtmäßige Hilfsmittel zu benutzen. Hat sich
an dieser Regellage etwas geändert und gilt sie auch international?
Generell gilt, dass während einer laufenden
Partie ein Spieler mit keinem anderen Kontakt aufnehmen darf, er den Spielsaal
nicht verlassen darf, außer er sucht die Toilette auf, die zumeist außerhalb des
Spielsaales liegt. Und auch wenn der vierzigste Zug ausgeführt ist, läuft die
Partie ja noch. Da aber die Turnierverpflegung und die Raucherecke zumeist
außerhalb des Spielsaales liegt, gibt es natürlich von dieser Regelung erlaubte
Ausnahmen. Aber ein Fall, wie der geschilderte, ist auf jeden Fall ein Verstoß
gegen die Regeln und auch gegen das Fair Play. Man darf sich nicht den Anschein
geben, schummeln zu können. Bei den internationalen Jugendmeisterschaften wird
streng auf die Einhaltung solcher Regeln geachtet, aus bekannten Gründen.
In einem Artikel über den nicht lange
zurück liegenden Bundesligawettkampf in Berlin beklagt sich der
Mannschaftsführer des SV Werder Bremen Till Schelz-Brandenburg darüber, dass im
Turniersaal ein Schachprogramm die Partien mit analysiert. Auch Spieler
beschwerten sich, dass Mannschaftsführer mit Notebooks im Turniersaal sitzen und
die Partien im Internet verfolgen und mit analysieren. Wie ist das aus
Regelsicht zu bewerten?
Bei Mannschaftswettkämpfen darf der
Mannschaftsführer ja als einziger mit den Spielern der eigenen Mannschaft
Kontakt aufnehmen, daher darf er natürlich nicht parallel die Partien des
Wettkampfes analysieren, vor allem nicht mit technischen Geräten. Dass er dies
im Kopf tut, wie die Zuschauer ja auch, das ist etwas anderes. Da in der
Bundesliga aber neuerdings mit Lifetickern direkt vom Spielgeschehen ins
Internet berichtet wird, geschieht dies ab und an auch direkt aus dem
Turniersaal. Das sollte man erlauben, wenn sichergestellt ist, dass dies in
einem Bereich geschieht, zu dem die Spieler und die Betreuer keinen Zugang
haben. Da muss man zwischen der Wettkampfsituation und dem Interesse an einer
guten, aktuellen Öffentlichkeitsarbeit abwägen.
In einer aktuellen Stellungsnahme zur
Beschuldigung von Veselin Topalov hat sich FIDE-Präsident Kirsan Ilyumzhinov so
geäußert, dass die FIDE eine Untersuchung anordnen würde, wenn Spieler oder
Organisatoren eine solche beantragen würden. Müsste es aber nicht so sein, dass
die FIDE von sich aus eine solche Untersuchung durchführen sollte, um Schaden
vom Schach fern zu halten und vor allem auch, um Spieler vor ungerechtfertigten
Anschuldigungen zu schützen? Wie ist hier der Standpunkt des Deutschen
Schachbundes?
Hier antworte ich lieber als Privatperson. Aber eine Frage über die FIDE, die
mit „müsste man“ beginnt, sollte man bei der FIDE gar nicht erst stellen.
Natürlich muss die FIDE von sich aus aktiv werden, will sie für Schach als einen
international geachteten Sport eintreten. Aber will die FIDE das? Man hat doch
eher den Eindruck, dass dort private Interessen im Vordergrund stehen,
Machtspiele etc, um nicht tiefer einzusteigen. Aber ob es denen um Schach geht
... ?
Das Interview
führte André Schulz.
Links:
Deutsche Schachjugend...
Fair Play
-Kampagne der DSJ...
Fair Play auf der DEM 2006...