FIDE Ethik-Kommission verurteilt Carlsen zu 10.000 Euro Strafe

von André Schulz
13.12.2023 – Die FIDE Ethik-Kommission (Ethics and Disciplinary Commission, EDC) hat über den Rückzug von Magnus Carlsen vom Sinquefield Cup nach seiner Niederlage gegen Hans Niemann im September 2022 beraten und jetzt ein Urteil gesprochen. Carlsen wird wegen unbegründeten Rückzuges zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt. | Foto: Saint Louis Chess Center

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Magnus Carlsen hatte beim Sinquefiled Cup 2022 in der 3. Runde des Turnier gegen Hans Niemann verloren und danach auf Twitter ein Video mit einem Zitat des Fußballtrainer Jose Mourinho veröffentlicht, in dem dieser sagte: "Ich ziehe es vor, nicht zu sprechen. Wenn ich spreche, bin ich in großen Schwierigkeiten." Das erweckte in der Schachwelt die Vermutung, dass Carlsen der Überzeugung war, Niemann hätte die Partie mit unlauteren Mittel, nämlich Computerhilfe, gegen ihn gewonnen.

Nach dem Partieverlust gegen Niemann hatte sich Carlsen in Begleitung seines Vaters Henrik Carlsen und der Großmeister Peter Heine-Nielsen (sein Sekundant), Ian Nepomniachtchi und Peter Svidler an den Hauptschiedsrichter Chris Bird gewandt und angekündigt, dass er sich vom Turnier zurückziehen werde, weil er sich betrogen fühlte. Auch Ian Nepomniachtchi hatte Verdachtsmomente gegen Niemann geäußert, als er von der Teilnahme von Hans Niemann erfahren hatte. Chris Bird wies auf die Beschwerdemöglichkeit bei der FIDE Fairplay-Kommission hin. Davon machten die Spieler aber keinen Gebrauch.

Niemann gab währen des Turniers in einem Interview zu, dass in früheren Jahren bei Online-Turnieren auf chess.com mit Computerhilfe gespielt habe, nie aber bei einer Partie am Brett.

Drei Wochen nach dem Turnier veröffentlichte Carlsen eine Erklärung, in dem er Stellung zu seinem Rückzug vom Turnier nahm. Das Verhalten von Hans Niemann während der Partie und die früheren Verdachtsmomente gegen Niemann hätten ihn zu dem Rückzug bewegt. Carlsen meinte, dass "Niemann öfter und häufiger betrogen hat, als er zugegen hätte."

Beim Online-Turnier "Julius Baer Generation Cup" (vom 18. bis 25. September 2022) gab Carlsen seine Partie gegen Niemann nach einem Zug auf. Am 26. September veröffentlichte Carlsen eine weitere Stellungsname, in der er unter anderem auf die rasante schachliche Entwicklung von Niemann hinwies und auf die fehlende Anspannung bei Niemann während der Partien.

Chess.com veröffentlichte einen Bericht, in dem aufgelistet wurde, in welchen Online-Turnieren und Partien in der Vergangenheit Niemann mit Computerhilfe betrogen haben soll. Niemann soll den Betrug in einem Gespräch gegenüber den Chess.com-Vertreter Daniel Rensch auch zugegeben haben, nachdem er gesperrt worden war.

Am 29. September kündigte die FIDE eine Untersuchung des Vorgangs an, nachdem Carlsens Rückzug und der Betrugsvorwurf in der Schachwelt, aber auch außerhalb, für großes Aufsehen gesorgt hatte. 

Hans Niemann reichte im Oktober 2022 Klage gegen Magnus Carlsen, seine Firma
Play Magnus Group, die Online-Plattform Chess.com, den Chess.com Chief Chess Officer Daniel Rensch und auch Hikaru Nakamura, der sich in einem Stream die Vermutung von Carlsen unterstütz hatte wegen Verleumdung und Rufschädigung ein und forderte von jedem Beklagten 100 Millionen USD Schadenersatz. Die Klage wurde in Teilen im Juni 2023 abgewiesen. Inzwischen haben sich die Kontrahenten verglichen.

Die FIDE untersuchte die Spielbedingungen und Anti-Cheating Maßnahmen beim Sinquefield Cup und sprach mit den Organisatoren. Es gab eine ganze Reihe von Anti-Cheating-Maßnahmen beim Turnier. Im Verhalten von Hans Niemann vor Ort hatte keiner der Organisatoren etwas Verdächtiges festgestellt. Beim Chess.com-Bericht fand die Untersuchungskommission allerdings Unstimmigkeiten. Prof Reagan, der die Partien von Niemann aus den letzten drei Jahren statistisch untersuchte, fand in diesen keine Auffälligkeiten. Seiner Analyse wurde von der FIDE eine besonders hohe Bedeutung zugeschrieben. Niemanns Verbesserungen im Rating wurden als beachtlich, aber nicht ungewöhnlich beurteilt.

Die FIDE Ethik-Kommission stimmt allerdings dem Argument von Carlsen zu, dass dass es auf dem Niveau von hochklassigen Großmeistern sehr unwahrscheinlich ist, durch statistische Methoden Betrug aufzudecken, der möglicherweise nur bei einem Zug vorgenommen wurde. 

Die FIDE legte Niemanns Partien zudem zwei Super-GMs vor, die die Partien als "normal auf GM-Niveau" beurteilten. Einer der beiden Super-GMs fand die Partien aber "etwas verdächtig". 

Die Untersuchungskommission bat Hans Niemann und Magnus Carlsen um Stellungnahme. Hans Niemann antwortete über seine Anwälte und verwies auf das laufende Verfahren im Rechtsstreit gegen Carlsen.

Magnus Carlsen antwortete, dass er Niemann nie direkt des Betruges beschuldigt, sondern nur persönliche Eindrücke wiedergegeben hätte. Seine direkten Beschuldigungen hätten sich nur auf Online-Partien bezogen. Diese seien durch den Chess.com-Bericht gestützt.

Nach dem Urteil der Untersuchungskommission sind die Anschuldigungen von Carlsen gegen Niemann sachlich nicht begründet, da keine Beweise vorgelegt wurden. Die Untersuchung der FIDE ergab ebenfalls keinerlei Hinweise auf Computerbetrug bei Hans Niemann bei irgendeinem starken Turnier der letzten drei Jahre.

Die Untersuchungskommission ist der Ansicht, dass die unbegründet vorgebrachten Vorwürfe von Magnus Carlsen dem Ansehen des Schachs in der Öffentlichkeit geschadet haben.

Während der Untersuchung war die Untersuchungskommission in Kontakt mit Magnus Carlsen, der sich über verschiedene Aspekte der Art der Untersuchung beschwerte. Carlsen gab der Untersuchungskommission Hinweise, weshalb er und auch andere Spieler zu der Auffassung kamen, Niemann Erfolge kämen durch Computerhilfe zustande. Er fand die Untersuchung unvollständig, da Niemann die Auskunft mit Hinweis auf den laufenden Rechtsstreit verweigert hätte. Inzwischen sei das Verfahren aber abgeschlossen. Carlsen brachte zudem noch eine Reihe weiterer Kritikpunkte zum Ausdruck, die in dem Bericht der Ethik-Kommission aufgeführt sind.

Die FIDE Ethik-Kommission kam zu folgendem Urteil: Magnus Carlsen wird für schuldig befunden, gegen Artikel 11.9(b) (Unbegründeter Rückzug von einem Turnier) der FIDE-Disziplinarordnung verstoßen zu haben und zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt.

Gegen das Urteil kann Carlsen Berufung einlegen.

Begründung der FIDE Ethik-Kommission...

FIDE Disciplinary Code...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.