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Das historische Schachmosaik ergänzt sich oft wie von selbst. Was der eine nicht weiß und erzählen kann, fügt ein anderer hinzu. Dennoch, mit der Zeit verblassen auch die Erinnerungen an die großen Schachhelden der Vergangenheit, oder sie geraten vollkommen in Vergessenheit.
Ein paar kleine Steinchen zum Mosaik von Dus-Chotimirsky, dem Lebenskünstler und späteren sowjetischen Meister, habe ich deshalb aus meiner Kiste der Vergangenheit hervorgekramt, um dem hervorragenden Artikel von André Schulz (erschienen am 26.9. 2019 auf der ChessBase Nachrichtenseite) Erinnerungen einiger Zeitzeugen hinzuzufügen.
Eines meiner beliebtesten Schachbücher ist das von Lasker zum Sankt Petersburger Schachturnier 1909. Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, gewann Dus-Chotimirski gegen die beiden späteren Sieger seine Partien.
„Meine Schachgeschichten“ – mein neues Buch mit vielen Erinnerungen rund ums Schachbrett, befindet sich endlich im Druck und erscheint am 3.12.2019.
Die allererste Anekdote die ich darin erzähle, ist:
Im Frühjahr 1918 (genau vor 101Jahren) besetzte die tschechische Legion die sibirische Stadt Tomsk. Die dortigen Gefängnisse waren total überfüllt. Mörder, Diebe, Politische, Sadisten, Schuldige, Unschuldige, alle unter einem Dach. Kapitän Dr. Karel Treybal war der verantwortliche Untersuchungsrichter. Er ließ sich jeden der Häftlinge vorführen. Bei Nummer 24 stutzte er plötzlich: „Wie heißen sie? Sie sind doch Fjodor Dus-Chotimirski, nicht wahr?“
„Ja“, antwortete völlig verunsichert der Häftling Nummer 24. „Sind sie der, der im Jahre 1909 im Schachturnier von Sankt Petersburg den großen Emanuel Lasker besiegt hat?“
„Ja, ja“, klang es jetzt ganz stolz und beruhigt aus dem Munde von Fjodor.
„Sie sind ein freier Mann, sie können gehen.“ Häftling Nummer 24 war sehr überrascht und konnte sein Glück kaum fassen. Was mag wohl im Untersuchungsprotokoll von Treybal gestanden haben? Womit mag er die Entlassung begründet haben?
Diese Geschichte ist aus dem Buch „Dr. Karel Treybal“ von Ladislav Prokeš (Seite 71). Die beiden Schulkameraden Treybal und Prokeš waren auch enge Freunde. Ich bin überzeugt davon, dass sich diese Episode genauso abgespielt hat. Aus welchem Grund der russische Schachmeister überhaupt im Gefängnis gelandet war, werden wir nie erfahren. Tatsache ist, dass 1917/18 in Russland nur Chaos herrschte und Recht und Unrecht nah beieinander lagen. Warum? Weil die Banane ist krumm!
Dr. Karel Treybal, Foto: Archiv Michálek
Dr. Karel Treybal war sehr beliebt. Als Richter war er menschlich und fair, im Schach war er als Gentleman geschätzt.
Ja, die Erinnerungen von Dr. Karel Treybal, der später, im Jahre 1941 in Prag von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde, dienten mir als Quelle. Sein Freund und Schulkamerad Ladislav Prokeš hat die Gespräche und Erlebnisse dieses ehrenwerten Schachspielers aufgezeichnet und veröffentlicht.
Insidern ist vielleicht bekannt, dass es in Tomsk auch einen Wettkampf Hromádka – Treybal gegeben hat sowie ein leider nicht beendetes tschechisches Armee-Turnier.
Warum Dus-Chotimirski im Gefängnis landete, ist mir leider nicht bekannt. Vielleicht aus politischen Gründen? Oder einfach nur, weil er aus Hunger irgendwo zugelangt hatte? Jedenfalls saß er im Gefängnis als sich die Vorzeichen der Oktober Revolution bereits abzeichneten. Überall in Russland herrschte ein unglaubliches Chaos. Zar Nikolaus II wurde mit seiner ganzen Familie in Jekaterinburg gefangen gehalten und dort von Bolschewiki ermordet.
Mein Schachkollege Boris Spassky nannte diese turbulente Zeit mal ein „wirklich russisches Bordellhaus“.
St. Petersburg 1909
UdSSR-Meisterschaft 1925 einfügen.
Aus unerklärlichen Gründen fehlt auf dem Turnierfoto von 1909 Dus-Chotimirski mit seiner unverkennbaren Mütze, die ihn das ganze Leben begleitet hat.
Dafür ist er hier auf dem Bild zum Turnier in Karlsbad 1907 zu sehen.
Die Spieler und Organisatoren des Karlsbader Turniers von 1907: Von links nach rechts, sitzend: Rubinstein, Marco, Fähndrich, Tschigorin, Schlechter, Hoffer, Tietz, Maroczy, Janowski, Dr. Neustadtl, Drobny, Marshall. Stehend 2. Reihe: Nimzowitsch, Wolf, Mieses, Cohn, Johner, Leonhardt, Salwe, Vidmar, Berger, Spielmann, Dus-Chotimirski (mit Mütze!), Tartakower, Dr. Olland.
Chotimirsky musste die anschließenden hungrigen Jahre unter Stalin überleben. Sehr wertvoll dazu ist ein Mosaiksteinchen, das Rustam Kasimdzhanov geliefert hat. Demnach versteckte sich der Schachlebenskünstler einige Jahre in Taschkent (Usbekistan) und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Schachunterricht.
Wo haben sich unsere Wege gekreuzt?
Erst nach dem zweiten Weltkrieg sah man den sympathischen Mützen-Träger im berühmten Moskauer Schachklub am Arbatskaya-Platz wieder. Dort saß er bei fast allen Turnieren in der ersten Reihe. Hier wurde er mir bei einem meiner Besuche vorgestellt. Was blieb mir in Erinnerung? Sein sehr, sehr langer weißer Bart und seine schwarze Schirmmütze!
Als ich im Jahre 1975 zum Aljechin Memorial wieder in Moskau war, suchten meine Augen vergebens die erste Reihe ab. Fjodor (1879 – 1965) saß inzwischen längst schon bei Schachgöttin Caissa in der ersten Reihe!