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Wussten Sie, liebe Leser, dass auch männliche Besucher des Irans von den strengen Kleidungsvorschriften im Land betroffen sind? Dies kann man der "Information" auf Turnierseite entnehmen, wo die Herren dazu angehalten werden, lange Hosen zu tragen. Es ist allerdings gerade Winter in Teheran und die Durchschnittstemperaturen liegen bei 5 Grad - der Hinweis dürfte mithin keine praktische Bedeutung haben. Die an der Weltmeisterschaft teilnehmenden Damen hingegen müssen, wenn auch vielleicht widerwillig, ihre Kopftücher tragen - das Thema wurde an dieser Stelle wohl bereits erschöpfend behandelt. Und wenn man ehrlich ist, dann muss man ja zugeben, dass ständig irgendwo auf der Welt Schachturniere in Ländern stattfinden, deren Regierungen auf eine für den Europäer irritierende Art agieren. Aufregung gibt es darüber nur selten - Schach ist friedliche Völkerverständigung, und das ist doch grundsätzlich etwas Gutes!
Ayelen Martinez aus Argentinien: Sie schaffte gegen Zhao Xue aus China ein 1:1 - trotz 250 Elopunkten weniger! Im Stechen morgen dürfte sie es dann schwer haben, denn Rapid- und Blitzpartien sollten die stärkere Spielerin begünstigen. (Foto: David Llada)
Vielleicht kommen die Irritationen über das Kopftuch zum Teil aber auch auf eine Art zustande, über die noch nie berichtet wurde. Eine im Jahr 2005 in Deutschland durchgeführte Untersuchung hat jedenfalls das überraschende Ergebnis gebracht, dass 2,5% der Teilnehmer nicht in der Lage waren, Gesichter zu unterscheiden. Diese Zahl liegt noch deutlich höher, wenn man diejenigen hinzurechnet, die zumindest Schwierigkeiten unterschiedlichen Ausmaßes mit der Gesichtererkennung haben. Das Phänomen ist angeboren, aber Kinder sind erfinderisch: Sie nehmen einfach andere Merkmale hinzu, um Personen zu unterscheiden - dazu zählt auch das in Teheran zu verhüllende Haar. So kommt es, dass in Europa ein signifikanter Teil der Bevölkerung Gesichter nur schlecht erkennen kann, dabei aber weder anderen gegenüber auffällt noch selber Kenntnis von seinem "Problem" hat. Vermutlich ist es sogar so, dass die große Mehrheit, die problemlos Gesichter unterscheiden kann, sich - kulturell bedingt - dennoch auch des Haars bedient, um diese "Aufgabe" zu erledigen. Man muss also schlichtweg umdenken, wenn das Haar nicht mehr sichtbar ist - auch die Zuordnung der richtigen Namen zu den Gesichtern auf den Fotos (das tägliche Brot eines ChessBase-Autors) wird dadurch nicht einfacher!
Pia Cramling aus Schweden (links) wäre ohne die kleine Hilfe in der linken oberen Bildecke nicht ganz leicht zu erkennen - für ihre Gegnerin Katerina Nemcova aus den USA gilt dasselbe. (Foto: Turnierseite)
Auf diesem Porträt des Fotografen David Llada ist Cramling wohl für (fast?!) jeden problemlos zu erkennen.
Pia Cramling ist mit 53 immer noch gut dabei (gegen Katerina Nemcova kam sie eine Runde weiter), und es ist eigentlich kaum zu glauben, dass es Zeiten gegeben hat, in denen die Schwedin quasi die einzige Frau war, die im Zusammenhang mit Leistungsschach überhaupt öffentlich wahrgenommen wurde. Jetzt gibt es eine Frauen-Weltmeisterschaft mit 64 spielstarken Teilnehmerinnen, und diese findet darüber hinaus auch noch in Teheran statt. Da kann man schlecht behaupten, dass in den letzten Jahrzehnten keine Fortschritte gemacht wurden - beim Schach zumindest sind diese offensichtlich.
Schön ist auch, dass sich neben Katerina Nemcova mit Sabina-Francesca Foisor und Viktorija Ni noch zwei weitere Amerikanerinnen in politisch schwieriger Lage in den Iran gewagt haben. Alle drei müssen allerdings bereits nach der 1. Runde die Heimreise antreten. Dass Spielerinnen aus dem Einwanderungsland USA nicht unbedingt immer "Lucy Brown" heißen, überrascht sicherlich niemanden, doch bei Hoang Thanh Trang aus Ungarn (!) muss man zweimal hinsehen. Die 36jährige Großmeisterin ist aber tatsächlich ungarische Staatsbürgerin - sie kam als Zehnjährige mit ihren Eltern aus Vietnam in das mitteleuropäische Land. Morgen muss Hoang Thanh Trang sich im Stechen beweisen. Stutzig wird man auch bei Zhu Chen aus Katar, doch die ehemalige chinesische Weltmeisterin ist laut Wikipedia mit einem Bürger dieses Landes verheiratet. Und nicht nur das: In Runde 2 steht sie obendrein! Migration gibt es also auch dort, wo man sie nicht unbedingt vermuten würde, und was Katar angeht, so haben wir Deutsche die Folgen davon mit unserer Handball-Nationalmannschaft ja unlängst mehrfach schmerzlich zu spüren bekommen...
Das ist Ekaterina Atalik, die in Teheran nicht für ihr ursprüngliches Heimatland Russland spielt, sondern für die Türkei, das Heimatland ihres Ehemanns Großmeister Suat Atalik. Morgen muss sie versuchen, sich im Stechen durchzusetzen. (Foto: David Llada)
Während der 1. Runde fallen Betrachtungen hinsichtlich der nichtsportlichen Aspekte der Weltmeisterschaft naturgemäß leichter, denn in einer Vielzahl der Auftaktpartien gibt es einen doch beachtlichen Unterschied in der Spielstärke. Das Sportliche soll aber trotzdem zu seinem Recht kommen. Dabei dürften sich die deutschen Leser in erster Linie für das Schicksal von Elisabeth Pähtz interessieren, die es in der ersten Runde mit einer Iranerin zu tun hatte: der WGM Atousa Pourkashiyan, die knapp 200 Elopunkte weniger vorzuweisen hatte als die Deutsche.
"Ich bin dann mal weg!" - das dürfte Pähtz nicht zu ihrer Gegnerin Atousa Pourkashiyan gesagt haben, als sie kurz mal ihren Platz verließ. Mit Schwarz riskierte die Deutsche nichts und begnügte sich mit einem schnellen Remis. (Foto: Turnierseite / Jean Pierre B.C.)
Pähtz' Sieg in der zweiten Partie war letztlich nur das Resultat eines groben Fehlers ihrer Gegnerin, doch er sah trotzdem total souverän aus:
Elisabeth Pähtz interpretierte das Kopftuchthema auf ihre Weise, doch was wirklich zählt, ist "auf'm Brett": Pähtz erreichte mit einem souveränen Sieg in der 2. Partie die nächste Runde. Dort geht es übermorgen gegen Pia Cramling weiter. (Foto: David Llada)
Den kompletten Überblick über die für die 2. Runde qualifizierten Spielerinnen können wir Ihnen leider erst morgen bieten, weil in einer ganzen Reihe von Paarungen zunächst noch das Stechen in Form von Rapid- bzw. Blitzpartien gespielt werden muss. Die folgenden Spielerinnen stehen jedoch - über die schon genannten hinaus und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - bereits heute in der zweiten Runde: Ju Wenjun (China, Elo 2583), Zu Chen (Katar, 2419), Olga Girya (Russland, 2458 - sie kam kampflos weiter), Dinara Saduakassova (Kasachstan, 2428), Anna Muzychuk (Ukraine, 2558), Antoaneta Stefanova (Bulgarien, 2512), Nino Batsiashvili (Georgien, 2492), Alexandra Kosteniuk (Frankreich, 2549), Valentina Gunina, (Russland, 2524), Natalia Pogonina (Russland, 2487).
Harika Dronavalli aus Indien, mit 2539 Elopunkten Nr. 4 der Setzliste, erreichte gegen eine Spielerin aus Bangladesh mit 2077 Punkten nur zwei Remisen und muss morgen ins Stechen gehen.
Und David Llada, der wunderbare Fotograf, hat seine Bilder freundlicherweise gleich mit den richtigen Namen beschriftet, so dass der Autor dieses Artikels weniger Arbeit mit der Gesichtererkennung hatte...
Die Frauen-WM findet vom 11. Februar bis 4. März in Teheran statt. 64 Spielerinnen ermitteln im K.-o.-System die Weltmeisterin. Die ersten fünf Runden bestehen aus Duellen mit zwei Partien. Die Bedenkzeit beträgt 90 Minuten für 40 Züge plus 30 Minuten für den Rest der Partie plus 30 Sekunden Zeitgutschrift für jeden Zug. Das Finale besteht aus vier Partien. Alle Partien beginnen um 12:30 (MEZ).
Gesamtpreisfonds: 450.000 USD
Die 32 Verliererinnen der 1. Runde: je 3.750 USD
Die 16 Verliererinnen der 2. Runde: je 5.500 USD
Die 8 Verliererinnen der 3. Runde: je 8.000 USD
Die 4 Verliererinnen der 4. Runde: je 12.000 USD
Die 2 Verliererinnen der 5. Runde: je 20.000 USD
Vizeweltmeisterin: 30.000 USD
Weltmeisterin: 60.000 USD
Die Spielerinnen tragen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung selber.