Frauen-WM: Interview mit Alexander Khalifman

von ChessBase
24.09.2013 – Yifan Hou ging zwar als Favoritin in den WM-Kampf mit Anna Ushenina, doch einen so eindeutigen Verlauf hatte wohl niemand erwartet. Nach nur sieben Partien war das Match zu Ende. Im Interview hat Alexander Khalifman dafür auch keine klare Erklärung. Die dritte Partie sei furchtbar gewesen. In der fünften Partie hätte Ushenina eine vielleicht mögliche Wende verpasst. Siegerehrung und Interview...

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Die neue Weltmeisterin Yifan Hou

Zuschauer bei der Schlussfeier und Siegerehung

Trostpreis für die unterlegene Titelverteidigerin

Yifan Hou mit Siegerpokal und Siegerkranz

Ansprache der neuen Weltmeisterin

Inteviews mit Yifan Hou...

... und Anna Ushenina

 

Interview mit Alexander Khalifman

Anastasya Karlovich: Für viele Schachspieler und Schachspielerinnen ist und bleibt es ein Rätsel, was mit Anna Ushenina beim WM-Match gegen Yifan Hou los war. Kannst du etwas darüber erzählen? Welche Gründe gibt es für ihre Niederlage?

Alexander Khalifman: Wir wussten, dass Yifan Hou Favoritin war. Aber wir haben nicht geglaubt, dass die Situation hoffnungslos ist. Natürlich ist Anna in einigen Punkten deutlich schwächer als Yifan Hou und in solchen Fällen muss man versuchen, dem Kampf die passende Richtung zu geben – was natürlich nicht leicht ist. Gerade beim Variantenrechnen unterlaufen Anna manchmal Ungenauigkeiten und sie rechnet nicht schnell und präzise genug. Trotzdem waren wir zuversichtlich, dass Anna in der Lage ist, den Kampf ausgeglichen zu gestalten. Doch gleich die erste Partie lief nicht gut und auch danach wurde es nicht besser. Was genau passiert ist, kann man nur schwer sagen. Ob es der Druck der Wettkampfsituation war, dem Anna noch nicht ausreichend gewachsen war oder ob es noch andere Gründe gibt – aber ein Problem hat sie offensichtlich den ganzen Wettkampf hindurch nicht in den Griff gekriegt: die Zeiteinteilung. Man sollte einfach nicht so viel Zeit verbrauchen! Irgendetwas hätte sie hier im Laufe des Wettkampfs anders machen müssen. Tatsächlich hätten wir vor dem Match daran arbeiten sollen. Ich glaube, das war auch ein Fehler von mir. So hatte Yifan Hou neben allem anderen auch noch den Vorteil, dass Anna in jeder Partie in Zeitnot geriet.

Dann kam die dritte Partie. Ein wirklich schrecklicher Tag! Ich weiß immer noch nicht genau, was da eigentlich passiert ist. Aber entscheidend war eigentlich erst die fünfte Partie. Das war die wichtigste und alles entscheidende Partie und danach war das Match im Prinzip vorbei.

Ich glaube, hätte Anna den unglückseligen Bauern auf h4 genommen, dann hätte sie die Partie gewonnen. Wir sahen, dass Yifan Hou zu diesem Zeitpunkt mit ihrer Stellung nicht zufrieden war und beide Seiten etwa gleich viel Zeit verbraucht hatten – was im Match nur selten vorkam.

Partie 5 

 

Mit einem Sieg in dieser Partie hätte Anna auf 2-3 verkürzt und die psychologische Initiative übernehmen können. Das Match hätte noch einmal von vorne anfangen können. Natürlich wäre Anna auch dann nicht Favoritin gewesen. Die ersten Partien liefen gut für Yifan Hou, doch in der vierten Partie hätte Anna zurückschlagen können, denn solche Stellungen spielt sie besser als Yifan Hou. Auch in der fünften Partie hätte das zum Tragen kommen können. Ein strategisches Endspiel stand auf dem Brett, in dem man mehr machen musste, als nur Varianten zu rechnen. Man musste verstehen, wo man die Figuren hinstellt.

Das war die Art von Kampf, die wir haben wollten. Hätte Anna die fünfte Partie gewonnen, dann wäre das Match vollkommen anders verlaufen und wir hätten einen langen und interessanten Wettkampf mit beinahe gleichen Chancen vor uns gehabt. Doch sie hat ihre Chance nicht genutzt und das hat ihrer Kampfmoral einen schweren Schlag versetzt. Hier hätten wir wirklich einen Ruhetag brauchen können. Offensichtlich hatte ihr die fünfte Partie schwer zugesetzt. Der Sieg war zum Greifen nahe gewesen, doch dann stand es -2 gegen sie. In diesem Moment hat sie das Vertrauen in sich verloren. Und dann kam es zu der merkwürdigen sechsten Partie, das war seltsam, nicht ganz so katastrophal wie die dritte Partie, aber dennoch...

Das begann schon in der Eröffnung. Anna hat die Varianten verwechselt und nicht das gespielt, was wir vorbereitet hatten. Danach konnten wir noch hoffen, dass Yifan Hou angesichts des nahen Sieges die Nerven verlieren würde, aber das war nicht der Fall. Ich kann nur sagen, dass Yifan Hou verdient gewonnen hat. Offensichtlich war sie gut vorbereitet, sie hat ein Gefühl für die Dynamik des Wettkampfs gezeigt und sie weiß, was man tun sollte und was man vermeiden muss. Dem katastrophalen Ergebnis zum Trotz bin ich der Meinung, es war ein spannender und lange offener Kampf. Ich glaube, wir hätten mehr Widerstand leisten können und sollen.

A.K.: Glaubst du, der Umstand, dass sie so starke Spieler als Sekundanten hatte, dass große Anstrengungen unternommen wurden, um sie zu unterstützen, hat zusätzlichen psychologischen Druck auf Anna ausgeübt?

Alexander Khalifman: Nein, das glaube ich nicht. Wir hatten nicht den leisesten Zweifel, dass auch Yifan Hou von einem sehr starken und kompetenten Team unterstützt wurde, auch wenn man diese Leute nicht sah. Zum Beispiel, wie sie den Perenyi-Angriff gegen Najdorf vorbereitet hat... Offensichtlich hat sie sich nicht nur mit Mama und Papa vorbereitet. Ich glaube, Yifan Hou wurde durch mehr Leute unterstützt als Anna, und ich glaube, das waren sehr starke Spieler. Ich glaube also nicht, dass sich Anna darüber viel Gedanken machen sollte. Und ich bin überzeugt, dass sie das auch nicht getan hat.

A.K.: War das dein erstes Match als Sekundant in einem Wettkampf zwischen zwei Frauen?

Alexander Khalifman: Nun, ich war dabei, als sich Alisa Galliamova in einem Trainingslager auf ihren Wettkampf gegen Xie Jun vorbereitet hat, der ebenfalls in China stattfand. Aus Zeitgründen konnte ich damals bei dem Wettkampf leider nicht dabei sein, aber ich kenne mich beim Frauenschach ein wenig aus. Und ich weiß, dass China nicht der ideale Ort für solche Wettkämpfe ist.

A.K.: Was ist das Besondere am Frauenschach? Spielen psychologische Faktoren eine größere Rolle?

Alexander Khalifman: Manche Leute kommen mit dem Druck gut zurecht, andere sind emotional anfälliger. Das ist bei jedem anders und ganz individuell. Mir ist zum Beispiel immer noch nicht ganz klar, was in der dritten Partie passiert ist. Sind vielleicht die Emotionen mit ihr durchgegangen? Diese Partie verlief einfach irrational. So schlechtes Schach! Der Grund dafür hat höchstwahrscheinlich gar nichts mit Schach zu tun, sondern liegt im gefühlsmäßigen Bereich. Das müssen wir analysieren und dann angehen. 

Endstand:

 

  1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Stand
Anna Ushenina 0 ½ 0 ½ ½ 0 0 - - - 1,5
Yifan Hou 1 ½ 1 ½ ½ 1 1 - - - 5,5

 

Alle Partien:

 

 

Fotos: FIDE/ Anastiya Karlovich (Pressechef)

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