Generationswechsel in Moskau

von ChessBase
19.12.2006 – Das Durchschnittalter der Spieler beim gerade in Moskau beendeten Superfinale der Russischen Meisterschaften betrug gerade einmal 22 Jahre. Nur Svidler und Rublevsky vertaten die "alte Garde", wurden aber von einem Teil der jungen Leute schon überholt. Der Anteil vieler junger Spieler führte sogar dazu, dass beim Finalturnier mehr Partien mit Schwarz, als mit Weiß gewonnen wurden - das entspricht nicht gerade der klassischen russischen Schule. Jakovenko sah eigentlich wie der Sieger aus, wurde aber von Alekseev eingeholt, im Stichkampf bezwungen und "feierte" seine zweite Vizemeisterschaft. Ein Schlüsselmoment des Turniers war Inarkievs Geburtstagsfeier. Die, welche teilgenommen hatten, liefen auch im Turnier zu großer Form auf. Misha Savinov berichtet. Mehr...

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Alekseev gewinnt der Russischen Meisterschaft
Von Misha Savinov
 

 

 

Das Superfinale der 59. Russischen Meisterschaft sah einen neuen Champion – Evgeny Alekseev. Es war das erste Mal, dass der Meister durch Schnellschach-Tiebreak ermittelt wurde. Es war wahrscheinlich auch die erste Meisterschaft, die in einem Rundenturnier ausgetragen wurde und in der Schwarz mehr Partien gewann als Weiß! Letzteres ist jedoch recht leicht zu erklären, wenn man das Durchschnittsalter des Turniers bedenkt (etwas über 22 Jahre). Junge Spieler, deren Eröffnungsrepertoire sich noch im Aufbau befindet, räumen bei ihrem Eröffnungsstudium den schwarzen Steinen Priorität ein.


Denis Khismatullin (links): 1.c4 mit Weiß, sizilianische Hauptvarianten mit Schwarz

So konnte man in dieser Meisterschaft oft beobachten, wie Topvorbereitung von Schwarz auf allgemeine Kenntnisse des Weißen traf – und die Ergebnisse spiegeln das wider.

Von den drei erfahrendsten Teilnehmern kann nur Peter Svidler mit seinem Ergebnis mehr oder weniger zufrieden sein. Es ist nicht leicht, sich daran zu erinnern, wann Peter im Winter je in Topform war. Auch dieses Mal war seine Form nicht allzu gut, aber dennoch konnte er Niederlagen vermeiden und beendete das Turnier als Vierter mit +2. Dem vierfachen russischen Meister fehlten Energie und Durchschlagskraft. Svidlers zwei Weißpartien gegen Najer (-6) und Vitiugov (-4) endeten mit zwei Remis und in keiner der beiden Partien war Peter in der Nähe eines Vorteils.


Peter Svidler wird diese Partie gegen Vitiugov Remis spielen

Der Beobachter des Sport Express, Yury Vassilyev, schrieb, dass Svidler der einzige Spitzenmann Russlands bei dem Turnier war. Aufgrund dessen erklärte er, dass die Meisterschaft wertlos wäre. Vielleicht war dies der Grund, warum Mr. Vassilyev nie bei dem Turnier zu sehen war. Meine Definition von ‘Top’ ist nicht so 2700-orientiert, weshalb ich dazu neige, den Meister von 2005, Sergey Rublevsky, ebenfalls in diese Liste aufzunehmen.


Der entthronte Sergey Rublevsky

Obwohl er mit einem Sieg gegen Alekseev ins Turnier startete, konzentrierte Rublevsky sich nicht darauf, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Einmal mehr sahen wir ein Beispiel eines aktiv spielenden Großmeisters, der eins der wichtigen Turniere ziemlich ausgelaugt anging.


Was ist besser – eine Meisterschaft zu gewinnen (Rublevsky) oder zwei Mal Zweiter zu werden (Jakovenko)?

Darüber hinaus steht Sergey kurz vor dem Abschluss eines Buches mit seiner Biographie und verbrachte während des Superfinales doch viel Zeit damit, zusammen mit Evgeny Atarov daran zu arbeiten.

Der, was Erfahrung angeht, drittplatzierte Spieler, Evgeny Najer, landete mit fürchterlichen ‘minus 6’ auf dem letzten Platz. Es scheint schwer zu erklären, wie ein solch talentierter und beschlagener Spieler so tief fallen konnte, aber mir fallen mindestens zwei mögliche Erklärungen für diesen Rückschlag ein.


Evgeny mit seinem Schwager, Großmeister Vladimir Potkin

Zunächst einmal ist da seine Ehe. Evgeny hat vor ungefähr einem halben Jahr geheiratet, und viele Schachprofis glauben, dass ein solcher Schritt der Schachkarriere für mindestens ein Jahr großen Schaden zufügt! Und diese Regel gilt nicht nur im Schach! Vor kurzem las ich einen Artikel über den Go-Spieler Lee Sedol, in dem der Autor behauptete, Sedols Heirat würde seine Ergebnisse negativ beeinflussen, weil der Status eines verheirateten Mannes feste und regelmäßige Einkünfte verlangt, was seinem kühnen, energischen und exzessiv-kreativem Stil zuwiderlaufen würde.

Allerdings kann man nicht sagen, dass Najer im Superfinale seinem Stil untreu geworden ist. Die zweite Erklärung lautet, dass er einfach erschöpft war. Seit seinem Sieg im allrussischen Schulmannschaftsturnier, wurde Evgeny stets als ein aufstrebender Star des russischen Schachs betrachtet. Doch irgendwann machte er nur noch langsam Fortschritte und trotz gelegentlicher Glanzpartien und deutlich zu erkennendem Potenzial, schaffte er den Sprung von den Open-Turnieren zu prestigeträchtigen Einladungsturnieren nicht. 2005 qualifizierte er sich schließlich für das Superfinale, aber wurde krank und musste zurücktreten. So waren die Erwartungen für das Superfinale in diesem Jahr einfach zu hoch. Evgeny versuchte seine Art Schach zu spielen, kämpferisch und zweischneidig, und weigerte sich, kurze Remis zu machen, um sich so einen oder zwei zusätzliche Ruhetage zu sichern, aber das führte zu einem Ergebnis von 2,5 aus 11 Partien.

‘Ich hatte Najer unter den ersten drei erwartet’, – erklärte Ernesto Inarkiev und dies zeigt, welche Autorität Najer unter seinen Kollegen genießt.


Inarkiev schlug Najer in der Schlussrunde

So zeigte keiner der erfahrenen Spieler auch nur die Hälfte seiner Stärke, alle aus unterschiedlichen Gründen. Deshalb wurde das Superfinale-2006 tatsächlich zu einer Meisterschaft der Jugend. Und wenn man hinnimmt, dass weder Svidler noch Rublevsky oder Najer in den Kampf um die ersten drei Plätze eingreifen konnten, dann ist das Endergebnis alles andere als überraschend.

Ernesto Inarkiev, der früher in Elista wohnte und vor kurzem in einen Moskauer Vorort gezogen ist, Sieger der Hohen Liga in Tomsk und offizieller Schüler von Mark Dvoretsky, wurde Dritter. Klingt nachvollziehbar, aber Ernesto war von seinem Ergebnis selbst sehr überrascht.


Inarkiev zertrümmert Nepomniachtchis Franzosen

‘Ich bin schrecklich müde! Ich hatte ein so anstrengendes Programm, dass ich die Figuren kaum noch sehen kann!’ – klagte er. Außerdem fing er sich irgendeinen Virus ein und fühlte sich nicht in Bestform. Doch nach seiner Geburtstagsfeier wurde alles anders. Die letzten drei Runden brachten Ernesto drei klare Siege.


Ein weiterer Punkt, der aus einem Turmendspiel gepresst wurde

‘Inarkiev besitzt kein subtiles Positionsgefühl, aber er verfügt über eine Unmenge an Energie und gute Angriffseigenschaften’, – erklärt Yury Razuvaev. Klingt wie Kritik, aber wurden über Kasparov nicht ähnliche Dinge gesagt?


Razuvaev erzählt Khairullin, dass man vor Inarkiev keine Angst haben muss

Dmitry Jakovenko landete nach dem Tie-Break schließlich nur auf dem zweiten Platz. Eine hübsche Technik, gutes positionelles Verständnis und ein starker Charakter brachte zum zweiten Mal hintereinander die Silbermedaille. Ohne Brille (er trägt jetzt Kontaktlinsen) sorgen die Narben um sein rechtes Auge (er lief bei einem Schachturnier in eine Glastür) dafür, dass er noch entschlossener aussieht.


Mr. Silber


Bin ich am Zug?

Dmitry trat während des gesamten Turniers wie ein Champion auf, aber es gab einen Spieler, den das völlig kalt ließ. Evgeny Alekseev akzeptiert keine Autoritäten und hat Nerven aus rostfreiem Stahl. Anders als die meisten anderen Jugendspieler hat sich Alekseev immer langsam und beständig entwickelt, ohne größere Sprünge oder gelegentliche Einbrüche. Sein Spielstil ist ziemlich unauffällig, aber sehr gesund, und man hatte das Gefühl, je länger das Superfinale dauerte, desto stärker wurde er.


Ein Schlüsselsieg über Tomashevsky in der vorletzten Runde


Nikitin, Trainer von Jakovenko, und Dvoretsky, Trainer von Inarkiev, kommen zur Schlussrunde

Alekseev und Jakovenko machten ihre Partien in der letzten Runde beide Remis,


Nach seinem Remis mit Grigoriants ist Jakovenko neugierig, was sein Konkurrent macht

.. womit sie den ersten und zweiten Platz teilten und zwei Tiebreak-Partien angesetzt wurden, um den letztendlichen Sieger zu ermitteln.

Den Tiebreak zu verfolgen war spannend. Das Schachbrett wurde in den Presseklub gebracht, da der große Saal für die Abschlussfeier hergerichtet werden musste. Etwa 15 Zuschauer aus der Gruppe der Organisatoren und Presseleute zogen es vor, die Tiebreak-Partien live zu verfolgen,


Der Tiebreak hat begonnen

... während der größte Teil der Zuschauer sich um Sergey Dolmatov scharte, der die Partien kommentierte, während sie noch gespielt wurden.


Dolmatov, der augenblickliche Trainer von Alekseev, beobachtet die Partie aufmerksam

In der ersten Partie, einem Scheveninger-Sizilianer, stand Jakovenko mit Weiß irgendwann einmal auf Gewinn, aber beschloss zu opfern, und musste dann erleben, wie sein Angriff abgewehrt wurde. Zum Glück für ihn wickelte Alekseev in ein besseres Endspiel ab, anstatt die Mehrfigur zu behalten und Jakovenko konnte das Gleichgewicht halten.


Der weiße Bauer steht bereits auf g5


Evgeny mauert sich ein


Jakovenko rettet geschickt ein schlechteres Endspiel

In der zweiten Partie setzten die Spieler ihre Diskussion von Eröffnungen aus den Kasparov-Karpov Wettkämpfen weiter fort. Eine ultra-scharfe Zaitsev-Variante gab Jakovenko eine angenehme Stellung, aber er behandelte sie nicht optimal. Alekseev nutzte die Fehler seines Gegners geschickt aus, gewann eine Qualität und bald musste Schwarz aufgeben. 1,5-0,5, und der Großmeister aus St. Petersburg gewinnt die russische Meisterschaft 2006.


Partie Zwei: Weiß greift brutal an


 … und hat schließlich Materialvorteil


Das Ende ist in Sicht


Schwarz bleibt nichts anderes übrig als aufzugeben


Alexander Roshals Schlusswort war sehr lang


Alexander Bakh überreicht Evgeny Alekseev die Goldmedaille


Schau her, Dmitry, der Pokal gehört mir!


Die stolzen Sieger


 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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