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Eine Halbzeitbilanz
In Riga fehlen einige Erlauchte aus dem Klub der 2700er. Dafür sind 15 der 16 besten Junioren (bis Jahrgang 2001) am Start. Vorne liegt nach sechs Runden der Kronprinz, Alireza Firouzja. Tatsächlich dominiert der 18-jährige Neu-Franzose das Turnier bisher und ging als Führender in den Ruhetag. Punktgleich mit seinem Landsmann Maxime Vachier-Lagrave und drei weiteren Spielern.
Manche bedauern, dass einige der Top-Spieler mit Elozahlen über 2700-Ratingpunkten nicht gekommen sind. Davon gibt es in der November-Liste 39. Wenige sind bereits für das Kandidatenturnier (Duda, Karjakin, Radjabov (ernannt)) qualifiziert, einige kommen nicht wegen der gesundheitlichen Gefahren (Vidit) oder aus Solidarität mit der lettischen Bevölkerung (Nakamura). Manche wie Alexander Grischuk, Anish Giri oder Shakryar Mamedyarov fehlen ebenfalls. Wesley So scheint das Format nicht zu gefallen, zumal das Turnier kurz nach der US-Meisterschaft stattfindet, die er gewonnen hat. Die Zweit- und Drittplatzierten (Caruana und Sevian) konnte das nicht von der Teilnahme abhalten. Es zeigt sich daran lediglich, dass jeder seine eigene Komfortzone sucht. Für den ebenfalls fehlenden Ding Liren und die anderen Nicht-Teilnehmer in Riga bleibt damit lediglich die Chance sich über den Grand-Prix im nächsten Frühjahr in Berlin zu qualifizieren. Das verspricht Spannung.
In der Reihe dahinter tummeln sich unter anderen einige Veteranen von denen Alexei Shirov in seiner Geburtsstadt bislang groß aufspielt. Zu den gemeinen Großmeistern gehören natürlich die Junioren und ehemalige „Wunderkinder“. Die meisten von diesen sind inzwischen Teenager und zuletzt in der Pandemie mächtig größer und vor allem spielstärker geworden.
Dieser Artikel soll sich mit den teilnehmenden jüngeren Junioren beschäftigen: ab Jahrgang 2003, dem Firouzja-Jahrgang. Dadurch fallen beispielsweise der Russe Andrey Esipenko (2002), der Rumäne Bogdan-Daniel Deac (2001) und der Ukrainer Kirill Sevchenko (2001) raus. Sie werden uns allerdings in direkten Konfrontationen mit den anderen Junioren gelegentlich begegnen. Um die Beobachtungsgruppe überschaubar zu halten und Überschneidungen mit der täglichen deutschsprachigen Berichterstattung zu reduzieren, verzichte ich ferner auf ein genaueres Beleuchten des Spiels von Alireza und Vincent. Zum Deutschen möchte ich eine kurze Zusammenfassung anfügen.
Die deutsche Nachwuchshoffnung überzeugte mich mit soliden Schwarzpartien, die scheinbar ohne größere Verwerfungen im Remis endeten. Mit Weiß gelang Vincent sein bislang einziger Sieg gegen Jeffery Xiong in einer aufwühlenden Partie in der Vincent meist klar besser stand. In seiner Weißpartie gegen den Armenier Gabriel Sargissian war zudem mehr als ein halber Punkt drin. Gegen den Russen Oparin spielten die beiden Spieler ein altbekannte Variante und es gelang Vincent nicht einen Vorteil zu erarbeiten. Vincents Partien und sein Spiel wirken für einen Junioren fast zu klinisch und sind insgesamt ein Resultat seines überzeugenden adulten Spielstils. Das Ergebnis von (+1) ergibt bis Runde 6 eine Leistung von 2740.
Indische Schachcracks
Nihal Sarin (2652)
Der Inder aus dem Vincent-Jahrgang 2004 ist bekannt für seinen soliden Spielstil. Mit Weiß begann es mit einem relativ einfachen Sieg via Londoner-System gegen einen Veteranen, Jahrgang 1965. In der zweiten Runde folgte ein aufregendes Remis gegen den Turnier-Favoriten Fabiano Caruana. Aus einer soliden Eröffnung heraus hatte Nihal seinem Gegner unvorsichtig einen taktischen Schlag erlaubt und stand lange Zeit auf Verlust. Dann zeigte der Inder eine hohe Qualität vieler Junioren in diesem Turnier und hielt das Endspiel.
Es folgte ein überzeugender Schwarzsieg gegen einen usbekischen Großmeister. Gegen den Russen Pavel Ponkratov konnte Nihal nach einem Figurenopfer einer Remisschaukel seines Gegners nicht ausweichen. Gegen seinen armenischen Gegner in Runde 5 gelang Nihal ein überzeugendes Remis in seiner zweiten Schwarzpartie. In der sechsten Runde dann verpasste der Inder in seiner vierten Weißpartie den lange Zeit sicher geglaubten Sieg gegen David Navara. Nihals Score bis Runde 6 liegt bei +2. Seine Performance entspricht 2772.
Partien Nihal
Der Usbeke ist im gleichen Jahrgang (2004) wie Vincent und Nihal unterwegs drohte in Runde 1 bereits hinter sich greifen zu müssen, hatte aber Glück gegen seinen australischen Gegner. In der zweiten Runde stand Nodirbek gegen den chilenischen Turniersenior Ivan Fernandez Morovic (Jahrgang 1963) im Springerendspiel auf Gewinn verdaddelte den Vorteil allerdings zum Remis. In der dritten Runde hatte der Usbeke ebenfalls etwas Glück.
Gegen den Russen Vadim Zvjaginsev gewann Nodirbek mit Schwarz sehr überzeugend. Gegen Daniil Dubov, der in der Eröffnung sehr unternehmungslustig einen Bauern opferte versuchte Nodirbek lange Zeit die gegnerische Festung zu nehmen. Es reichte jedoch nicht zum vollen Punkt. Gegen den etwas älteren Junior Esipenko entstand eine Benoni-Struktur mit zunächst einem weißen Bauern auf e3. Der Russe nutzte das fehlende Gegenspiel von Nodirbek aus und gewann schnell. 50 Prozent entsprechen einer Leistung von 2618 für den Usbeken.
Partien Nodirbek
Hans Moke Niemann (2635)
50 Prozent bedeuten für den US-Amerikaner eine Leistung von 2650 Punkten. In Runde 1 gelang dem Amerikaner ein recht zügig herausgespieltes Remis gegen Maxime Vachier-Lagrave ohne Höhepunkte. Gegen seinen neuen Landsmann Aronian, der noch unter armenischer Flagge unterwegs ist, folgte eine Niederlage. Der jüngere der beiden Spieler war im Mittelspiel etwas zu früh im Zentrum aktiv geworden.
Gegen Nguyen (CZE) sah es im Endspiel lange Zeit nach einem ganzen Punkt aus, es reichte aber nicht ganz. Die folgende Partie gegen Aleksandra Goyachkina war Entertainment für die Zuschauer. Der Junior versuchte die Zeitnot seiner Gegnerin zu nutzen und wäre eigentlich fällig gewesen. Die Russin fand in ihrer Zeitnot nicht den richtigen Weg. Gegen den Armenier Ter-Sahakyan setzte der US-Junior seine Königsaktivitäten aus der Vorrunde nach einer Ungenauigkeit fort. In Runde 6 gewann Niemann seine erste Partie. Die 50 Prozent bis Runde 6 entsprechen einer Leistung von 2650.
Partien Niemann
Das Turnier begann für Arjun (Jahrgang 2003) mit einem ereignisreichen Remis gegen Andrey Esipenko. Lange Zeit sah es nach einem Auftaktsieg für den Inder aus, aber der Vorteil ging unterwegs verloren. Der Russe hatte erkennbare Probleme ins Turnier zu starten. Arjun spielte in der zweiten Runde ein recht komfortables Remis gegen Daniil Dubov. In der dritten Runde stand Arjun lange Zeit aussichtsreich gegen den Azeri Rauf Mamedov. Arjun ist mit Vincent Keymer in der Regel einer der am besten vorbereiteten Junioren. In Runde 4 kam die Neuerung von seinem Gegner und er fand diesmal keine gute Lösung. Ein Springerzug an den Rand war der Anfang vom Ende. In der nächsten Runde folgte ein unterhaltsamer Sieg gegen die einzige Frau im Feld. Alexandra Goryachkina konnte eine ähnliche Material-Konstellation wie in der Partie von Nihal gegen David Navara nicht zusammen halten. In Runde 6 folgte nach hartem Kampf um den Ausgleich eine weitere Niederlage mit Schwarz gegen einen Ukrainer. Das Gesamtergebnis von Arjun liegt bei -1 und einer Performance von 2609.
Partien Arjun
Der jüngste Teilnehmer in Riga startete mit einem Sieg gegen den einzigen Internationalen Meister im Feld. Es folgte ein Remis gegen den Iraner Parham Maghsoodloo in einer Modevariante, die Magnus Carlsen gegen Ding Liren eingeführt hatte. Nach zwei weiteren Remispartien gegen die Russen Artemiev und Fedoseev schien sich Gukesh oben etablieren zu können. In Runde 5 folgte jedoch diesmal ein grober Fehler gegen David Navara.
Gegen einen anderen indischen Junior: Ranauk Sadwhani kam eine weitere Niederlage. Für den jüngeren Junior scheint der Ruhetag gerade noch rechtzeitig zu kommen. Das Ergebnis (– 1) von Gukesh entspricht einer Performance von 2591.
Partien Gukesh
Pragg ist nach der Pandemie im klassischen Schach noch nicht aus den Startlöchern gekommen. Im Online-Schnellschach dominierte er zuletzt die Teilnehmer der Challenger Tour und ist im nächsten Jahr regulärer Teilnehmer der Magnus-Carlsen-Tour. Nach einem Remis mit Schwarz in der ersten Runde konnte der Youngster zufrieden sein. Seine eigene Zeitnot verhinderte allerdings den vollen Punkt gegen seinen armenischen Gegner. Ein überzeugender Sieg stürzte das seinen Landsmann Adhiban Baskaran eine Ergebniskrise.. In der dritten Runde spielte Pragg gegen seinen historisch ersten 2700er-Scalp. Der Brite David Howell, bekannt für seine Haartolle, hatte 2017 gegen den damals knapp zwölfjährigen Inder verloren. Diesmal reichte es für Pragg zur Punkteteilung. Nach dem Remis kam eine Niederlage gegen Samuel Sevian hinzu. Pragg versuchte zu viel aus einer ausgeglichenen Stellung herauszuholen, geriet mit seinem Springer auf Abwege und verlor. Gegen den Azeri Rauf Mamedov gewann Pragg dann eine eher unspektakuläre Partie. In der sechsten Partie folgte eine erneute Niederlage gegen Alexey Sarana. Drei Punkte aus sechs Partie bedeuten eine Performance von 2669 für Pragg.
Partien Praggnanandhaa
Der indische Junior ist wie Pragg Jahrgang 2005. Bei seinem Remis zu Beginn gegen den Bulgaren Ivan Cheparinov versuchte Ranauk mit Weiß Einiges, kam aber nicht zum vollen Erfolg. In Runde 2 folgte mit einer Niederlage ein Rückschlag gegen einen russischen Gegner, der Ranauks Berliner Mauer zwar nicht einreißen konnte, aber einen groben Fehler seines Gegners nutze. Gegen Jorden Van Foreest hatte Ranauk Chancen auf mehr als das Remis. Gegen Maxim Matlakov kam es kaum zu einem Kampf. In Runde 5 war der Inder gut vorbereitet und stellte seinem Gegner, Alexandr Rakhmanov, zu viele Probleme. Dann kam der Sieg gegen Gukesh in ihrem ersten Aufeinandertreffen mit klassischer Bedenkzeit.
Der Score von +1 entspricht einer Leistung von 2722 für Ranauk.
Partien Ranauk
In Riga wird hervorragendes Schach gezeigt. Die Junioren müssen wie alle anderen Teilnehmer ihre eigenen kleinen Krisen bewältigen. Bemerkenswert, aber nicht überraschend ist das engagierte Spiel aller Youngster. In Riga gilt die Sofia-Regel, es müssen also mindestens dreißig Züge gespielt werden, wobei das wohl eher die älteren Teilnehmer zu engagierterem Spiel antreibt. Gukesh ist beispielsweise nach zwei Niederlagen in Folge in einer schwierigen Situation. Der freie Tag könnte ihm helfen. Was man bei solchen Turnieren sehr schnell übersieht ist, dass die hier betrachteten Junioren bis auf Gukesh zurzeit auf dem Level einer Großmeister-Norm (2600+) unterwegs sind. Vor wenigen Jahren waren das für die meisten Youngster noch schwierige Herausforderungen.
Zu den heutigen Herausforderungen gehört im Fall von Pragg überraschenderweise immer noch das Überwinden seines zu langsamen Spiels. Diese Schwäche kostet ihn immer wieder halbe Punkte in entscheidenden Momenten. Nihal hatte dieses Problem ebenfalls noch vor wenigen Jahren, hat diese Phase allerdings inzwischen überwunden.
Disclaimer: Die Relation Performance-Zahlen zur aktuellen Rating sind etwas verschoben, da das Turnier vor der neuen Elo-Liste im November begonnen hat und die Teilnehmer mit ihren alten Zahlen und nicht den hier angegebenen neuen Zahlen bewertet werden.