Halbzeit in Berlin

von Marco Baldauf
19.03.2018 – Die ersten sieben Runden des Kandidatenturniers sind absolviert und eines kann bereits jetzt festgestellt werden: wir haben großartiges Schach gesehen! 11 der 28 Partien fanden einen Sieger, was unter anderem auch daran lag, dass die Teilnehmer mit Weiß wie auch Schwarz hohe Risiken eingehen. Einige extrem zweischneidige Schlachten wurden geschlagen, die Highlights der ersten Turnierhälfte finden sie hier nochmals zusammengefasst | Foto: worldchess

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Aronians verpasste Chance

Eine der verrücktesten Partien der ersten Turnierhälfte lieferten sich Levon Aronian und Alexander Grischuk. Aronian hatte nach einem schwachen Start mit 1/3 in Runde Vier Sergey Karjakin besiegt und nun dei große Chance, über 50% hinaus zu kommen. In schwer zu überblickender Stellung ließ er seinen Gegner entkommen und musste am Ende gar ums Remis kämpfen.

 

Extrem schade für Aronian! Mit "hätte, wenn und aber" sind freilich keine seriösen Analysen eines Turniers zu beginnen. Aber gut, auf die Gefahr hin, mich in Spekulationen zu verlieren, lässt mich das Gefühl nicht los, dass Aronians Turnier mit einem Sieg gegen Grischuk eine ganz andere Richtung eingeschlagen hätte. Wir erinnern uns an die Ereignisse in den darauffolgenden Runden: zwei Niederlagen gegen Wesley So und Fabiano Caruana bedeuten für den Armenier das Tabellenende.

Pressekonferenz mit Aronian und Grischuk

Seine Partie gegen Aronian stellt unter Beweis, dass Grischuks Schach das Kandidatenturnier definitiv bereichert. Auch wenn er nicht zum engen Kreis der Favoriten gezählt werden kann, so ist klar, dass seine Partien vom Unterhaltungswert definitiv zu den besten gehören.

Grischuks Opferlaune

Nicht nur gegen Aronian brannte das Brett, auch die Partie gegen Fabiano Caruana in Runde 6 war aufregend. Das bisher größte von Grischuk produzierte Highlight war jedoch in Runde 4 zu beobachten. Gegen Ding Liren hauchte er ein fast schon in Vergessenheit geratenen Variante neues Leben ein: dem spektakulären Sxf7 in der Anti-Moskauer Variante.

 

Da schwante es Ding Liren noch nicht, dass in wenigen Minuten der Grischuksche Springer auf f7 einschlagen wird | Foto: worldchess

Der erlangte große Berühmtheit als Veselin Topalov diesen Einschlag nutzte seinen großen Rivalen Vladimir Kramnik zu besiegen. Die Schwarzspieler fanden jedoch in der Folge Wege der Verteidung und die Variante kam etwas in Vergessenheit. Ein Auftritt bei einem derartig wichtigen Event wie dem Kandidatenturnier wird für ein erneutes Revival sorgen, soviel steht fest. Grischuks eigentliche Idee zeigte sich wenige Züge später, als er neuartige Interpretation der Stellung aufzeigte.

 

Entgegen den bisherigen Versuchen mit 16.Dc2 oder 16.Lg4 sofort anzugreifen, setzt Grischuk mit 16.a4 auf langfristige Kompensation - in jenem Stile, in dem die AI Alpha Zero vor wenigen Monaten Stockfish an die Wand spielte. Einen sehr ausführlichen Artikel zu dieser spannenden Partie finden sie hier: AlphaGrischuk auf Topalovs Spuren

The Semi-Slav

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Schwarz spielt mit

Vergessen scheinen die Zeiten, in denen Spieler mit Schwarz lediglich auf Neutralisierung des Anzugsvorteils auswaren. Ambitioniertes Spiel wurde in vielen Partien auch von schwarzer Seite an den Tag gelegt: Mamedyarov spielt Najdorf und die Smyslow-Verteidigung der spanischen Partie, Grischuk gar Benoni. Insgesamt zahlt sich diese Strategie bisher aus: fünf Schwarzsiege können nach der ersten Turnierhälfte verbucht werden, dagegen stehen sechs Siege der Weißen.

Die ganz in Schwarz gehaltene Arena | Foto: worldchess

Auch Vladimir Kramnik spielt jede Partie auf Sieg, egal welche Farbe er hat. Besonders deutlich war dies in seiner Partie gegen Shakriyar Mamedyarov zu erkennen, als er eine Zugwiederholung ausschlug und stattdessen große strategische Risiken einging um die Partie zu verschärfen.

 

Semi-Tarrasch: eine Universalwaffe gegen 1.d4

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Die Kramniksche Herangehensweise warf in dieser Partie keinen Ertrag ab sondern handelte ihm nur Probleme ein. Sein Königsflügel, war nach der weißen Antwort 29.g5! eher schwach denn stark, sein Hoffnungsträger, der Freibauer auf der h-Linie ging schnell verloren. Ebenso die Partie für den Ex-Weltmeister.

 

Kramniks aggressiver Spielweise haben wir jedoch auch die zweifelsohne aufsehenerregenste Eröffnungsneuerung zu verdanken. Gegen Levon Aronian, der entgegen seinem üblichen Repertoire mit 1.e4 eröffnete, griff er mit 9...Tg8 zu einem einfachen wie bestechenden Konzept.

 

Kramnik plant die weiße Schwäche h3 auszunutzen und mit ...g5 einen Königsangriff zu starten. Doch lassen Sie sich das Konzept vom Ex-Weltmeister selbst erklären:

Pressekonferenz mit Kramnik und Aronian

Caruana auf Kurs

Fabiano Caruana hat nach der ersten Turnierhälfte rechnerisch die beste Ausgangssituation: Drei Siege bei vier Remisen lautet seine Bilanz. Er führt nun mit einem halben Zähler vor Shakriyar Mamedyarov und ganzen 1½ Punkten vor den Verfolgern Grischuk, Kramnik und Ding. Gegen Kramnik hatte er in einer sehr zweischneidigen Partie das bessere Ende auf seiner Seite, ebenso gegen Levon Aronian. Glatter verlief hingegen sein Sieg gegen So.

Fabiano Caruana | Foto: worldchess

Eine seiner aufregendsten Partien war mit Sicherheit die Begegnung mit Aronian. Der Armenier befand sich seinem Empfinden nach in einer must-win-Situation und opferte was das Zeug hält. Einen Bauern, noch einen Bauern, schließlich einen ganzen Turm. Caruana musste einen kühlen Kopf bewahren.

 

Stand nach 7 Runden

 

Alle Partien

 

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Marco Baldauf, Jahrgang 1990, spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Schach. Zwei Mal wurde er Deutscher Jugendmeister, seit 2015 spielt er für die Schachfreunde Berlin in der Bundesliga. Für Chessbase schreibt er gelegentlich auf der Homepage, kommentiert live oder versucht sich als Autor von Fritztrainern.

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