Hat die FIDE das richtige WM-Format?

von André Schulz
30.11.2025 – Beim nächsten Kandidatenturnier, im Frühling 2026 in Zypern, treten acht Spieler an, um den Herausforderer von Weltmeister Gukesh zu ermitteln. Fünf Spieler gehören zu den Top Ten der aktuellen Weltrangliste, drei Spieler sind weit davon entfernt. Einige Topspieler, die man im Kandidatenturnier erwartet hätte, haben es auf keinem der Qualifikationswege geschafft. Hat die FIDE tatsächlich das richtige WM-Format? | Foto: Larneg auf Pixabay

Ihr persönlicher Schachtrainer. Ihr härtester Gegner. Ihr stärkster Verbündeter.
FRITZ 20: Ihr persönlicher Schachtrainer. Ihr härtester Gegner. Ihr stärkster Verbündeter. FRITZ 20 ist mehr als nur eine Schach-Engine – es ist eine Trainingsrevolution für ambitionierte Spieler und Profis. Egal, ob Sie Ihre ersten Schritte in die Welt des ernsthaften Schachtrainings machen oder bereits auf Turnierniveau spielen: Mit FRITZ 20 trainieren Sie effizienter, intelligenter und individueller als je zuvor.

Das Kandidatenturnier 2026 nimmt Form an. Aus dem World Cup haben sich jetzt noch Javokhir Sindarov, Wei Yi und Andrey Esipenko qualifiziert. Aus dem Grand Swiss Turnier schafften Anish Giri und Matthias Blübaum den Sprung. Fabiano Caruana ist als Sieger des FIDE Circuit 2024 dabei, und Hikaru Nakamura wird als Elo-bester Spieler dabei sein. Und wenn es keine unerwartete Überraschung mehr gibt, nimmt Praggnanandhaa den Platz als Sieger des FIDE Circuit 2025 ein.

Das Feld sieht dann so aus:

Spieler Elo Weltrangl. Alter
Nakamura 2811 2 37
Caruana 2795 3 33
Praggnanandhaa 2760 6 20
Giri 2760 8 31
Wei Yi 2755 9 26
Sindarov 2726 22 19
Esipenko 2695 34 23
Blübaum 2678 44 28

Die Elozahlen wurden der 2700-Liveliste vom 27. November 2025 entnommen.

Der Sieger des Turniers spielt dann einen Wettkampf um die Weltmeisterschaft gegen Gukesh, mit Elo 2754 derzeit Nummer zehn in der Weltrangliste. Gukesh hatte den Titel von Ding Liren gewonnen, derzeit mit Elo 2734 Nummer 16 in der Weltrangliste.

Wenn man die Elozahlen und Plätze in der Weltrangliste der jüngsten Weltmeister sieht, stößt man auf ein Problem. Im Schach hat der Weltmeistertitel eine hohe Bedeutung und wird mehr oder weniger gleichgesetzt mit „der beste Schachspieler der Welt“. Das hat in der ferneren Vergangenheit nicht immer gestimmt, aber in den Zeiten der Weltmeister Fischer, Karpov, Kasparov, Kramnik, Anand und Carlsen, also in einem Zeitraum von etwa 50 Jahren, traf es doch zumeist zu. Im Idealfall dominiert der Weltmeister die anderen Spieler, und das haben diese Weltmeister lange gemacht. Für eine Randsportart wie Schach ist es wichtig, ein prominentes Aushängeschild zu haben, am besten einen Weltmeister, der den Titel auch über eine längere Zeit inne hat.

Der weltbeste Schachspieler, Magnus Carlsen, will nicht mehr in langen Turnierpartien um die Weltmeisterschaft spielen. Man kann das nachempfinden. In zehn Jahren musste Carlsen sechs Weltmeisterschaftskämpfe spielen, also im Schnitt fast alle eineinhalb Jahre einen. Das ist sehr viel.

2013 gab es für den aufstrebenden Carlsen noch einen lohnenden Gewinn, den Titel. Carlsen war in der Weltrangliste mit Abstand die Nummer eins, aber in den folgenden WM-Matches konnte er nur noch verlieren. Wäre es schlecht gelaufen, wäre der beste Schachspieler den Weltmeister losgeworden. Gewann er, war das „normal“. Manchmal war es ja auch sehr knapp. Sechs Wettkämpfe um die Weltmeisterschaft in zehn Jahren sind aber einfach zu viel. Carlsen wurde von der FIDE in dieser Hinsicht überfordert und müde gespielt.

Wenn man sich das Teilnehmerfeld des nächsten Kandidatenturniers anschaut, vermisst man einige Topspieler. Sie haben es im gegenwärtigen System nicht geschafft, sich zu qualifizieren. Die aktuelle Nummer vier, Vincent Keymer, ist zweimal knapp gescheitert. Arjun Erigaisi (5) ist nicht dabei, und auch Alireza Firouzja nicht (7). Wesley So (11) fehlt ebenso. Einige weitere jüngere Topspieler hätte man sich auch gut im Kandidatenturnier vorstellen können, Richard Rapport, Nodirbek Abdusattorov oder Jan-Krzysztof Duda zum Beispiel.

Nun kann es immer mal sein, dass ein Topsportler auf dem Weg zu seinem sportlichen Ziel scheitert. Aber wenn so viele Topspieler nicht zum Ziel kommen, stattdessen zumindest nominell schwächere Spieler an ihre Stelle treten, muss man darüber nachdenken, ob das nicht systematische Gründe hat. Womit die Leistungen der Spieler, die es ins Kandidatenturnier geschafft haben, nicht etwa geschmälert werden sollen. Sie spielen hier zu Recht mit und haben die besten Leistungen erbracht – gemäß des Qualifikationssystems.

Die FIDE hat in jüngerer Zeit verschiedene Qualifikationssysteme ausprobiert und einige davon über Bord geworfen. Die lange Serie der früheren Grand-Prix-Turniere konnte nicht recht befriedigen. Spieler, die im Laufe der Serie keine Chance mehr auf die Qualifikation hatten, spielten lustlos remis oder gar nicht mehr mit. Die Turniere waren langweilig.

Stattdessen wurde das Grand Swiss Turnier eingeführt. Ein Turnier mit etwa 100 Weltklassespielern, die in elf Runden nach Schweizer System zwei Plätze für das Kandidatenturnier ausspielen. Losglück und Tagesform spielen hier eine gewaltige Rolle. Ein solches Turnier ist eine Art Lotterie.

Der World Cup hat zwar ein ganz anderes Format, doch auch hier spielen die Tagesform und vor allem auch Nervenstärke eine große Rolle. Und Kondition. Der dreiwöchige World Cup ist ein Turnier für konditionsstarke junge Spieler. Manche Spieler kommen über die Stichkämpfe und ihre Stärke im Schnellschach und Blitzschach weiter und qualifizieren sich so für das Kandidatenturnier. Dort wird aber weder Schnellschach noch Blitzschach gespielt. Auch das World-Cup-Format ist eine Art Lotterie.

In den Jahren 1997 bis 2004 war dieses K.o.-Turnier sogar das Weltmeisterschaftsturnier, wurde damals aber zu Recht wegen seines hohen Zufallsfaktors als WM-Turnier wieder abgeschafft. Nun lebt der World Cup als Qualifikationsturnier weiter, die Anzahl der Qualifikationsplätze wurde zuletzt von zwei auf drei erhöht.

Damit haben wir beim Kandidatenturnier fünf Teilnehmer aus zwei Turnieren mit hohem Glücks- oder Zufallsfaktor.

Auch die Qualifikation über die Elozahl kann man kritisieren. Als Ding sich für das Kandidatenturnier 2022 über seine Elozahl qualifizierte, musste er zuvor noch schnell eine Reihe von Turnierpartien spielen, damit seine Elozahl auch anerkannt wurde. Auch Hikaru Nakamura hat im vergangenen Jahr zu wenig Turnierpartien gespielt, damit die FIDE seine Elozahl für die Qualifikation zum Kandidatenturnier anerkennt. Er spielte eine Reihe von schwachen „Mickey-Mouse-Turnieren“ mit, um die erforderliche Partienzahl zusammenzubekommen. Die FIDE-Regeln erlaubten das. Inzwischen hat die FIDE nachgebessert.

Wenigstens sind zwei Plätze an Spieler vergeben, die sich über eine ganze Reihe von starken Turnieren qualifiziert haben, die Sieger der FIDE Circuits 2024 und 2025, Fabiano Caruana und Praggnanandhaa. Aber auch dieser Weg hat Mängel, denn starke Leistungen in Mannschaftsturnieren fließen nicht ein. Vincent Keymer spielte grandiose Turniere bei der Europamannschaftsmeisterschaft und beim Europa Cup der Vereine. Im FIDE Circuit werden Mannschaftsturniere aber nicht berücksichtigt.

Der Sieger des nächsten Kandidatenturniers wird Weltmeister Gukesh herausfordern. Nakamura oder Caruana wären als Herausforderer statistisch klare Favoriten, Praggnanandhaa, Giri und Wei Yi leichte Favoriten. Nur gegen Sindarov, Esipenko und Blübaum wäre Gukesh Favorit. Schon beim letzten Kandidatenturnier hat Nakamura, der sich ja inzwischen eher als Streamer denn als Turnierspieler sieht, erklärt, dass es leichter ist, den WM-Kampf zu gewinnen, als das Kandidatenturnier.

Aus diesen Betrachtungen sollte klar geworden sein, dass die FIDE bei ihrer Weltmeisterschaft das beste System offenbar noch nicht gefunden hat. Vielleicht hilft ein Blick in die Schachgeschichte. Von 1948 bis 1993 ermittelte die FIDE den Weltmeister in einem System, das gut funktioniert hat. Aus Zonenturnieren qualifizierten sich die besten Spieler für Interzonenturniere, und dort wurden die Kandidaten ermittelt. Der Sieger der Kandidatenkämpfe forderte den Weltmeister heraus. Ob man Kandidatenwettkämpfe oder ein Kandidatenturnier spielt, ist dabei vielleicht nachrangig. Aber der Weg dorthin scheint nachhaltiger und gerechter gewesen zu sein als das derzeitige System. Sicher kann man es modifizieren, vielleicht Landesmeisterschaften als Ausgangspunkt nehmen statt Zonenturniere. Vor allem aber sollte man den Weltmeisterschaftszyklus verlängern, um den Weltmeister nicht so zu überfordern, wie das mit Carlsen geschehen ist. Früher ging ein Weltmeisterschaftszyklus über drei Jahre. Das war nicht schlecht.

Mit den Organisatoren von Norway Chess hat die FIDE eine neue „Total-Chess“-Weltmeisterschaft vereinbart, eine Art Dreikampf mit den Disziplinen Klassisches Schach, Schnellschach und Blitzschach. Der Sieger dieses Wettbewerbs darf beim übernächsten Kandidatenturnier auch mitspielen. Nichts gegen diesen Wettbewerb. Aber ob es sinnvoll ist, dieses Format bei der klassischen Weltmeisterschaft mit einzubinden, scheint eher fraglich.

FIDE: Geschichte der Kandidatenturniere...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.
Diskussion und Feedback Senden Sie Ihr Feedback an die Redakteure