HSK: Gedenken an jüdische Mitglieder

von André Schulz
26.07.2018 – Die "Gleichschaltung" des öffentlichen Lebens nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 machte auch vor dem Schach nicht halt. Noch im gleichen Jahr wurden die jüdischen Mitglieder aus ihren Schachclubs ausgeschlossen. Der Hamburger Schachklub ehrt seine früheren jüdischen Mitglieder mit einer Gedenktafel.| Fotos: André Schulz

Schach Nachrichten


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Der Hamburger Schachklub blickt auf eine große Geschichte zurück - er ist der zweitälteste noch existierende Schachklub in Deutschland. Als der Klub 1930 in Hamburg unter der Leitung von Walter Robinow die Schacholympiade ausrichtete, feierte er damit schon sein 100. Jubiläum.

Walter Robinow, der aus einer Kaufmanns- und Bankierfamilie stammte und dessen Vater 12 Jahre lang der Hamburger Bürgerschaft angehörte, war seit 1908 der 1. Vorsitzende des Hamburger Schachklubs und seit 1920 auch Präsident des Deutschen Schachbundes. Mit der Ausrichtung der Schacholympiade 1930 wurde er zudem zum Ehrenmitglied des Weltschachbundes FIDE ernannt. Die FIDE war sechs Jahre zuvor in Paris gegründet worden war, damals noch ohne den Deutschen Schachbund. 

Gleichschaltung und Vertreibung

Nur drei Jahre nach der Schacholympiade änderten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland radikal. Die "Gleichschaltung" der öffentlichen Einrichtungen nach der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland vollzog sich auch im Schachleben sehr rasch. Im Juli 1933 trat an die Stelle des Deutschen Schachbundes der neue Großdeutsche Schachbund. Im November 1934 wurde der DSB aus dem Vereinsregister gelöscht. Schon im Mai 1933 wurden die jüdischen Mitglieder aus ihren Schachvereinen vertrieben.

Die Chronik des Hamburger Schachklubs zitiert aus dem Protokoll:

"Herr Walter Robinow versammelte am Klubabend, den 25. April 1933, die Mitglieder um sich, um die Erklärung abzugeben, dass er sich zu seinem Bedauern gezwungen sehe, sein Amt als Vorsitzender unseres Klubs, das er fast 25 Jahre lang innegehabt hätte, anlässlich der politischen Ereignisse in Deutschland, die sich auch auf die Schachverbände und Schachvereine ausgedehnt hätten, niederzulegen. Herr James Frankfurter sprach in längeren Ausführungen im Namen der Mitglieder des Klubs sein Bedauern über den Entschluss des Herrn Robinow aus."

In der Chronik heißt es weiter: 

"Am selben Tage gaben auch Dr. Alexander - Schriftführer des HSK - und H. Falk - Schriftleiter der "Mitteilungen des HSK" - ihre Ämter auf, zumindest letzterer auch, wie die Unterlagen belegen, aus "politischen Gründen". Am 29.07.1933 verließ auch der Schachwart James Frankfurter den Klub, eine herausragende organisatorische Persönlichkeit und fast 50 Jahre Mitglied im HSK nach der durch ihn beförderten Zusammenführung mit dem Schachklub Stazir."

Neue Vereinsleitung

Das Vereinsrecht wurde geändert. Der Vorsitzende des Vereins wurde nun nicht mehr von den Mitgliedern gewählt, sondern vom Niederelbischen Schachverband bestimmt. Neue Leute hatten nun das Sagen. Otto Junge, Vater von Klaus Junge, wurde Vorsitzender. Nach einem Jahr folgte Ernst Friederich. Herbert Heinecke hatte großen Einfluss. 

Die Familie Junge stammte aus Dithmarschen, war im 19. Jahrhundert nach Chile ausgewandert. 1928 kehrte Otto Junge nach Deutschland zurück. Sein Sohn Klaus, eines der größten Schachtalente in Deutschland in den 1940er Jahren, fiel als Soldat im Zweiten Weltkrieg, ebenso wie seine drei Brüder. Otto Junge starb 1978. Auch Herbert Heinicke wurde in Südamerika geboren, 1905 in Brasilien. Seine Eltern waren Großgrundbesitzer, wurden aber zu Beginn des Ersten Weltkrieges enteignet. 1914 kehrte auch die Familie Heinicke nach Deutschland zurück. Heinicke war ein sehr starker Schachspieler und er war als Unternehmer sehr erfolgreich. Seine Firma produzierte nichtrostenden Stähle, die vor und während des Zweiten Weltkrieges besonders im deutschen U-Boot Verwendung fanden. Herbert Heinicke wird von seinen Zeitgenossen als strammer Nazi beschrieben. 

Auch nach dem Krieg, in dem der Hamburger SK 1943 sein Heim und seine riesige Schachbibliothek im Feuer verlor, war Heinicke noch lange und erfolgreich mit seiner Firma und im Schach aktiv. Er spielte gelegentlich in der Nationalmannschaft und war 1972 Mitbegründer der Schachabteilung von Favorite Hammonia. Heinicke starb 1988. 

Während Leute wie Junge und Heinicke die Geschicke des Hamburger SK in die Hand genommen hatten, wurden die jüdischen Schachfreunde nicht nur aus den Vereinen, sondern auch aus Deutschland vertrieben oder umgebracht. Auch vor großen Namen machte man nicht halt. Der einzige deutsche Schachweltmeister Emanuel Lasker hatte Deutschland schon 1933 verlassen. Fast alle seiner Familienmitglieder starben in Konzentrationslagern. Zu den Verwandten von Emanuel Lasker gehörte auch Anita Lasker-Wallfisch.

Gedenken an die ausgeschlossenen jüdischen Schachfreunde

In Erinnerung an die vielen vertriebenen und ermordeten jüdischen Schachfreunde aus Hamburg hat der Hamburger Schachklub an seinem Vereinshaus in der Schellingstraße eine Gedenktafel anbrinngen lassen und nennt dort stellvertretend sechs frühere jüdische Vereinsmitglieder. Die Tafel wurde vergangenen Dienstag anlässlich eines deutsch-israelischen Jugendaustausches in feierlichem Rahmen enthüllt.

Der langjährige Vorsitzende und jetzige Ehrenvorsitzende des Hamburger Schachklubs Christian Zickelbein eröffnete die Feier mit einer kleinen Ansprache an die Gäste, unter ihnen Ullrich Krause, Präsident des Deutschen Schachbundes und Malte Ibs, Vorsitzender der Deutschen Schachjugend.

Christian Zickelbein, Ehrenvorsitzender des HSK

Malte Ibs und Ullrich Krause

Die "Hamburg Chamber Players", Julia Mensching und Ian Mardon, verliehen anschließend mit ihrer musikalischen Darbeitung der Feier besinnliche Momente. Auf Violine und Viola spielten sie Stücke der jüdischen Komponisten Hans Neumeyer und Zikmund Schul.

Ian Mardon und Julia Mensching

Der blinde Musiker und Komponist Hans Neumeyer wurde 1939 enteignet und 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert. Am 19. Mai 1944 starb er an den Folgen einer Tuberkulose. Seine Frau Vera wurde 1924 ins Ghetto von Piaski gebracht. Ihr Todesdatum ist unbekannt. 

Zikmund Schul wuchs in Kassel auf, lebte und arbeitete später in Prag. Zeitweise studierte er Musik zusammen mit Paul Hindemith. Am 30. November 1941 wurde er ins KZ Theresienstadt gebracht. Dort entstanden noch einige weitere Kompositionen, bevor Zikmund Schul am 2. Juni 1944 an Tuberkulose starb.

Thomas Woisin, 1. Vorsitzender des Hamburger Schachklubs, erläuterte in seine Ansprache die Motivation, jetzt der vertriebenen jüdischen Mitglieder zu gedenken und erklärte auch den späten Zeitpunkt.

Thomas Woisin

Die Ansprache des 1. Vorsitzenden des Hamburger Schachklubs Thomas Woisin:
 

Liebe Gäste…

Unsere Schachfreunde aus Israel waren heute Morgen in der Gedenkstätte Bullenhuser Damm. Dort wurde eine Vernichtungsstrategie vollendet, die auch in unserem Verein ihren Anfang nahm.

Schon gleich nach der Machtergreifung der Nazis begann ein perfider Prozess der Trennung von Menschen, die bisher Vereinskameraden, Kollegen und Nachbarn waren, mit dem Ziel, die jüdischen Mitbürger zu isolieren, aus dem öffentlichen Leben auszuschließen, um sie dann als anonyme Gruppe vertreiben und vernichten zu können.

Seit 1830 wurde im Hamburger Schachklub Schach gespielt ohne Trennung nach Nationalitäten und Konfessionen. Mit der Gleichschaltung der Vereins endeten 103 Jahre gemeinsamer Aktivitäten – es wurde nicht nur Schach gespielt, es wurden Veranstaltungen organisiert, Reisen unternommen, gemeinsam gefeiert.

Der Hamburger Schachklub hatte von 1830 bis 1933 306 Mitglieder, von denen wir wissen oder mit gutem Grund vermuten können, dass sie Juden waren. Sechs von ihnen wollen wir heute stellvertretend ehren:

Walter Robinow, war nicht nur 25 Jahre Vorsitzender des Hamburger Schachklubs sondern auch Präsident des Deutschen Schachbundes und Ehrenmitglied des Weltschachbundes. Er starb 1938 im israelitischen Krankenhaus in Hamburg.

James Frankfurter war fast 50 Jahre Vorstandsmitglied, nachdem er als Vorsitzender des Schachklubs Stazir die Fusion mit dem HSK bewirkt hatte. Er konnte nach Palästina entkommen.

Dr. Rudolf Alexander, Schriftwart, entkam ebenfalls nach Palästina und starb 1989 in Tel Aviv.

Alexander Bachur wurde 1942 in Lodz ermordet.

Dr. Rudolf Dehn, Kassierer, starb 1938 in Hamburg.

Harald Falk, Spielwart, wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Es mag spät erscheinen, das wir erst jetzt, nach 85 Jahren, unsere jüdischen Mitglieder ehren. Aber auch in unserem Verein wollte man lange von dieser Vergangenheit nichts wissen. Noch bis Anfang der 70er Jahre war der ehemalige Führer des NS-Schachbundes Nordelbien, der die Vertreibung der jüdischen Mitglieder aus den Norddeutschen Schachvereinen vorantrieb, der Internationale Meister Herbert Heinicke, Mitglied des Hamburger Schachklubs.

Zum 150 jährigen Jubiläum befassten wir uns erstmalig nach 1945 tiefer mit der eigenen Vergangenheit. Seinen Niederschlag fand dies mit der Einrichtung des Walter Robinow und des James Frankfurter Turniers, ein Versuch diese verdienten Mitglieder im HSK wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Zum 175. Jubiläum half uns die Historikerin Claudia Thorn unserer jüdische Vergangenheit zu erforschen. Ein Teil der Festschrift war diesem Thema gewidmet. Schon damals prüften wir die Verlegung von sogenannten Stolpersteinen. Seiner Zeit gab es aber nur die Möglichkeit, sie vor dem ehemaligen Wohnhaus zu verlegen. Im letzten Jahr haben die ehemaligen Vorsitzenden Kersten Spruth, Hans Krieger und unser Ehrenvorsitzender Christian Zickelbein die Initiative ergriffen, diese Tafel zu errichten. Die Einweihung sollte eigentlich auf der nächsten Mitgliederversammlung erfolgen, der Besuch der Schachfreunde aus Israel ist Gelegenheit, dies vorzuziehen.

Wie in allen Sportvereinen ist heute die Achtung der Menschwürde, die Toleranz und die Völkerverständigung Voraussetzung für unsere Arbeit. Eine Jugendarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus über 15 Nationen und auch dieser Jugendaustausch sind heute lebendiger Beweis. Das Schicksal unserer heute geehrten Mitglieder wird uns eine immer eine Verpflichtung sein. Und das scheint gerade jetzt wieder nötig zu sein.

Also: Widersprechen wir bei antisemitischen Äußerungen, denn sie sind der Beginn des Unheils. Seien wir selbst Vorbilder. Schaffen wir Kontakte, denn wer sich kennt, kann sich besser verstehen. Spielen wir Schach miteinander.

Gens una sumus! - Wir sind eine Familie (Leitspruch des Weltschachbundes)

 

Die israelischen Jugendlichen, elf junge Schachfreunde aus der Nähe von Tel Aviv, wurden vom bekannten israelischen Schiedsrichter Almog Burstein begleitet. In einem Besucherprogramm erhielten sie Gelegenheit, sich über die Geschichte der Juden in Hamburg und ihre Verfolgung in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu informieren. Nun nehmen sie am traditionellen Hamburger Sommer Jugend Open teil.

Junge Schachfreunde aus Israel

Links:

HSK-Homepage...

Hamburger Schachklub, Geschichte...

Die Familie Robinow...

Klaus Junge: Spurensuche...

Hamburg Chamber Players...

Biografie Hans Neumeyer...

Archiv Hans Neumeyer...

Biografie Zikmund Schul...

Landeszentrale für politische Bildung: Bücher zu Stolpersteinen...


  


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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