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Um Robert Hübner ist es in schachlicher Hinsicht zuletzt etwas stiller geworden. Wenn man ihn einfach nur Schach spielen ließe, dann würde er sich vermutlich gerne öfter ans Brett setzen, doch Umstände, die mit dem Schach gar nichts zu tun haben, vergällen ihm wohl die Freude am Spielen. Nachdem die FIDE, um Schach überall als Sport zu etablieren, bei offiziellen Meisterschaften Dopingproben einführte, erklärte Hübner seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. Mit solchem Unsinn wollte er nichts zu tun haben. Dopingproben im Schach sind in der Tat ein rein formal begründeter grober Unfug. Es gibt nämlich keinerlei bekanntes Mittel, mit dem man seine Schachfähigkeiten verbessern kann. Hübner schrieb einen Artikel und erklärte dort sogar, dass Schach seiner Meinung noch nicht einmal ein Sport ist - worüber man vielleicht noch streiten kann.
Schach will aber Sport sein, denn nur dann wird es vom Innenministerium im Rahmen der Spitzensportförderung, wenn auch in bescheidenem Maße, gefördert. Wer aber Sport sein will, muss auch seinen Sportlern Dopingproben anordnen, denn im Sport wird bekanntlich gedopt. Da machen weder Bundes-Innenministerium noch internationale Sportverbände einen Unterschied zwischen Gewichtheben, Curling, Sportangeln oder Schach. Als der Deutsche Schachbund dann infolge der Causa Bindrich - ein Spieler, der in der Bundesliga beim Toilettengang gerne sein Mobiltelefon mit "höchst privaten Fotos" dabei hat - die Spieler der Bundesligen zur Unterschrift unter eine "Spielervereinbarung" bat, war für Hübner auch das Engagement in der Bundesliga zu Ende. Zuletzt hatte Hübner für Godesberg in der Zweiten Bundesliga gespielt. Der Verein kämpfte auch lange gegen die "Spielervereinbarung" an. Inzwischen hat Godesberg sogar seine ganze Mannschaft, nicht nur aus diesem Grund, zurückgezogen.
Robert Hübner gilt als der beste deutsche Schachspieler seit Emanuel Lasker. Sein Aufstieg hatte 1970 den ersten Höhepunkt, als er hinter Bobby Fischer beim Interzonenturnier in Palma de Mallorca Zweiter wurde und erstmals an den Kandidatenwettkämpfen teilnahm. 1971 wurde er jüngster deutscher Großmeister. 1980, 1983 und 1990 nahm er weitere Male an den Kandidatenkämpfen teil. Auf dem Zenit seines Könnens nahm Hübner 1981 Platz drei in der Weltrangliste ein, hinter Karpov und Kortschnoj.
Anders als viele seiner Großmeister-Kollegen hatte Hübner mit seinem Studium der Altphilologie ein weiteres Standbein. Sein Spezialgebiet war die Papyrologie, 1976 promovierte er an der Universität Köln. Darüber hinaus besitzt Hübner große Kenntnisse der Schriften Platons und anderer altgriechischer Autoren. Neben dem Altgriechischen und Koptischen, Sprachen, deren Kenntnisse man zum Entziffern von Papyri benötigt, spricht Hübner einige weitere Sprachen, darunter Englisch, Holländisch und Finnisch. In seinem Studium hat er die wissenschaftliche Arbeitsweise schätzen gelernt und auf seine Arbeiten im Schach übertragen. Für Robert Hübner dient Schach wissenschaftlichen Betrachtung. Eine Partie ist dann ein Forschungsauftrag, mit dem Ziel, immer den besten Zug zu finden.
Schon in seiner noch aktiveren Laufbahn als Spieler ist Robert Hübner vielfach als Autor in Erscheinung getreten. Er war lange Jahre ständiger Kolumnist im ChessBase Magazin und hat dort tief schürfende Partieanalysen, aber auch eine Reihe von Artikel mit erzählerischem Charakter veröffentlicht, oft mit philosophischem Hintergrund. Darüber hinaus hat er einige Bücher, z.T. mit Analysen zu eigenen Partien oder aber mit schachhistorischem Inhalt, veröffentlicht. Auch ein Sammelband mit eigenen Übersetzungen von Satiren aus dem Finnischen wurde von Hübner verlegt.
Kürzlich erschien ein Band mit dem Titel "Elemente einer Selbstbiographie". Wer nun vielleicht glaubt, hinter dem Titel verberge sich vielleicht eine schachliche Biographie nach Art von "Meine besten Partien" oder "Wie ich Großmeister wurde", kennt Hübner nicht und befindet sich im Irrtum. Solches wäre Hübner viel zu platt. Das Buch enthält auch keine einzige Schachpartie. Der Titel ist aber trotzdem zutreffend.
In "Elemente einer Selbstbiographie" stellte Hübner sich selber auf indirekte Weise vor, indem er den Leser einlädt, seine Gedanken zu bestimmten Themen kennenzulernen. Das nicht ganz 150 Seiten umfassende Buch enthält 25 Aufsätze, die laut Hübner über einen Zeitraum von 40 Jahren entstanden sind. Manche dieser Aufsätze wurden schon einmal an anderer Stelle veröffentlich, andere bisher noch nicht.
Die Aufsätze haben zum Teil Beschreibungen alltäglicher Dinge zum Inhalt, zum Beispiel Zugfahrten, die sich als viel schwieriger erweisen, als Hübner es erwartet hatte. Das Buch beginnt mit Beschreibungen finnischer Landschaftsbilder. Doch auch hier wird die offenbar vorhandene Sehnsucht nach Ruhe und Harmonie beispielsweise durch umherstreifende Hunde oder sich seltsam verhaltende Menschen gestört. Das Buch enthält zudem sprachwissenschaftliche Texte, Allegorien und Gleichnisse. Besonders skeptisch scheint Hübner den Möglichkeiten menschlicher Kommunikation gegenüberzustehen. In der Geschichte vom genialen Professor Gumpfl verwandelt ein Wissenschaftler einen Versuchsaffen durch die Erfindung einer Sprachpille in einen Politiker - der Eigenversuch geht jedoch schief. Er selber verwandelt sich in einen Maulwurf und ward nicht mehr gesehen, während alle seine Versuchstiere dank seiner Pillen unerkannt unter den Menschen verschwinden. Noch skurriler ist die Geschichte vom den Eichhörnchen, das mitten in einer Partie anfängt Hübners Figuren aufzufressen. Auch der Schiedsrichter verwandelt sich plötzlich in einen riesigen "Eichkater" und trifft sich im Raum nebenan mit FIDE-Repräsentanten, die man nicht sieht, aber quieken, grunzen und wiehern hört. Überall können eben unvermittelt seltsame Dinge geschehen, für die man kein Erklärung hat. Es soll jetzt aber nicht der Eindruck entstehen, Hübners "Elemente einer Selbstbiographie" sei ein Sammlung von skurrilen Anekdoten - die weitaus meisten der Aufsätze sind ernsthaften Inhalts, obwohl man natürlich immer mit Hübners feiner, bisweilen bissiger Ironie zu rechnen hat.
Ist Hübner in Bezug auf seine menschliche Umwelt schon skeptisch, so wird dies vom Misstrauen gegenüber dem Computer noch deutlich übertroffen. Kurz vor dem Wettkampf Deep Fritz gegen Kramnik spielte Hübner selber 2001 in Dortmund einen Wettkampf gegen Das Programm Deep Fritz und hatte keine Mühe, alle sechs Partien remis zu spielen. In einigen Partien war er dem Gewinn nahe. Seine Erfahrung mit der "Zählmaschine" hat er seinerzeit in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung mitgeteilt. Sein Fazit war: Der Mensch "fühlt sich den Zählmaschinen hilflos ausgeliefert und erwartet in jedem Augenblick eine unvorhersehbare, unverständliche und unfaßbare Mißhandlung, ob ihn die Maschine foltert oder die Menschen, welche die Maschine bedienen, bleibt unergründlich."
In die gleiche Kerbe schlägt der Aufsatz "Modernes Reisen", in dem man folgenden Vergleich findet: "Die zeitgenössische Computerentwicklung wurde schon von den Alten Griechen vorausgesagt, und zwar in der Geschichte des Prokrustes. Die Programme sind das Prokrustesbett; die Menschen werden ihnen gewaltsam angepasst. Der Unterschied liegt nur darin, daß das Bett unsichtbar bleibt, so daß die Vorgänge auch nach ihrem Zweck nicht durchschaut werden können; Ursache und Wirkung bleiben im Verborgenen."
"Elemente einer Selbstbiographie" von Robert Hübner ist in das Resümee eines Menschen, der vom Leben und den Menschen um ihn herum etwas Unbestimmtes erwartet hat, nur ganz bestimmt nicht das, was ihm präsentiert wurde. Wer sich gerne mit geistreichen und nachdenklichen Inhalten füttern lässt, findet bei Hübner ausgesprochen energiereiche Nahrung.
Das Buch ist von Michael Trauth produziert, wird bei Edition Marco von Arno Nickel verlegt und ist sehr sorgfältig angefertigt.
Robert Hübner: "Elemente einer Selbstbiographie", gebunden, 145 Seiten,
Verlag: Edition Marco (2015), 20,00 Euro