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D. Ostanin: Zunächst einmal gratuliere ich Ihnen zum verdienten Sieg! Diesbezüglich möchte ich Sie gern etwas fragen. Was Ihr Alter angeht, sind Sie nicht als der Schach-Patriarch zu bezeichnen, da es ältere Schachspieler gibt, die infrage kämen. Wenn man aber Ihren Einfluss berücksichtigt, also das, was Sie tatsächlich für das Schach getan haben, dann sind Sie der Patriarch. In diesem Sinne stellen sich viele die Frage: Betrachten Sie sich selbst als Schach-Patriarchen?
V. Kramnik: Oh, nein! Ich fühle mich eher wie ein Schach-Veteran. Das ist mir nicht peinlich, sorgt auch nicht für negative Empfindungen. Ganz im Gegenteil, ich finde es interessant (immerhin habe ich damals gegen Tal gespielt!), so vielen verschiedenen Menschen am Schachbrett zu begegnen … Für viele Spieler, die hier teilnehmen, gehören Karpov oder Kasparov (vor allem aber Karpov) längst der Vergangenheit an, während ich viele Male gegen sie angetreten bin.
Garry Kasparov, Linares 1991 (Foto: Frederic Friedel)
Anatoly Karpov, Linares 1991 (Foto: Frederic Friedel)
Vishy Anand, Linares 1991 (Foto: Frederic Friedel)
Vladimir Kramnik, Linares 1993 (Foto: Frederic Friedel)
Heute ist es für mich sehr interessant, gegen Kinder und Jugendliche zu spielen, die vom Alter her meine Söhne sein könnten. Anand und ich gehören zur alten Garde. Unsere erste Turnierpartie fand 1989 statt, damals war die Hälfte der Turnierteilnehmer noch nicht geboren.
Das stimmt!
Es ist also verständlich, dass ich vor der Partie ein wenig Nostalgie verspürte. Ich musste daran denken, dass wir damals im Jahr 1989 als talentierte Jugendliche gegeneinander antraten und uns heute als „alte Männer“ schon wieder gegenüber sitzen. Es sind fast dreißig Jahre vergangen, und wir sitzen, spielen und kämpfen noch immer gegeneinander. Das ist aber ein eher angenehmes Gefühl.
Ich sehe das Schach als Leistungssport an. Wie Carlsens Vater gestern anmerkte – das ist ein asymmetrisches Spiel – d.h. der eine gewinnt, der andere verliert. Freundschaftliche Gefühle entstehen nicht wegen des Schachs an sich, sondern aufgrund von Gemeinsamkeiten wie z.B. dem Alter. Über Anand haben Sie bereits etwas erzählt. Gibt es auch andere Schachspieler, zu denen Sie eine gewisse Zärtlichkeit verspüren, verzeihen Sie den Ausdruck.
Ja, natürlich.
Zum Beispiel Vassily Ivanchuk?
Ja, auch Boris Gelfand gehört dazu. Spieler, denen man während der gesamten Karriere immer wieder am Schachbrett begegnet, sind viel mehr als nur Schachgegner. Sie sind ein Teil des Lebens, ein Teil der Karriere.
Vassily Ivanchuk, Linares 1991 (Foto: Frederic Friedel)
Boris Gelfand, Linares 1991 (Foto: Frederic Friedel)
Wo haben Vishy und ich nicht überall zusammen teilgenommen – selbst um den Weltmeistertitel haben wir gekämpft. Zu solchen Menschen baut man eine andere Beziehung auf, weil sie neben allem andere auch nostalgische Gefühle hervorrufen.
Wenn wir schon über Alter reden – ich glaube, dass Vishy etwa fünf Jahre älter ist als ich. Ein alter Mann, was? Aber er hält noch hervorragend mit! Ich bin mir nicht sicher, ob ich in seinem Alter zu den Top 10 der Welt gehören werde. Er ist ein herausragender Spieler, gegen den ich so oft angetreten bin! Ganz genau kann ich es nicht sagen, ich glaube aber, dass mit der heutigen Partie die Bilanz aus unseren 89 oder 90 Partien ausgeglichen ist.
Eine Art Jahrestag sozusagen?
Ja, wir haben um die 90 Partien gespielt und das Ergebnis im klassischen Schach ist heute, glaube ich, absolut ausgeglichen. Wir haben sehr oft in den 90ern und den 2000ern gekämpft, aber auch heute müssen wir oft genug gegeneinander antreten.
Eine indiskrete Frage, die Sie nicht beantworten müssen. Wer ist Ihrer Meinung nach heute der stärkste Veteran?
Ach, das kommt darauf an, wen wir alles als ‚Veteran‘ bezeichnen.
Nun, wie Sie schon sagten – Sie sind Veteran. Auf den Ehrentitel „Patriarch“ haben Sie ja verzichtet.
Sagen wir es mal so: Aktuell habe ich die höchste Elozahl. Auf der anderen Seite ist Vishy erstens ebenso unter den Top 10, und zweitens um einiges älter als ich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in seinem Alter meine Ratingzahl halten kann. Grundsätzlich aber geht der Trend dahin, dass die Schachveteranen gut mithalten.
Obwohl die Jugend ja kaum aufzuhalten ist.
Ja, natürlich. Schließlich wirkt sich das Alter aus, die körperliche Kondition lässt nach. Dazu kommen die Familie und die Kinder – die Zeit, sich mit Schach zu beschäftigen, wird knapper.
Ja, das ändert alles. Schauen Sie mich an: Meine Tochter liegt zu Hause mit Fieber und ich sitze hier und unterhalte mich mit Ihnen.
Ja, ich habe längst aufgehört, die Trainingslager zu besuchen, was im Grunde empfohlen wird. Zwischen den Turnieren schaffe ich es höchstens zehn Tage, zu Hause zu bleiben, und dann soll ich noch zu irgendwelchen Trainingscamps fahren? Jetzt habe ich seit drei Wochen meine Liebsten nicht mehr gesehen! Natürlich bleibt da weniger Zeit für Schach übrig. Auf der anderen Seite sind die Familie und die Kinder wichtiger. Ich beschwere mich daher nicht.
Ich mag Ihre Ansichten sehr! Ähnlich wie 2014, als wir uns zum ersten Mal unterhielten. Aus Ihren Antworten sprudelt eine gewisse Weisheit.
Nun, das kommt mit den Jahren …
Und dennoch: Sie sind kein Schachveteran, sondern der Patriarch!
Quellen:
http://chess-news.ru/node/23269
Übersetzung aus dem Russischen: Vera Jürgens
Teaserfoto: Lennart Ootes