Ilyumzhinov: "Ich bleibe im Amt!"

von André Schulz
29.03.2017 – Alles nur ein Missverständnis? Die FIDE meldete den baldigen Rücktritt ihres Präsidenten. Der dementierte. Wohin führt der Machtkampf? Wird es demnächst einen klassischen FIDE-Präsidenten und einen FIDE-FIDE-Präsidenten geben, wie ein Spaßvogel vermutete? Depeschenwechsel der FIDE und ein Interview mit dem (Noch-)Präsidenten:

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Rücktrittsmeldung der FIDE

Vergangenen Montag sorgte eine Meldung auf der FIDE-Webseite für große Verwirrung. Dort wurde der baldige Rücktritt des seit 1995 amtierenden FIDE-Präsidenten Kirsan Ilyumzhinov angekündigt. Am Wochenende zuvor hatte das FIDE-Präsidium in Athen getagt. Während der Sitzung soll Ilyumzhinov seine Rücktrittsabsicht verkündet haben.

Meldung auf der FIDE-Hauptseite

Text der FIDE-Pressemitteilung

Dementi und Briefwechsel

Einige Stunden später kam aus Moskau ein eiliges Dementi. Ilyumzhinov wandte sich an die Öffentlichkeit und erklärte, die Mitteilung auf der FIDE-Seite sei eine Falschmeldung oder ein Scherz. In einer gemeinsamen Pressekonferenz im Haus des Zentralschachklubs in Moskau erhielt Ilyumzhinov Unterstützung vom dem Präsidenten des Russischen Schachverbandes Andrey Filatov. Filatov wurde in der Vergangenheit von manchen als möglicher Nachfolger von Ilyumzhinov angesehen wird. Doch in der gemeinsamen Pressekonferenz  war davon keine Rede. Stattdessen sprach Filatov im Namen des Russischen Schachverbandes von der erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der FIDE, die auch über 2018 hinaus, Zeitpunkt der nächsten Präsidiumswahl, fortgesetzt werden soll.

Erklärung auf der Seite des russischen Schachverbandes...

In der Zwischenzeit hatte Kirsan Ilyumzhinov sich auch schon mit einer schriftlichen Erklärung an die internationalen Schachverbände gewandt und dort seinem angeblich Rücktritt widersprochen. In seinem Schreiben betonte er, dass er keine offizielle Rücktrittserklärung gegeben hätte, dass er auch nicht die Absicht hätte, dies zu tun und dass alle anderen Berichte reine Spekulation seien.

 

 

In einem weiteren Schreiben wandte er sich an Nigel Freeman und verlangte eine Richtigstellung der Meldung auf der FIDE-Webseite. Dr Hauptteil der FIDE-Webseite wird vom FIDE-Büro in Elista aus gesteuert. Ilyumzhinov, einst Präsident der autonomen russischen Republik Kalmückien, lebt inzwischen aber schon lange in Moskau. Nur wenige Mitglieder des FIDE-Päsidiums sind befugt, Anweisungen zur Veröffentlichung von Meldungen zu geben, darunter Nigel Freeman.

In seiner Antwort an Kirsan Ilyumzhinov wies Nigel Freeman darauf hin, dass der FIDE-Präsident bei der Präsidiumssitzung in Athen mehrfach mit Rücktritt gedroht und am Ende dreimal "Ich trete zurück" gerufen hätte, bevor er den Raum verlies. Auf einer außerordentlichen Sitzung, die auf den 10.April terminiert wurde, solle der Fall vom Präsidium gesondert behandelt werden.

Ilyumzhinov reagierte mit einem weiteren Schreiben an die internationalen Verbände, erklärte erneut, dass er nicht zurücktreten wolle und damit auch die geplante außerordentliche Sitzung am 10. April überflüssig sei. In einem Brief an Nigel Freeman führte er seine emotionalen Äußerungen am Ende der FIDE-Sitzung auf seine unzureichenden Englisch-Kenntnisse zurück. Am Schluss einer erregten Diskussion habe er sagen wollen, dass er zum Rücktritt bereit sei, wenn dies zum Nutzen der FIDE sei.

 

 

Probleme der FIDE

Im Hintergrund der Diskussion um Illyumzhinov stehen die Sanktionen des US-Schatzamtes gegen verschiedene russische Oligarchen, Geschäftsleute und Politiker, die an Geschäften mit der von den USA boykottierten Assad-Regierung in Syrien beziehungsweise dem bekämpften Islamischen Staat beteiligt sind. Im November 2015 wurde auch Kirsan Ilyumzhinov auf diese "Schwarze Liste" gesetzt, da die Bank, bei er er Anteilseigner ist, ein Ölgeschäfte mit dem IS finanziert haben soll. Zu den Sanktionen gehört auch ein Einreiseverbot in die USA. Der Präsident des Weltschachbundes war aus diesem Grund nicht in der Lage, die Schachweltmeisterschaft zwischen Carlsen und Karjakin in New York zu besuchen.

Für die aufgeheizte Stimmung bei der Präsidiumssitzung in Athen dürften noch einige weitere aktuelle Probleme gesorgt haben. Die FIDE war nicht fähig ihre K.o.- Frauenweltmeisterschaft zu verkaufen und musste ein Angebot des iranischen Schachverbandes annehmen, da es kein anderes gab. Für die Vergabe der WM in den Iran wurde die FIDE von mehreren Seiten hart kritisiert. Die Frauen musste in Teheran zwangsweise mit Kopftüchern spielen und weitere Einschränkungen hinnehmen. US-Spielerinnen konnten an der WM aus politischen Gründen gar nicht teilnehmen. Am Ende kam der der persische Schachverband auch seiner Verpflichtung zur Zahlung der Preisgelder nicht nach - falls dies überhaupt so vereinbart war. Jedenfalls erklärte das FIDE-Präsidium nach der Sitzung in Athen, dass die FIDE die Zahlung übernehmen werde.

Zum 31. März soll der WM-Vermarkter AGON zudem eine vertraglich vereinbarte Rate von 500.000 US-Dollar für die Übernahme der WM-Rechte überweisen. Es ist fraglich, ob AGON dazu in der Lage sein wird. Der US-Verband hatte in einem Offenen Brief auf dieses Problem aufmerksam gemacht.

 

Vor Evgeny Surov von Chess-News.ru bereitete der Kirsan Ilyumzhinov in einem Interview seine Gefühlslage aus.

Interview mit Kirsan Ilyumzhinov

Das Interview erschien am 27. März auf chess-news.ru. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Kirsan Ilyumzhinov: „Wenn ihr wollt, nehmt den Thron! Das wird aber kein Zuckerschlecken.“

E. Surow: Kirsan Nikolajewitsch, ich grüße Sie! Können Sie uns erklären, was heute passiert ist?

K. Ilyumzhinov: Vermutlich ist es nur ein Wunschdenken. Sie wollen meinen Rücktritt. Doch habe ich diesbezüglich weder eine offizielle Bekanntmachung heraus gegeben, noch irgendwelche Papiere unterschrieben. Ich bin als FIDE Präsident tätig. Die nächsten Wahlen sind im September 2018, dann sehen wir weiter. Noch kann ich nicht sagen, ob ich gehen oder bleiben werde, wir haben noch eineinhalb Jahre Zeit.

Aufgrund der Tatsache, dass mich am 25. November 2015 das US-Finanzministerium in die Sanktionsliste aufgenommen hat, forderten mich einige FIDE-Mitglieder, beispielsweise der Amerikanische Schachbund, mit einem Schreiben zum Rücktritt auf. Ich denke, dass meine Aufnahme in die Sanktionsliste eine politische Angelegenheit ist, die aufgrund meiner sozialen Aktivitäten erfolgte. Ich habe Anwälte und stehe in Verbindung mit dem Finanzministerium der Vereinigten Staaten von Amerika. Zunächst möchte ich die Sache mit dem US-Finanzministerium klären. Ich werde für meine illegale Aufnahme in die Sanktionsliste um eine Entschuldigung bitten. Sie wissen, dass ich alle ihre Fragen beantwortet habe. Ich war in der amerikanischen Botschaft und habe dort Mitarbeiter aus den USA und London getroffen. Ich habe mehr als 200 Fragen beantwortet, Kopien meines Passes abgegeben, Briefe an die FBI- und CIA-Chefs geschrieben und mich bereit erklärt, in die USA einzureisen, um mich dort einem Lügendetektor zu stellen. Aus irgendwelchen Gründen wurde mir dies verweigert. Ich habe im August letzten Jahres ein Flugticket der amerikanischen Fluggesellschaft „Delta“ gekauft, um auf eigene Faust das US-Finanzministerium und das FBI zu besuchen. Ich wurde aber nicht ins Flugzeug gelassen. Bis heute liegt mein Pass in der amerikanischen Botschaft. Ich weiß nicht, ob ein Visum ausgestellt wird oder nicht, der Konsul sagte, es sei noch alles in Bearbeitung. Jetzt warte ich auf die Entscheidung. Die Sanktionsliste ist das Problem, um das sich alles dreht.

Und doch – die Wahlen kommen näher. Nächstes Jahr im September ist es so weit. Vermutlich sind schon irgendwelche Bewegungen zugange, es beginnen sich Gruppen zu bilden. Die Leute fragen mich, ob ich bleibe oder gehe, ich antworte: es ist noch zu früh. Es gibt noch eine Menge zu tun. Ich möchte nicht, dass die FIDE von Wahl zu Wahl lebt. Es gibt viel Arbeit, die man erledigen muss. Auf dem Kongress werden die Delegierten Demjenigen die Stimme geben, dessen Programm ihnen zusagt.

E. Surow: Wenn ich das richtig verstehe, so hat der amerikanische Schachbund Ihren Rücktritt initiiert.

K. Ilyumzhinov: Ja, sie haben sogar offiziell die Papiere für den Präsidialrat erstellt; es werden Interviews gegeben. Auch Short, Vertreter des englischen Schachbundes, gehört dazu.

E. Surow: Was ist mit der FIDE Homepage? Die Information dort stammte wohl kaum vom amerikanischen oder englischen Schachbund. Wer hat sie dort veröffentlicht?

K. Ilyumzhinov: Es gibt da gewisse Leute … Der Vorsitzende hat die Information verdreht, die während der Diskussion nach der Hauptversammlung entstand. Die Sitzung war bereits beendet, danach wurde diskutiert. Das ist alles. Eine von mir unterschriebene Erklärung, wonach ich möglicherweise zurücktrete … Nein, dafür gibt es ein formelles Verfahren. Das Gespräch war rein emotionsgesteuert. Ich sagte, dass ich es nicht verstehe – ich habe 22 Jahre lang für das Schach, für die FIDE gearbeitet. Ich habe um die hundert Millionen Dollar ausgegeben, Schachpaläste bauen lassen und zwar nicht nur in Kalmückien, sondern auch in vielen anderen Ländern: in Ashgabat, Tashkent, Armenien, in den Emiraten … Ich fragte, wie man auf diesen Gedanken kommt. Lasst uns in eineinhalb Jahren darüber reden.

E. Surow: Kirsan Nikolajewitsch, und dennoch: Gibt es innerhalb der FIDE Verrat? Diese Informationen sind ja von irgendwo aufgetaucht.

K. Ilyumzhinov: Seit wie vielen Jahren kennen Sie mich, Zhenya?

E. Surow: Das weiß ich nicht mehr. Persönlich kennen wir uns seit über zehn Jahren.

K. Ilyumzhinov: Ja, sie haben mich des Öfteren interviewt. In den 22 Jahren als FIDE Präsident hatte ich viele Gegner. Gegen mich haben Kasparov, Karpov, Bessel Kok gekämpft – über wen habe ich auch nur ein schlechtes Wort gesagt? Nein … Ich will dies auch nicht. Ich weiß alles, was da vorgeht, was soll man dazu sagen … Die Zeit wird unser Richter sein.

E. Surow: Für die nahe Zukunft müssen sich Ihre Fans also keine Sorgen machen?

K. Ilyumzhinov: Überhaupt nicht … Das Ganze fing 1993, 1995 an, als Kasparov die FIDE verließ und die PCA (Professional Chess Association – Anmerkung der Redaktion) gründete. Seitdem gibt es ständig Intrigen. Ich sage immer: Spielt Schach! Wir haben die Schachwelt wieder vereint – Kramnik hat gegen Topalov gewonnen. Spielt einfach weiter Schach, aber nein, ständig sind irgendwelche Intrigen um den (Präsidenten-) Posten im Umlauf. Ich meine, wenn ihr wollt, dann nehmt den Thron! Das wird aber kein Zuckerschlecken. Was ist es? Bekomme ich Geld dafür? Ansehen? Ich verschwende meine Gesundheit, mein Geld, meine Zeit, ich reise um die ganze Welt, 50-60-70 Länder kommen schon zusammen … Nur in diesem Monat habe ich acht bis zehn Länder besucht. Ich mache schon so viel, warum diese Unzufriedenheit?

Quelle: http://chess-news.ru/node/22905


 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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