Impressionen vom Wiener Open

von Marco Baldauf
28.08.2016 – Acht Tage durfte ich vergangene Woche in Wien verweilen und dem dortigen Open beiwohnen. Neben dem sehr souveränen Sieg des österreichischen Spitzenspielers Markus Ragger und der grandiosen Performance der zweifelsohne größten deutschen Nachwuchshoffnung Vincent Keymer hielt das Open für mich viele weitere Begegnungen am und neben dem Brett bereit. Mehr...

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Das Open in Wien

 

Vom 16. bis 23. August 2016 fand im Festsaal des Wiener Rathauses die 20. Auflage des Vienna Opens statt. Mit insgesamt über 500 Teilnehmer*innen ist es eines der größten Turniere im deutschsprachigen Raum, das Feld setzt sich jedoch aus Spieler*innen aller Welt zusammen, allein im A-Open waren 49 Nationen vertreten.

Beste Spielbedingungen im traumhaft schönen Festsaal des Wiener Rathauses.

Vorne die 36 Live-Bretter, dahinter wurde es dann etwas enger.

 

Souveräner Sieger wurde mit 8.0/9 Österreichs Spitzenspieler Markus Ragger. Mit einer Elo von 2686 deutlich an Eins gesetzt, ließ er zu keinem Moment Zweifel an seiner Favoritenrolle aufkommen und landete einen beeindruckenden Start-Ziel-Sieg: Ein Remis in Runde Sechs gegen Rainer Buhmann sowie ein kurzes Schlussrundenremis gegen Evgeny Vorobiov gesellten sich zu sieben großteils ungefährdeten Siegen.

Markus Ragger (r.) wird mit 8.0 Punkten souverän Erster. (Foto: Turnierseite)

 

Rainer Buhmann

Für Rainer Buhmann beginnt kommende Woche die Olympiade in Baku. Nach seinen Teilnahmen 2008 und 2010 wurde er die vergangenen Jahre nicht für die deutsche Olympia-Auswahl berücksichtigt, nach zuletzt starken Leistungen und einem deutlichen Anstieg seiner Elo (aktuell 2641) war seine Nominierung jedoch keineswegs überraschend. In Wien spielte sich der ohnehin in Österreich lebende Buhmann also warm für Baku - mit 7.0/9 und dem vierten Platz gelang ihm ein vernünftiges, allerdings keineswegs großartiges Turnier.

Rainer Buhmann (hier beim Sparkassen Chess-Meeting in Dortmund). (Foto: Turnierseite Dortmund )

In der dritten Runde glitt ihm eine komplizierte Mittelspielstellung gegen Tobias Voege (2346 Elo) in wenigen Zügen aus den Händen - eine Tatsache, die ihn noch am Folgetag schwer beschäftigte.

 

Einen lehrbuchartigen Angriffssieg konnte Buhmann dann in der 5. Runde aufs Brett bringen:

 

Über Baku

Auf Baku und die dortigen Spielbedingungen ist Buhmann bei seiner dritten Olympiateilnahme gespannt: Viel Geld sei dort für Schach vorhanden, dementsprechend rechne er mit aufwendigen Anti-Betrugskontrollen und rundum gelingender Ausrichtung. Bezüglich meiner Frage nach einem Favoriten äußerte er sich verhalten, aber eine Titelverteidigung Chinas würde ihn überhaupt nicht überraschen: "Es wird für die Chinesen schon allein sehr schwer sein, überhaupt fünf Spieler aus all den 2700ern auszuwählen." Und tatsächlich, mit Bu (2704) und Wang Hao (2710) sind zwei Weltklassespieler nicht im Kader der Chinesen, sie müssen ebenso wie die Russen Svidler (2745), Andreikin (2731), Vitiugov (2720), Jakovenko (2714) und der zuletzt so starke Inarkiev (2731) zusehen.

 

Vincent Keymer

Vincent Keymer ist im deutschsprachigen Raum schon lange kein unbeschriebenes Blattt mehr, doch sein starker dritter Platz verbunden mit seiner zweiten IM-Norm ist mit Sicherheit einer der größten Erfolge seiner noch so jungen Karriere.

Der 11-jährige Vincent Keymer besiegt mit Stanec, Arkell und Hertneck drei Großmeister und wird am Ende Dritter.

Das erste Opfer Keymers: GM Nikolaus Stanec, der allerdings bald standesgemäße Gesellschaft ...

... vom britischen GM Keith Arkell sowie ...

...GM Gerald Hertneck aus München bekam.

"Der fünfte Großmeister in Folge" sei der Münchner Gerald Hertneck, so die kecke Antwort des jungen Rheinland-Pfälzers auf meine vorsichtige Frage vor Beginn der Schlussrunde, ob er denn gegen genügend viele Großmeister gespielt habe um noch die Chance auf eine Norm zu haben. Zwar hatte ich nicht das Vergnügen gegen Vincent gelost zu werden, doch konnte ich mich öfters vom Nebenbrett aus seinen Künsten vergewissern. Die Performance, die Vincent nicht nur auf dem Brett sondern vor allem am Brett hinterließ, beeindruckte mich sehr: Angefangen beim Ablehnen von Remisgeboten Elo-stärkerer Gegner, zum sehr schnellen Spieltempo, dem generell großen Selbstbewusstsein und hohem Level an Konzentration hin zu der einfachen Tatsache, am Ende in diesem Feld 7.5/9 zu erzielen.

Vincent Keymer - hier in der achten Runde an Brett drei gegen Österreichs David Shengelia (Remis) (Foto: Turnierseite).

Man könnte hier viele seiner neun Partien zeigen, doch mit welcher Leichtigkeit er GM Nikolaus Stanec in der sechsten Runde überspielte beeindruckte mich sehr:

 

Vincent hatte vergangenes Jahr Garry Kasparov zu einer Trainings-Session getroffen und dort dem Foto nach zu urteilen u.a. Stellungen der Karlsbader-Strukturen analysiert - mit Tipps vom Ex-Weltmeister ausgestattet, verwundert es nicht, wie locker ihm die Partie von der Hand ging.

Vincent im vergangenen Oktober mit Kasparov in Berlin. (Foto: Frederic Friedel)

Kasparov hat für Chessbase auch eine DVD zum abgelehnten Damengambit aufgenommen, in der er die Pläne des Weißen wie Schwarzen präzise erklärt.

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Josefine Heinemann

Ein weiteres deutsches Glanzlicht setzte die Nationalspielerin Josefine Heinemann aus Sachsen-Anhalt. Sie holte 6.5 Punkte, gewann dabei 43 Elo und wurde klar beste Dame im Feld.

WIM Josefine Heinemann: Startrang 78, am Ende Platz 20.

Eine schöne Kombination gelang ihr gegen den niederländischen IM David Miedema:

 

Keine Nominierung für Baku, doch ein rundum gelungener Auftritt in Wien für Heinemann.

 

Neben Keymer waren viele weitere talentierte Ausnahmespieler in Wien. Die meiste Aufmerksamkeit zog zweifelsohne der Usbeke Javokhir Sindarov (Jahrgang 2005) auf sich, der trotz seiner jungen Jahre bereits 2374 Elo auf die Waage brachte und in einer U12-Weltrangliste aktuell auf Rang 4 platziert ist.

Javokhir Sindarov brauchte zumalen seine gesamte Körperlänge um Figuren auf der gegnerischen Grundreihe zu bewegen.

Mit 6.0/9 spielte er ein starkes Turnier und sorgte immer für viele Zuschauer an seinem Brett.

Generell waren viele asiatische Spielerinnen und Spieler in Wien, allein acht Spieler*innen aus Indien waren vertreten.

Als Teil eines mehrmonatigen Aufenthalts in Europa reiste Chessbase-Fotografin Amruta Mokal nach Wien. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Sagar Shah ist sie Gründerin von Chessbase India.

Ein Teil der Österreichischen Nationalmannschaft nutzte das Open als Vorbereitung auf die Olympiade in Baku. Neben Ragger und Shengelia aus dem Herrenteam war ein Großteil der Frauenmannschaft in Wien vertreten:

Veronika Exler (5.0 Punkte) ...

... Katharina Newrkla (5.5 Punkte) ...

... sowie Lisa Hapala (4.0 Punkte) werden alle drei in Baku für Österreich spielen.

Nach Ragger und Shengelia der drittbeste Österreicher im Feld: Peter Schreiner, der kommende Saison für die Schachfreunde Berlin erstmals in der deutschen Bundesliga spielen wird.

Simon Williams - Autor zahlreicher Chessbase-DVDs - spielte ebenfalls in Wien und erzielte 6.5 Punkte.

Eine Königsindische Partie wie aus einem Guss gelang ihm in der vierten Runde:

 

Mein persönlicher Star des Turniers: Bülent Saglam aus Kiel zeltete die gesamte Woche auf der Donauinsel und kam jeden Tag mit Sack und Pack auf einem Klapprad zum Rathaus gefahren.

GM Philipp Schlosser (r.), Kadertrainer Tirols, bei der Analyse. Schlosser reiste mit mehreren ambitionierten Schützlingen nach Wien und wohnten dort zu acht in einer Ferienwohnung, wo viel Schachtraining auf dem Programm stand.

Wohl zum Pokern übergelaufen? Vladimir Burmakin verpasst die Preisränge deutlich und wird nur 29.

Die Live-Übertragung der ersten 36 Bretter funktionierte dank ...

... Karl Theny stets einwandfrei.

Das Team der Schiedsrichter*innen meiner Empfindung nach immer souverän...

 ... gut gelaunt ...

... und wahrlich ein Team.

Endstand nach 9 Runden:

Rg. Snr   Name Land Elo Pkt.  Wtg1   Wtg2   Wtg3  Rp K rtg+/-
1 1 GM Ragger Markus AUT 2686 8,0 44,5 56,5 2775 2775 10 10,9
2 19 IM Vetoshko Volodymyr UKR 2438 7,5 42,0 51,0 2622 2622 10 20,8
3 38   Keymer Vincent GER 2348 7,5 39,0 49,5 2586 2586 20 54,0
4 2 GM Buhmann Rainer GER 2641 7,0 44,0 56,0 2592 2592 10 -0,9
5 5 GM Shengelia David AUT 2572 7,0 43,5 55,5 2561 2561 10 1,1
6 16 IM Schreiner Peter AUT 2445 7,0 43,0 53,5 2573 2573 10 15,5
7 27 IM Koop Thorben GER 2412 7,0 42,5 53,5 2543 2543 10 15,9
8 4 GM Vorobiov Evgeny RUS 2586 7,0 42,0 53,5 2597 2597 10 4,1
9 14 IM Rathnakaran Kantholi IND 2452 7,0 41,5 54,0 2571 2571 10 14,1
10 28 IM Nitin Senthilvel IND 2398 7,0 41,0 52,0 2546 2546 10 17,7
11 7 IM Ponizil Cyril CZE 2510 7,0 40,5 51,0 2543 2543 10 5,0
12 34 FM Dauth Benjamin GER 2367 7,0 34,0 43,5 2374 2374 20 5,2
13 3 GM Mastrovasilis Dimitrios GRE 2603 6,5 43,5 55,0 2546 2546 10 -2,2
14 20 IM Gajek Radoslaw POL 2434 6,5 42,0 54,0 2462 2462 10 5,1
15 23 IM Baldauf Marco GER 2423 6,5 41,0 52,0 2475 2475 10 8,0
16 10 GM Hertneck Gerald GER 2469 6,5 40,5 53,0 2512 2512 10 7,0
17 17 GM Williams Simon ENG 2443 6,5 40,5 51,5 2436 2436 10 1,1
18 9 IM Leenhouts Koen NED 2491 6,5 38,5 49,5 2447 2447 10 -1,5
19 71   Dedebas Emre Emin TUR 2248 6,5 38,0 49,0 2468 2468 40 110,

...

309 Teilnehmer*innen im A-Open

Alle Partien der Bretter 1-36:

 

Fotos, sofern nicht eigens angegeben: Peter Kranzl (www.chezrene.at)

Ergebnisse bei chess-results


Marco Baldauf, Jahrgang 1990, spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Schach. Zwei Mal wurde er Deutscher Jugendmeister, seit 2015 spielt er für die Schachfreunde Berlin in der Bundesliga. Für Chessbase schreibt er gelegentlich auf der Homepage, kommentiert live oder versucht sich als Autor von Fritztrainern.

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